Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Und wandelt doch, sagte der Dechant lebhaft, seit Jahren in unsere Mitte nach dieser Einsicht, befolgt doch in Eurem Dasein und Walten diese Lehren. Ich habe Euch deshalb seit lange bewundert; diese Stärke des Charakters, diese Freiheit der Gesinnung ist es, die Euch mein Herz gewonnen haben. Ja, geliebte Frau, verstehen wir uns ganz, sprechen wir ganz offen miteinander, damit wir uns kennen und uns gegenseitig glücklich machen. Seit lange schon, so wie ich Euch kannte und beobachtete, habt Ihr mein Gemüt entzündet, alle meine Gefühle erregt, und die leidenschaftlichste Liebe hat sich meines ganzen Wesens bemächtigt. Mein Stand, mein Gelübde, alte Satzungen und Vorurteile, der Aberglaube und die Unvernunft haben mich, wenn ich mich allem diesen fügen will, auf immer elend gemacht und mein Dasein vergiftet. Genuß und Schönheit, Natur und Wahrheit, Kunst und Einsicht werden mir zum Fluch, wenn ich mich diesen Einrichtungen einer längst rasend gewordenen Welt fügen will. Wohin ich blicke, hat sich der denkende Priester, der Papst auf seinem Thron, der Bischof, sowie der einsame Mönch, alle haben sich diesen strengen Satzungen entzogen. Wir selber müssen jene witzigen Geschichten und anstößige Begebenheit belachen, welche von Priestern erzählt werden, und deren Wahrheit wir nicht leugnen können. Derjenige, der in der echten, alt strengen Furcht Gottes, in der Beobachtung jener Gesetze wandelt, die heilige Männer mit verfinsterten Sinnen vorschrieben, bleibt ehrwürdig und groß, wenn er kämpft und siegt; immer ist es erhebend, wenn das Sterbliche dem Unsterblichen (wie die Menschen denn nun einmal diese Trennung gemacht haben) geopfert wird. Alles in der Welt ist wahr, und alles unwahr; der Denkende und der Grübler sind eben diejenigen, die am meisten in die Irre geraten werden. Schon in den frühesten Zeiten, und bei Ägyptern wie Persern, meinte der Priesterstand, er müsse durch vorgegebene Entfernung von aller Freude, von allem Glück und Genuß, der das Leben der Sterblichen erhöht und ihm Inhalt gibt, das Volk blenden und in Unterwürfigkeit erhalten. Aber auch Vernunft beherrscht die Unvernunft, auch der Schein vertritt die Wirklichkeit, und feiner Anstand, Freundlichkeit und Weltklugheit entwaffnen den rohen Haufen. Man verletze nur nicht den Schein, man fordre das öffentliche Urteil nur nicht heraus, und man herrscht noch sicherer als jener finstere Ernst, der mit seinen Schrecknissen doch manchmal nicht auslangt. Das ist die Kunst des Lebens, alles miteinander auszugleichen, und diese große Kunst ist es, die ich an Euch immer habe bewundern müssen. Denn ebenso, ja schlimmer noch, wird Euer Geschlecht, die Frau sowie das Mädchen, von Vorurteilen und Aberglauben umgarnt und umstellt. Argwohn, Eifersucht, Lästerung stehen Wache, und senden die Bosheit, wie eine verzehrende Flamme, durch die Welt, um Spott und Schmach, Verfolgung, Schande, ja Einkerkerung und Tod, auf jene herabzuziehen, die die Satzung verletzten und dem Triebe des Herzens oder der Natur folgten, oder die selbst ganz unschuldig sich nur der Heiterkeit, dem Scherz und Lachen auf Stunden hingaben. Wie ist die Welt durch jenen finstern Ernst entstellt, der in allen Wandlungen als Gesetz, Moral, Sitte und Religion auftreten will. Wie hat er die natürlichsten Verhältnisse zerrissen, alle Freuden vernichtet, das Schöne entwürdiget und die Natur selbst in ein Gespenst verwandelt. Das sind in solcher Irrsaal die wahren Menschen, die sich auch beim Pöbel nichts vergeben, und dennoch sich und ihrer wahren, ungefälschten Bestimmung leben; die nicht von blinder Leidenschaft hingerissen, Unglück in Familien verbreiten, gute, wahre Ehen verderben, deren es freilich nicht so gar viele gibt, und dadurch, indem sie Elend veranlassen, jenen finstern Gesetzgebern, den wahnsinnigen Asketen und Einsiedlern, wieder in die Hände arbeiten, die uns immerdar predigen, die Freiheit sei das Böse an sich selbst, und der Mensch sei nur um so besser, frommer und tugendhafter, je mehr er eiserne und unzerbrechliche Schranken um sich ziehe. Ihr seid ein Muster Eures Geschlechtes, und beweiset uns, daß auch Weiber Philosophen sein können. Ihr benutzt Eure Stellung um Euch selbst und das Leben auf die feinste und freieste Art zu entwickeln und zu genießen. Jung und alt umgibt Euch, Dichter und Künstler, Mädchen und Frauen entziehen sich Eurem Umgange nicht, der vornehme Ritter, der stille Bürger, der Geistliche achtet Euch, und immer habt Ihr einen Günstling, einen jungen und ältern Mann, der diese Auszeichnung verdient. Ihr verachtet die Lästerung und wißt sie zu zähmen, sie wird niemals Frechheit und Anklage. Sei Liebe eine himmlische Entzückung, sei die wahre Ehe eine heilige Einrichtung, immer werden sich edle Menschen finden, die von einer einzigen, ewigen Liebe, die von einer Verbindung, die Gesetz und Kirche weiht, nicht befriedigt werden können. Ihr gehört zu diesen Frauen, und Ihr seid mir darum nur noch liebenswürdiger. Und in diesem Sinne wage ich nicht zu viel, da ich weiß, daß Ihr mir nicht unhold seid, Euch meine Liebe und Leidenschaft für Euch zu bekennen. Glaubt nicht, daß mein Gefühl, oder mein Glück, wenn Ihr mir holdselig entgegenkommt, mich roh und unfreundlich machen wird. Wie könnte ich verlangen, daß Ihr für mich allein Augen und Sinn haben solltet? daß Euch nicht andere, Jüngere und Schönere auch gefielen? Noch weniger fällt mir ein, Euer Verhältnis mit Friedrich, das Euch zu beglücken scheint, aufzulösen. Aber auch mir könnt ihr Freundlichkeit, Gunst und Liebe zuwenden, und mein stilles, unbekanntes Glück soll Euch nichts rauben, und keinen Seufzer um ein verlornes kosten. Aber noch inniger werden wir uns dann verstehn, und durch mein Verhältnis zur Kirche und zur Welt ist Eure Stellung noch sicherer und fester. Gehört Friedrich zu jenen Schwachen, die nur an eine ausschließende Liebe glauben können, die den verehrten Gegenstand wie einen Besitz, wie ein Eigentum behandeln wollen, so sind wir klug und erfahren genug, ihm unsre Verbindung verhüllen zu können.

