Louis Weinert-Wilton
Der Teppich des Grauens
Louis Weinert-Wilton

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20

»Oh, ich bin sehr einverstanden, Mr. Vane«, versicherte Mrs. Mabel Hughes mit ihrem pikanten Akzent und richtete sich lebhaft auf. »Sie müssen nämlich wissen«, fügte sie vertraulich hinzu, und ihr stolzes Gesicht bekam einen allerliebsten Ausdruck, »daß ich eine gefährliche Spielratte bin. Und nachdem ich hier in Ihrem reizenden Heim und in der wunderbaren Herbstluft seit zwei Tagen nur der Schonung meiner etwas unbotmäßig gewordenen Nerven gelebt habe, sehne ich mich nach einer derartigen Aufregung. Was werden wir spielen? Bridge oder irgendein Hasardspiel?« Sie blinzelte Vane launig an. »Wenn ich offen sein soll – Bridge finde ich furchtbar langweilig. Was würden Sie zu einer Partie Poker sagen?«

Der Bankier vermochte kein Auge von der prachtvollen Frau zu wenden, die zwar schon über die erste Jugend hinaus war, aber mit ihrem vollendeten Ebenmaß und ihrem klassischen, rassigen Kopf selbst die Jüngsten in den Schatten, stellte.

»Ich sage zu allem ›Ja‹, was Sie wünschen«, antwortete er schmachtend und verdrehte die Augen. »Mir ist ja daran gelegen, Ihnen den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu gestalten, damit Sie recht lange bleiben. Denn da fällt für mich doch hie und da ein Stündchen ab, während in London oft viele Tage vergehen, ohne daß ich das Vergnügen habe, Sie zu sehen.«

Die Stimme Vanes hatte der schönen Frau mehr gesagt als die Worte, und den Bankier traf ein so ernster, fragender Blick, daß er verlegen die Augen senkte.

»Ist Ihnen daran so viel gelegen?« Mrs. Mabel hatte eine ziemlich lange Pause verstreichen lassen, bevor sie diese Frage stellte, und sie klang nach dem stimmungsvollen Schweigen dem bis über die Ohren verliebten Vane doppelt bedeutsam. Er fühlte, daß sich ihm eine Chance bot, die vielleicht nicht so bald wiederkehren würde, und er beschloß, sie zu nützen, obwohl ihm das Herz bis zum Halse klopfte und er nicht wußte, wie er beginnen sollte.

»Mrs. Mabel«, stotterte er, »muß ich Ihnen darauf wirklich noch eine Antwort geben?«

Er wagte es, seine Augen für eine Sekunde zu erheben, aber Mrs. Mabel sah starr und träumerisch ins Leere, und nur die schlanken, schmalen Finger trommelten nervös auf der Armlehne. Aber dann beugte sie mit einer raschen Bewegung den Kopf zu Vane und berührte mit ihrer Rechten leicht seinen Arm.

»Was soll das heißen, Mr. Vane?« In ihren Augen lag ein weicher Glanz, und um ihre Lippen spielte ein ermunterndes Lächeln. »Ich glaube gar, Sie wollen mir ein Geständnis machen? Überlegen Sie sich das wohl!«

»Da gibt es nichts zu überlegen, Mrs. Mabel«, sprudelte der Bankier hervor und haschte nach ihrer Hand, die sie ihm willig überließ. »Seit Monaten wartete ich auf diesen günstigen Augenblick, um Ihnen zu sagen, daß ich Sie grenzenlos verehre und daß es für mich kein größeres Glück geben könnte, als wenn Sie sich entschließen würden, meine Frau zu werden . . .«

Vane atmete tief auf, und Mrs. Mabels Mienen trugen einen allerliebsten Ausdruck der Verwunderung.

»Also nicht nur ein Geständnis, sondern sogar einen Antrag«, sagte sie nach einer Weile, und es schien, als ob diese Tatsache sie außerordentlich überrascht hatte. »Und nun erwarten Sie wohl eine Antwort von mir? Wenn ich nun ›Ja‹ sagen würde?«

Der Bankier drückte Mrs. Mabels Hand krampfhalt an seine Brust, und seine Hängebacken wackelten vor Erregung.

»Mrs. Mabel, ich . . .«

Er verstummte jäh, denn sie schüttelte energisch ihren Kopf und entzog ihm die Hand.

»Lassen Sie uns vernünftig sein, lieber Freund. Sie gehen ja mit dem Ungestüm eines Jünglings ins Zeug, und da kann ich Ihnen mit meiner gesetzten Schwerfälligkeit nicht folgen. Solch eine Sache will doch wirklich gründlich überlegt sein.«

»Überlegen Sie, Mrs. Mabel«, flüsterte der Bankier hastig und dringlich, »überlegen Sie, solange Sie wollen, aber sagen Sie nicht ›Nein‹. Sie werden es gewiß nicht zu bereuen haben. Ich weiß ja nur zu gut, daß Sie ganz andere Ansprüche stellen dürfen, aber niemand kann Ihnen ergebener sein als ich . . .«

Die schöne Frau hob leicht die Hand, und Vane brach erschöpft ab.

