Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Und Ihr meint, sagte Catherine, jene schreckliche Finsternis, der wilde Aberglaube, die Verfolgungen und Martern, wovon wir mit Grausen lesen, wenn wir die alten Chroniken aufschlagen, könnten niemals wiederkehren?

Gewiß nicht, sagte der Dechant; alles, was Irrtum und Wahnsinn der Art hervorbringen konnte, ist zu Ende, diese Krankheit des Gemütes hat sich erschöpft. Der Krieg hat Greuel genug ausgesäet, diese Wut, die Engländer und Franzosen damals aneinanderhetzte, und das letzte traurige Opfer des Aberglaubens und der Verfolgung, die arme Johanna von Arc, von der wir in unsrer frühen Jugend so viel haben reden hören, hat die Reihe jener Märtyrer geschlossen.

Wenn Ihr recht habt, gelehrter Herr, antwortete die Frau, so haben wir auf jeden Fall viel gewonnen.

Gewiß, erwiderte der frohsinnige Geistliche, und darum ist alles, was dieser gute, liebe Bischof, dieser kümmerliche Athanas, tut und will, nur komisch. Der lächerlichste Zug seines Charakters ist der, daß er sich die feinste und umgreifendste Kenntnis der Menschen zutraut. Er sieht nur wenige Leute und studiert gar nicht, sowenig weltliche wie geistliche Schriftsteller, und dennoch hat er eine so hohe Meinung von sich, daß er sich selbst für gelehrter als alle Gelehrte hält. Das Unglück seines Lebens ist es gewesen, daß er vor fast zehn Jahren bei dem großen Jubelfeste in Rom zugegen war, und er damals die Stelle eines Pönitentiarius beim Papste hatte. Dies ist dem schwächlichen Manne so zu Kopfe gestiegen, daß er sich seit dieser Zeit wie ein wahrer Apostel vorkommt. Wie Ihr wißt, hat sich damals eine unzählige Menschenmasse aus ganz Europa in Rom zusammengedrängt. Er fand eine Gelegenheit, die freilich wohl nicht wieder kommt, Spanier, Engländer, Deutsche, Franken, Ungarn, Polen und Nordländer aller Art und von allen Ständen zu sehen. Sein Beruf machte es ihm zur Pflicht, da dieser Menge auch die große Anzahl von Priestern in Rom nicht genügte, mit vielen und den Verschiedensten in ein vertrautes Verhältnis zu kommen, und diese tausend und tausend Beichten und Bekanntschaften und Erzählungen der Pilger haben ihm, wie ich die Sache begreife, seinen schwachen Geist geradezu gestört und verdreht, er ist ein verrücktes Haupt, ein dummer Mann geworden, und da manche vom Pöbel ihn und seine Verkehrtheit verehren, so spielt er den Begeisterten und Propheten.

Seid Ihr nicht vielleicht unbillig gegen den Mann, fragte die Frau mit Bescheidenheit, der im Ruf der Frömmigkeit steht? Man sagt, Ihr habt oft Streit mit ihm, und, wenn er Euch drückt, so ist es begreiflich und vielleicht verzeihlich, daß Ihr ihn verkennt.

Ihr sollt selbst urteilen, schöne Freundin, sagte der Geistliche mit lachender Miene. In voriger Nacht ließ er mich eilig zu sich berufen. Ungern kleidete ich mich an und ging hinüber. Er war in seinem Schlafgewande und ganz verstört. Schreiend kam er mir entgegen und klagte, daß er gar nicht mehr schlafen könne, allnächtlich werde er von Gespenstern und bösen Geistern gestört und beunruhigt. Er zeigte nach einem dunkeln Winkel der Stube und rief: Seht! Freund! da steht immer noch das große Vieh, und glotzt mich mit seinen grünen Augen an! Vertreibt ihn, beschwört ihn, damit ich Ruhe gewinne.