Während dieser langen Rede war die überraschte Frau ganz in sich und in die Worte des Dechanten versunken; sie war erschreckt und erschüttert, und gewann erst wieder die Gewalt über sich, als sie sich in den Armen des Dechanten sah, und einen brennenden Kuß seines Mundes auf ihren Lippen fühlte.

Sie stand auf, ganz mit Röte übergossen, sah sich um, und bemerkte, daß die Dienerinnen sich entfernt hatten. Sie ging durch den Saal, und drückte den Arm des Geistlichen von sich, der sie in vertraulicher Umschlingung begleiten wollte. Ich sehe Euch erschüttert, sagte er endlich, und das ist, was ich am wenigsten erwarten konnte.

Wie? rief Catharina, so wenig habt Ihr mich gekannt? O über die klägliche Bestimmung des Weibes! Sind wir nicht ganz wie alte Basen und Muhmen, ganz eingewickelt in Herkommen und in trübe Langeweile des Hauswesens, so meint jeder, wir sind auch als freie Beute jedem Gelüste preisgegeben. Daß der Pöbel von mir so denkt, habe ich verachten können; daß aber diejenigen, die sich meine Freunde nennen, mich nicht achten und verstehn, muß mich innigst kränken. Ja, tief schmerzen muß es mich, mich selbst, mein Geschlecht und die Natur muß ich verachten, daß ein Mann, der mir würdig dünkte, den ich mir befreundet wähnte, mir diese Worte sagen, diese Vorschläge einreden darf. Es ist denn doch ein Zeichen, daß in allen, allen Männern eine tiefe unvertilgbare Verachtung der Weiber und ihrer Bestimmung wohnt, die manche nur, wenn sie sich für verliebt ausgeben, leicht mit Phrasen und süßen, eigenliebigen Gefühlen verhüllen. Durch meine Jahre glaubte ich endlich vor aller dieser Mißhandlung, die die Männer immerdar an der Schönheit ausüben, die sie anzubeten wähnen, gesichert zu sein; ich folgte meinen unschuldigen Launen, ich ergötzte mich am Geiste und an der Reife der Männer; ich hatte mit meinem Leben und allen Hoffnungen abgeschlossen; mein Gefühl und mein Herz wahrte ich und trug meine Leiden nicht zur Schau, um die Heiterkeit der Gesellschaft nicht zu stören, und diese Opfer wie Mitteilungen ziehen es mir zu, daß ich verkannt und erniedrigt werde. Ihr sprecht von der Freiheit, als dem edelsten Besitz des Geistes, und nehmt doch schon ohne Frage an, das Weib könne nur ein Genuß, ein Zeitvertreib sein, geadelt genug, wenn sie Euren Sinnen Befriedigung gewährt. Daß sie auch in der Liebe selbst ein Opfer bringt, daß sie auch im süßesten Einverständnis fürchten muß, im Herzen, das ihr ganz ergeben, möchte jenes Gefühl der Verachtung erwachen, welches sie und ihr ganzes Geschlecht erniedrigt, daß sie also immerdar, auch angebetet, auch beglückt, immerdar an jenem Abgrund steht, der sie und die Liebe in jedem Augenblick verschlingen kann, das ist Euch in Eurer tyrannischen Männersicherheit noch niemals eingefallen. Ja, jener Fluch, den die erste Mutter des Menschengeschlechtes empfing, ist keine bloße Sage, die bittre Wahrheit, die täglich, stündlich jedem fühlenden Herzen in Erfüllung geht. Ich muß glauben, daß auch in der wahren, edlen Liebe des besten Mannes, in seiner Schwärmerei und Begeisterung, diese Verachtung unsers Geschlechtes, diese unbewußte Verhöhnung des Edelsten in uns, einen Teil seiner Schwärmerei ausmachen muß.

