Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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In der Kapsel fand sich eine Sammlung von Briefen, welche mehr zusammenhingen; sie waren fast alle von derselben Hand. Ein junger, schöner Krieger hatte endlich den Zauber der Spröden gebrochen, sie war ihm mit Wohlwollen, später mit Liebe entgegengetreten. Bald war ihr Verhältnis ein vertrautes geworden. Unwillkürlich stellte sich dem Dechanten das Bildnis der Frau Catharina vor, indem er dieses Lob der Schönheit, die Schilderung der Reize las; er schauderte, wenn er einen Augenblick wieder an die alte, greise, wahnsinnige Gertrud dachte, an welche ein wilder und frecher Jüngling, in Liebe erglüht, diese trunknen Worte vor vielen Jahren gerichtet hatte. Der schwärmende Soldat verteidigte sich in andern Briefen gegen Anklagen, versprach besser zu werden und wieder die Kirche zu besuchen. Es fand sich sogar das Zeugnis eines Priesters, daß er wieder gebeichtet und am Sakrament teilgenommen hatte. Nun wurde auch der Name dieses Kriegers deutlicher, der Zeit nach traf es ebenfalls zusammen, daß er kein anderer war, als der Vater der Catharina Denisel. Nun fehlten Blätter, und es war plötzlich von einem Knaben die Rede, welchen der Liebende heimlich bei guten und sichern Leuten untergebracht hatte. Die Briefe trösteten, die Worte, wie gezwungen sie gestellt waren, suchten zu beruhigen. Es ergab sich, daß die Eltern der schönen Gertrud vor Gram gestorben waren, da sie die Schmach ihres Kindes entdeckt hatten. Wieder Trost und Nachrichten vom Knaben, der von einer wohlwollenden Frau auf dem Lande versorgt wurde. Er beschreibt die Lage des Dorfes und des Hauses. Er kann aber seine Verlobte, auch ein reiches, angesehenes Mädchen, nicht verlassen; selbst sein Beichtvater macht es ihm zur Gewissenssache. Diese Verlobte war die Mutter der Denisel, wie es Name und Familie zeigte. Jetzt sah man, wie die kürzeren und seltneren Briefe das Erlöschen seiner Leidenschaft deutlich ausdrückten. Die Witwe des Wassermüllers hatte dem Beichtvater den Knaben, der schon drei Jahr alt war, übergeben; er wollte ihn zum Geistlichen erziehen. Dieser Priester hieß Dubos, ein strenger Mann; er meldete plötzlich, der kleine Markus sei verstorben. – Ein wilder Brief der Gertrud, wie es schien der Entwurf eines abgesendeten, schilderte ihr Elend; sie wollte alles, was sie besaß, den Armen geben, und unbekannt, zur Strafe und Abbüßung ihrer Sünden, als Bettlerin leben. – Sie mußte diesen Vorsatz wohl ausgeführt haben, und in Arras, einer fremden Stadt, hatte sie sich verborgen und den Augen aller Bekannten und Freunde entzogen.

Plötzlich geschah wie ein heftiger Ruck im Gehirn des Lesenden. Ihm schwindelte. Er las wieder, und immer deutlicher wurden ihm die Erinnerungen, immer klarer trat alles in Zusammenhang. Er erinnerte sich jener Mühle im schönen Tal, er gedachte des strengen, finstern Priesters, von dem er den Namen Dubos hatte annehmen müssen. Als man ihn selbst zum Priester weihte, forschte er bei Dubos nach seinen eigentlichen Eltern, da er doch kein Sohn eines Geistlichen sein könne. Dubos hatte ihm im Vertrauen eröffnet, er sei die Frucht der Sünde und möge seinem Ursprunge nicht nachforschen, auch seien alle seine Angehörigen gestorben, die man schon längst vor ihrem Tode von seinem Hinscheiden überzeugt habe, um ihn ganz für die Kirche, als einen Sohn derselben, ohne Einspruch von andern erziehn zu können. Seine Eitelkeit erschrak damals vor dieser Entdeckung, und er selbst ging von der Zeit an allen Fragen über seine Herkunft am meisten aus dem Wege.

