Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Sie verließen den Palast, um sich nach dem Gebäude der Inquisition zu begeben. Auf der Straße hatte sich das Volk zusammengerottet und sprach und erzählte von diesen neuesten Begebenheiten. Der Andrang war groß, und man bemerkte erst die kleine Figur des Bischofes nicht. Viele schalten, andre spotteten, und zwei freche, gemeine Dirnen, die sich aus einer kleinen, finstern Gasse an das Licht gewagt hatten, sagten zu einem englischen Soldaten: Freund Engelbert, habt Ihr auch schon die dummen Geschichten gehört? Die andre rief: Hexen! Hexen! das ist doch einmal etwas Neues vom Jahr; unser Bischof sorgt dafür, daß wir Spaß haben, der einfältige kleine Knirps.

Der Bischof stand hinter ihnen, winkte den Häschern und rief: Nehmt diese beiden Dirnen fest, belegt sie mit Ketten, sie sind selbst Hexen, bringt sie in den Gewahrsam, der Scheiterhaufen wartet ihrer.

Wir Hexen? schrien die Dirnen mit Entsetzen, – woher? warum?

Die Häscher ergriffen sie gewaltsam. Sie kreischten, riefen um Hülfe, und das Getümmel ward so groß, der Andrang der Neugierigen so gewaltsam, daß der Bischof verhindert wurde, seinen Weg fortzusetzen. Die Häscher waren mit ihrer Beute auch in den schreienden und fragenden Volkshaufen eingeklemmt, und immer mehr Menschen strömten aus den Gassen herbei, um zu erfahren, was sich begeben habe. Der Dechant wollte sprechen, um die tobende Menge zu beruhigen, aber seine Stimme ward in dem lauten Geschrei, selbst von den nächsten, nicht vernommen.

Jetzt näherte sich ein ehrbarer Mann, der nicht mehr jung war und in der Stadt eines großen Ansehns genoß. Er, als Schöffe, hatte das Recht, sich um die Ursach des Tumultes zu erkundigen; auch machte seine Gegenwart das Volk scheu, denn diejenigen, die ihn bemerkten, wurden jetzt still und traten auseinander. Er fragte und hörte, und da er vernahm, daß der Bischof mit dem Scheiterhaufen gedroht hatte, so machte er sich Platz bis zu dem kleinen Manne, begrüßte ihn höflich und sagte dann: Verehrter Herr, es tut mir leid, Euch hier so zwischen dem schreienden Volke zu finden, und das aus Ursach jener beiden unzüchtigen Dirnen; diese, da sie sich ungebührlich gegen Euch betragen haben, sollen alsbald aus der Stadt gewiesen werden, der sie nur Ärgernis geben. Habt daher die Güte, den Dienern und Häschern zu befehlen, sie einstweilen freizulassen, damit das Volk sich wieder beruhige.

Herr Taket, erwiderte der Bischof trotzig, wer gibt Euch das Recht, Euch in meine Amtsgeschäfte zu drängen? Diese jungen Hexen sind der Inquisition verfallen und sollen von der und mir gerichtet werden. Die Verweisung aus der Stadt wäre für ihre Bosheit nur eine geringe Strafe.

Taket sah den Geistlichen aufmerksam an, betrachtete wieder die weinenden Dirnen, die sich den beiden Männern zu Füßen geworfen hatten und die Hände rangen, und erwiderte mit einigem Unwillen und scharfem Tone: Herr Bischof, ich darf Eure Rechte bezweifeln, daß Ihr also verfahren mögt. Ihr mochtet vorerst uns Schöffen von diesen Vergehungen Nachricht erteilen, und so gelangte Eure Klage, wenn sie gegründet ist, an die Obrigkeit unsrer Stadt. Ich zweifle, daß das geistliche Gericht also willkürlich verfahren darf, und obenein in einer so höchst seltsamen Sache, von der wir fast nie gehört haben, oder wo das vorgegebene unbegreifliche Verbrechen jedesmal von denen, die nicht vom Wahne hingerissen waren, bezweifelt wurde. Woher wißt ihr, daß sie Hexen sind, diese Unglücklichen? Was nennt Ihr überhaupt mit diesem Namen?

Herr, rief der Bischof, der schon die Fassung verloren hatte, Ihr sprecht, als wenn Ihr mich hier öffentlich verhören wolltet! Von der alten Hexe Elsbeth, die vom Dorfe hereingebracht worden ist, sind diese ebenfalls angegeben, weil die Alte mit ihnen gemeinsam den verruchten Hexensabbat gefeiert hat.

Der Schöffe Taket lächelte. Dieses alte Weibsbild, sagte er, ist mir nicht unbekannt, denn sie ist die Frau meines Gärtners draußen. Laßt Euch aber dienen, Herr; diese Alte, die von jeher konfuse war, hat sich ihre Armut so zu Gemüte gezogen, denn sie war immer hoffärtig, daß sie seit kurzem verrückt geworden ist. Ich habe den Leuten immer geholfen, aber die Wirtschaft wurde zu schlecht verwaltet, und jetzt wollte ich schon, dem Manne das Leben zu erleichtern, die Unkluge in den Narrenturm schaffen.

