Louis Weinert-Wilton
Der Teppich des Grauens
Louis Weinert-Wilton

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14

Als Vane seine Geschäfte an der Börse erledigt hatte und nach etwa zwei Stunden bei seinem Kontor in der City vorfuhr, gewahrte er etwas, was seine gedrückte Stimmung mit einem Schlage verscheuchte.

Vor dem Haupteingang hielt ein eleganter Cadillac, den er überrascht als Mrs. Mabel Hughes' Wagen erkannte, und das genügte, um ihn sofort in einen Zustand freudigster Erregung zu versetzen. Er nahm die Treppen zum Zwischenstock in einer derartigen Eile, daß er vor der Entreetür einen Augenblick haltmachen mußte, um wieder zu Atem zu kommen.

Als ihm der Diener im Vorraum meldete, daß Mrs. Hughes ihn bereits seit ungefähr einer Viertelstunde erwarte, nickte er nur und kämmte seine spärlichen Haare rasch zu einer möglichst vorteilhaften Frisur zurecht.

Mrs. Mabel Hughes vertrieb sich die Zeit damit, eine Zigarette nach der andern zu rauchen und mit stoischer Gelassenheit nach der Decke zu blicken. In dem brünetten Gesicht, das mit seiner klassischen Regelmäßigkeit und den ausdrucksvollen Augen von seltsamer Schönheit war, zuckte keine Miene. Alles an dieser rassigen Frau sprach von einer unerschütterlichen Ruhe und Selbstbeherrschung.

Als Vane strahlend und geschäftig ins Zimmer stürzte, schnitt sie den Schwall seiner Entschuldigungen mit einer verbindlichen Geste ab.

»Nichts davon, lieber Freund«, sagte sie, und der Bankier war wie immer entzückt von dem reizenden Akzent, mit dem sie das Englische sprach. »Setzen Sie sich zunächst und erholen Sie sich etwas.« In ihren Augen blitzte es belustigt auf, und sie drückte ihn mit einer sanften Handbewegung in einen Sessel. »Sie sind manchmal zu stürmisch.«

Vane schöpfte einige Male tief Atem und sah Mrs. Mabel mit einem Blick an, der ihm das Aussehen eines schmachtenden Seehundes gab. »Nur, wenn es sich um Sie handelt, Mrs. Hughes«, flüsterte er vielsagend, und seine fette Stimme vibrierte in gefühlvoller Erregung.

Die schöne Frau hatte auf diese Bemerkung keine Antwort, sondern schlug die langbewimperten Lider nieder und wippte mit dem Fuß.

Vane hätte sein halbes Vermögen dafür gegeben, wenn er ihre Gedanken in diesem Augenblick hätte lesen können, aber so durchdringend er sie auch anstarrte, er kam zu keinem Resultat und er konnte seinen Gefühlen nur durch einen elegischen Seufzer verstärkten Ausdruck geben.

Das schien zu wirken, denn aus den großen Augen Mrs. Mabels traf ihn ein so warmer Blick, daß Vane glückselig nach ihrer behandschuhten Linken griff und das feine Leder mit Inbrunst an seine Lippen führte.

Mrs. Mabel machte keine Miene, dem Bankier das Vergnügen zu stören, ja, er glaubte sogar, einen leisen Druck ihrer langen schmalen Finger zu spüren.

Trotz seiner heftigen Leidenschaft für die wunderbare Frau hatte sich Vane so viel Überlegung bewahrt, daß er sich nicht verhehlte, wie die Dinge lagen. Mr. Mabel Hughes war nämlich nicht nur eine sehr schöne, sondern auch eine sehr reiche Frau, und ihrer blendenden Erscheinung hatte er leider gar nichts entgegenzusetzen als sein Vermögen, das dem ihren, soviel er beurteilen konnte, im besten Falle gleich war. Wenn er da Erfolg haben wollte, mußte ihm ein besonders glücklicher Umstand zu Hilfe kommen, und diesen Umstand erblickte Vane darin, daß Mrs. Mabel ihn zu ihrem Berater in allen Geldangelegenheiten bestellt hatte. Er war ein wirklich gewiegter Finanzmann, und Mrs. Mabel konnte mit dem, was er bisher für sie abgewickelt hatte, sehr zufrieden sein.

»Ich möchte London auf einige Zeit verlassen, lieber Freund«, sagte sie unvermittelt. »Diese Spätherbsttage in der Stadt behagen mir nicht. Ich sehne mich nach Licht und Luft.«

Ihre dunklen Augen bekamen einen sehnsüchtigen Ausdruck, und sie reckte den geschmeidigen Körper wie eine Katze.

Vane war überrascht. »Sie wollen verreisen, Mrs. Hughes?«

Sie schüttelte lächelnd mit dem Kopf, und den Bankier traf ein Blick, der ihn einigermaßen beruhigte.

