Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Der Küster Wundrich stürzte blaß, entstellt, mit aufgesträubtem Haar und allen Zeichen des Entsetzens herein. Seine Kleidung war unordentlich, die Krause seines Halses verschoben, und sowie er eintrat, fiel er, bevor er noch jemand begrüßt hatte, matt in einen Sessel nieder. Die Brust klopfte ihm, er suchte nach Atem und Stimme, aber das Wort versagte ihm. Ihm folgte ein starker, fest gebauter und untersetzter Mann, ein alter Freund des Schakepeh, Peter Carrieux, der reichste Tapetenwirker der Stadt Arras. Auch dieser schien aufgebracht und erschrocken, hatte aber doch mehr Fassung behalten als der Küster.

Alles drängte sich um den wohlgekannten Wundrich, und Labitte zeigte sich am meisten besorgt. Der Wirt des Hauses reichte dem Erschöpften selbst einen Becher Wein, damit dieser sich erholen und seine Kräfte wiederfinden möge. Carrieux ging indessen im Saale auf und ab und stampfte heftig mit den Füßen.

Endlich hatte sich Wundrich etwas gefaßt und sagte nun mit matter Stimme zu Schakepeh und den Umstehenden: Verzeiht, daß ich Euch durch meinen Eintritt diesen Schrecken verursacht habe, aber ich weiß wirklich nicht, wie ich zu Euch gekommen bin. Ich erinnerte mich plötzlich, daß ich Euch versprochen hatte, Euer großes Fest mitfeiern zu helfen. Die Zeit war schon vorüber, und ich komme jetzt her, zu einem alten Freunde, bei dem ich Trost suche, oder dem ich meine Klagen sagen darf.

Ihr wißt, daß unsre alte Gertrud seit einiger Zeit krank und das ist, was man unklug nennen muß. Ich habe sie gesehn und getröstet, und sie schien wieder auf dem Wege der Besserung. Geistlichkeit und viele vom Adel und Bürgerstand halten das liebe alte Weib für eine Heilige, die auch seit Jahren mit schmerzlicher Aufopferung sich so milde, wohltätig und demütig erzeigt hat, daß sie für das Muster einer wahren und ungefälschten Christin gelten konnte.

Ihr habt von dem Geschwätz vernommen, wie einige dumme alte Weiber in einer Art Wahnsinn sich selbst, nachdem die Bauern sie lange schon so gescholten, für Hexen angegeben haben. Wir glaubten über diesen Unsinn lachen zu können. Eine alte Magd, die der Alten zuweilen etwas hilft, ihr auch vom Dorfe Kohl oder sonst ein Gemüse bringt, erzählt unsrer Gertrud von diesen Albernheiten. Als ich zu ihr komme, finde ich sie sehr matt und schwach, und sie bittet und forscht, ob es nicht möglich sei, daß der Bischof zu ihr kommen oder sie zum Bischof gehen könne. Ich begriff die Bitte nicht, da sie niemals mit den Herren aus der Geistlichkeit, mit den Prälaten sich hat einlassen wollen. Ich suchte ihr die Grille auszureden, aber sie beharrte fest, weil sie etwas Wichtiges entdecken wolle und müsse. So trug ich denn dem Herrn Bischof von Baruth die Sache vor, und er ging mit mir zum alten, wunderbaren Weibe hinaus. Die Vorstadt und die Nachbarschaft verwunderte sich, daß der hohe Prälat in eigner Person die Hütte besuche.

Wie wir hineintraten, fand ich die Alte wie verwandelt. Sie erhob sich hastig, sie bewegte sich schnell, ihre Augen glänzten auf unnatürliche Art, und sie hatte fast das Wesen einer Trunkenen. Ich entsetzte mich vor dem Anblick, sie aber, die mein Erstaunen sah, lachte mir höhnisch ins Gesicht. Der Bischof breitete die Arme aus, indem er sie segnete, und sagte: Fromme, heilige Frau, sei mir gegrüßt, nach deren Anblick mein Auge sich schon lange gesehnt.

