Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Steh' still, Vetter, sagte der Kanonikus, und laß dich einen Augenblick betrachten. Woher kommt dir diese Weisheit, die dich auf den Scheiterhaufen führen kann, wenn unser begeisterter Bischof etwas von ihr vernimmt?

Die Sorge wäre lächerlich, sagte Köstein; wer so fest steht, wie ich, wer dem Herzoge alles sagen darf, was er nur will, der kann bei diesem alten schwachen Herrn wohl andre stürzen, selbst aber niemals gestürzt werden. Ich sage dir, Vetter, ich bin dem herrlichen Fürsten unentbehrlich, und kann von ihm verlangen, was ich nur will; aber freilich darf ich ihm diese Gesinnungen auch nicht merken lassen, weil er mich nicht verstehen würde, er auch die Kirche so achtet, und die Geistlichen aufzuregen und zu bekämpfen so sehr fürchtet, daß er in seinem hohen Alter niemals auf etwas eingehen würde, was ihre Macht zu brechen drohte.

Sei also vorsichtig, sagte der Kanonikus.

Diese Vorsicht, erwiderte der Vetter, lernt sich wohl am Hofe. Ich will dir nur, dem verständigen Priester, deutlich machen, wie mir alle die Erscheinungen vorkommen, die sich hervorgetan haben, seit die Kirche mächtig und mächtiger geworden ist. Sie ist das Gefäß geworden, in welchem einzig und allein Glaube, Christentum, Heiland und Gott schweben, und nur aus diesem den durstigen Seelen mitgeteilt werden können. Außerhalb dieses Gefäßes ist die Wüste, der Tod, das Heidentum, das Böse, der Satan. Schon immer haben Denker, Fürsten und Völker sich diesem nicht fügen wollen, weil selbst der Fromme sieht, daß dort alles einem willkürlichen Aberglauben anheimfallen kann. Kluge Fürsten sahen früh ein, daß unter diesem Vorwand Papst und Klerisei die Herrschaft der Welt an sich reißen könnten. So entstanden die Kämpfe in verschiedenen Gestalten, und die Lehre der Arianer ward als Ketzerei ausgerottet, obgleich sie eine Zeitlang herrschend war. Fromme, echte Geistliche und große Päpste sahen aber auch in andern Zeiten ein, daß freche und kluge Fürsten den Vorwand, sich von der Tyrannei der Kirche und Klerisei loszureißen, nur benutzten, um sich selbst zu Tyrannen zu machen, und die Völker, zusamt der Kirche, in den Staub zu treten. Und so waren denn die geschmähten Priester wieder oft die Vertreter der Freiheit und der Tugend. Wenn einmal Krieg und Kampf sein muß, so hat dieses Ringen wenigstens eine edlere Gestalt als das Balgen und niederträchtige Raufen, welches unsre Vorfahren erlebt haben, und das unsern Nachkommen vielleicht bevorsteht. Als die Frömmigkeit in den Waldensern sich nun offenkundig als Kampf und Verfolgung gegen die Priester aussprach, und die Vernichtung dieser forderte, da war die Sache wieder so einfach und klar geworden, daß die Kirche, wenn sie nicht gestürzt sein wollte, wohl zu jenen abscheulichen Mitteln ihre Zuflucht nehmen mußte, durch welche jene armen, erleuchteten Menschen auf die gräßlichste Weise vernichtet wurden. Aber seitdem, dünkt mir, ist auch die Lehre dieser Ketzer, in tausendfachen Gestalten und Umbildungen, immer allgemeiner geworden. Gedichte, Scherze, Gelehrte, Kaufleute, Zünfte, viele von den Geistlichen, Fürsten, alles rennt, mancher selbst unbewußt, gegen die alte Kirche an, die schon vieles von ihrem Glanz und ihrer Untrüglichkeit verloren hat. Der echte Priester, der ganz von seiner Bestimmung durchdrungen ist, muß jetzt auf Tod und Leben kämpfen. Heut ist es aber viel schwerer, der mehr ungläubigen und schon zweifelnden Welt deutlich zu machen, was Ketzerei sei, oder sie gegen diese zu entflammen. Da ist es nun recht willkommen und passend, daß sich ein Grausal auftut, eine ganz nahe und persönliche Gegenwart des Teufels, angemalt und ausgebildet, wie ihn der gemeinste Pöbel faßt und gerne hat. Was hilft es, wenn der Verständige diesen Popanz verlacht? Die Autorität der Kirche, der Aberglaube, die Gewalt der Menge und des gemeinen Volkes werden es schon durchsetzen und die Feineren dürfen sich nicht preisgeben. Ja, es ist fast zu erwarten, daß dieser tolle Aberglaube, wie Pest, die Welt durchrasen wird, und unzählige Opfer dahinraffen, und daß die sogenannten Denker und Gelehrten ebensoviel Argumente für ihn ersinnen werden, wie sie für jeden andern Unsinn erfunden haben. Und am Ende, ob die schuldlosen Opfer dem Hexensabbat, oder dem Streit um das Palladium, oder dem Arianismus, oder dem Glauben der Waldenser fallen, oder der Lehre des Huß, kommt das nicht alles auf eins hinaus? Auch dem Götzen der Freiheit, auch dem Handelsvorteil, auch dem Eigensinn und der Habsucht des Adels sind schon viele geschlachtet worden. Man muß lachen, wenn viele glauben, daß die Menschen vernünftiger und besser werden, und daß die Welt sich immer mehr in Zukunft ausrichten soll. Das ist auch wieder Aberglauben, und vielleicht, wenn die Kirche einmal gestürzt ist, fordert er auch seine Opfer. Jetzt aber wird Schreck, Angst und Furcht in allen Familien und Ständen sich erzeugen, und das Ansehn der Geistlichen ist auf eine Weile wohl wieder gerettet. Darum hütet Euch, einsichtsvoller Vetter, zu stark und kräftig gegen diesen Unsinn zu reden, denn Ihr bekämpft dadurch Euch selbst und Euren Beruf; tragt aber auch nicht ohne Not Brände hinzu, denn an denen wird es nicht fehlen.

