Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Der Alte schmunzelte, lachte dann und sagte mit seiner seltsamen Miene im gespitzten Gesicht: Ach nein! ich habe davon niemals viel rühmen können. Man ist nun einmal da, so wie man da ist, so schlimm und gut, so häßlich und verzeichnet, wie es Natur und Zufall nun einmal bestimmten. Was die Seele selbst an ihrer Hütte baut, ist schwer auszumitteln, und nicht alle Seelen sind gerade in der Architektur Kenner und Meister. Mancher Schönheitssinn ist wohl zur lustigen Strafe in einen häßlichen Körper eingesperrt. Andre, wie unser Johannes, haben darum das Malen und Bilden so leicht, weil Geist und Körper schön sind. Seht nur unsre Frau Catharina an, da haben alle Geister mitgewirkt, sie recht schön und wohlgefällig auszubauen. Wißt Ihr noch, schöne liebe Freundin, wie Ihr mir damals als Modell zur heiligen Catharina saßet? Ein andermal formte ich selbst die Mutter des Heilandes, die glorreiche Maria nach Euch ab. Am meisten aber gelang die Magdalena, und alle Welt wollte das hübsche Bild haben, so daß ich es auch mehrmals kopieren mußte. Damals lebten wir auch recht fröhlich miteinander. Die Zeiten wechseln freilich, und nichts ist beständig, als der Unbestand. Um nun nicht meine Rede zu vergessen, von der ich eigentlich ausgegangen war, so kann es wohl sein, daß ich auch einen ganz andern mit meinem Handwerksgruß meine. Ich sagte also, Bild könne ein Bild und Sage die Sage erklären, weil uns der eigentliche Urtext doch verloren gegangen ist, und wir uns nur mit den Auslegungen behelfen müssen. Ist also, wie eine alte Kunde es von sich gibt, ein Teil der geschaffenen Engel abgefallen, und waren es eben, wie auch verlauten will, die kräftigsten und glänzendsten, so kann dieser Abfall doch auch nur so verstanden werden, daß sie eine andre Bahn suchten, ein andres Wirken, Schaffen und Beleben als jene orthodoxen, oder mehr passiven Geister, die in der Region blieben, die ihnen angewiesen war, und von ihrer Freiheit, die ihnen ebenfalls gegeben war, keinen Gebrauch machten. So entstand also durch ihren Sturz in die Tiefe wohl das, was wir die Wirklichkeit nennen. Sie ist nichts als eine Überhebung über das Geistige, wodurch sich dieses mit dem Nichts, dem Vergänglichen auf das innigste verbindet und mit ihm durchdringt, wodurch es die Materie, die Zeit und das körperliche, sichtbare Wesen erschafft. So ist der Tod in das Leben gerufen, und das Leben ist mit dem Tode vermählt worden: beide eins und unzertrennlich. Und was ist nun Luzifer? Was schon viele Alte gelehrt haben, die Kraft, die die Welt, die Bewegung, das Leben der Natur, Geist und Strömung der Materie in Bewegung setzt, und durch scheinbare Vernichtung schafft, und durch scheinbare Schöpfung vernichtet. So gebaren die Elohim die Welt. Als nun die Menschen vom Herrn als Mittelgeister hingestellt waren, ergaben sich diese, in Begeistrung, um die Natur und ihre Tiefen zu ergründen, ebenfalls dem Wirken dieses hohen, kräftigen Geistes, und wurden erst wahrhaft, natürlich und kreatürlich, als sie sich entzückt in den Tod gestürzt hatten, um das Leben zu finden. Doch immer wieder werden sie durch Sehnsucht und Liebe, Hingebung und Demut zum ewigen Anfang, der ohne Anfang ist, hingetrieben, und in dieser Andacht steigt der Vater selbst in die brünstige, entzündete Seele, und löscht alles Irdische, Trostlose durch seine Gegenwart auf Augenblicke im zagenden Geiste des Menschen aus. Diese Liebe zum Unsichtbaren, diese Wollust im opfernden Hingeben hat uns der Sohn gelehrt, und so ist die Religion Christi die Religion der Liebe. Diejenigen, die sich ganz dieser süßen Vernichtung weihen, streben den Zauber der Kraft zu zerbrechen, und sich wieder in das Reich des Unsichtbaren, des Unwirklichen zu begeben. Wer aber im Wechsel bald seinen Geist mit allem Leben jener Wirklichkeit zukehrt, und sich dann wendet, um auch aus dem Quell der heiligen, wesenlosen Liebe zu trinken, der ist der vollkommene, wahre