Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Nun so lebt wohl, gute Freundin, sagte Wundrich, indem er sich erhob. In diesem Augenblick ertönte aus der kleinen Kammer ein lautes Geschrei, und die Alte rannte schnell hinein. In der Eile vergaß sie die Türe zuzuschließen, und der Küster, welcher neugierig geworden war, näherte sich leise und schaute durch die Spalte. Ein schwer Verwundeter, der den Ausdruck eines Sterbenden hatte, lag auf dem schlechten Lager. Es schien, daß sich im Schlummer ein Verband gelöst hatte, denn die Alte stillte das Blut und legte frische Leinwand um, nachdem sie eine Salbe aufgestrichen hatte. Wundrich war erstaunt und erschrocken, denn er glaubte den Verwundeten zu erkennen. Nachdem die Alte den Kranken getröstet hatte, und er wieder beruhigt war, reichte sie ihm eine Schale Milch, die er mit Begier ausleerte. Sie machte ihm sein Lager wieder zurecht, betete über ihm, segnete ihn ein und ging dann in ihre dunkle Stube zurück. Sie schien zu erschrecken, als sie die Tür offen sah, und verschloß sie mit dem Ausdruck des Unwillens.

Gute alte Mutter, fing Wundrich wieder an, Ihr tut immer noch mehr Gutes, als man schon von Euch weiß, oder Euch zutraut. Wird es Euch denn nicht zuviel in Eurem hohen Alter?

Ach was! sagte sie mit zögernder Stimme, warum zuviel? Der Herr schenkt mir ja zu solchem Dienste Gesundheit und Leibeskräfte. Er hat mir vor drei Wochen diesen Leidenden vor meine Schwelle gelegt, und ich nahm in der Nacht, als er mir schon wie ein Sterbender vorkam, diesen Armen in mein kleines Haus. Es war eine furchtbare Schlägerei gewesen, ein paar Menschen blieben tot, diesen hatten sie auch so liegen lassen. Als ich nach Mitternacht heraustrat, ächzte er schwer. Ich legte ihn dort in das Bett und verband seine Wunden, die sehr schlimm und tief waren. Er murmelte allerhand unverständliches Zeug, und wollte mir viel erzählen. Ich verlangte aber nichts zu wissen, denn diese Welthändel gingen mich nichts an. Als er am andern Tage etwas mehr bei sich war, bat er mich, keinem Menschen etwas davon zu sagen, daß er bei mir sei. So habe ich ihn gepflegt, und seine schlimmen Wunden, die erst immer weiter um sich fraßen, fangen nun endlich an, einen bessern Anschein zu gewinnen. Der Arme ist mir seitdem sehr lieb geworden, und ich möchte ihn schon nicht entbehren. Ich bin kein schlechter Wundarzt, und ich verpflege ihn besser wie es im Spital geschehen würde. Zu seinem Besten habe ich auch die Ziege angeschafft, deren Milch ihm gut bekommt und seine scharfen Säfte mildert. Ich tröste ihn, und der arme Mensch wendet sich durch meine schwache Bemühung seinem Heilande mehr zu, als er früher getan haben mag. Da der Elende nicht zur Kirche gehen kann, so lese ich ihm Gebete vor, er hört dazu das Läuten von ferne, ich sperre diese Tür auf, und er sieht von seinem Lager den gekreuzigten Heiland hier an der Wand. So leben wir miteinander, und er ist froh, daß er mein Gast geworden ist; ich fühle mich glücklich, diesen unverhofften Besuch in meinem kleinen Haushalt bekommen zu haben. Wenn Ihr mich aber lieb habt, Küster, so erzählt keinem Menschen, daß Ihr den armen Unglücklichen in meinem Hause gefunden habt. Er will es auch nicht, daß irgendein Mensch darum wisse.

Ich glaube das gern, antwortete Wundrich; Ihr aber, Alte, müßt ja doch erfahren, wen Ihr beherbergt, denn es ist ja kein andrer, als der Mörder Denis, den unser Herzog, und noch mehr der Prinz Carl, schon seit einigen Monaten so eifrig suchen lassen. Er hat einen Freund des Herzogs heimtückisch erschlagen, einen Jüngling, der mit dem Liebling des Herzogs, dem reichen, hochmütigen Köstein, nahe verwandt ist. Der Strauß von neulich, hier in der Vorstadt, ist gewiß entstanden, weil ihn die Herzoglichen, oder Freunde des Grafen Croys haben greifen oder aus dem Wege räumen wollen. Frau, Frau, welche Verantwortung zieht Ihr Euch zu, wenn Ihr solchen Sünder bei Euch versteckt haltet.