»Nein, Mr. Vane. Ich würde nur gerne einige Tage irgendwo auf dem Lande verbringen. Aber nicht allzu weit von London, damit ich die Zerstreuungen der Großstadt nicht entbehren muß, wenn mich die Lust danach anwandelt. Wissen Sie vielleicht zufällig einen solchen Ort?«

Mr. Vane hatte plötzlich einen Einfall, der ihn sehr zu begeistern schien.

»Gewiß«, sprudelte er lebhaft, »ich wüßte etwas, was vielleicht Ihren Wünschen entsprechen würde. Ich habe in Newchurch ein Landhaus – nicht sehr groß«, sagte er bescheiden, »aber ganz wohnlich, und es wäre mir ein besonderes Vergnügen, Ihnen das Haus zur Verfügung stellen zu dürfen. Sie würden dort Ruhe finden und andererseits könnten Sie London in kürzester Zeit erreichen. Ihr Wagen dürfte für die Strecke kaum mehr als eine Stunde benötigen. Selbstverständlich würde ich alles entsprechend instand setzen lassen und auch dafür sorgen, daß Sie sich in der ländlichen Einsamkeit nicht langweilen.«

Er sprach sehr eifrig auf Mrs. Mabel ein, und diese schien an dem Vorschlag Gefallen zu finden.

»Sie sind sehr lieb, Mr. Vane«, sagte sie und reichte ihm die Hand. Plötzlich schien sie sich an etwas zu erinnern und dachte eine Weile nach. »Newchurch? Wo habe ich nur diesen Namen in der letzten Zeit gehört?«

»Sie haben wahrscheinlich in den Zeitungen davon gelesen. Es gab dort vor einigen Tagen ein etwas mysteriöses Verbrechen.«

Mrs. Mabel Hughes sah den Bankier etwas furchtsam an.

»Das soll Ihnen den Ort nicht verleiden, Mrs. Hughes«, beeilte sich Vane, sie zu beruhigen. »Solche Dinge kommen schließlich überall vor, und in diesem Fall scheint es sich um eine Sache besonderer Art gehandelt zu haben. Sonst ist Newchurch das ruhigste und gemütlichste Fleckchen, das Sie sich denken können«, versicherte er. »Übrigens stehen Ihnen in meinem Diener, in dem Portier und dem Gärtner drei äußerst verläßliche Personen zur Verfügung. – Darf ich also die Anordnungen treffen? Ich benötige hierzu nicht mehr als vierundzwanzig Stunden.«

Er sah die schöne Frau erwartungsvoll an und entwarf dabei bereits die großzügigsten Pläne, wie er ihr den Aufenthalt in seinem Landhaus so angenehm wie möglich gestalten wollte.

Mrs. Hughes schien noch immer zu überlegen, aber dann streifte sie plötzlich den Handschuh von ihrer Rechten und erhob sich. Vane mußte zu ihr aufsehen, weil ihre prachtvolle Gestalt ihn um einen halben Kopf überragte.

»Wann darf ich also kommen?« fragte sie mit einem Lächeln, das ihm wie eine beseligende Verheißung erschien. »In drei, vier Tagen . . .?«

Der Bankier ergriff die feine, schlanke Hand, die sie ihm reichte, und küßte sie stürmisch. »Morgen nachmittag ist alles zu Ihrem Empfang bereit, Mrs. Hughes«, versicherte er hastig.

»Also dann übermorgen. Wir wollen die Sache nicht überstürzen, lieber Freund.«

Als Vane Mrs. Mabel Hughes zu ihrem Wagen geleitete, gaben die beiden ein sehr ungleiches Paar ab. Aber Vane sah diesen Unterschied nicht. Er sah nur die Frau neben sich, die an Ebenmaß und Rassigkeit nicht so bald ihresgleichen fand.

Bis zum Lunch war der Bankier selbst für die wichtigsten geschäftlichen Dinge nicht zu haben. Er saß ununterbrochen an seinem Telefon und traf aufgeregt die verschiedensten Anordnungen.

Als er endlich damit fertig war, ging er die Liste seiner näheren Bekannten durch und überlegte, wen er gelegentlich nach Newchurch einladen könnte, damit Mrs. Mabel Hughes auch dort nicht auf jede Gesellschaft verzichten müßte.

Er entschied sich für Thomas Flesh, von dem er wußte, daß er ein ausgezeichneter Golfspieler war, und dann fiel ihm Oberst Roy Gregory ein, dessen gesellschaftliche Talente er wiederholt bewundert hatte.

Aber in demselben Augenblick dachte er an den Abend im Kastanienhaus, und unwillkürlich empfand er einen leichten Schauer.


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