Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Der Dechant nahm nach dieser Erzählung wieder das Wort und sagte: Wenn dieser konfuse Mensch, wie es scheint, einigen Verstand hat, so wäre es wohl seine Pflicht, mit diesem seinen ganz augenscheinlichen Blödsinn auszubessern, damit er zum Menschen würde. Immer habe ich es geglaubt, und diese Schilderung bestärkt mich wieder in meiner Meinung, daß die Dummheit im Menschen meistenteils etwas Freiwilliges sei, das man aber abwerfen, und sich den Verstand aneignen muß. Aber bequem ist es, sich so gehn zu lassen, allen Launen zu folgen, ihnen Trägheit, Spaß und Laune die Herrschaft einzuräumen, und das göttliche Ebenbild in uns auszulöschen.

Seid nicht so unbillig, ehrwürdiger Herr, sagte die freundliche Frau Catharina. Die Gaben sind verschieden, die Geister mannigfaltig, und das ist das Erfreulichste der Schöpfung. Wir können uns nicht alle gleich und ähnlich sein, ja wir sollen es auch gewiß nicht. Dieser faßt in der Schärfe des Geistes die Bedeutung der Dinge in seinem Verstande auf, und weiß von allem Rechenschaft zu geben. Heil ihm, denn er ist wach im Erkennen, und wird weder vom Aberglauben beherrscht werden, noch sich den Täuschungen der Phantasie, oder den blinden Leidenschaften ergeben. Ein solcher Prüfender ist frei und Herrscher im Gebiet der Sinne und des Denkens. Doch der Dichter, der Künstler, der Maler muß jenem Schein, dem der Scharfsinnige entfliehen will, mehr Wesen, dem Schatten mehr Körper, und seinen Träumen mehr Wirklichkeit zugestehen, wenn ihm nicht in seinem Handwerk die Arme ermüdet und ungläubig am Leibe niederfallen sollen. Und unser alter, lieber Labitte nun gar. Er kommt mir vor, wie ein in Menschengestalt verwirklichter Traum, der unter uns herschreitet, um von den seltsamsten Gegenden, die wir niemals besuchen, Kunde zu bringen. Der Glaube an Wunder ist ihm der natürlichste; seine Phantasie umkleidet ihn wie ein Mantel, und es gibt für ihn keine Unmöglichkeit. Kann er durch diese Traumfähigkeit etwas auffassen, so sieht er weiter wie die meisten Menschen, und spricht tiefsinnig und prophetisch; soll er auf dem Wege unsers gewöhnlichen Verstandes etwas begreifen, so erscheint er ganz unfähig und blöde. Sein Wesen, sein Umgang, seine Laune ist deshalb so wundersam, daß jeder, der ihn kennt und versteht, ihn von Herzen liebgewinnen muß; daß er aber auch allen, die ihn so, wie die übrigen Menschen, nehmen und auffassen wollen, nur als unbeholfener und langweiliger, unwissender Gesellschafter erscheint. Er ist wie ein Spielkamerad von Tieren und verklärten Geistern; das irdische an ihm ist wie Verkleidung bei einem Maskenanzug, und dahinter glänzt ein Elfe: Oberon, der König der Feen.

Genug und übergenug! rief der Dechant aus; der alte Tor muß sich glücklich schätzen, daß er von so schönen Lippen so kräftig verteidigt wird. Er hat recht, Wunder und das Wunderbare zu glauben, denn diese Gunst, die ihm selbst widerfährt, ist seltsam und unbegreiflich genug.

Der Zorn des Dechanten stieg noch höher, als jetzt ein aufwartender Knabe die Ankunft des alten Mannes meldete. Man sah diesen auch alsbald, auf seinem Stab gelehnt, durch den Garten schreiten. Der Geistliche stand auf und nahm Abschied von der Dame und der übrigen Gesellschaft, und hörte nicht auf Catharinens Bitte, daß er noch verweilen möge. Als er dem Alten vorbeiging, der ihn freundlich und achtungsvoll begrüßte, dankte er kaum, was der Maler in seiner arglosen Weise nicht bemerkte.

Der junge Friedrich ging dem Alten entgegen und Catharine begrüßte ihn herzlich. Meine teuren, verehrten Freunde, sagte der Alte mit erschöpfter Stimme, erlaubt mir, daß ich mich niedersetze, denn ich bin sehr ermüdet, und die Sachen, die ich da draußen auf dem Markt habe hören müssen und erläutern sollen, haben mir alle Kraft geraubt.

