Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Friedrich stand auf und schritt durch den Saal. Sie sah es wohl, wie er ihr die Tränen verbergen wollte, die sich aus seinen heißen Augen drängten. Endlich, nachdem er lange, um sich zu kühlen, in den Garten geblickt hatte, kam er zurück und sagte: Mögt Ihr recht haben, mag die Vernunft so sprechen: aber ist es gut, ist es, möchte ich sagen, fromm, so verständig zu wägen, und Herz und Leben so in die Dienstbarkeit der anscheinenden Notwendigkeit herabzuzwingen? Nicht alles, was unvermeidlich ist, kann und soll darum vermieden werden. Das ist kein Schicksal, daß wir uns der Natur und ihren Gesetzen fügen; sondern daß wir, unsrer Kraft vertrauend, auch in den Kampf gehn, um stärker als diese Gesetze zu sein, uns höher zu stellen, als diese Natur: nun beginnt das wahre Schicksal im Ringen, und wie wir standhalten oder erliegen, kann erst der Inhalt und die Aufgabe unsers Lebens werden. Und was weiß denn die Liebe von Zeit, Tagen und Jahren? Der Held stürzt in den Feind, und der Augenblick des Sieges, indem der Feind mit allen Panieren flieht, genügt ihm übervoll, und er sieht lächelnd das Blut aus seinen Todeswunden strömen. In wie manchem Gedicht bewundern und beneiden wir den Liebenden, der endlich den Lohn seiner Schmerzen erhält, und beseligt in der Geliebten Armen ruht; dieser Moment ist sein Leben, seine Vergangenheit und Zukunft, wir preisen ihn, wenn der Tod auch schon hinter dem Lager lauert, und beweinen in unsern Tränen nicht ihn, sondern das Rätsel des Daseins selbst, daß eben das Höchste, das Einzige, Innigste, Göttlichste und Edelste, das unnennbare Glück, die Liebe freilich nur in unsrer Einbildung ruht, daß alles dies kein Unterpfand in der Wirklichkeit aufzeigen kann, und daß das Unsterbliche nur am Staube gebunden erscheinen kann. Damit, wenn Ihr diesen Glauben nicht verleugnen könnt, sind auch alle Eure Zweifel und Einwendungen abgewiesen.

Für Euch wohl, erwiderte sie schmerzlich lächelnd, aber nicht für mich; immer bleibt die Frage übrig, daß, da sich einer von uns aufopfern soll, welcher es von beiden sei; Ihr leugnet, daß Ihr es seid, so muß ich also die Geopferte sein, und wie das Eure Liebe verlangen kann, begreife ich nicht.

Nein, rief Friedrich aus, Ihr sollt ebenso glücklich sein, als ich mich fühlen werde! Das könnt Ihr, wie ich aus diesen Reden schließen muß, auf keine Weise, und ich bin also elend.

Ich bin unglücklich, erwiderte sie, wenn ich Eure Freundschaft verliere.

O, Catharina, rief Friedrich jetzt in der höchsten Leidenschaft: Freundschaft! Was ist sie, was soll dies unverstandne Wort? Wissen die Menschen schon nicht, was sie mit dem Ausdruck »Liebe« meinen, so denken sie bei dem Laute »Freundschaft« noch weniger. So tief kann ich mein Gefühl für Euch nicht hinunterstimmen, so kalt, gewogen, gleichgültig kann ich in Eurer Nähe nicht sein; ich bin es nicht, wenn ich nur an Euch denke, wenn Euer Bild in mir aufsteigt. Ist das Leben denn einmal wahnsinnig, warum wollen wir uns dem Taumel nicht hingeben? Ist es der Tod, der in allem Leben wirkt, ist es die Verzweiflung, die schon in der Freude schlummert, – fügen wir uns denn und sein wir Sterbliche, da uns das Ewige, Bleibende nicht gegönnt ist. Im Moment, im Rausch, im Wollen erhaschen wir es, und können dem Vergangenen doch nachrufen: Du warst es! du sollst es gewesen sein!