Seht ihr, wie ihr nun seid, sagte die Alte bittend, ihr Leute nämlich, die ihr noch immer in der Welt leben wollt! Sünder, Mörder, alle die Worte und Schimpfreden fließen euch so leicht von der Zunge, als wenn sie nichts zu bedeuten hätten. Er hat mir ja vielleicht alles selbst gebeichtet. Wir sind zumal alle arme Sünder vor dem Herrn. Er war sterbend, blutend, zerschlagen, und mein Bruder. Was gehen mich eure Händel und Verschwörungen und Verfolgungen an, wo fast immer einer so frevelhaft verschuldet ist wie der andere? Ihr solltet, als ein Geistlicher, besser denken. Darum sagt auch kein Wort, weder dem Bischof, noch Diakonus, noch irgendeinem Menschen, von meinem lieben Gast. Wollt Ihr mir das versprechen?

Der Küster stand nachdenklich. Ich kann ihn ja jetzt noch nicht aus dem Hause werfen! rief die Alte ungeduldig; er kann noch nicht gehen und stehen, er kann sich nicht regen, so schlimm haben sie den Armen zugerichtet.

Ich kann es Euch nicht so unbedingt versprechen, antwortete Wundrich; denn wenn die Sache entdeckt wird, so würde ich auch meines Schweigens halb verantwortlich. Der junge Herr ist gar so argwöhnisch, der alte Herr schwach, die Croys grausam und leichtsinnig und der großtuende Köstein ein schadenfroher Narr. So kommt man, mag man fast nur auf ihren Schatten treten, in Verwicklung und Elend, aus dem man sich nicht wieder herausstricken kann.

Küster, rief die Alte beängstigt, nur acht Tage haltet Euer gewissenhaftes, politisches Maulwerk. Es wird Euch ja kein Mensch darum befragen. Was wären denn meine Liebesdienste, wenn sie den Hülflosen mir von meinem armseligen Bette wegrissen, um ihn zu quälen, zu foltern, oder hinzurichten? So hätte ich ihn ja nur eingefangen, um ihn tückisch der Marter zu überliefern. Da müßte ich es ja verwünschen, daß ich Euch nur je gekannt, daß ich nur je die kleinste Gabe von Euch angenommen hätte. Immer, immer noch bin ich mit der Welt zu sehr verwickelt. Im Walde sollte ich leben, und auch keinem Geistlichen trauen, und keinen mit Augen sehen, und besser noch, sterben! – Laßt mir meinen armen Freund ungestört, den armen Verbluteten. Ihm wäre ja sonst besser gewesen, ich hätte ihn an der kalten Nachtluft liegen und hinfahren lassen. – O du mein Heiland! Ich glaubte nun so ruhig sein zu können, so von allem Wirrwarr des verächtlichen Lebens erlöst, und nun muß wieder ein einziger Augenblick, ein dummer Leichtsinn, eine Vergeßlichkeit, daß ich die Tür nicht zuschließe, die Jämmerlichkeit muß mich wieder allen Sorgen und Qualen überliefern, als wenn ich noch jung und ratlos wäre, wie damals. Küster, Ihr könnt nicht so ruchlos sein, mir meinen armen Schelm und Schächer verraten zu wollen.

Gebt Euch zufrieden, sagte der Küster gerührt, ich verspreche Euch, nichts zu sagen. Es war ja auch möglich, daß ich ihn nicht sah, daß ich ihn nicht erkannte; ich habe mich auch wohl geirrt, und der Leidende ist ein ganz andrer. Es ist finster bei Euch, meine Augen sind nicht die besten.

Recht! rief die Alte, wir wollen uns beide recht tüchtig etwas vorlügen, um nur gute, milde Christen zu bleiben, um uns durch die Wahrheit nicht zu Henkersknechten zu machen. Ihr seid besser, Herr Wundrich, als ich geglaubt habe. Haltet Euch wacker, und ich werde Euch immer danken.

Jetzt nahm der Küster von der Alten, die mehr beruhigt schien, Abschied. Die Alte begleitete ihn, und als sie auf den Gang kamen, lief die Ziege vom Hofe zu ihnen und drängte sich schmeichelnd an Gertrud. Diese machte die Haustür auf, um den Besuch zu entlassen; aber obgleich die Alte ihre Ziege bei den Hörnern festhielt, so sprang diese doch vor dem Küster vorbei und auf die Straße hinaus. Die alte Frau lief ihrer Ziege nach, rief und lockte, nannte sie mit den zärtlichsten Namen, und der Küster half, so gut er konnte. Das Haus ward verschlossen, aber die Ziege war schon in die nächste Gasse geraten, und die Alte winkte dem Geistlichen, ihr zu folgen und den Flüchtling einfangen zu helfen.