Wie Ihr es nun nehmt, deutet und nennt, rief der Dechant sehr bewegt: mit andern Worten, Ihr seid Weiber und wir sind Männer; um dieses klare Geheimnis, um dieses Rätsel, welches keiner Lösung bedarf, dreht sich alles. Das einfache, ungetrübte Naturgefühl weiß von diesem Schmerz und dieser Grübelei nicht, es nimmt selbst den Scherz und alle Empfindungen, die Ihr krampfhaft aufgeregt Verachtung nennt, leicht und heiter auf. Sei alles, was Euch schmachvoll dünkt, nun auch Naturnotwendigkeit; aber warum Fluch? Alles, was lebt, hat seine Schranken, und lebt nur in diesen; alles, was Ihr ersinnt und denkt, könnt Ihr Euch nur in Bedingung, in Beschränkung denken; das Unbedingte, Schrankenlose ist ein Nichts. In diese Bedingung sich heiter fügen, sogar den Vorteil dieser Schranken verstehn, ist die Aufgabe des Lebens, und die Liebe, wie Ihr auch widerstreiten mögt, gleicht alle diese Widersprüche und Kämpfe am schönsten aus. Wer von den Sinnen und der Sinnlichkeit geringe denken will, der muß auch alle Kunst und Poesie verdammen, und warum soll ihm der Schmuck der Natur und die Farbe der Blumen, der Wohllaut der Musik und alle Schöpfung irgend etwas sein? Schlimm, verehrte Frau, daß gerade das, was ich an Euch hochschätzen mir Euren tiefsten Unwillen zuzieht, indem Ihr es das Verwerfliche, Sündliche nennt.

Wir wollen nicht streiten, sagte sie, denn wir verstehen uns nicht. Aber glaubt mir, ein Verhältnis, wie Ihr es annehmt, hat zwischen mir und Friedrich nie stattgefunden, und kann auch niemals eintreten. Was mir das Leben noch sein kann, die Freuden, die mir noch blühen, sind nicht aus jenem Garten, in welchem mit Euch zu wandeln Ihr mich zwingen wollt. Friedrich ist mein Freund, ebenso, wie Ihr es waret; mein Umgang mit ihm, mein Vertrauen zu ihm war nicht anders, als zu manchem, den ich in meinem Hause gesehen habe, seitdem ich Witwe bin.

Der Dechant sah die Frau mit scharfen Augen an, indem beide still sich gegenüberstanden. Wenn es wahr ist, sagte er dann, wodurch Ihr nicht im mindesten in meiner Achtung steigen würdet, – wozu dann dieser ausgewählte Anzug? Diese Farben, von denen Ihr so genau wißt, wie sie Euch kleiden? Dieser Schmuck um Haupt und Brust? Warum muß diese so reizend, so verräterisch sich blähen, nur halb verhüllt sein, um mit dem Elfenbein der blendenden Schultern zu wetteifern? Warum denn dieser feine, goldverzierte Schuh? Dieser blinkende Gürtel, der so schön Euren edlen und vollen Wuchs bezeichnet? Warum wollt Ihr in jedem, der Auge und Sinne hat, diese Trunkenheit erregen, und sie niemals, wie die tödlichen Sirenen, befriedigen?

Catharina weinte. Was ist Euch? fragte der Dechant erschrocken. Nun ja, sagte sie, so ziemt es sich, so muß es sein, daß derjenige, der am Mißverstehen seine Freude hat, alles mißverstehen muß. Wie die Rose sich bei der Sommerwärme entfalten muß, und schön und immer schöner blühen, bis sie am Sonnenstrahl verblaßt und bald nachher in Staub zerfällt, ebenso in Unschuld wird das Weib sich durch Schmuck, Putz, Zier und Sauberkeit verschönen. Sie will freilich gefallen, sie will es, ohne es sich vorzusetzen oder darüber zu denken. Jene Schroffgesinnten, die mit Bedacht der Zier aus dem Wege gehen, und sich in verwilderter Nachlässigkeit selbst verhäßlichen, sind keine Weiber, und ihrer gibt es nur wenige. Euer Wort erinnert mich, wie bald es mir geziemen wird, vielleicht sollte es jetzt schon geschehen, mich in die Gewänder zu verhüllen, die dem Alter wohl anstehen.


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