Sie sah ihn an und lachte wieder, beugte sich dann und fiel zu seinen Füßen nieder. Ihr irrt, gnädiger Herr, rief sie, ich wollte Euch eröffnen, daß ich die größte, die allerschlimmste Sünderin auf der ganzen Welt bin. Seit Jahren bin ich verworfen und heuchle in Bosheit Christentum, Demut, Wohltun und Frömmigkeit. Ja, hoher Bischof, seit vielen Jahren habe ich mich mit meinem eignen Blute dem Satan und allen Teufeln verschrieben, habe Gott und Christum auf ewig verleugnet, meinem Anteil an der Seligkeit abgesagt, und bin nichts als eine versuchte Hexe und Zauberin, die den Scheiterhaufen verdient. Seit manchem Jahre habe ich mit vielen andern fast alles Unglück, welches unsre Stadt betroffen hat, herbeigezaubert, die Dürre, den Mißwachs, die Feuersbrünste, den Tod so mancher guten Menschen, Alte wie Junge. Immer höher ist meine Bosheit gestiegen, und ich war nun dabei, die Brunnen zu vergiften und alles zu verderben, soweit mein Wunsch und Wille nur reichen mochte. Das versprach mir auch mein Geist, der in Gestalt einer Ziege seit einem Monat mit mir hauste. Nehmt nun mein Bekenntnis an, glorreichster Herr, gebt mir meine Strafe, so kann meine arme, so tief verschuldete Seele vielleicht noch gerettet werden.

Der Prälat stand da, in Staunen aufgelöst; ich entsetzte mich vor diesem Wahnsinn der Armen und näherte mich demütig dem Bischofe, um den Unsinn der Alten zu entschuldigen.

Der Küster hielt inne, um sich wieder zu erholen. – Und der Bischof? fragte Schakepeh. – Und wie ward es? riefen viele Stimmen durcheinander.

Hier nun, hier, so schrie Carrieux mit donnernder Stimme, hier fängt es nun an, Freunde, wo uns allen das Blut in den Adern stocken muß. Hört ihn nur, unsern wackern Küster, laßt ihn nur zu Ende erzählen!

Wundrich stand auf und sah sich in der Versammlung um. Ja, lieben Freunde und verehrte Männer, sagte er mit feierlicher Stimme, beratet euch, sinnt, denkt, wie uns Hülfe werde. Denn der Bischof, ohne auf meine Mahnung zu achten, wies mich strenge zurück und hieß mich schweigen. Seit lange, rief er, habe ich eine solche Entdeckung, wenn auch nicht aus Eurem Munde, Frau Gertrud, erwartet. Man wird gewiß Rücksicht darauf nehmen, daß Ihr Euch freiwillig, obgleich Ihr im Geruch der Heiligkeit standet, angegeben habt.

Ich fuhr zurück, denn diese Rede hatte ich nicht erwartet. Er aber rief seine Diener, die auf der Gasse seiner warteten, und hieß sie die Häscher holen. Es geschah. Der Pöbel hatte sich schon versammelt. Die Häscher kamen mit einer Trage, auf welcher man die Verbrecher, wenn sie nicht mehr gehen können, zur Folter schleppt. Der Bischof trat heraus. Wir haben, rief er, hier eine schreckliche Zauberin und furchtbare Hexe entdeckt! – Ja! ja! rief Gertrud mit gellender Stimme, ich bin eine Hexe! ich bin mit dem Satan vermählt! – Sie hatte in der Eile ihre schwarze Kappe verloren und die greisen Haare flatterten im Winde, indem sie auf der Tragbahre saß. – Ein Zetergeschrei verfolgte sie. Sie ist im Gefängnis, unterirdisch verschlossen, mit Ketten und Eisen belegt, an die Wand geheftet, denn man hat Furcht, es könne ihre Aussage sie gereuen, und sie sich in der Nacht, durch Hülfe ihrer Geister, wieder in Freiheit setzen.

Alle waren vor Schrecken blaß. Jeder schwieg, keiner wagte, laut Atem zu holen. Ist es möglich? sagte endlich Schakepeh, als er die Sprache wiedergefunden hatte, kann es einen Geistlichen, einen verständigen Menschen, ja einen Toren hier in der Stadt oder irgendwo in der Welt geben, der nicht den baren klaren Aberwitz der Alten erkennt? Daß sie krank ist? Daß sie faselt? Und der Oberste, der Vorsteher des Ketzergerichtes, der Bischof, macht Ernst?

