Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Ich fühlte, daß er mich noch liebte, aber jene Heiligkeit war aus seiner Liebe entschwunden; er ehrte mich nicht, er achtete mich nicht mehr; Mitleid, Erbarmen hatte er mit mir, und sich selbst hielt er ebenfalls geringe, und suchte jetzt durch Leidenschaft und Heftigkeit zu ersetzen, was seinen Gefühlen an Innigkeit abging. Und doch waren wir glücklich, so sehr, als es arme Verirrte sein können, die jede Leuchte in der Nacht verloren haben.

Mutwille, Scherz und Witz sollten unser Dasein erhöhen, wir freuten uns, wenn der gemeine Denisel durch eine neue List betrogen wurde, wenn ein Anschlag gelang, ihn vom Hause fernzuhalten, wenn wir, seine Trunkenheit benutzend, in seiner Nähe uns Liebkosungen erlaubten. Robert wurde mit jedem Tage ausgelassener; mit den grellsten Farben schilderte er mir jetzt oft die Ausschweifungen des rohen Gemahls, und ich freute mich dieser Darstellungen und lachte. Doch ward es noch schlimmer. Mein vormaliger Gatte und jetziger Geliebter konnte sich, um seinen Herrn nicht mißtrauisch zu machen, vielleicht schon durch eigenen Leichtsinn dazu bewegt, dem nicht entziehen, hie und da auch eine Liebschaft anzuknüpfen und ein ärgerliches Abenteuer zu bestehen. Wenn er mir diese Geschichten ebenso umständlich und anstößig erzählte, so schnitt freilich eine brennende Eifersucht durch meinen Busen, aber ich lachte doch, weil mir das ganze Leben als ein albernes Possenspiel, eine widrige Fratze erschien. Längst schon war durch Robert jene weibliche Heiligkeit meines Wesens verletzt, schon in seinen herzlichsten, liebevollsten Stunden mußte ich ihm vieles vergeben, und um ihn zu entschuldigen redete ich mir vor, er könne nicht anders sein, denn dies sei die Natur der Männer. Jetzt hatte ich nun entdeckt, daß auch im besseren Weibe, und für ein solches hatte ich mich gehalten, das Unheimliche, Frevle und Freche schlummre, das nur durch Leidenschaft und Selbstvergessen geweckt werden dürfe, um harmlosen Scherz, holdselige Schalkheit und süßen Mutwillen in das Widerwärtige und völlig Unweibliche zu verwandeln.

Ja, ich gestand es mir, ich sei eine Buhlerin, nichts besser als Hunderte, die ich ehemals verachtet und verabscheut hatte. Ich meinte dann, das sei Schicksal und das menschliche Leben. Wir bildeten jetzt in unserm Hause eine Gruppe, wie eine der vielen, die uns Boccaz so witzig und kräftig schildert.

Woher nehme ich den Mut, Euch alles das zu sagen, was die Schwester vielleicht dem Bruder verschwiege? Weil ich Euch ganz vertraue, und weil Ihr mir helfen sollt, wenn Ihr mich ganz und alle meine Verirrungen kennt.

Immer dreister und unbesonnener wurden wir in unserem Taumel. An einem Tage, an welchem wir uns am sichersten glaubten, überraschte uns der grausame Denisel. – Diese Stunde war die furchtbarste, die ich noch erlebt hatte, so entsetzlich auch mein Leben gestaltet war. Kein Mensch vermag die Wut meines Mannes zu beschreiben. Nicht bloß war er darüber in Verzweiflung, daß ich ihn getäuscht hatte, sondern daß es durch den geschehen sei, den er mir im vollsten Vertauen zum Wächter gesetzt hatte. In seiner Wut befiel ihn jener tödliche Krampf, der ihn so oft leblos niederstreckte.

Er kam wieder zu sich, und statt Ausbrüche neuer Wut, die wir erwarteten, erhob er sich, setzte sich matt in einen Sessel und weinte laut und heftig. Da er unser Erstaunen sah, sagte er schluchzend, indem er noch ohne Fassung war: ja, ihr Schändlichen, ihr seht etwas, das mir selbst ein Wunder dünkt. Seit meiner Kindheit habe ich keine Tränen vergossen, soviel Elend ich auch sah und erlebte. Wißt denn schon seit lange hat mich die ruhige Ergebenheit dieses Weibes, ihre Geduld, mit der sie meine Grausamkeit ertrug, tief bewegt. Ich empfand, wie unglücklich sie sein mußte, und warf einen reuenden Blick in mein Leben. Ich nahm mir fest vor, besser zu werden, und sie fortan gut und freundlich zu behandeln; sie sollte künftig nur Güte in mir finden und sich mit mir versöhnen. Diesem Menschen, den ich liebte, dachte ich eine Summe zu schenken, daß er nicht mehr Diener zu sein brauche, sondern mein Freund würde. Gemeinsam wollten wir in Liebe und Ruhe leben, ich wollte mich von jenen hassenden Priestern zurückziehen, denn ich schämte mich vor dieser Catharina, die mir wie eine Heilige gegenüberstand. Und nun? Ich sehe, sie ist schlechter als ich, sie verdient nur meine Verachtung.