Jetzt enthüllte sich ihm das ganze entsetzliche Geheimnis. Gertrude war seine Mutter gewesen und Catharina Denisel von seinem Vater her seine Schwester. Von Leidenschaft geblendet hatte er diese verraten, und dazu geholfen, sie und die eigne wahnsinnige Mutter dem Scheiterhaufen zu überliefern.

Ein ungeheurer Haß gegen den Bischof und gegen sich selbst ergriff sein zerrüttetes Gemüt. Er verließ die Zelle und irrte die ganze Nacht wehklagend in der Stadt umher. Die Einwohner erstaunten, ihm am Morgen so zu begegnen, der alle Zeichen des Wahnsinns an sich trug. Ohne Zusammenhang erzählte er jedem von sich, dem Bischof, der alten Gertrud und der schönen Denisel. Der Bischof, der von seiner Verrücktheit hörte, ließ ihn nicht vor sich, als er diesen um ein Gespräch ersucht hatte, und man führte ihn noch an demselben Tage in ein Zimmer des Narrenturms, wo er nach einigen Wochen in seinem Elende verschied, indes man sich in der Stadt mit den seltsamsten Gerüchten von ihm trug. Zum Teil hatte man die Wahrheit erraten, alles aber ward durch die Zusätze und Erzählung der gemeinen Bürger in ein grausenhaftes Märchen verwandelt.

Der Bischof sah seine Krankheit und Raserei nur für Bestrafung an, die ihm wegen seines vertrauten Umgangs mit der Hexe Denisel vom Himmel verhängt sei. Er war froh, daß der Dechant so von seinem geistlichen Amte entfernt war, denn er kämpfte immer mit seinem Gewissen, ob er ihn nicht als Zauberer und Ketzer verhaften und verdammen sollte.

In dieser Stimmung, sich schon freuend, wieviel die neuen Verhöre der Eingekerkerten und die Aussagen auf der Folter wieder ergeben, welche Entdeckungen aus ihnen hervorgehn müßten, erhielt der Prälat folgendes seltsame Blatt, welches sein Gemüt noch höher aufspannte.

»Morgen, gegen die Zeit der Dämmerung, seid Ihr allein, denn alles folgt der großen Prozession, die Ihr diesmal nicht begleiten wollt. Hoher Mann, wenn Ihr um die Zeit, doch ohne alle Begleitung, einen Unbekannten in dem dunkeln Buchengange Eures Gartens sprechen wollt, so kann dieser Euch viel wichtigere Entdeckungen mitteilen, sonderbarere als alles, was bisher gefunden ist. Mißtraut Ihr mir, seid Ihr nicht ganz einsam, so erscheint niemand, und Ihr bleibt vom hohen Geheimnis ausgeschlossen.«

Das Blatt war sonderbar undeutlich geschrieben, und der Bischof ging mit sich selbst zu Rate, wie er sich zu benehmen habe. Da es ihm aber schien, daß ein Gleich- und Wohlgesinnter, ein Eifernder für die gute Sache ihm diese Worte gesendet hatte, so teilte er niemand den Inhalt desselben mit, und erwartete mit Ungeduld die Dämmerung. Da er sich nicht wohl befand, entfernte er, um ganz einsam zu sein, alle Diener, und begab sich dann am Abend in den dunkeln, abgelegenen Buchengang. Er erstaunte, den Unbekannten, einen riesengroßen Mann, der seine starke Figur bis auf den Kopf sogar in einen schwarzen Mantel gehüllt hatte, schon dort zu finden.

Schüchtern näherte sich der Prälat der großen finstern Gestalt und sagte: Ihr schon hier? Der Türhüter hat noch niemand eingelassen.

Brauch' ich des Eingangs dort? antwortete der Fremde mit dumpfer tiefer Stimme; mir stehn alle Wege offen, und ich hätte Euch deshalb ebensogut in Eurem Zimmer, ohne Anmeldung, besuchen können.

