Louis Weinert-Wilton
Der Teppich des Grauens
Louis Weinert-Wilton

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6

Nachdem seine Gäste gegangen waren, hatte Milner mit liebevoller Umständlichkeit seine Pfeife gestopft und war dann im Speisezimmer sitzengeblieben, um Stones Ankunft nicht zu verpassen.

Er legte seine Uhr vor sich auf den Tisch, mischte sich einen besonders starken Whisky und leerte das Glas mit einem einzigen Zuge.

Die Aussicht auf das bevorstehende Geschäft versetzte ihn in glänzende Laune. Er wußte, daß es sehr einträglich sein würde, wenn Stone ihm dies versicherte. Er arbeitete mit dem Mann seit Jahren zusammen und hatte die besten Erfahrungen mit ihm gemacht. Was er brachte, war stets erstklassig und preiswert, und man lief – was die Hauptsache war – so gut wie keine Gefahr. Alles, was er von Stone erhalten hatte, war glatt auf den Markt zu bringen gewesen. Stone war einer der tüchtigsten und gewiegtesten Hehler, was Diebesbeute kostbarer Art anbetraf. Wenn irgendein aufsehenerregender Coup gelungen war, konnte man sicher sein, daß der Raub schließlich durch seine Hand gehen würde.

Milner wußte das, aber bei großen Geschäften hatte er nie kleinliche Bedenken gekannt. Er war auch überzeugt, die Herkunft der Steine zu kennen, die ihm Stone heute bringen sollte. Vor etwa drei Monaten war der Herzogin von Trowbridge ein Teil ihres kostbaren Familienschmuckes gestohlen worden, und einige Wochen später hatte Mrs. Elinor Fairfax, die Gattin des millionenreichen Liverpooler Fabrikanten, dasselbe Mißgeschick betroffen. In beiden Fällen hatten rätselhafte Begleitumstände mitgespielt; es waren nicht die geringsten Anhaltspunkte zu finden gewesen, die auf die Spur der Täter hätten führen können. Auch die Juwelen blieben verschwunden, obwohl alle großen Blätter Englands und sogar des Kontinents seinerzeit eine genaue Beschreibung jedes einzelnen Schmuckstücks gebracht und für die Beihilfe zur Wiedererlangung eine Belohnung in der Höhe eines kleinen Vermögens ausgeschrieben hatten.

Milner grinste, als er an diese Verzeichnisse dachte, die er damals mit großem Interesse gelesen und dann sorgfältig verwahrt hatte. Von diesen so haargenau beschriebenen Schmuckstücken existierte auch nicht eines mehr, als die Veröffentlichung erfolgte, sondern es gab nur mehr Juwelen und Gold, und da mochte einer nachweisen, woher sie stammten, solange es sich nicht um einzigartige oder fehlerhafte Stücke handelte. Und auch diese konnte man schließlich so herrichten, daß sie nicht zu erkennen waren.

Eben als Milner wiederum auf die Uhr gesehen und festgestellt hatte, daß er nun Stone jeden Augenblick erwarten durfte, schlängelte sich Nick in höchst bedenklicher Verfassung zur Tür herein. Er traf umständlich Anstalten, den Tisch abzuräumen, aber Milner schob ihn ohne viel Umstände und ohne jeglichen Lärm durch den Korridor und einen schmalen Seitengang in seine Kammer.

»Schau, daß du schlafen kommst, du besoffenes Schwein!« zischte er und schloß hinter dem Betrunkenen leise die Tür. Als er hörte, wie Nick schwer auf sein Bett krachte, schlich er zur Haustür, drehte den Schlüssel lautlos im Schloß und blieb dann lauschend stehen.

Schon nach wenigen Minuten vernahm er auf der Straße hastige Schritte, die an der Schwelle haltmachten.

Milner öffnete sehr behutsam, und wie einige Stunden vorher führte er Stone geradewegs in sein Arbeitszimmer, das er auch jetzt wieder sorgfältig verschloß. Der Raum lag im Halbdunkel, da die Tischlampe auf dem alten Schreibtisch bloß einen Teil der Platte beleuchtete und die Reflexe des niederbrennenden Kaminfeuers nur auf einen schmalen Streifen des Fußbodens fielen. Frank ließ sich, sichtlich gespannt, am Schreibtisch nieder, und Stone zog aus seiner Brusttasche drei kleine Lederbeutel, die er vor ihn hinlegte. Er tat dies mit einer Geste die mehr sagte, als die großartigsten Worte zu sagen vermocht hätten, und der Blick, mit dem er Milner ansah, spiegelte deutlich sein Selbstbewußtsein wider, das er in diesem großen Augenblick empfand.