Ich wußte nicht, ob ich lachen sollte, ich fing aber an, nach seinem Wunsche zu beten und zu beschwören. Eifriger! schrie der Wahnsinnige, der Kerl ist abgehärtet, aus so einfachem ruhigen Gebete macht er sich nichts, der will schon stärker angegriffen sein. – Ehrwürdiger Herr, erwiderte ich, nicht ohne Verlegenheit, Ihr seid einsichtiger, frommer, älter, als ich, wenn Ihr ihn selber bannen wolltet, würde er Eurem stärkern Worte gewiß leichter, als dem meinigen, schwachen, gehorchen. – Nicht unwahr, sagte der Bischof; und wenn ich ihn mit meinen Feueraugen so recht starr anschaue, seht, so zittert die ganze Kreatur, wie der Nebel im Morgenwinde. Das Getier hat aber, wie ich schon lange gemerkt, eine sonderbare Sympathie zu mir, es kommt ebensooft freiwillig, als es wieder von einem mächtigem Geiste, um mich zu turbieren und zu entsetzen, abgesendet ist; denn Ihr müßt wissen, daß der verdammten Bestie wohl in meiner Nähe ist, von meiner heiligen Weihe strömt auf ihn etwas über, und mildert auf Augenblicke seinen unseligen Zustand. Seht, darum wird er auch schwächer und ohnmächtiger durch Eure Gegenwart, denn er kann Euch und Euer etwas weltliches Wesen nicht ausstehen, weil seine Qual durch Euer Nahesein verstärkt wird. Der ganze Kerl wird sich, so bärbeißig er tut, gleich davonmachen müssen, denn Gesellschaft, das sehe ich ihm an, kann er durchaus nicht vertragen. – Nach einigen Gebeten war denn auch wirklich, nach der Aussage des Bischofs, das Ungeheuer verschwunden. Er dankte mir für meine Bemühung und fügte hinzu, es sei auch eine nicht zu verachtende Gabe, daß ich so scharfe, grimmige und witzige Höllengeister, wie die, die ihn quälten, durch eine gewisse Mittelmäßigkeit meines Geistes, durch das Unbedeutende, ja fast Langweilige, was mir anklebe, verscheuchen könne; der Arbeiter im Weinberge müßten eben manche und von verschiedenen Tugenden und Qualitäten sein. Ja, beschloß er, das habe ich schon bemerkt, in Eurer Nähe hält kein Geist aus, weil Ihr das seid und vorstellt, was man geistlos nennt. Dankt dem gütigen Himmel für diese Gabe und wuchert mit Eurem Pfunde.

Catharina lachte laut und sagte dann: Dem guten alten Herrn legt Ihr allerliebste Sachen in den Mund; weil Ihr Scherz liebt und versteht, macht Ihr den lächerlich, der nur ernsthaft sein kann und mag.

Nein, rief der Dechant, eben in seinem steinharten Ernst hat er mir buchstäblich so diese Worte gesagt. Glaubt mir, teure Freundin, man braucht bei manchen Menschen nichts zu erfinden, wenn man von ihnen wiedererzählt, so fern stehn sie mit ihrem Wesen der hergebrachten Möglichkeit. Nachher führte er mich zu einem Sessel, und ich mußte ihm diesen entzaubern helfen. Er erzählte mir, daß, sooft er in diesem sitze und meditiere, steige jedesmal hinter seinem Rücken ein ungeheures, widerliches Fratzengesicht empor, und kucke ihm über die Schultern in sein Buch; er sei oft erschrocken, und habe darüber den Faden seiner Gedanken verloren; manchmal aber habe er lachen müssen, was noch schlimmer sei, denn im Gelächter erlösche alle Frömmigkeit, und das, was die Menschen Lachen nennten, sei eigentlich der bestimmteste Gottesleugner. Seht, werte Frau, so denkt, handelt und träumt dieser sonderbare Mann, den wir wohl zu den Wahnsinnigen rechnen müssen. – Doch, warum soviel von diesem Toren sprechen? Diesen klaren Augen gegenüber? Wenn der Wahnsinn dort in jener finstern Gegend eines willkürlichen Aberglaubens liegt, so ist in diesem Lächeln und liebevollen Blick Freude, Vernunft und die Wahrheit, um die es sich allein der Mühe lohnt, das Leben noch so weiter zu leben.

