Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Um diese Zeit starb der alte König von Frankreich, Carl der Siebente. Kein Monarch hatte so viele und sonderbare Abwechselungen des Schicksals erfahren. Sein Sohn, Ludwig der Eilfte, kehrte jetzt nach Frankreich zurück, um in Reims gekrönt zu werden. Die Bewegung, welche diese Vorfälle in Burgund verursachten, benutzte der Küster Wundrich, um in einer Verkleidung zu entfliehen. Er begab sich nach Reims, wo er, von angesehenen Freunden beschützt, wieder eine Anstellung als Geistlicher erhielt.

Von dort schrieb er folgenden Brief nach Paris, an seine Freundin Sophie, die junge Tochter des Schakepeh.

»Erfahrt vor allen Dingen, geliebtes Kind, daß Euer teurer Vater, mein sehr werter Freund, dem entsetzlichen Schicksale, welches ihn bedrohte, entronnen ist. Verarmt ist er zwar, aber sein Leben ist gerettet. Es war ein furchtbarer, trauriger Tag, als vor dem Tore, im Freien, jene Hinrichtungen vorfielen, die unsre Stadt Arras und die Geistlichkeit dort mit Schande bedecken. Alle, bis auf unsern festen, eigensinnigen Carrieux, hatten die Verbrechen eingestanden, deren man sie bezüchtigte. Alle übergaben sich, bis auf diesen zu strengen Mann, der unbedingten Gnade oder Strafe der Kirche.

Auf dem Markt ward den Verbrechern, wie man sie nannte, ihre Sünde, die sie begangen, von neuem vorgelesen, und von neuem gestanden sie die Ketzereien, das Besuchen des Teufelssabbats, die Verwandlungen, die sie unternommen, die Tänze, die sie gefeiert, und wie sie auf Besen, in Mulden, auf Ziegen und Böcken, auf Ofengabeln und Kröten hingeritten und gefahren seien; wie sie den Satan verehrt und sich ihm zu eigen gegeben. Die alte Gertrud lachte und war erfreut; die sonst so schöne Frau Denisel war blaß und abgefallen; der alte wunderliche Labitte war wie verklärt; Euer Vater und die Männer wagten vor Scham nicht die Augen zu erheben, nur Carrieux lästerte und fluchte, und schalt seine Richter Narren und Blödsinnige. Hierauf wurden sie dem weltlichen Gerichte übergeben, und der Richter erklärte Labitte, Frau Denisel, Armgart, Elsbeth und die dritte Bäuerin, sowie zwei liederliche Dirnen aus Arras, nebst Peter Carrieux, dem Scheiterhaufen verfallen. Labitte konnte nicht sprechen und Frau Catharina war stumm, aber Carrieux sprach wieder laut von Schändlichkeit und Lüge, und die übrigen Weibspersonen heulten und schrien, beteuerten ihre Unschuld, und selbst die alten Bäuerinnen erklärten, wie alles nur in ihnen Krankheit und Einbildung gewesen, wie man ihnen die Anklagen in den Mund gelegt, und der Advokat Flamand versichert habe, es würde ihnen nichts geschehen, wenn sie nur bei ihrer Aussage blieben und immer mehr eingeständen. So wurden sie hinausgeführt, und es war tief erschütternd, mit welchen Blicken der junge Friedrich im Zuge nach der Frau Catharina hinsah.

Draußen, beim Scheiterhaufen, sagten noch einmal alle, daß sie unschuldig hingeopfert würden; Carrieux hielt noch eine Anrede an seine Richter, nur die wahnsinnige Gertrud lachte und jubelte und bekannte sich als Hexe. In kurzer Zeit waren sie nicht mehr. Nur wenige Bürger waren dem Zuge gefolgt; alles war still und traurig, jeder hatte sich in seinem Hause verschlossen.

