Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Ach Gott! ach Gott! rief die Alte jetzt, soll man so hohe Herren in meiner Hütte sehen? Ich bitte, bitte, entfernt euch, Hochwürdige, damit ich mich wieder besinnen kann, denn ihr paßt nicht für diese Wände.

Was ist Euch, was ist Euch, Mutter Gertrud? tönte jetzt aus der kleinen Kammer eine matte Stimme. – Der Küster wurde blaß und Gertrud rang die Hände, als sie sah, daß sich der Kanonikus erhob. Bleibt! bleibt! schrie sie ängstlich; laßt die Türe zu, um Gottes willen! Erlaubt mir, daß ich in meinem Hause auch etwas zu befehlen habe, ich bitte demütig.

Der Kanonikus aber hatte die Tür schon geöffnet, sah hinein, und fuhr mit dem Ausdruck zurück: Wie? der Mörder Denis hier? der meinen Neffen umgebracht hat? der Mensch, den die Fürsten so emsig suchen lassen? – Den beherbergt Ihr? – O wunderbarer Tag und höchst wunderbare Entdeckung!

Die Diener kamen mit dem Wundarzt, welcher die Wunden der Alten, die jetzt wieder ohne Bewußtsein war, untersuchte und verband. Der Kanonikus sandte die Diener sogleich wieder nach einer Tragbahre, um den Kranken nach dem Spital zu bringen, der sich erschreckt in seine Kissen verhüllt hatte.

Jetzt kamen die Träger mit der Bahre, und man nahm den Kranken vorsichtig aus dem Bette. Er schloß die Augen, indem er durch das Zimmer getragen wurde; die Alte aber erhob sich weinend und klagend: So wird mir, rief sie aus, mein teuerstes Kleinod so grausam entrissen und geraubt, und von Männern, welche behaupten wollen, daß sie mich achten und lieben! Ach! der Arme! Nun soll er reden, Antwort geben und vielerlei treiben, und kaum hält noch Leib und Seele zusammen. Meine Erquickung und Erbauung, mein Trost geht mit dem Elenden aus meinem Hause, und ich weiß nicht mehr, weshalb ich noch leben soll.

Der Kanonikus trat zu ihr und sagte: Ich gehe jetzt mit jenem Denis, um selber zu sehn, daß er gut behandelt und so verpflegt werde, wie sein Zustand es erfordert. Ihm soll, liebe, fromme Frau, kein Unrecht geschehen, und ich will, wenn es nötig ist, selber sein Verteidiger werden, obgleich er mich am schmerzlichsten gekränkt hat.

Er ging mit den Trägern und Dienern fort; der Wundarzt, welcher jetzt mit dem Verbande fertig war, entfernte sich ebenfalls, mit der Erklärung, daß er am Abend wiederkommen wolle.

Der Dechant setzte sich jetzt zu der Kranken, faßte ihre zitternde Hand und sagte: Ich irre mich nicht, gute Frau Gertrud, dieser Schreck und diese Wunde haben Euch so erschüttert, daß Ihr aufgereizt und in krampfhaftem Zustande Euch befindet. Sammelt Euch wieder, daß Ihr gesund werdet, beruhigt Euch und faßt darin einen Trost, daß viele rechtschaffene Männer der Stadt, viele Geistliche und fromme Menschen Eure Aufopferung und Tugend anerkennen. Lebt in der Stadt, in unserer Nähe, so seid Ihr auf immer den Mißhandlungen eines rohen Pöbels entzogen.

Nein! nein! rief sie aus, ihr könnt mich nicht beschwatzen, lieber vornehmer Herr Dechant. Ich bin jung gewesen und habe in der Welt gelebt; auch war ich nicht immer so arm, wie Ihr mich jetzt seht. Kein Vertrauen auf die Vornehmen, keine Freundschaft mit den Reichen! – Die Liebe Gottes kennen sie nicht, Mitleid und Erbarmen sind ihnen fremd; Eigennutz ist ihr Kopfkissen, Grausamkeit ist ihr Bett. Was soll ich unter diesen? Ich habe nicht vor dreißig Jahren schon diesen Zustand gewählt, habe nicht damals alles fortgegeben, und befinde mich seit so langer Zeit wohl und glücklich, um unter Eure billige, kluge, verständige Menschen wieder zurückzugehn, die für jede Schande und jede Mißhandlung eine scheinbare Ausrede haben. Seit ich die Bettler kenne, kenne ich die Herzen, welche mein Heiland angerührt hat. – Aber wahr ist es, ich bin tief, tief erschüttert. Seit mein Kleinod aus der Hütte fortgeschleppt ist, sehe ich keinen Trost für mich. Und die Jungen auf der Straße haben darin recht, daß diese Ziege gewiß ein böser Geist oder ein Kobold ist, der den Armen verraten und mir das Unglück zugezogen hat. – Küster, lieber Freund, laßt das böse Tier gleich nachher abholen, denn ich kann es nicht mehr vor Augen sehen.