Er ließ sich im Gartensaale lächelnd nieder, und sagte nach einiger Zeit, indem ihn alle neugierig betrachteten: In der Stadt tragen sie sich mit der Nachricht, daß nicht weit von Mecheln vor einigen Tagen in der Nacht ein großer Stein vom Himmel gefallen sei, von einer Materie, die kein Mensch kennt und jemals gesehen hat. Er hat ein tiefes Loch in den Erdboden, auf dem Acker eines guten Landmannes, geschlagen, und man grübelt, deutelt und prophezeit nun, was dieser sonderbare Fall zu bedeuten habe. Einige meinen, es sage uns den Tod unsers guten alten Herzoges an, manche böse Menschen gehen noch weiter, und meinen, unser Philipp würde sterben, und unter seinem Sohne Carl, dem verwegenen Fürsten, das ganze Land zugrunde gehen.

Am einfachsten, sagte der alte Ritter, ist anzunehmen, daß die ganze Sache erlogen sei, wie es denn viele dergleichen kindische Märchen gibt, an denen sich das gemeine Volk ergötzt.

Nein! nein! rief der Maler, der Naturfreund Melchior, der so viele Steine sammelt, hatte sich gleich ein Stückchen von dieser Materie senden lassen, und zeigte es den Neugierigen vor.

Und wie sahe es aus? fragte Beaufort.

Halb wie Glas, antwortete Labitte, wie so grobes, grünliches, trübes, dickes Glas in der Masse, halb wie Eisenschlacke, halb wie ganz unförmlich gestaltet, halb wie ein Ding, das man schon sonst gesehen hat, und dann wieder wie etwas, worauf sich keiner besinnen kann. Es ist eben ein kurioses Ding, und verdient wohl eine genauere Betrachtung, denn ich dachte gleich daran, daß sich so was nicht malen ließe, und in einem Bilde eine schlechte Figur machen würde.

Der alte Ritter lachte über die Beschreibung und sagte: Sollte es nicht vielleicht wirklich eine Erzschlacke sein, die man aus einem Bergwerke gebracht hat?

Nein, sagte Labitte, denn dergleichen unnützes unterirdisches Ungeziefer habe ich wohl oft schon auf meinen Reisen sonst gesehn. Der freundliche Denker und Philosoph, der Küster drüben an unsrer Kathedrale, der Dichter Wundrich, sagte: es sei offenbar ein Stück, welches vom Mond heruntergefallen sei. Er glaubte nämlich, die Gestirne hätten ebensogut Krankheiten zu überstehen, wie die Menschen und Tiere, und unsre Erde sei auch nicht von solchen Fiebern, Katarrhen, Koliken, Gicht und Schwindsucht freizusprechen. Er habe seit lange unsern alten herkömmlichen Mond beobachtet, und nach seinem unparteiischen Urteil aussagen müssen, daß er schon seit einigen Jahren an einer bedenklichen Blässe leide. Diese zeige sich um so auffallender, wenn er in der Fülle sein rundes Gesicht aufblasen und uns die runden Backen und seine aufgetriebenen Augen so recht vollständig hinhalte. Neulich, sagte Wundrich, als ich in einer Frühlingsnacht den Kunden beobachtete, erschrak ich fast über die Gesichter, die er plötzlich schnitt, denn es war nicht anders, als wollte er nun eben zu sprechen und zu heulen anfangen. Seht, Männer, fuhr der gelehrte Küster fort, mag es nun sein, was es will, aber er hat sich etwas zu Gemüte gezogen, er ist nicht mehr der Alte, jener rüstige, frische, unermüdete Nachtwanderer, mit dem kerngesunden, roten, feurigen Antlitz, das dem dicken Dorfschulzen gleicht, wenn er abends aus der Schenke kommt, sondern er pimpelt, blässelt, und wimmelt und wabbelt nur so nächtlich dahin, und so ist es natürlich, daß er abbröckelt, in Nerven- oder Altersschwäche hie und dort ein Stück von seinen Gliedern und Bestandteilen abfallen läßt, die nun uns, seinen nächsten Erben und Nachbarn, zusterben. Drum eben, fuhr der Naturfreund fort, merken wir nichts davon, wenn andre Gestirne, Sirius, Orion, Bär, Löwe oder Morgenstern dergleichen Anwandlungen kriegen, weil sie uns zu entfernt ihr Wesen treiben. Ich selbst aber fürchte fast, wenn unser Küster recht haben sollte, daß es so in kurzem um den ganzen lieben Mond getan sein möchte, und, wenn alles so beschaffen ist, wie das, was er uns jetzt gesendet hat, so ist es nicht der Mühe wert, auf seinen Sterbefall und sein Vermächtnis Hoffnungen zu gründen, denn der Bauer meint, zu gar nichts sei der Abfall der Mondwelt und diese Probezeichnung des jüngsten Tages zu gebrauchen, sondern es liege nur seinem Acker zur Last und verderbe ihn. Man will also das dumme Ding einer überreifen, ins Holz gewachsenen Schöpfung dort wegnehmen, und zum Angedenken der wunderbaren Begebenheit in der Kirche aufhängen. Fragt sich nur, ob der Mond, wenn die Umstände sich wieder einmal ändern, und er den Rausch ausgeschlafen hat, nicht diesen alten Knopf von seinem Alltagswams, oder was es sein mag, wieder zurückfordert, um ihn sich von der Jungfrau am Himmel wieder an seine Stelle, wo er hingehört, nähen zu lassen.