Laßt uns abbrechen, sagte Catharina, wohl gibt es Freundschaft, die auch glücklich macht. Indem ich Euren Geist und Wert begreife und Ihr meinen Charakter versteht, uns Lieder und Gesänge näher treten, die Behaglichkeit des Daseins, die edle Rührung, und wir uns einer am andern erfreuen, und so alle Güter durch unser Verständnis heller glänzen. Versucht es so mit mir, und Ihr sollt zufrieden sein.

Das ist es ja, rief der Jüngling, was ich nur halb an Euch verstehe und die Welt ganz mißdeutet. Ich muß es Euch sagen, und ihr wißt es ja wohl zum Teil, wieviel unwürdige Verleumdung man an Euren Namen knüpft, wie man Euch mißversteht, wie man das Beste Euch zum Schlimmen ausdeutet, Eure Liebe zur Kunst Euch zum Verbrechen macht, und selbst Eure Wohltätigkeit verunglimpft, weil Ihr immer heiter scheint, und jeden Prunk der Religiosität, jedes Prahlen mit Frömmigkeit, alles, wodurch sich die meisten Menschen Ehrfurcht verschaffen, geflissentlich vermeidet.

Was soll ich tun? rief Catharina, nicht ohne einigen Unwillen, aus; mich in ein Kloster sperren? Nur die Gesellschaft langweiliger alter Weiber und mürrischer Priester aufsuchen? Oder mein Leben in Bußübungen, sogenannten guten Werken, als Mitglied einer frommen Schwesterschaft zermartern? Der Musik, der Heiterkeit, dem Lachen und Scherz scheu aus dem Wege treten, als wenn alles nur Bosheit, Laster und Erzeugnis der Hölle sei? Ich kann es nicht, und will es nicht, um das zu werden, was die Knechte tugendhaft nennen. Meine Ehe war Schmerz, das Schicksal erlöste mich von meinem Tyrannen; ich habe alle Hoffnungen meiner Jugend, alle jene goldenen Träume, die den Busen der Jungfrau umgaukelten, mit eignen Händen längst begraben; aber ich habe auch Trauer und Wehmut überstanden, Schmerz ist mein Leben, hoffnungslos meine Zukunft, und darum kann ich mit der Gegenwart scherzen, darum bin ich froh, weil ich mich selbst nicht mehr verlieren kann, darum sind mir Gedicht und Gesang so lieb und befreundet, Gespräch und Gedanke, edle Menschen, wie Ihr, und Bücher, weil ich kein Irdisches, kein Bedürfnis an sie knüpfe, keine Erwartung einer andern Erfüllung, die noch außerhalb dieser zarten Freude liegt.

Gut also, sagte Friedrich; ist es nun nicht besser, klüger, edler, durch eine neue, glücklichere Ehe jenen Schwätzern unmittelbar die Zunge zu lähmen, um so, auch ohne den mindesten Vorwurf, ohne den kleinsten Verdacht sich diese Güter alle anzueignen. Und glaubt Ihr wirklich, daß nicht Zeiten kommen dürften, wo ein Beschützer, ein Ehemann Euch unentbehrlich wäre? Wo es Euch späterhin gereuen möchte, daß Ihr nicht irgendeinen Gemahl, schon Eurer äußern Lage wegen, gewählt hättet? Beglückt Ihr mich durch Eure Hand, so ist auch dies gewonnen, und mein höchstes Glück zugleich mir obenein in den Kauf gegeben.