Mensch. Das Versinken in die Ruhe, in den Tod wird ihm neue Stärke geben, um die wirkende Unruhe, das sich verwandelnde, stets forttreibende Irdische zu genießen und zu verstehen, und die Sättigung im Leben und Schaffen wird ihn erst genug läutern, um jener Ruhe und des in sich selbst Versinkens, um in Gott unterzugehen, fähig zu werden. Was ist uns Mittler, um uns dem Allerhöchsten, dem Unbegreiflichen zu nahen? Christ soll es sein, in seiner Menschen- und Kindergestalt; in seinem Lehren und Leiden, in unsrer anbetenden Liebe und schmerzlichem Mitleid. Aber auch die Geschichte, die Natur, die Kunst, Poesie und Musik, sowie der Gedanke und die Philosophie, können und sollen uns Vermittler sein. In allen diesen wirkt und herrscht jener hohe Feuergeist, jener kräftige Engel, der sich vom Unsichtlichen trennte, und sich des Scheines, des Nichts, des Vergänglichen erbarmte, um auch dieses zum Triumph zu führen, und jenen Allmächtigen, Unaussprechlichen im sogenannten Irdischen zu verklären. Dieser Lichtträger, oder Luzifer, ist es, der im Helden, Denker, Begeisterten, Dichter und Künstler regiert und webt. Was dieser hohe Geist hervorbringt, ist freilich vor dem Auge des ganz in die Unsichtbarkeit versenkten Religiosen ein Nichts, ein Atom, ein Moment; aber in diesem Moment erhebt sich die ganze Ewigkeit. Ihr werdet es oft erlebt haben, mein Freund, daß im Beschauen eines schönen Gemäldes, in der Musik, oder wenn ein edles Gedicht Euch wahrhaft entzückt hat, Ihr im höchsten, innigsten Verständnis auf einen Augenblick ganz in das Kunstwerk übergegangen, und für diesen Moment Euch selber tot seid. Das ist der Augenblick der Weihe und der Seligkeit. Und gleich darauf, wenn Ihr zu Euch und zur Besinnung zurückkehrt – was blickt Euch in der Erinnerung des Entzückens und Verständnisses für ein Auge an? Der Ewige, Unaussprechliche selbst, der in Eure edelsten Kräfte hineingestiegen war, Ihr habt Ihn erlebt und gefühlt, und in dem innersten Heiligtum der Kunst oder Natur, welches dieser Kunstgeist Luzifer Euch schuf und öffnete, ist doch nur wieder Er. Dieser erinnernde Rückblick, in welchem Ihr Ihn erkennt, ist der fruchtreichste, ergiebigste Eures Lebens, denn in ihm erzeugen sich tausend neue Gedanken und Gefühle zu künftigen großen Verständnissen. In solchem Moment weiß der Denker, sowie der begeisterte Freund der Kunst, daß er Ihn geschaut hat, und die Idee, wie es Platon nennt, ist ihm entgegengekommen. Aus dem augenblicklichen Tode ist das höchste Leben erwachsen, und nur im Rückblick der Besinnung wird Er dann erkannt, indem Er sich uns schon wieder entzieht, so wie Telemach im Entweichen erst Pallas erkennt, oder Jakob nach dem Kampfe, mit wem er gerungen hat, die Jünger den erstandenen Heiland, nachdem er in Emmaus entschwunden ist. Ja, Freund, so sehen wir in dem Ungrund zuweilen Ihn selbst, und der Heiland führt uns in milder Gestalt der Liebe zum Ewigen, vor dem wir nur zittern könnten, enthüllte er sich uns in ganzer Macht; so sind die Engel und Geister Vermittler, alle die Heiligen, Wundertäter und Märtyrer, der Anblick des Kreuzes, der Kirche, der Lichter und Sakramente: aber nicht weniger jene kräftigen Geister der Erde, vor denen sich der Unverständige mit Scheu zurückwendet; diese Kräfte der Natur, der Kunst, des Forschens, der Geist der Schönheit, des Scherzens und des Witzes sind uns ebenfalls Vermittler, und geben uns den gemilderten Anblick des Ewigen, und unser Herz ist in Liebe gesättigt und jauchzt, von den Wogen der Liebe getragen und gehoben; denn diese, wohin ich nur blicke, kommt mir in tausend wechselnden Gestalten entgegen. Der Heerführer und hochkräftige Fürst dieser ist der geschmähte Lichtbringer, Luzifer, der Erreger des irdischen Glanzes, der Freude, der Kunst und aller Poesie. Und diesen geheimnisreichen Meister, dem wir alle das Schönste zu danken haben, begrüße ich in allen Stunden, wie eben jetzt wieder, und wünsche, daß ich nichts gesprochen haben möge, was ihm entgegen ist.