Auf einer hohen Bühne, dem Scheiterhaufen gegenüber, wurden die Männer ausgestellt, die, als reuig bekennend, ihre groben Irrtümer einsehend, und sich in den Arm der Kirche werfend, begnadigt wurden, nämlich der Ritter Beaufort und sein Sohn Friedrich, Schakepeh, Euer Vater, und die Schöffen Taket und Josset. Der Bischof stand oben, ermahnte sie, und berührte sie dann nach der Reihe verschiedenemal mit einer Rute, als Zeichen der geistlichen Strafe. Dann wurden sie in das Gefängnis zurückgeführt, wo sie noch einige Zeit bleiben werden. Das Vermögen der Frau Catharina, sowie des reichen Carrieux, ist ganz an den Herzog, das heißt, an den Grafen Etampes gefallen. Auch Beaufort, Taket und Josset, sowie Euer Vater, müssen den Klöstern, noch mehr aber dem Herzoge, oder dem Grafen zahlen, daß ihnen eben nur soviel bleiben wird, ein dürftiges Leben zu fristen. Die Güter sind eingezogen, die Häuser verkauft. Um einen ziemlich hohen Preis hat der junge Advokat Flamand vom Grafen das Haus Eures Vaters gekauft, und wird sich dort mit einer jungen hübschen Frau einrichten. Es scheint, alle haben gewonnen. Wenn der Graf durch die Straßen reitet, wenden die Bürger die Augen von ihm ab; der Advokat ist dreist und benimmt sich als reicher Mann.

Da dieses Unheil hat geschehen können, so spreche man nur nicht davon, daß wir besser und klüger geworden sind als unsere Vorfahren. Manche träumen sogar, alle Völker würden nach und nach veredelt, und das ganze Menschenwesen menschlicher.

Der liebevolle, poetische, sinnreiche Labitte steht in seiner sanften Miene immer noch neben mir. Seine Scherze und Späße sind für ihn zu grimmigen Feinden geworden, und seine Erleuchtung hat ihm zum schmählichen Tode heimgeleuchtet. Er hatte unrecht, die Macht des Satans zu leugnen, denn aus jedem lachenden Wort ist ihm ein Höllengeist erwachsen, der ihn und andere Unschuldige den Henkern übergeben hat.

Mich wollte der Bischof auch als einen Freund des Labitte greifen lassen, und ich benutzte die letzte Stunde, um hieher zu entfliehen. Er hat sogar verlangt, daß mich die hiesige Kirche ihm ausliefern soll; aber man hat sein Begehren mit Verachtung zurückgewiesen. Hier spricht alle Welt, auch die Geistlichkeit, nur mit Abscheu von jenem unsinnigen Prozeß in Arras. – Der Himmel behüte Euch. –«

In Arras war die Stadt nach kurzer Zeit mit einer andern großen Erscheinung beschäftigst, denn der Graf von Charolais, der Erbprinz von Burgund, zog wirklich mit einem großen Gefolge ein. Die Klagen wegen des gefangenen Beaufort und der übrigen wies er von sich, weil er den Grafen Etampes, der ihm schon feindlich genug war, nicht kränken wollte, da er fürchten mußte, daß die Aussagen des Denis oder Köstein schon manches gegen diesen und die ihm verbündete Familie Croys aussagen möchten.

Alle diese Händel, Anklagen und Prozesse, in denen durch die Kleinen die Großen so leicht verwickelt waren, erregten dem alten friedfertigen Herzoge ein Grauen, und er hätte gern alles dieser Art ohne Untersuchung der Vergessenheit übergeben. Diesen Widerwillen benutzten seine Freunde und Günstlinge, um alles, was ihnen und ihren Parteien schaden konnte, dem alten Manne als gleichgültig oder verdächtig vorzustellen, so daß er alles, was er nur konnte, von sich schob, und sich selbst lieber hinterging, und nicht sehn wollte, was sich seinen Blicken aufdrang, als daß er scharf und fest eingeschnitten hätte, weil er nicht wissen konnte, wie tief sein Messer eindringen müsse. So hätte er auch diese Händel und die Anklage gegen Denis, sowie dessen Rechtfertigung, gern unbeachtet gelassen. Aber diese Anklage des verzweifelten Denis, welcher sich auf den Erben des Reiches selber berief, und diesen zum Richter über sich und den jungen Günstling aufforderte, machte es dem Herzoge unmöglich, diese Händel nicht zu beachten. Um so weniger, da der Graf Charolais diese Klage so heftig auffaßte, daß er die Sache ganz wie seine eigne nahm, und kniend seinen Vater bat, diesen Prozeß, der nicht weniger als sein Leben bedrohe, in seine eignen Hände nehmen zu dürfen. Auf diese Bitte des Sohnes und Erben ließ der Vater sogleich Köstein, seinen törichten Günstling, der Wache übergeben, und als einen des Hochverrates Angeklagten nach Arras führen, um seinem Ankläger, Denis, gegenübergestellt zu werden.