So? sagte der Bischof, und es schauerte ihn. Und was könnt Ihr mir entdecken?

Daß, wenn Ihr nicht morgen schon, rief der Verhüllte, morgen schon alle die unschuldig Eingekerkerten freigebt, Ihr, Unsinnigster, selbst in wenigen Wochen als Ketzer und Hexenmeister den Scheiterhaufen besteigt, auf derselben Stelle, wo Ihr jene Armen, falsch Angeklagten oder Wahnsinnigen habt hinrichten lassen.

Der kleine Bischof zitterte und mußte sich an einen Baum lehnen. Und, wenn ich sie nicht freispreche? sagte er mit dünner, fast erlöschender Stimme, indem er sich zu ermannen strebte.

Zehn böse, wilde Menschen haben sich verschworen, wenn Ihr nicht von Eurem Rasen lasset, Euch einstimmig als einen der obersten Hexenmeister anzugeben, sagte jener. Sie alle sind selber in den Sabbat eingeweiht, sind alle Zauberer; aber sie sind so von bösen Geistern besessen, daß sich alle mit Lachen wohl verbrennen lassen, wenn sie Euch, giftigen Pfaffen, nur ebenfalls den Flammen überliefern können. Sind also die Gefangenen morgen nicht frei, so tobt morgen schon der Zeter durch die ganze Stadt, daß Ihr auch ein Mitglied des Hexensabbats seid; die Bürger und der Adel, die Ihr gemißhandelt habt, werden es glauben, und Ihr werdet nach denselben Formen gerichtet und verdammt, die Ihr selber eingeführt, und die Ihr nicht wieder umstoßen könnt.

Wer seid Ihr denn, klagte der Bischof, furchtbarster aller Menschen?

Ich bin kein Mensch! rief der Fremde mit donnernder Stimme, und schlug den Mantel vom Gesichte zurück, das schwarz, verzerrt und mit brennenden Augen den halb ohnmächtigen Prälaten angrinste; der Satan bin ich, sagte die hohe Gestalt, der dir schon sonst Geister und Gespenster zugesendet hat, um dich zu ängstigen. Keinen von den Unschuldigen, die du hast hinrichten lassen, habe ich bekommen, und Carrieux war ein frommer Mann; aber auf deine Seele rechne ich!

Der Bischof ward von seinen Leuten, die ihn suchten, da es finster geworden war, ohnmächtig auf der Erde gefunden. Er war seitdem still und gemütskrank, ließ die Eingekerkerten frei, und zog sich, als schwach am Verstande, von allen Geschäften zurück. Guntram, der zurückgekommen war, hatte, für seine Kraft ein Leichtes, die Mauer des Gartens überstiegen, um in der Maske den Prälaten zu erschrecken. Und so endigte mit einer Posse dieses fratzenhafte Possenspiel der unmenschlichsten Tragödie, die Unvernunft gedichtet und blödsinnige Grausamkeit hatte aufführen lassen.

Als der Herzog von Burgund, Philipp der Gütige oder Gute, mit dem Grafen Etampes und seinen übrigen Günstlingen zusammenkam, ward auch die Rede auf die Hexengeschichten von Arras gewendet; ich will nicht, sagte er, da der Bischof krank ist, daß in dieser Sache fortgefahren werde. Ich glaube, daß der von Baruth nur das Heil der Kirche und die Unverletzlichkeit der Religion im Auge gehabt hat. Aber unsre Nachbarn sind erschreckt, die Sache ist rätselhaft, der stärkste Ankläger ist krank geworden, der Dechant ist wahnsinnig; – kann man es, unter diesen Umständen, nicht auf sich selbst beruhen lassen?