Melchior stand wieder still, und sah den jungen unklugen und überklugen Propheten mit Erstaunen an. Jetzt glaube ich wirklich, sagte er dann, daß zuweilen ein Geist von den Lippen der Unmündigen weissagen kann. Ich vermute fast, du verstehst deine eignen Worte nicht ganz, wenn ich deinen Leichtsinn, dein umfahriges, unstetes Wesen, deinen kindischen Dünkel und deine Naseweisheit bedenke.

Köstein sah den Oheim freundlich an und lachte laut und herzlich. Geht es denn, sagte er dann, mit deinem Bischof etwa in einer andern Melodie? Ihn hat auch ein fremder, hocherleuchteter Geist der Weissagung befallen. Denn der klügste, geriebenste und durchtriebenste Pfaffe hätte doch nichts Besseres tun können, als für Geld und gute Worte ein paar alte Weiber zu gewinnen, daß sie diese Albernheiten von ihrem Hexensabbat aussagen mußten, um in dieser ganz neuen Form die Sünder und Abtrünnigen anzugeben. Offenbar benutzt ein Satan, oder Beelzebub, oder sonst ein schadenfroher Geist diesen Kopf, in dem er leicht Quartier finden konnte, weil er so leer ist, und also jedem Gaste offen steht, um ihm diese Dummheiten einzublasen. Dieser fromme Bischof glaubt sie nun wirklich, und handelt bloß nach seinem Gewissen. Lächerlich und tröstlich ist es nur, daß, wenn die Kirche wirklich von Gott ist, wie doch so viele sagen, der böse Geist der Lüge also nun selbst dazu wirken muß, diese zu stärken, und so manchen Baustein, der heruntergefallen war, wieder mit vieler Mühe und Sorgfalt einzufugen.

Komm, mein Freund, sagte Melchior; diese Art, die Dinge der Welt anzusehen, will mir nicht zusagen. Auch ist unser Geschäft so ernst, daß es wohl geziemlich ist, unsern Geist dazu zu sammeln.

So heiter und leichtsinnig Köstein zu seinem verwundeten Feinde ging, so ernst und verstimmt kam er von diesem zurück, weil er vernahm, daß er sich jedem vorläufigen Verhöre weigere und sich jeder Untersuchung entziehe. Der Sachwalter des Gefangenen erklärte nämlich, dieser Denis, der jene Ermordung eines Verwandten Melchiors und Kösteins nicht leugnen wolle und könne, habe sich auf den Erbprinzen des Burgundischen Hauses, auf Carl, Grafen von Charolais, berufen, indem er sich nur in seiner Gegenwart, und zwar nur ihm allein, erklären könne, weshalb er jene Tat unternommen habe; er wolle dem Prinzen zugleich so hochwichtige Geheimnisse entdecken, daß er seiner Gnade und Verzeihung fast versichert sei.

Als Melchior seinen Vetter so nachdenkend sah, sagte er: Ich fürchte, du hast auf die Gnade des Herzoges zuviel gebaut, und dich in Komplotte und Schlechtigkeiten mit diesen Croys, dem Grafen Etampes und ihren großen und kleinen Helfershelfern verstrickt. Es ist ja bekannt genug, wie aufsässig sie alle dem Erben des Herzogtumes sind. Der Dauphin Ludwig, so sehr er hier Schutz und Liebe bei unserm Philipp gefunden hat, schürt doch immer das geheime Feuer. Alle sind gegen den Erben und lauern schon auf den Tod unsers alten Fürsten; die meisten mehr oder minder mit Frankreich im Einverständnis.