Der Küster wurde immer verlegener. Er wollte der Alten, die ihm als eine fromme, fast heilige Frau erschien, nicht seinen Dienst versagen, und doch fürchtete er, in dieser Treibjagd lächerlich zu erscheinen, da sich schon einige jungen Buben aus den Häusern versammelten, um der Alten und ihrer Ziege nachzulaufen. Seine Gutmütigkeit siegte dennoch über seine Ängstlichkeit, und er rannte in die andre Gasse, um die Ziege der schreienden Alten entgegenzuscheuchen. Die kluge Ziege aber, als wenn sie diesen Kriegesplan begriffe, rannte wieder in eine andre Nebengasse, um diese Absicht zu vereiteln. Da ein Hallo in diesem abgelegenen Viertel der Stadt ertönte, sammelten sich immer mehr der müßigen Jungen, die teils der Alten, teils der Ziege nachliefen. Am schlimmsten aber wurde es, als eine ganze Schule aus einem finstern Hause brach und den Tumult zur Reife brachte. Einige der größeren Jungen kannten die alte Gertrud und schrien: Hexe! Hexe! Andre riefen: Ihr Kobold, die Ziege, ist ihr weggelaufen! Halloh! halloh! – Andre riefen dazwischen: Der Beschwörer, der Hexenmann ist auch gekommen! Auf sie drein! auf die Sünder! – Der Küster wollte sich in Autorität setzen und rief: Still! ungezogene Bengel! Ich bin der Küster von der Kathedrale! Die fromme Gertrud ist eine stille, wohltätige, heilige Frau! Ich werde euch, boshaftes Gesindel, der Strafe überliefern!

Das Getümmel aber war schon so laut geworden, daß seine Ermahnung wie sein zürnendes Wort erfolglos verhallte. Einer von den Buben warf mit Obst nach der alten Frau; der Apfel flog tösend an ihren Rücken, und ein allgemeines Gelächter jubelte. Hierauf griffen einige zu Steinen, und Wundrich wie Gertrud wurden von größeren und kleineren getroffen. Schon fiel die Alte wehklagend nieder, und es würde wahrscheinlich auch dem Küster schlimm ergangen sein, wenn jetzt nicht eine Anzahl von Männern, die durch die Straße gingen, dem Unfug gesteuert hätten. Am schnellsten aber stiftete der Dechant Friede, der mit einigen Dienern von seinem Garten hereinkam und vom Geschrei und Toben nach dieser einsamen Gasse war gezogen worden. Ein angesehener Kanonikus, Melchior, welcher sein Gast gewesen war, begleitete ihn. Beim Anblick dieser vornehmen Geistlichen floh die ungezogene Jugend, und der Dechant stellte den verwundeten und übel zugerichteten Küster zur Rede, wie er ein solches Ärgernis veranlassen, und sich mit den Jungen auf der Gasse schlagen könne.

Wundrich verteidigte sein Betragen, wie er nur die fromme Gertrud habe retten wollen, jene tugendhafte Alte, die von allen Verständigen hoch geehrt werde, und nun dort schwer verwundet liege, von den bösen Buben verletzt, wie ihr schon, wegen ihres sonderbaren Äußern, öfters geschehen sei.

Wie? sagte der Kanonikus, jene Bettlerin, die dort liegt, ist die Gertrud, die man wohl eine Heilige nennen möchte? – Der Dechant rief ebenfalls mit Erstaunen aus: Himmel! noch niemals habe ich diese ehrwürdige Frau gesehn, die wir alle nicht genug achten können; und so schmählich ist sie behandelt worden!

Die Männer eilten mit ihren Dienern nach der Stelle, wo die Alte fast ohne Bewußtsein lag. Sowie sich das Getümmel verlaufen hatte, war die Ziege auch zurückgekommen und stand jetzt ruhig neben Gertruden, und sah sie aufmerksam an, als wenn sie sie trösten wolle. Die Diener nahmen die Alte auf, welche stark blutete, und die nur langsam, auf die Männer gestützt, gehen und sich bewegen konnte. So ward sie nach ihrer Hütte geführt, indem der Dechant und der Kanonikus sie aufmunternd und tröstend begleiteten. Auch der Küster folgte in einiger Entfernung, und erwartete, daß jene Geistlichen an der Tür umkehren, und die Verwundete ihm übergeben würden. Sie schloß zitternd auf, und alle gingen mit ihr, indem die Diener sie in einen kleinen Sessel legten. Jetzt wurde diesen aufgetragen, nach einem Wundarzt zu gehn, und der Kanonikus zeigte sich vorzüglich teilnehmend. Herr Dechant, sagte er zu seinem Freunde gewendet, dieser Tag ist mir ein Freuden- und Trauertag, den ich nicht leicht vergessen werde. Freudig ist er mir, da ich Eure edle Gesellschaft genossen habe, und dann noch zur Bekanntschaft eines Wesens gelangte, das ich, nach meiner Einsicht, heilig nennen muß, wenn man irgendeinen Sterblichen also nennen darf. Höchst traurig ist dieser Tag, da wir den Hohn und die Schmach gesehn, mit welchem der Pöbel immerdar das Göttliche verfolgt.


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