Das ist es, schrie Carrieux, was wir eben nicht dulden müssen! Er, der arme, kleine, verdrückte und schwachköpfige Bischof ist ja zehnmal dummer und aberwitziger als diese alten Weiber. Die vom Dorfe hat er auch schon hereinholen und in die Inquisition bringen lassen. Indessen ihr hier schmauset und guter Dinge seid, geht an der andern Ecke der Stadt Vernunft und Menschenverstand zugrunde. Wir müssen gegen diesen Bischof protestieren, der Herzog muß uns helfen. Keiner von uns ist sicher, daß die Verrückten ihn nicht in Bosheit und Dummheit angeben. Nicht ist es nötig, daß einem ein Verbrechen bewiesen wird, oder eine falsche Lehre, eine Ketzerei, oder daß er verbotene Bücher besitze, welches alles, wenn von neuem die Welt durch dergleichen Verbote, Haussuchungen und Fragen belästigt wird, schon schlimm genug ist; sondern, so hat der Bischof es schon in unsrer Gegenwart ausgesprochen, wen diese Hexen (Gott verzeihe mir, daß ich sie auch so nenne!) auf ihrem Hexensabbat (der nur in ihrer verrückten Einbildung ist) gesehen haben wollen, auf wen sie aussagen, der wird auch unmittelbar vor das Gericht gezogen. Da hilft denn natürlich kein Leugnen, und Vernunft und Verstand genug haben, diesen ruchlosen Aberwitz Aberwitz zu schelten, ist dann natürlich schon Verbrechen und hinreichende Gottlosigkeit. Um aber diese Geistlichen zu schrecken und es möglich zu machen, daß der alte Herzog die Sache wichtig genug nimmt, sollten wir Bürger uns alle zusammentun, mit Waffen und Fahnen vor die Inquisition und die Wohnung des Bischofes ziehen, den Törichten zwingen, sein Amt, dem er nicht gewachsen ist, aufzugeben und alles ruhen zu lassen, bis unser wahrer Bischof, der verständige Mann, von Rom zurückkehrt.

Keine Übereilung! sagte Schakepeh, mäßigt Euch, lieber, heftiger Mann. Die Sache, wie sie jetzt liegt, ist klar, und es ist Hoffnung, daß noch so viel Vernunft im Lande wächst, um diesen Aberwitz unschädlich zu machen. Könnten aber viele vom hohen Adel bei dieser Gelegenheit von Rebellion sprechen, so würde unser Herzog gewiß sich ganz auf die Seite der Geistlichen stellen. Man würde beides verwechseln, und wir Bürger müßten dann das Bad bezahlen, was bis jetzt nur von gutgemeinter Einfalt einigen alten Weibern zugedacht ist.

Dieser Meinung waren auch die Männer vom Magistrat und einige Schöffen. Man wollte gleich am folgenden Tage etliche aus ihrer Mitte nach Brügge zum Herzoge senden, um diesem Unwesen Einhalt zu tun. So war man wieder einigermaßen beruhigt, als der junge Advokat Flamand das Wort nahm: Ihr überseht nur eins, lieben Männer, daß der Herzog hierbei keine Stimme hat, oder nur wenigen Einfluß ausüben kann. Das Ketzergericht ist da, seit länger als zwei Jahrhunderten in seiner Einrichtung bestehend. Dieser stellvertretende Bischof ist der Präsident desselben; ihm liegt es ob, es zu verwalten und zu regieren. Nun haben wir in unserm glücklichen Lande seit lange von keinem entdeckten und bestraften Ketzer etwas vernommen, ebensowenig von Zauberern und Hexen; in Paris, Brüssel, und in manchen großen Orten, selbst in Rom und Florenz, schreibt man Bücher und Erzählungen, die den Glauben an Zauberei verspotten. Viele meinen, daß, so wie die Wissenschaft, die Kenntnis der Natur und selbst künstliche Erfindung zunehmen, jener Glaube, den sie Aberglauben nennen wollen, immer mehr abnehmen und endlich ganz verschwinden werde. Aber – gibt es wirklich keine Ketzerei mehr? Wandeln keine Geister mehr um, die die Kirche und den Papst stürzen, die geheiligten Lehrsätze unserer Religion entkräften möchten? – Das wird keiner zu behaupten wagen. In Langres ist erst vor wenigen Tagen ein großer Ketzer, der Eremit Robert, verbrannt worden. Nach der Meinung der rechtgläubigen Christen hat er seinen Tod verdient, ebenso wie die Kirche vor zwei Jahrhunderten gegen die Waldenser und Albigenser mit Feuer und Schwert wüten mußte, um die Religion und das Christentum aufrecht zu erhalten. – Wir haben seit lange nichts von Zauberern vernommen. Sind sie deshalb nie gewesen? Ist alles, was die Schrift, die Väter, die Geschichte von ihnen erzählt, darum Lüge? Neu ist es gewissermaßen, und insofern es Fratze ist, auch fast lächerlich, was von diesem Hexensabbat, den Zeremonien, dem Tanzen dort, dem Schmaus erzählt wird; indessen, warum soll sich die Wirkung der bösen Geister, wenn diese denn doch einmal nicht zu leugnen sind, nach den verschiedenen Jahrhunderten und Zeitläuften nicht auf verschiedene Art äußern? Der Böse gewinnt eben die Wahnsinnigen nur durch Wahnsinn, und wie er früher in Macht triumphierte und durch Glanz blendete, so besticht er jetzt das Tierische und Verworfene im Menschen durch Abscheulichkeit und kindische Gaukelei.


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