Jetzt stellte sich Robert ihm gegenüber, gab sich zu erkennen, nannte seinen Namen, erzählte sein Unglück, und wollte ihm deutlich machen, daß er selbst mir früher angehört habe, und daß unsre Verbindung vom Priester geweiht und eine rechtmäßige Ehe gewesen sei, die widerrechtlich sei aufgehoben worden. Als Denisel erfuhr, seit wie lange er schon sei getäuscht worden, und mit welchen Künsten sein größter Feind sich ihm genähert und seine Freundschaft erworben habe, geriet er von neuem in Wut und Raserei. Er stürzte, indem er einen Dolch faßte, auf Robert, um ihn zu ermorden; dieser aber stieß ihn mit solcher Gewalt zurück, daß der Alte rücklings über stürzte, wiederum in seine Krämpfe fiel und sich nicht erhob. Er war gestorben.

Robert fand zuerst Sprache und Besinnung wieder. Was wir in diesen Augenblicken erlebt hatten, war so erschütternd, so allgewaltig in unser Leben gedrungen, daß wir fühlten, eine neue Bahn liege vor uns, wenn wir uns nicht zugrunde richten sollten. Robert war in Reue und Trostlosigkeit zerflossen. Die herzzerreißendste Anklage seiner selbst floß von seinen Lippen, wie er mich, die er zu lieben und zu verehren gemeint, in den Abgrund gezogen habe, und wie er jetzt sehe und innigst fühle, daß die Liebe selbst das Böse sei; wie er jetzt verstehe, daß im ersten Keime derselben, in der frühesten und unschuldigsten Regung, die ihn wie mit himmlischer Heiligkeit überschüttet habe, schon das Laster geschlummert. Das Leben selbst, so fuhr er fort, sei Sünde, und das Gift in diesem regiere. Er bereue auch jetzt alle seine Irrtümer gegen die Kirche, er widerrufe jene Lehren, die er und Philipp ihren Vertrauten geprediget hätten, und einzelne schlechte Priester könnten niemals die hohe Würde des Standes erniedrigen.

Er war ganz vernichtet, erflehte in Tränengüssen meine Verzeihung, daß er mich zur Sünde verleitet habe, und ging, sich mit der Kirche zu versöhnen. Seitdem, so hat man mir erzählt, lebt er unter strengen Büßungen in einem Walde als Einsiedler.

Es machte kein Aufsehen, daß Denisel gestorben war; er war Greis, es war bekannt, daß die fallende Sucht ihn schon oft dem Tode nahe gebracht hatte. Auch mein Vater verließ bald die Zeitlichkeit, und ich war mir nun, im Besitz eines mäßigen Vermögens, selber überlassen; denn vieles, das wir früher besessen hatten, war durch Denisel und meinen Vater an Klöster und Kirchen vergabt worden. –

Nun wißt Ihr alles, mein vertrauter Freund, und ich hoffe, Ihr helft mir dieses Leben erheitern, welches ich mir erwählt habe, nachdem so viele Stürme mein Gemüt erschütterten.

Liebe Catharina, sagte der junge Mann, Euer Bekenntnis hat Euer ganzes Wesen mir näher gebracht, und doch wieder seid Ihr mir fremder und entfernter als gestern. Ich meine nur, da Ihr schon früher nachgabt, um einen andern zu beglücken, solltet Ihr um so leichter meinen Bitten nachgeben.