Ihr glaubt nicht, fuhr der Dechant fort, daß Euer Zustand mich rührt, daß ich Euch meine Liebe beweisen möchte. Ihr seid zu eigensinnig und halsstarrig, und Euer Sinn weist meine Freundschaft zurück! Ist das fromm und christlich? Ist es recht?

Herr Dechant, sagte die Alte, Eure Zunge ist weich und Eure Stimme sanft. Mein Geist treibt mich an, ich möchte und sollte Vertrauen zu Euch fassen, aber dann stößt es mich wieder von Euch zurück, Eure Miene, Eure Augen – das Herz zieht sich zusammen, und ich möchte weinen und verzweifeln.

Ihr seid im Fieber, sagte der Dechant, und Arznei muß Euch vorerst helfen.

Ja! ja! rief sie mit verzerrtem Antlitz und fast lachend, Krankheit, Wahnsinn ist Euch Menschen alles, was nicht mit Euren feinen Rechnungen stimmt. Seit ich mich mit meinem ganzen Herzen zum Heiland gewendet habe, wollte ich mit dieser gepriesenen Vernunft nichts mehr zu schaffen haben. Beten, Mitleid bedürfen und Mitleid üben, hungern und den Hungernden trösten ist seitdem mein Handwerk gewesen; Ihr, Hochverständiger, macht so viele Ausnahmen, Ihr findet stündlich, der und jener habe sein Unglück verdient, als wenn Ihr selbst schon der Richter wäret der Lebendigen und der Toten. – Ja! ja! Ihr habt recht das Antlitz, Herr Dechant, als möchtet Ihr gern Menschen zu Qualen verdammen! O weh! Euer feuriges, kluges Auge schneidet mir durch die Seele! – Ach! Ihr werdet mich und andre quälen! Nein, Ihr liebt mich nicht! Es steht ein dunkler, scharfer Geist hinter Euch, der es nicht leidet, daß Ihr Euer Herz zu einem so armen, alten, häßlichen Weibsbilde wendet. Ja, ja, wie ich sagte, Ihr auch seid grausam, Ihr habt Freude an der Qual, und die Liebe Gottes ist nicht in Euch! Weh dem Tage und der Stunde, da so vornehme Besuche in meine Hütte gekommen sind!

Der Dechant sah den Küster mit einem ungewissen, fragenden Blicke an, und dieser, welcher sich zurückgezogen hatte und am Fenster stand, sagte: Sie ist krank, ehrwürdiger Herr, wie Ihr selber bemerkt habt, sie weiß eigentlich nicht mehr, was sie spricht, und darum könnt Ihr auch der Armen nichts zum Übeln deuten.

Daß sie meine Freundin ist, werde ich ihr beweisen, antwortete der Dechant, so wenig sie auch geneigt scheint, meinen Worten Glauben beizumessen.

Er gab der Alten die Hand und entfernte sich nachdenkend, indem er in der Tür noch sagte: Freund Wundrich, vergeßt es nicht, heut abend noch zu mir zu kommen.

Die Alte sah dem Scheidenden mit einem scharfen Blicke lange nach und sagte dann, indem sie sich wieder aufrichtete: Ich bin ganz gesund, der Dechant versteht sich auf Krankheit nicht besser wie auf Christentum. Ja, ja, er mag sich nur vorsehen, daß er mit seinem anscheinend guten Willen nicht mein Übeltäter wird. Sein Verstand ist auch nicht einer der hellsten und dauerhaftesten; weltlich ja, aber nach dem Überirdischen reicht sein brauner, feuriger Blick nicht, den hat er zu tief in die Glut der Leidenschaft getaucht. Wenn man ihm recht ins Auge schaut, so versteht man wohl, was die Geister zu bedeuten haben, die die Gestalten der Engel des Lichtes annehmen können. Das ist nun schon Dechant und des Bischofs rechte Hand, das denkt natürlich darauf, auch Bischof zu werden. Das Unglück von diesem, das Leiden von jenem, der Sturz eines dritten, die Zurücksetzung eines vierten, das Wohlgefallen der Vorgesetzten, Schmeichelei dem Mächtigen, nicht widersprechen dem Herrscher, dem Fürsten sich gefällig machen, den Bürger freundlich grüßen, bei den Brüdern für gelehrt und weise gelten, das sind die Staffeln der Leiter, auf welcher diese Menschlein hoch und höher steigen. So war aber die Leiter nicht, von welcher Jakob im Traum die Engel herniedersteigen sah. Jene Staffeln waren Demut, Geduld, Liebe, Freundschaft und Dienstbarkeit. Wehe dem, der noch mit der Welt sich will zu schaffen machen, und doch Christo angehören. Niemand kann zweien Herren dienen. Jawohl!