»Ich glaube Ihnen, lieber Freund, und ich vertraue Ihnen. Damit müssen Sie sich für heute begnügen. Das heißt«, fügte sie hastig und mit einem etwas verschämten Blick hinzu, »etwas sollen Sie doch noch wissen: daß ich des Alleinseins tatsächlich müde bin und daß ich aufrichtig wünsche, einen selbstlosen Freund und Berater an der Seite zu haben. Wenn Sie sich mit dieser Rolle begnügen wollen, würden Sie mir die Entscheidung leichter machen.«

Der Bankier verließ Mrs. Mabel in einem Taumel der Verzückung. Es war ihm, als ob sein Blut plötzlich wieder mit jugendlicher Kraft durch die Adern rollte. Er tänzelte frisch und trällernd die Treppe hinab und schwang sich mit einer Behendigkeit in das Auto, daß die Federn des Wagens bedenklich aufstöhnten.

Wie an den beiden vorhergegangenen Tagen, war er auch heute vor Eröffnung der Börse nach Newchurch geeilt, um sich nach dem Befinden und den Wünschen von Mrs. Hughes zu erkundigen, und noch vor einer Stunde hätte er nicht zu hoffen gewagt, daß dieser flüchtige Besuch ihn an das Ziel seiner Wünsche bringen könnte. Die Sache war so plötzlich gekommen, und eigentlich so leicht gegangen, daß Vane sich von Zeit zu Zeit lächelnd in die Backen kniff, um sich zu vergewissern, daß er nicht träumte.

Der Rolls-Royce nahm die Straßen des Ortes in einem so rasenden Tempo, daß er an einer Kreuzung um ein Haar einen Herrn angefahren hätte, der eben die Fahrbahn überquerte.

Das plötzliche Bremsen ließ Vane auffahren und aus dem Fenster blicken; in seiner Miene malte sich lebhafteste Überraschung.

Er gab dem Chauffeur Befehl zu halten und beugte sich rasch aus dem Wagen: »Hallo, Oberst Gregory . . .!«

Der Oberst wandte sich verwundert um und kam dann eilig heran. Er trug einen eleganten Sportdreß, und sein scharfgeschnittenes Gesicht hatte noch immer die Bräune des Sommers.

»Was treiben Sie in Newchurch, Oberst?« fragte Vane interessiert, indem er ihm die Hand schüttelte.

»Dasselbe möchte ich von Ihnen wissen, Mr. Vane«, entgegnete Gregory mit einem feinen Lächeln. »Wenn ein Gewaltiger der City während der Geschäftszeit in dieser ländlichen Idylle herumkutschiert, muß das besonders triftige Gründe haben.«

»Ich war in meinem Landhaus, um dort ein bißchen Nachschau zu halten«, erklärte der Bankier etwas verlegen. »Ich habe Ihnen ja davon erzählt.«

Der Oberst nickte und lächelte wie vorher. »Und ich bin hier, um in meinem Fischwasser Nachschau zu halten. Es mündet kaum zwei Meilen von hier in die Themse, und die prächtigen Tage sind ein geradezu ideales Wetter für den Hechtfang. Wenn Sie etwas für diesen Sport übrig haben, Mr. Vane, so kommen Sie einmal mit. Bei einigem Glück können Sie eventuell einen Zwanzigpfünder landen. Ich gedenke etwa acht Tage hierzubleiben und bin in der ›Queen Victoria‹ zu erreichen.«

»Danke, danke«, lehnte der Bankier höflich ab. »Leider verstehe ich von der Fischerei nichts. Ich kann nur im Trüben fischen.«

Er lachte meckernd über diesen Witz, auf den er sich sehr viel zugute tat. Plötzlich aber schien ihm ein Einfall zu kommen, und er überlegte eine Weile. Sollte er oder sollte er nicht? Aber dann fand er, daß er für den Abend, den er Mrs. Mabel in Aussicht gestellt hatte, kaum einen repräsentativeren Gast finden konnte als Gregory. Er beschloß daher, den Zufall zu nützen.

»Spielen Sie Poker?« fragte er unvermittelt und blinzelte den Oberst an.

Gregory nickte. »Ich tue alles, was geeignet ist, die Zeit totzuschlagen.«

»Ausgezeichnet. Dann bitte ich Sie, übermorgen abend mein Gast zu sein. Ich werde eine kleine intime Party arrangieren, und zwar auf Wunsch meiner Klientin Mrs. Mabel Hughes, die sich hier draußen doch ein bißchen zu langweilen scheint. Kennen Sie die Dame übrigens?«

»Nur vom Sehen«, erwiderte Oberst Gregory bedauernd.

»Dann werde ich Sie also vorstellen. Präzise um neun Uhr, bitte. Mein Landhaus werden Sie ja finden.«

Er schüttelte dem Oberst die Hand und zwängte sich wieder in sein Auto, während Gregory mit nachdenklicher Miene seinen Weg nach der ›Queen Victoria‹ fortsetzte.

Er war mit seinem Wagen erst vor etwa einer Stunde angekommen und hatte sofort mit der Neugier und Gemächlichkeit eines ortsfremden Bummlers einen Spaziergang durch Newchurch unternommen; dabei war er auch in die stille Gasse mit dem alten Haus geraten, in dessen windgeschützter Toreinfahrt er eine Weile Unterschlupf gesucht hatte, um eine Zigarre in Brand zu setzen.


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