Wolltet Ihr? rief der Bischof; ei, wie fein! Sie in den Narrenturm schaffen! Nicht wahr, dahin würdet Ihr mich auch gern abliefern wollen, wenn es Euch gestattet würde? Freilich, wenn sich das Gewissen rührt, wenn man aus solchen Augen schaut, so kann man nicht wünschen, daß die Kirche hergestellt und erhalten werde. Glaubt Ihr etwa, daß ich Euch nicht kenne? Denkt Ihr mir zu entgehn? Das Gericht ist offen, und wird wissentlich keinen Schuldigen entschlüpfen lassen.

Der Schöffe Taket war so erstaunt, daß er anfangs keine Worte finden konnte. Endlich fuhr er auf und sagte: Ich verstehe Euch nicht, geistlicher Herr, und mag Euch nicht verstehn, denn Eure Rede ist ohne Sinn. Trotz sei dem geboten, der mich eines Verbrechens bezichtigen kann. Ihr werdet aber vorerst diese beiden Dirnen der Obrigkeit der Stadt und mir übergeben, bis sie verhört sind, und hier nicht Kläger und Richter zugleich in einer Person spielen wollen, denn es ist doch unerhört, auf Angabe von Unklugen unschuldige Menschen einer tollen Bosheit zu bezichtigen und sie ohne Untersuchung strafen zu wollen.

Da das Volk diese Rede des Schöffen vernahm, der von allen hochgeachtet wurde, so erhob sich von neuem ein Geschrei, Steine flogen, man machte die Dirnen von den Häschern frei, und diese bemühten sich, fliehend das Gewühl der Menschen zu durchbrechen. Da erhob sich der Bischof auf die Schwelle eines Hauses, vor welchem er stand, und rief: Wer sich an den Dienern der Obrigkeit vergreift, ist im Bann der Kirche, und ein solcher, wenn er nicht Augenblicks vom bösen Werke absteht, sei verflucht. – Alles war still geworden, und die Häscher kehrten zurück und bemächtigten sich der Dirnen von neuem. – Die Diener der Obrigkeit, welche dem Schöffen gefolgt waren, standen regungslos. Der Bischof winkte wieder und fuhr mit erhobner Stimme fort: Zugleich befehle ich, daß die Häscher diesen argen Ketzer und Hexenmeister greifen, diesen verruchten Johann Taket, der hier einen Aufruhr hat erregen wollen, denn jene Zauberin Elsbeth hat auch ihn als einen Mitgenossen ihres satanischen Bundes freiwillig angegeben.

Alle standen stumm und blaß. Der Schöffe sah nach den Dienern der Gerechtigkeit, welche sich zitternd zurückzogen, ohne nur nach dem Angeklagten umzuschauen. Ihr Bürger und ihr übrigen wackern Leute hier, rief Taket ganz außer sich, könnt ihr es dulden, daß ein Mann, den ihr als unbescholten alle kennt, hier von einem Wahnsinnigen gemißhandelt werde? Daß auf die Anklage einer verrückten Bettlerin, die von meinen Wohltaten gelebt hat, ich für einen Zauberer und Verbündeten des Satans gelten soll? – Er blickte umher, aber alle waren scheu von ihm zurückgewichen, alle entfernten sich, von stummer Angst gefesselt, und die Häscher führten ihn, der nun ruhig wurde, als er sah, daß jeder Widerstand vergeblich sei, nach der Inquisition.

Hierauf ging der Bischof weiter, das Volk zerstreute sich, erschreckt und betäubt, und der Dechant folgte seinem Vorgesetzten in tiefen Gedanken. Ich weiß, sagte der Bischof zum Dechanten, daß Ihr mich stets für einen schwachen Mann angesehen habt, weil ich Euren gelehrten Floskeln nicht habe Rede stehn können und mögen, Ihr seht jetzt meine Kraft und Macht. Die Menschen und ihre Satzungen sind mir gleichgültig, und ich lasse jedem gern die Ehre, gelehrter zu sein als ich; aber wo es das Reich Gottes gilt, da sollt Ihr erfahren, daß ich standhafter und kräftiger bin als irgendwer. Ihr wart der erste, der mich auf diesen und jenen Unfug in der Stadt aufmerksam machte, Ihr dachtet vielleicht, mit dem Feuer zu spielen und mich nur zu necken; Ihr seht aber, daß Euer philosophischer Spaß zur lichten Flamme ausschlägt, die Euch und alle verzehren kann.

Beide gingen in das große Gebäude der Inquisition, um die Schuldigen noch einmal zu hören, bevor die Folter angewendet wurde, der sie vielleicht entgehen konnten, wenn sie eine recht große Zahl von Mitschuldigen angaben.