Ich verstehe Euch nicht, sagte Catharina; wir genießen eines glücklichen Friedens, unser Fürst beschützt uns, wir alle erfreuen uns seiner; woher soll Hader, Zwietracht oder Krieg uns kommen! Und selbst, wenn auch –

Ihr habt wirklich nicht bemerkt, fuhr Friedrich eifernd fort, daß der Dechant, dieser ehrgeizige, heftige Mann, mehr als Freundschaft und Wohlwollen für Euch empfindet? Seid Ihr wirklich so arglos, und wohnt Euch nicht die Frauenfeinheit bei, dergleichen zu erspähen und zu verstehen? So ist die Liebe, die Eifersucht denn scharfsichtiger. Dieser Dechant bewacht Eure Blicke, er errötet, wenn Ihr ihm naht, er erblaßt, wenn Ihr vertraulich Eure Hand in die meinige legt. Ist er zugegen, so könnt Ihr kein Wort sprechen, keinen Schritt tun, keine Meinung äußern, keine Höflichkeit einem Gaste erzeigen, die er nicht beobachtet, prüft, und Euch in seiner Seele grollt und hadert. Seine scharfen Blicke geizen, um die Eurigen aufzufangen; in jedem Jüngling, der Eure Zimmer verläßt, wird sein Busen erleichtert; er seufzt, ohne es zu wissen, wenn ein Fremder eintritt, der jung und schön erscheint. Wie wollt Ihr dieser Leidenschaft ausweichen? Wieviel Unheil kann sie Euch bringen! – Liebt Ihr mich auch nicht, so wie ich Euch, wollt nicht, könnt es vielleicht nicht, o Teuerste meiner Seele, so nehmt mich doch als Wächter, Schutz; kümmert Euch nicht, wie glücklich ich bin, denn ich bin es gewiß, und kann dann auch die Gefahren abkämpfen, die Euch bedrohen.

Catharina lächelte und sagte dann: O, Ihr wollt mich durch Schlauheit und Furcht in Euer Netz ziehen, Ihr Arglistiger! Woher Gefahr? Die Zeit ist so herangewachsen, daß die Geistlichkeit, und selbst Petri Stuhl, nur noch diejenigen schrecken, die sich wollen schrecken lassen. Unsre Obrigkeiten sind eifersüchtig auf ihre Rechte und Gewalt, und lassen niemals Abt und Kloster, selbst nicht den Bischof, einschreiten, wie es wohl ehemals geschah. Spottet man nicht oft und zuviel über Priester, Kirche und Glaubensartikel? Jenen finstern Jahren sind wir auf immer entrückt, das dunkle Gewölbe des Aberglaubens und der Schrecken ist verriegelt und auf ewig verschlossen. Die Welt ist heiter geworden und wird sich immer mehr aufhellen, das wissen die Priester selbst und verkündigen es.

Man geht oft ebensogern zurück, als man vorschreitet, bemerkte Friedrich.

Das ist, antwortete sie, in Sachen des Landes, der Regierung, der Geschichte unmöglich.

Und dieser Dechant ist unerträglich! rief der Jüngling; seht Euch vor mit ihm!

Er ist ein frommer, edler Mann, erwiderte Catharina, der mir wohl will, und freien, hellen Geistes ist. Er kennt die Welt und Menschen, aber sein Gewissen und sein Beruf wird ihm nie erlauben, den Leidenschaften, die ihm Sünde sind, Gehör zu geben. – Weil ich Euch so bekümmert sehe, und weil Ihr mein Vertrauen verdient, so kommt morgen, zwei Stunden etwa vor Sonnenuntergang, zu mir; ich bin dann einsam, wir werden nicht gestört, und ich will Euch einen Teil meiner Geschichte erzählen. Dann, so kenne ich Euch, werdet Ihr mir selber zureden, meinem Entschluß getreu zu bleiben.

Gekränkt, betrübt verließ sie Friedrich, denn sie hatte ihm selbst, wenn auch freundlich lächelnd, einen Abschiedskuß verweigert.