Es sei Euch Dank gesagt, antwortete Friedrich, tief nachdenkend, daß Ihr die Erde, das Irdische und die Wirklichkeit, sowie den Schein und die schnell vorübergehende Entzückung aller Kunst, so hoch habt würdigen wollen; das Leben selbst erscheint so, wenn man Euren Grillen oder Einbildungen folgt, in einem weit schöneren und würdigeren Lichte; aber hütet Euch, daß Euch jene Kurzsichtigen nicht irgend einmal vernehmen, die alles nur nach dem Winkelmaße messen, und das Geistige mit den gestempelten Gewichten wiegen wollen; diese könnten Euch böse Ausdeutungen Eurer Poesie machen.

Es hat nichts zu bedeuten, sagte der Maler; denn sie sind schwach, körperlich sowohl als geistig. Sie verstehen mich auch nicht, wenn ich nicht, um sie zu ärgern, dürre und grob alles sagte; und warum sollte ich sie angreifen? Bin ich doch im wesentlichen mit diesen Priestern und allen Frommen einverstanden. Aber ich deute mir die Lehre; ich fable, wo Grund und Boden ausgeht. Alle Maler und Dichter haben es von je so gemacht, wenn man es gleich vielen, und vor allen dem großen Dante, sehr verdacht hat.

Catharina sagte: Eure Reden und schwärmende Phantasien, lieber Alter, haben mich wehmütig gestimmt. Wenn ich Euren Dichtungen folgen möchte, so schwindelt mir auch und der Boden versinkt mir unter den Füßen. Ist es nicht besser, sich dem Leben und der Poesie unwissend und bescheiden hinzugeben, als, wenn auch im Bilde, den Grund des Verständnisses finden zu wollen?

Auch so ist es gut, antwortete Labitte; wer Ruhe dabei findet, ist im Recht. Jeder mag seinen eignen Weg gehn, nur ohne Hochmut oder verdummenden Eigensinn, so wird jede Seele sich auch wahrhaft selbst antreffen. Ach! liebste Freundin, darum ist meiner Seele die Verehrung und Anbetung der Maria auch so notwendig und unentbehrlich. In dieser Gestaltung der vergötterten weiblichen Natur hat sich die innige Poesie des Christentums erst beschlossen. Die Liebe selbst, das stille Entzücken, die Verehrung der Ruhe, der himmlischen Ergebung, alles Süße, wovon das Kind schon still befriedigt wird und wonach der Greis sich noch sehnt, was der roheste Bösewicht und der wildeste Heide, der Gottesleugner und der Freche, der an Unschuld und Jungfrauen frevelt, was alle diese nie ganz in sich vertilgen können, ist in diesem Glauben, in diesem Bilde uns sichtbar und überzeugend nahe gekommen. Diese schöne Demütige, diese kindliche Jungfrau, welche niemals zürnen kann, deren Fürbitte und Liebe sich nie erschöpft, die nie ermüdet, sich dem Flehenden zu nahen, die immerdar vergibt und der Reue freundlich entgegentritt, alle diese himmlischen Tugenden des echten Weibes, welche nie glänzen, der Menge und dem stürmischen Gemüte nie sichtbar werden, auch diese mußten vergöttert und in die Lehre einer wahren allgemeinen Kirche aufgenommen werden. Der schlichteste Sinn, dem alle Geheimnisse verschlossen bleiben, kann in dieser Anbetung seine Fülle und Genüge finden und den Durst seines Herzens löschen.

Und wie? erwiderte Catharina, wenn ich Euch auch ganz in diesem letzten Gefühl folge und verstehe, fallt Ihr dennoch nicht in eine Art von Heidentum? Ja Ihr dürftet vielleicht dessen abgöttische Bilder nach Eurer Denkweise nicht so ganz aus Eurem Pantheon fortweisen, da Ihr schon mit Entzücken von den Feen und den Geistern sprecht, die, nach dem Glauben mancher, die Natur bewohnen und beleben sollen.

Der Dichter, sagte Labitte, muß auch nichts so unbedingt abweisen. Lassen wir jene Götterbilder immer als natürliche Kinder meines Luzifer gelten, womit auch der strenge Priester nach seinem Alphabet einverstanden sein wird. Die Dialekte gehen wundersam durcheinander; wenn die Maurergesellen, indem sie vom Turme steigen und mit unverstandenen Worten aneinanderstoßen, nur nicht in Schlägerei verfallen, so ist die Sache an sich auch gut, daß jener unnütze Turm nicht ausgebaut wurde. Wir wären gewiß niemals einig, wenn nicht jeder etwas anderes wollte und fände. Ihr erwähnt wieder jener Feen aus den Gedichten und der freundlichen Liebesansicht jener Tage. Wie abscheulich, was uns seitdem so oft vom Satan, von der Hölle, den Martern, der Scheußlichkeit der Magie und der Zauberei ist gelehrt worden! Wohin hat sich dieselbe menschliche Phantasie verirrt, wenn wir von dem abgeschmackten Unsinn des Hexensabbats vernehmen; Wahnsinn und Dummheit, welchen selbst Männer, die sich verständig dünken, hie und dort ihr Ohr leihen.

Ich habe noch wenig oder nichts davon vernommen, sagte Catharina, ich kenne nur durch Euer seltsames Bild einiges von diesem tollen Aberglauben. Ich meinte aber, alles sei nur ein wilder Scherz, und kein Mensch könne glauben, daß etwas Wahres zum Grunde liege.


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