Nachdem sich das Volk wieder zerstreut hatte, sah man den Kanonikus Melchior mit seinem Vetter, dem jungen Ritter Köstein, über den Platz wandeln. Sie erwarteten den jungen Flamand, den Advokaten, um den verwundeten Denis wieder zu besuchen, und seine Aussage, wegen des Mordes, aufzuschreiben. Der Kanonikus war sehr verstimmt und aufgeregt, weil es ihn verdroß und erschreckte, daß ein Prälat, den alle bis dahin nur geringgeschätzt, ja wohl verachtet hatten, plötzlich eine so drückende Tyrannei über sie alle ausübte. Die letzte Begebenheit, von der er Zeuge gewesen war, hatte ihn erschreckt und um alle Fassung gebracht. Jetzt, sagte er zu dem Jüngling, kann es kaum einer mehr wagen, ihm zu widersprechen, wenn er nicht sogleich Gefahr laufen will, auch als Zauberer dem Gefängnis überliefert zu werden. Das gräßlichste Unheil schwebt uns allen über den Häuptern; denn da er keinen Anstand genommen hat, den wackern Taket, welchen die ganze Stadt ehrt und liebt, unter diesem Vorwand gefangenzunehmen, so wird er nicht zaudern, auch den Vornehmsten und Frömmsten zu bezichtigen. Es ist furchtbar und entsetzlich, daß aus einem so unscheinbaren Funken sich so plötzlich diese Flamme hat entzünden können.

Er kämpft für seinen Stand und für Euch, sagte Köstein; und wenn der Mann nicht so ausgemacht dumm wäre, so könnte man ihn für einen der allerlistigsten Priester halten, die nur jemals die Welt regiert und betrogen haben. Aber er ist so gewissenhaft dumm, daß er gewiß Zeit seines Lebens noch niemals eine List begriffen, noch weniger eingefädelt hat.

Wie meint Ihr das? fragte Melchior.

Ihr seht ja, antwortete der Ritter, daß es von jeher einen Kampf zwischen den Geistlichen und Weltlichen gab. Diese Kriege, welche sie miteinander führen, erscheinen in verschiedenen Gestalten, und bald ist das Recht auf dieser, bald auf jener Seite, oft haben beide Parteien gleich viel Recht und Unrecht. Seit lange scheint mir die Sache schon so verwickelt, die vielfältigen Fäden so verschlungen, die eigentliche Religion aber so tief in den Knoten hineingeknüpft, daß sie keiner mehr sehen und unterscheiden kann, wobei es doch noch eine Frage bleibt, ob durch einen künftigen Alexander, wenn er das Gestricke mit dem Schwerte durchhaut, die Welt was Erkleckliches gewinnen möchte.

Junger Mann, sagte Melchior, Ihr sprecht heut, gegen Eure Gewohnheit, so vielsinnig, daß ich Eure Meinung kaum erraten kann.

Und doch habt Ihr die Historien studiert, antwortete Köstein, und die Geschichte Eurer Kirche und ihrer Ausbreitung, sowie Eurer Händel mit tausend Ketzern und vielen Sekten, mit den Deutschen Kaisern und den Tempelherren und Frankreich. Mir scheint, die Kirche ist dadurch so mächtig, und zu Zeiten so allmächtig geworden, daß ihre Satzungen, Lehren, Wunder, Heilige und Feste sich immer vermehrt, und das erste unscheinbare Bild zu einem gewaltigen Koloß ausgearbeitet haben. So folgt jeder neuen Lehre und Erscheinung, jeder Offenbarung, eine neue Auslegung, ein neues Fest, ein neuer Kirchendienst. Die Menge wird durch die sinnliche Erscheinung, durch den Aberglauben, durch Beichte und Ablaß gefesselt und regiert. Die Vorbitten der Heiligen, die Wallfahrten, das Jubiläum, die Orden und Bettelmönche, die neuen Wunder, alles dient nur, die Kirche und ihren Vorsteher, den Papst, mächtiger zu machen, indem die Menschen immer darauf hingewiesen werden, an dem Buchstaben zu halten, den sie durch Glauben, Freude, Trauer, Büßung und Geißelung, durch Glanz und Kirchenfeste, Rührung und Putz soviel beleben dürfen, als sie nur wollen. Und ist es nicht ein schönes Leben und Weben in diesem fortwährenden Traum? Aber der Geist ist ihnen untersagt; diesen suchen, oder gar finden, ist die größte, die unverzeihlichste Sünde; denn in ihm und durch ihn genügt der Mensch sich selbst, und findet alle jene noch so großen und glänzenden Anstalten überflüssig. Religion und Glaube werden nun seine nächsten Hausgenossen, er braucht den Heiland nicht in Gebäuden und Schränken, nicht in frommen Ländern oder Legenden der Dichter zu suchen, denn er fühlt ihn, als sein eigenstes Herz, als den ersten Pulsschlag seines Wesens.


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