Wieviel der Prinz Carl nun auch erlangt hatte, so wußte er doch, daß, wenn auch Köstein aufgeopfert würde, man die Sache doch wohl so führen könne und werde, daß von demjenigen, was er eigentlich zu wissen begehre, nur wenig zutage kommen möchte. Er vermutete, daß die Richter selbst den Kläger wie Beklagten so führen und lenken würden, daß die vielverschlungene Verwicklung sich in Privathändel und persönlichen Haß und Mord auflösen würde. Der Prinz sah manches deutlich und ahndete noch weit mehr, und doch mußte er sich gestehn, daß er nicht wünschen könne, alles zu erfahren, und das weitverbreitete Netz des Verrates ganz zu fassen und mit allen seinen Fäden in den Händen zu haben. Konnte er als Fürst handeln, so war viel gewonnen. Aber vom Argwohn des Vaters konnte er es nicht erwarten, daß dieser ihn zu seinem Stellvertreter ernennen und sich von den Regierungsgeschäften zurückziehen würde. Hätte der alte Fürst auch selbst aus Überdruß einen solchen Entschluß fassen können, so widersetzten sich alle Räte und alle Verwandte des Herren einem solchen Schritte mit allen Kräften und auf jede Weise, weil die meisten fürchten mußten, daß der junge Prinz damit anfangen würde, ihnen allen Einfluß zu entziehen. Seine rasche, zornige Art, seine unfreundliche Laune hatte zu oft schon seinen Widerwillen gegen die Vertrauten und Günstlinge seines Vaters kund gegeben.

Denis war früher ein Diener des Ritter Köstein gewesen, von dessen Gnade er lebte. Denis hatte dann Reisen unternommen, und keiner wußte, wohin oder zu welchem Endzweck. Nur so viel hatte man erfahren, daß er in Frankreich und Italien gewesen sei. Seit der Dauphin von Frankreich am Hofe Philipps lebte, hatten sich die meisten Freunde des Herzoges an den Dauphin geschlossen, vielerlei mochte verabredet sein, worauf diejenigen, die gegen den Prinzen Carl waren, mit Sicherheit rechnen konnten, da jetzt dieser eilfte Ludwig zum König von Frankreich gekrönt war.

Denis hatte sich endlich mit seinem Beschützer Köstein entzweit. Sie stritten um eine Schuld, die der junge Köstein nicht anerkennen wollte. Denis erlaubte sich sonderbare Reden, über welche diejenigen erschraken, die ihn in seiner frühern Abhängigkeit gesehen hatten. Er bedrohte Köstein und gab zu verstehn, dessen Wohlfahrt liege unbedingt in seinen Händen. Köstein, der dies vernahm, verlachte diese Drohungen, und gab sich die Miene, Denis zu verachten. Er brachte aber durch Geschenke einen armen Verwandten des Kanonikus Melchior dahin, daß dieser es über sich nahm, den unnützen Schwätzer Denis aus dem Wege zu räumen. Als Denis dies erfuhr, suchte er sich auch eine Partei zu machen, und nach einigen Tagen fand man den Vetter des Kanonikus ermordet. Seitdem war Denis unsichtbar geworden, weil alle Welt ihn für den Mörder hielt, und die Gerichte einen Preis auf seinen Kopf gesetzt hatten. Man suchte ihn emsig auf, ohne ihn finden zu können. Dem Herzoge hatte man erzählt, dieser Mörder trachte nicht nur nach dem Leben seines Lieblings, des jungen Köstein, sondern nach dem des Fürsten selber. Die Nachsuchungen und das Forschen nach diesem Denis war nun um so heftiger. Er war offenbar von mächtiger Hand beschützt; und da seine Gegner doch endlich seinen Aufenthalt in Arras entdeckten, so suchten sie ihn in einer Nacht meuchlerisch aus dem Wege zu räumen. Er war nicht ohne Hülfe und Begleitung, und jener Strauß erfolgte. Köstein und dessen Freunde hielten ihn für tot, und er war verschollen, bis Melchior ihn durch Zufall bei der alten Gertrud entdeckte. Hätte der Kanonikus die Gesinnung des jungen Köstein mehr gekannt, so würde er den Gefangenen vielleicht nicht den Gerichten übergeben haben; denn der Günstling, der die Sache schon für ganz abgemacht hielt, mußte jetzt von neuem in die Fragen und Antworten eingehn. Er dachte es indes durch seine Stellung und die Gunst des Herzoges durchzusetzen, und hielt es nicht für schwer, seinen ehemaligen Vertrauten einem ewigen Gefängnis überliefern zu können. Jetzt wendete sich Denis an den Grafen Charolais selbst und behauptete, Köstein habe ihn nach Turin gesendet, um Gift für ihn zu kaufen, mit welchem der Ritter den Erben Burgunds langsam hinrichten wolle.


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