Am folgenden Tage, als Frau Catharina in ihrem Garten bei einer Arbeit saß, meldete ihr die Dienerin den Besuch des Dechanten. Sie ging ihm entgegen, etwas verwundert, daß der geistliche Herr so früh schon zu ihr eintrete. Beide gingen in den Saal, der gegen den Garten offen war, und setzten sich, die frische Kühle des anmutigen Morgens zu genießen. Einige Dienerinnen gingen ab und zu in Geschäften des Hauses, der Gärtner arbeitete in der Nähe, und der Wirtin war offenbar diese Störung erwünscht, um dadurch den Anschein zu vermeiden, als walte ein Geheimnis zwischen ihr und dem Dechanten ob. Dieser aber schien diese Störung des Gespräches weniger gern zu sehen, denn er war verlegen, und mehr wie einmal stockte die Unterhaltung, indem er Neuigkeiten erzählte, und vom Hofe in Brügge, vom Erben des Reiches, von Rom und manchen andern Gegenständen redete.

Am meisten erging sich sein Witz über den Stellvertreter des Bischofs. Derjenige, der den Stuhl von Arras besaß, war auf einer Gesandtschaft in Rom, und sein Stellvertreter war ein Bischof in partibus, der von Baruth, der nach den Schilderungen des geistreichen Dechanten einer der sonderbarsten Menschen war. Dieser kleine, stets verdrießliche Mann stand in Arras beim Adel wie beim Bürgerstande nur in geringer Achtung, weil er ohne Anstand beim Gottesdienste war, verständigen Rat nur selten anhörte, und den Gelehrten durch seine Unwissenheit manche Blöße gab.

Catharina war verwundert, daß der Dechant von seinem zeitigen Vorgesetzten so ohne Rückhalt sprechen konnte. Dieser aber, als sie ihm dies bemerkte, antwortete lachend: Schöne Frau, Euch darf ich es doch wohl nicht erst sagen, in welcher merkwürdigen Krisis sich unsre Zeit befindet. Das alte Regiment der Geistlichkeit ist zu Ende, und wenn sie sich nicht der Welt bequemt und nach ganz andern Grundsätzen handelt, so muß ihre Macht in allen Ländern zerbrechen. Die Bücher und Erzählungen des Boccaz, sowie so vieler andrer hellen Köpfe, haben allenthalben Eingang gefunden, sogar der Bauer lacht über vieles, vor dem er noch vor dreißig Jahren in scheuer Ehrfurcht kniete. Ein großes Elend für die Christenheit mag es sein, daß der Türke Konstantinopel, wie wir es erlebt haben, eroberte; aber wieviel die Bücher und Wissenschaften, die dadurch nach dem Abendlande mit flüchtigen Griechen herübergekommen sind, wirken werden, läßt sich gar nicht bestimmen, da schon seit wenigen Jahren fast alles eine andre Gestalt gewonnen hat. Und vorzüglich in unsern Ländern, die, ohne uns zu täuschen, durch Friede, Wohlstand und Handlung, in Kunst und Wissenschaft jetzt wohl höher, als alle andern, stehen. Wie gesagt, diese Macht der Klerisei ist geschwächt und gebrochen, wenn es gleich verderblich werden könnte, falls die Welt dahin strebte, sie ganz zu vernichten. Wir also sind ohne Gefahr für die Welt, und derjenige unseres Standes, der noch die verjährten Rechte gelten machen will, kann nur, wie dieser klägliche Bischof, lächerlich werden. Nicht so ist es mit dem Adel. Er mißbraucht seine Stellung und Macht. Alle Taten verderblicher Willkür, alle Unterdrückung geht von ihm aus, und der Prinz wird genug zu tun finden, um, vielleicht mit Gefahr seines Lebens, alles das böse Unkraut auszujäten, welches so wild und üppig allenthalben emporgeschossen ist, weil der alte Gärtner viel zu schwach wird, den Wuchs dieses Giftes zu beschränken. Ein Kampf gegen den Adel wird der Zukunft ebenso notwendig sein, als er es bis jetzt gegen die Mißbräuche der Kirche war.


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