Wundrich sagte: Alte, liebe Freundin, ich kenne Euch gar nicht wieder. Wo ist die Geduld von ehemals, die stille, einfache Demut, jene Einfalt, mit der Ihr Euch von allen heftigen Gedanken und Leidenschaften abwendetet? Tut nicht andern unrecht, damit Ihr nicht das größte Unrecht gegen Euch selbst verübt.

Ihr habt recht, guter Küster, erwiderte sie heftig, ich fühl' es, ich bin bezaubert, und die böse Ziege hat es mir angetan, die Ihr mir auch gleich, das Zauber-Untier, aus dem Hause schaffen müßt. Ich sehe nichts als Elend und Qual. Wohin ich die Augen meiner Seele richte, nur Unruh und Verwirrung, und die ganze Stadt im Aufruhr. Das Böse wächst und wächst, bis es alle guten Kräfte überschüttet, und Wahnwitz sitzt am Steuerruder, um in Tod und Verderben hineinzufahren. Das Auge der Vorsehung ist verschwunden, und dunkelschwarze Wolken ziehn sich vor des Himmels freundliche Güte. Ich bin nicht mehr die ich bin, und der Dechant weicht und wankt nicht, mir selbst mein eignes Wesen abzustreiten. Ihr, Küster, seid auch nicht mehr, wie Ihr wart, oder meine Seele erkennt Euch nicht mehr. Alles steht schief und krumm, und wie ich einfältig war, so wächst der Stolz der Jugend meiner christlichen Demut wieder über den Kopf.

Alte, liebe Freundin, sagt Wundrich, ergebt Euch nur nicht diesem Schwärmen. Es scheint wirklich, daß Euch die Sinnen aus den Fugen geraten sind, denn Ihr sprecht nicht ausbündig klug. Indessen erholt sich auch die Vernunft bei mir manchmal, und macht ein solches Wurstgemengsel von verschiedenen Gedanken, das, wenn nur der Pfeffer nicht darin gespart ist, sich immer ohne Nachteil genießen läßt, denn die einfache Kost des alltäglichen Verstandes mundet nachher um so besser. Die Ziege, den ungezogenen Schüler, will ich abholen lassen, denn wenn Ihr der Kreatur die Freundschaft aufgesagt habt, so ist unter Euch doch kein rechtschaffener Umgang mehr möglich. Lebt wohl und besinnt Euch, altes liebes Wesen, denn Ihr seid verständig, wenn Ihr nur Wollt, so sehr Ihr auch heut auf den Kopf gefallen seid.

Lebt wohl, rief sie ihm nach; werdet Ihr mich denn auch wohl in meiner neuen Wohnung besuchen?

Wo wollt Ihr denn hin, fragte der Küster, indem er schon in der Türe stillstand.

Ich sehe sie nur, faselte sie, weiß aber nicht, wo sie liegt, sie ist aber noch finsterer, als diese, noch unfreundlicher, aber viel Elende sind in der Nähe, auch hoffärtige, wandelnde, frech umschauende Leichen. Ja, wir sind alle zu einer seltsamen Hochzeit eingeladen, und die Kerzen und Fackeln brennen hell, das gibt ein Jauchzen und ein Zetergeschrei, und keiner kennt den andern.

Wundrich schüttelte sein greises Haupt, und entfernte sich mit dem Vorsatze, den Arzt zu senden, und sonst auf Hülfe für die Arme zu denken, die er seit so manchem Jahre gekannt und geliebt hatte.

Indem die Frau Catharina Denisel die Erfahrungen überdachte, welche sie seit kurzem gemacht hatte, überschlich sie das Gefühl, daß sie an sich selbst und an denen, die sie am innigsten sich verwandt wähnte, von neuem irre wurde. Die Ruhe des Herzens, die sie errungen hatte, war ihr wieder verloren gegangen, und es war ihr peinlich, alle die Gedanken und Gefühle wieder durchkämpfen zu müssen, mit welchen sie glaubte, schon seit lange Frieden geschlossen zu haben.

Als sich daher wieder eine zahlreiche Gesellschaft in ihrem Garten versammelt hatte, konnte sie die Heiterkeit nicht finden, die man sonst an ihr gewohnt war. Der Dechant war zugegen und Friedrich, die Muhmen waren heiter und sangen. Während der Musik benutzte der Dechant einen Augenblick, als Catharina aufgestanden war, um mit ihr in den Raum eines Fensters zu treten. Ihr habt mir, schöne Frau, begann er, nicht erlaubt, Euch früher zu sehen und allein zu sprechen, ich muß daher jetzt diese Gelegenheit ergreifen, in welcher wir weniger beobachtet werden. Könnt Ihr nicht vergessen und vergeben, was ich Euch neulich im Vertrauen gesagt habe, so kann ich ebensowenig meine Leidenschaft aufgeben. Aber warum sollen wir miteinander grollen und schmollen? Wozu den Leuten ein Schauspiel geben und unnütz Geschwätz veranlassen? Bezwingt Euer Herz, und stellt Euch mir wieder so unbefangen, wie ehemals, gegenüber.


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