Jetzt siehst du zu weit lieber Vetter, sagte Köstein, der sich wieder zu seinem gewöhnlichen Leichtsinn zwang. – Fühlst du dich nicht rein, sagte der Kanonikus, so benutze die Zeit, die dir noch gegönnt ist, und mache dich über die Grenze.

Das wäre eine treffliche Auskunft! rief Köstein; und meine Gemahlin, meine Landgüter, meine Schätze, mein jährliches großes Gehalt, alles dahinten lassen, um einem nichtigen Gespenst zu entfliehn!

Das vielleicht, sagte Melchior, nicht so wesenlos ist, als diese Hexen und ihr Sabbat.

Sie trennten Sich, und Köstein verschloß sich auf seinem Zimmer, um seiner Lage nachzudenken und wie er sich benehmen solle.

Die Stadt war in ein stumpfes Erstaunen, in Betäubung und Schreck versenkt, denn alles, was geschah, war so plötzlich und ohne Vorbereitung eingedrungen, war dem gewohnten sichern Lebensgange so entgegengesetzt, daß keiner sich fassen und sammeln konnte, sondern alle wie in einem ängstigenden Traume festgehalten, ohne Heiterkeit, Kraft und Entschluß fortlebten, völlig ohne Rat und Hülfe. Peter Carrieux schien der einzige, der entschlossen war, diese eindringende unerhörte Gewalt durch Gewalt zu vertreiben; er riet, die Bürger zu bewaffnen, die Gefangenen mit Gewalt zu befreien, und den Bischof, als unfähig, sein Amt zu verwalten, vorläufig als krank zu behandeln, bis er vom Papste seiner Würde entsetzt sei; er war überzeugt, daß der Herzog und der Adel diesen gewaltsamen Schritt, wenn sie erführen, was ihn veranlaßt, billigen, sich ihm wenigstens nicht widersetzen würden. Er, einer der reichsten Männer des Landes, erbot sich, die vielen Arbeiter seiner Fabriken zu bewaffnen und der Bürgerschaft zu Hülfe zu senden. Aber Schakepeh und die meisten Schöffen erschraken vor dieser Maßregel, weil sie zum Bürgerkriege führen könne, welcher vielleicht gar den Untergang ihrer Stadt herbeiführen möchte.

Wenn wir uns nicht einigen können, sagte Carrieux, so sind wir freilich nur schwach. Sieht aber der Fürst unsern Ernst, und daß dieser Aufstand kein Vorwand ist, um ihm seine Rechte zu verkürzen, so wird er unsre Gesinnung achten. Könnt ihr es denn dulden, daß auf offnem Platz der wahnwitzige Priester unsern würdigen Schöffen von den Häschern hat ergreifen und als des Scheiterhaufens würdig in das Gefängnis werfen lassen? Die Sache spricht, ohne unsre Worte, für sich selbst. Taket soll ein Hexenmeister sein, sich dem Satan verschrieben und einen Gast beim Hexensabbat abgegeben haben? Seit unsre Stadt gebaut ist, ist noch unter keinem so dummen Vorwande ein Bürger in den Kerker geführt worden.

Gebt Euch Geduld, Zornesmann, sagte Schakepeh; daß das nicht kann geduldet werden, sehen wir alle ein, nur verderben wir nicht durch Übereilung und Zorn unsre gute Sache. Erwartet die Boten von unserm gütigen Herzoge zurück, er wird uns Recht sprechen, und seine Bürger, die er liebt, durch welche er reich und mächtig ist, nicht unter so nichtigem Vorwande verderben lassen. – Man ging wieder auseinander, ohne einen Beschluß gefaßt zu haben. Der reiche Peter Carrieux wollte über diese Schwachheit verzweifeln. Jachzornig, wie er war, hatte er unbesonnen einige Worte gegen seine Arbeiter fallen lassen, und indem er jetzt nach dem großen Hause ging, wo die Tapetenwirker für ihn arbeiteten, sah er in seinem Hofe ein großes Getümmel. Die meisten seiner Arbeiter waren dort versammelt, und Guntram, der älteste unter ihnen, ein riesengroßer Mann von wilder Natur, teilte ihnen Waffen aus. Was ist das? rief Peter. Wir wollen Eure Stadt verteidigen, sagte Guntram; alle diese guten Gesellen sind frohen Mutes, und wollen mit uns leben und sterben.


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