Milner griff rasch mit etwas zittrigen Händen nach den Beuteln, doch Stone hielt ihn mit einer leichten Bewegung zurück.

»Zwölftausend Pfund, Mr. Milner«, sagte er mit Nachdruck.

Dieser nickte hastig, nahm das vorbereitete Kuvert und zählte die zwölf Tausendpfundnoten langsam und umständlich auf den Tisch.

David Stone war zufriedengestellt. »Gemacht. – Mit Ihnen ist so eine Sache ein Vergnügen, und deshalb denke ich auch immer zuerst an Sie. Nun sehen Sie sich die Chose an . . .«

Er atmete tief auf, sah sich mit einem eigentümlichen Blick im Zimmer um und warf dann mit einer raschen Bewegung den Mantel ab. Dabei verwandte er aber kein Auge von Milner, der eines der Säckchen ergriffen und seinen Inhalt vor sich auf den Tisch geschüttet hatte.

»Siebenunddreißig ausgesuchte Diamanten«, flüsterte Stone, »ohne Fehl und Makel. Sie können ganz London absuchen, ehe Sie ihresgleichen finden . . .« Er schleckte sich unruhig die Lippen. »Haben Sie nichts zu trinken? Ich bin zwar sonst nicht dafür, aber es ist hier furchtbar heiß, und mir klebt die Zunge am Gaumen.«

Milner griff nach der Whiskyflasche, die er überall in Reichweite stehen haben mußte, füllte in nervöser Hast zwei Gläser und goß Soda nach.

Stone schüttete das Getränk in einem Zuge hinunter, und Milner tat es ihm nach.

Dann leerte er den zweiten Beutel, der etwa hundert Perlen von seltener Größe und Reinheit enthielt. Als er einige der Prachtstücke näher in Augenschein genommen hatte, lehnte er sich plötzlich in den Stuhl zurück und schien nach Atem zu ringen. Er schenkte rasch beide Gläser nach, doch seine Hände zitterten dabei so, daß er wiederholt verschüttete.

Stone wischte sich den Schweiß von der Stirn, und man hörte seiner Stimme an, daß ihm das Sprechen große Anstrengungen verursachte. »Eine entsetzliche Luft . . . gerade zum Ersticken . . .« Er lockerte sich den Hemdkragen mit den Fingern, und sein Blick irrte seltsam flackernd umher. »Können Sie nicht das Fenster etwas öffnen?«

Milner sah ihn mit starren, ängstlichen Augen an und versuchte sich zu erheben, vermochte es aber nicht. Sein Kopf begann hin und her zu pendeln, und seine Brust hob sich in krampfhaften Zuckungen.

Stone machte einige unsichere Schritte, um zum Fenster zu gelangen, aber seine Knie fingen plötzlich an zu zittern, und er suchte tastend irgendwo Halt zu finden. Nur mit Mühe vermochte er die Ottomane zu erreichen, die neben dem Fenster stand, dann versagten ihm seine Glieder den Dienst. Er fiel steif und schwer in die staubigen Kissen, und sein Kopf schlug hart an die Wand. Er fühlte, wie eiserne Klammern seine Brust umspannten. Unter wildem Stöhnen suchte er sich von dem gewaltigen Druck zu befreien. In seinem verzerrten Gesicht spiegelten sich die Qualen eines furchtbaren Todeskampfes wider, und seine weit aufgerissenen Augen starrten mit wahnsinnigem Entsetzen auf einen teuflischen Spuk, der ihm aus dem schmalen Lichtstreifen vor dem Kamin entgegengrinste:

Grelle, stechende Farbenflecke drehten sich in tollem Wirbel, schmolzen ineinander und formten sich zu einer scheußlichen Fratze, die wirbelnd auf und nieder tanzte und bald ins Riesenhafte anwuchs, bald zu einem winzigen Zerrbild zusammenschrumpfte und über den Boden hüpfte.

Mit einem Male aber schnellte der grausige Moloch empor, und Stone fühlte, wie krallenartige Riesenhände sich mit eisernem Griff um seine Kehle preßten.

Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei wahnsinnigen Entsetzens – aber über seine Lippen kam nur das schwere, dumpfe Röcheln des Todes.

In dem Stuhl am Schreibtisch saß Frank Milner mit starrem, gläsernem Blick, und sein Körper wand sich in wilden Zuckungen; als er sich jäh aufbäumte, stürzte der Stuhl um, und der kleine, dicke Mann schlug zu Boden . . .

Der letzte Feuerschein aus dem Kamin fiel auf einen schmalen Teppich, dessen feines Gewebe in seltsam grellen, stechenden Farben spielte.


 << zurück weiter >>