Die Sache läßt sich bedenken, sagte der Ritter Beaufort: indessen hat das was für sich, was jener Mann von der Krankheit der Planeten vermutet und fürchtet. Ein Neffe von mir hatte noch vor zwei Jahren zwei schöne und große Landgüter; er zeigte sich darum auch hier und in Brüssel, als ein Klient des Grafen Etampes, in großem Glanz; und seht, diese Teile der Erde sind ihm so rein weggeschwunden, daß er jetzt Schulden halber im Gefängnis sitzt.

Seht Ihr wohl? antwortete der Maler; diese Schwindsucht ist also augenscheinlich und wird auch von andern Leuten bemerkt. Auf der andern Seite aber ist es, als wenn oft eine Wassersucht, ein Anschwellen und Aufquellen die arme Erde befällt und ängstigt. Die Familie Croy war immer schon mächtig und groß, aber wie sind ihre Ländereien seit Menschengedenken aufgequollen! Dasselbe kann der Graf Etampes, der nahe Verwandte unsers Herzoges, an seinen Grundstücken beobachten. Aber noch sonderbarer ist es mit jenem jungen Köstein, den wir alle als einen Lumpen, Taugenichts und Habenichts gekannt haben; der junge blondlockige Bengel kam in die Dienste unsers Herzogs, erst Aufwärter, dann Page, dann Liebling; und wie er nur erst ein ganz kleines Gärtchen, mit einem bescheidenen Häuschen, von seinem zu gnädigen Herrn erhalten hatte, – o Wunder! – so war dieses Fleckchen unserer burgundischen Erde gerade ein so fruchtbares, schwangeres, quellendes und treibendes, daß es in wenigen Jahren alle benachbarten Äcker, Gärten, Felder und Wälder ganz mit magnetischer Kraft an sich gezogen hat, so daß es fast lächerlich wird, wenn man die erste Grundlage, die kleine Mutter aller dieser großen, ausgereckten Kinder, mit den Riesenarmen und -beinen, betrachtet. Nun will man, und selbst unser Erbherr, der Carl von Charolais, dies Wunder auf die Schwäche unsers alten Herzoges schieben, und es ist offenbar eine Schwäche unsers Erdballs, und der gute Philipp muß, selbst gegen seinen Willen, dieser Nachgiebigkeit des Bodens nachgeben, weil er mit aller seiner Macht dies Zusammenschießen der Landgüter doch nicht verhindern könnte.

Alter Freund, warnte der Ritter, sprecht Euch nicht in Euern eignen Schaden hinein; alle, die Ihr da nennt, sind mächtig, und könnten Euch, wenn sie es vernehmen sollten, verletzen.

Nein, werter Freund, antwortete Catharina, statt des Malers; unser guter Fürst ist zu milde, um Tadel, auch wenn er ernst gemeint ist, so zu ahnden, wie wir es nur in Geschichten älterer Zeiten von Tyrannen lesen; um so weniger zürnt er, der selber gerne scherzt, über Scherz, und seine Günstlinge, und selbst sein Sohn, dürften es nicht wagen, über dergleichen zu klagen, oder es mit Strafen verfolgen zu wollen. Das sind die freundlichen, ruhigen Tage, die wir dem Frieden und der hohen Gesinnung des Fürsten zu danken haben. Ist es nicht ebenso mit der Geistlichkeit und ihren frühern Anmaßungen? Sie sind beschränkt, und selbst die Inquisition, die über die Gewissen und die Ketzerei wachen soll, ist kaum zu spüren, und darf nur die gröbsten Vergehen, Abfall von der Kirche, Gottesleugnung und dergleichen vor ihren Gerichtshof ziehen.


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