Lieber Friedrich, antwortete sie, ich habe in allen diesen Jahren nicht aufgehört, mich als Roberts wahre, vom Priester angetraute Gattin anzusehen. Ich wäre, wenn es seine Reue und Zerknirschung zugelassen hätte, wohl mit ihm, da ich nun frei war, nach England gereist. Ich liebe ihn noch, sein Bild wohnt in meinem Herzen, ich darf ihm die Treue nicht brechen. Ihr verwundert Euch vielleicht, wenn ich Euch sage, daß ich selbst jene Umwandlung seines Wesens so wenig verstand, wie billigte. Gewiß hatten wir uns schwer versündiget, und viele Augenblicke der Scham und Reue hatten mich zu dem Vorsatz geführt, besser zu werden. Meine unsterbliche Seele bedurfte es, aus dem Zustande der Erniedrigung wieder erhoben zu werden. Aber nicht durch Untreue gegen mich und das Edelste, was ich geschaut und erlebt hatte, durfte die Besserung anheben. Sein Bild, jenes Frühlingsgefühl, welches den Winter meines Herzens damals durch Duft, Glanz und Blüte vertrieben hatte, war mir noch heilig, muß es mir in Ewigkeit bleiben. Ich kann nicht jenen Glauben aufgeben, alle jene Ansichten, die ich damals durch Robert und Philipp gewann; denn sie läuterten und erhoben alle meine Seelenkräfte. Und so bin ich seitdem allgemach und sicher zu meiner frühern Lebensweise zurückgekehrt, in Scham und Vergessenheit sind jene unseligen Verirrungen begraben, mit jedem Tage ward ich sicherer, fester und im Herzen glückseliger. Werdet Ihr mich verstehen, wenn ich Euch sage, daß ich es nicht fasse, wie jene wilde, verzweifelnde Reue, Buße und Trostlosigkeit, Selbstqual und Selbstverachtung uns dem Ewigen näher bringen soll? Im Anschauen des Schönen und Edlen, im Glauben an meine Liebe, im Genuß von Kunst und Poesie, im Umgang mit Freunden und edlen Menschen habe ich die Verklärung meiner Seele gesucht und gefunden. Die Süßigkeiten des Glaubens und der Religion sind mir näher gekommen, und eindringlicher geworden, und alles Unedle ist mir fremd, nicht unverständlich, da ich es erlebte, aber weit entrückt. So bleibt Ihr nun auch ferner mein Freund, Teuerster, und mißversteht mich niemals.

Friedrich war in tiefes Nachsinnen verloren, er fuhr aus diesem auf, als wenn er seine Gedanken wie mit Gewalt von sich verscheuchen wollte, betrachtete seine Freundin dann, und eine Träne der Rührung floß aus seinem Auge. In dieser Stunde, sagte sie, da Ihr so bewegt seid, hört noch einige Worte von mir geduldig an, geduldig und ohne Zorn.

Friedrich setzte sich wieder, Catharina nahm seine Hand und sagte mit den lieblichsten Tönen: Euer Vater war bei mir, er ist ein guter, lieber Mann, der zärtlich um Euer Wohl besorgt ist. Die Hoffnung Eurer Familie beruht auf Euch. Sammelt Euer Gemüt, edler Freund, faßt den Entschluß, der Euch, von so wackern Eltern stammend, geziemt. Jetzt müßt Ihr unbezweifelt einsehn, daß keine Verbindung unter uns möglich ist, da selbst die Gesetze der Kirche wie des Staates, wenn auch sonst keine Hindernisse wären, sie unmöglich machen. Das liebliche Mädchen, Sophie, welches Ihr neulich hier saht, die, von edlen Eltern stammend, Euch Reichtum, Schönheit und alles Wünschenswerte bringt –, macht diese glücklich; denn man sieht, daß sie Euch verehrt. Je früher Ihr diesen Entschluß fassen könnt, um so früher erfreut Ihr Euren Vater, dessen Alter schon so vorgerückt ist, daß er Euch vielleicht bald kann entrissen werden. Dann sind wir alle froh und zufrieden, und jenes Glück, das wir uns wünschen, ist uns freundlich gesichert.

Friedrich sprang auf, faßte Catharinens Hand, sah ihr scharf ins Auge, und sagte dann: Also daher Eure Weisheit? Ihr verschmäht es nicht, Euch zur Unterhändlerin mißbrauchen zu lassen, um die Absichten eines alten Mannes durchzusetzen, der nur auf Geld und Besitz sieht, und diesen eigensinnigen Wünschen das Wohl seines einzigen Sohnes opfern will? Und doch wollt Ihr meine Freundin sein? Nein, elend, verachtet, verstoßen lieber als eine solche Verbindung! Muß ich denn gerade in eine Ehe treten, wenn Ihr meinen Wunsch so bestimmt und mit aller Kälte zurückweiset? Und Ihr fühlt nicht, daß nur die Einsamkeit noch mein Glück sein kann, die Flucht vor solcher vernünftig berechneten Ehe? Ihr habt ja den Fluch dieser tyrannischen Verkuppelung an Euch selbst erfahren, und solltet mindestens diejenigen nicht in das Joch zwingen wollen, die Ihr Eure Freunde nennt.


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