Der Graf Etampes gab dem Herzoge recht und bewunderte dessen Klugheit und Menschenliebe. – Nun gut, fuhr der alte, kranke Herzog fort, ich habe mich mit meinem Sohne versöhnt, und wünsche, daß alle meine Vasallen jetzt, diese Aussöhnung beherzigend, ihn als mein zweites ich, als meine eigne Person ansehn mögen. Graf Etampes, lieber Vetter, von Deutschland, Frankreich und England habe ich Briefe erhalten, die mir melden, daß ich, als meineidiger Fürst, unter dem Vorwand der Ketzerei, mich des Vermögens meiner Untertanen bemächtigen und sie, damit keine Einrede stattfinde, verbrennen lasse, um ihnen den Mund zu stopfen. Ihr, Vetter, seid mein Zeuge, daß dem nicht so ist; wir müssen aber den bösen Menschen die Mäuler stopfen, die immerdar schwatzen, ohne daß sie selber wissen, was sie eigentlich sagen. Ich bin also der Meinung, daß man der Frau des Köstein, obschon er wegen Hochverrat hingerichtet ist, die Güter und das Vermögen des Mannes lasse, welches ich ihm alles geschenkt habe. Er war, seine Bosheit abgerechnet, ein guter Junge, und man muß auch nicht immer das Äußerste durchsetzen wollen.

Der Graf verneigte sich und war derselben Meinung. Er war für jetzt aus allen seinen Verlegenheiten gerettet, und wenn er auch die Summe, für welche sich Beaufort verbürgt hatte, bezahlte, so blieb ihm doch von den eingezogenen Gütern so viel übrig, daß diese Wiederzahlung einer alten Schuld nur eine Kleinigkeit war.

Der eigentliche Bischof kehrte jetzt von Rom von seiner Gesandtschaft zurück. Er mißbilligte das Verfahren seines Stellvertreters, und ebenso der Papst. Noch mehr tat dies der berühmte Aeneas Sylvius, Graf Piccolomini, welcher jetzt den Stuhl bestieg. Doch blieb der Hexenprozeß noch in der Schwebe.

Nach zwei Jahren ward Schakepeh, der Ritter Beaufort, Taket und Josset freigesprochen, aber sie waren verarmt. Jetzt ließ Schakepeh seine Tochter von Paris zurückkommen, die wenigstens ihre Mitgift gerettet hatte, obgleich dies als ein Geheimnis verschwiegen wurde. Sie vermählte sich dem jungen Friedrich, und die Eltern kauften vom Grafen Etampes jene unscheinbare Hütte in der Vorstadt, in welcher Gertrud gelebt hatte. Nach und nach ließen die Familien von ihrem klug geretteten Vermögen etwas mehr sehn, kauften die Nebenhäuser, die auch nur unscheinbar waren, und bauten neue.

Endlich, als der Bischof, der Dechant, der alte Herzog, Graf Etampes längst verstorben waren, und schon lange vor ihnen der alte Beaufort, als Burgund gestürzt und zwischen Frankreich und Östreich geteilt war, als Friedrich von seiner liebenswürdigen Sophie schon erwachsene Söhne und Töchter hatte, ward jener Hexenprozeß von 1459 noch einmal durchgesehn, und völlig kassiert und für null und nichtig erklärt. Man rief aus, daß Peter Carrieux, der Maler Labitte, Frau Catharina, die alte Gertrud und die übrigen Weiber, welche verbrannt waren, sowie Beaufort, dessen Sohn, Taket, Josset, Schakepeh, und wer noch beschuldigt war, völlig unschuldig, rein und tugendhaft befunden wären, und das Gedächtnis und die Ehre ihrer Familien und ihres Namens wieder hiermit hergestellt würde.

Aber das Vermögen, das Leben der Angeklagten war verschwunden und längst vernichtet. Friedrich, so wenig wie Sophie oder deren Kinder, wollten bei dieser Ehrenerklärung gegenwärtig sein. An derselben Stelle, wo vor vielen Jahren die Angeklagten waren verbrannt worden, wurde, nachdem man ihre Ehrenrettung laut vorgelesen hatte, eine lustige Komödie gespielt, über welche die Zuschauer viel lachten. Und doch war dieser unsinnige Hexenprozeß nur der erste große in Europa, nach dessen Form bis 1700, bis auf Thomasius' und Spees Einrede, so viele Unschuldige und Wahnsinnige dem Feuer geopfert wurden.


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