Ihr seid sehr artig, Herr Dechant, sagte Catharina nicht ohne Verlegenheit; wie sollte man glauben, daß ein Priester auch wie ein Weltmann so überfeine Schmeicheleien und Unwahrheiten einer alternden Witwe vorsagen könnte? Möchte ich Euch doch auch fast für einen bösen Geist halten, der mir erschiene, um mich zu töten, so wie jener Euren Bischof irrte, wenngleich Eure Gestalt nicht so abschreckend ist.

Ihr seid witzig und bitter, sagte der Dechant, und das habe ich nicht um Euch verdient. Ihr sprecht das Wort Priester mit einem besondern Ausdruck. Euch, der Verständigen, brauche ich doch wohl nicht zu sagen, daß alles Abschreckende, Beschränkende, Verweisende und Furchtbare, was ehemals in diesem Laut liegen konnte, jetzt seine Bedeutung verloren hat. Ihr kennt und wißt von den Italienern. Sind sie doch oft genug als Gesandte, Reisende, Geschäftsträger in unserm Lande. Ihr habt so viele Franzosen gesehn, auch von hier sind, wie oft, die vorzüglichsten Männer in Eurem Hause gewesen. Mag der Haufen, der gemeine Mann, der Arme, oder der zünftige Priester, der nichts Höheres kennt als den Zehnten und die Beisteuer, die ihm aus Beichtehören und Messelesen erwächst, am Buchstaben, an der toten Lehre haften, und aus dem Mißverstand den Sinn, aus der kalten Verzweiflung den Trost holen wollen. Wir alle, wir Höherstehenden, wir Begünstigten, wissen, daß das Geheimnis eben ein verriegeltes Tor für jeden ist, der draußen bleibt; daß aber derjenige, welcher den Schlüssel besitzt, in diesen Lehren und Überlieferungen, in diesen Gesetzen und Strafen die Erklärung sieht und faßt, die ihn eines freieren und edleren Lebens würdig und fähig macht. Was der Geweihte in allen Zeiten lehren konnte, er, dem die Binde vom Auge fiel, der sich weder durch Buchstaben noch Gespenst schrecken ließ, das versteht derjenige, der ohne Frage und Antwort zum Bunde hinzugelassen ist. Das Göttliche ist nur darum ein Geheimnis, weil es der Haufe nicht versteht und nicht verstehen kann. Wunder ist alles, oder nichts. Der versteht das Wundervolle nur, der im verschlossenen Busen die Erklärung schon hinzubringt. Gesetz und Schranke dient nur, den Pöbel abzuhalten. Der erkennende Geist, der Erhabne, derjenige, welcher lieset, ohne sich mit den Buchstaben zu quälen, erreicht sogleich, ohne auf Staffeln hinaufzuklettern, die höchste, oberste Stufe. Dasjenige, was in unserer Religion das Göttliche, Wahre, Ewige ist, war schon da, bevor die Menschen noch von Christentum oder Christus wußten. Wir sind nur dadurch Christen, indem wir als Schüler das offenkundig bekennen und aussagen, was ehemals ein Geheimnis war. Das alte Geheimnis, was der Vorzeit unverständlich und ein Greuel war, ist nun nach außen gekehrt, und dafür das, was in frühern Jahrhunderten allverständlich war, wiederum zum Geheimnis geworden. Denn so erzeugt sich immerdar das Verständnis aus dem Unverständlichen. Derjenige aber, der beides verbinden kann und mag, nur er allein ist der wahre Mensch der Natur und der Religion; ihm allein sind alle Zeiten erschlossen, und nur er ist der Freiheit fähig, welche die Apostel in rätselhaften Worten dem wahren Christen verheißen haben. Die Vision mit den reinen und unreinen Tieren deutet darauf hin; der Spruch: dem Reinen ist alles rein, nicht weniger. Aber nur die Auserwählten haben den Mut, das ganze Leben in allen seinen Kräften zu erfassen, und niemals nach Reue, Vorwurf, und allen den Armseligkeiten zurückzublicken, durch welche jene schwachen Geister geängstigt werden, die immerdar der Sünde hingegeben sind, indem sie tugendhaft zu sein wähnen, und nicht wissen, wo sie den ewigen reinen Urquell der Wahrheit suchen sollen.

Ich verstehe Euch und Eure Weisheit nicht, antwortete Catharina; Ihr haltet mich für zu wissend und gelehrt, daß Ihr mir diese Gedanken mitteilt.


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