Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Ein junger Mensch, Caspar, ein Verwandter des Gastwirtes Josset, trat jetzt herein und sagte: Denkt euch, meine Herren, die seltsame Geschichte! In seinem Gefängnisse hat sich der alte Maler Labitte mit einem Federmesser die Zunge abgeschnitten. Es ist ihm zwar nicht ganz gelungen, aber er ist doch so verwundet, daß er kein Wort sprechen kann.

Alle waren betrübt, und in seinem Mitleid sagte Carrieux auf seine zornige Weise: Im Glück und Unglück bleibt der Labitte ein alter Esel. Mit Recht nennen sie ihn den blödsinnigen Abt. Einfältiges Menschenkind. Er bildet sich nun ein, er kann und braucht in den Verhören nichts zu beantworten, er kann nun nichts gestehn, weder von sich noch von andern. So sehr hat ihm die Angst alle Besinnung genommen, daß er vergißt, wie er doch schreiben kann, und wie sie ihn dazu schon anhalten werden.

Freund Carrieux, sagte Schakepeh mit einem so weichen Ton, daß es schien, er müsse gewaltsam seine Tränen zurückhalten, ihr seid selbst heut am Tage ein wenig einfältig. Der gute Alte, einer meiner liebsten Freunde, einer der edelsten Menschen, die ich je gekannt habe, in seiner Todesangst hat er nicht so ganz den Verstand verloren, wie Ihr es glaubt. Er hat sich die Sprache geraubt, um den Elenden nicht auf der Folter antworten zu dürfen; mit dieser müssen sie ihn doch mindestens verschonen, wenn er ihnen schriftlich Antwort geben soll. O der kläglichen Zeit, wenn unbescholtene, tugendhafte Bürger auf dergleichen List und Auskunft verfallen müssen, um nur ihre Glieder zu retten, daß sie ihnen nicht unter unduldbaren Qualen zerrissen werden.

Beaufort, der plötzlich an seinen Sohn denken mußte, hielt die stürzenden Tränen nicht zurück. Er umarmte den alten Schakepeh heftig und eilte nach Hause, um sich ungestört seinem Schmerz zu überlassen.

Schakepeh nahm von den Bürgern Abschied, indem er sagte: vielleicht habt ihr recht, und alles fügt sich zum Guten. Daß wir aber dergleichen hoffen, daß wir es ein Glück nennen müssen, von solchem Unsinn erlöst zu werden, ist schon Elend genug. Mein armer, liebevoller Labitte! Dieser Freund, so ganz Kindertraum, Wohlwollen, Spiel und Tiefsinn. O, er lernt im Greisenalter das Leben noch von einer schlimmen Seite kennen. Und wer schützt uns, die wir uns alle seine Freunde nannten? – Hofft ihr auf den Grafen Etampes und sein verständiges Wirken; es gehe euch wohl. Ich denke dessen wohl entübrigt zu sein, wenn ich gleich bei meinem Entschlusse viel einbüßen sollte.

Was habt Ihr vor? fragte Josset.

Nichts Besonderes, erwiderte Schakepeh, ihr werdet es schon erfahren. Mit diesen Worten verließ er die Freunde.

Als er in sein großes, schönes Haus trat, sah er die Säulen, Türme, den Altan, die breite Treppe und die großen Zimmer, allen kostbaren Hausrat und seine Kleinodien eins nach dem andern genau an, schüttelte bedenklich den Kopf und warf sich dann gewaltsam in eine heitere Laune, die ihm sonst so natürlich war. Bei Tische erzählte er fröhliche Dinge, um seine Tochter, die schöne Sophie, zu zerstreuen, die um Friedrich, Labitte und Frau Catharina viel am Morgen geweint hatte. – Nach Tische nahm er ihre Hand und sagte: Ja, Kindchen, das war mein Lieblingsprojekt, wie ich es auch niemals verschwiegen habe, dich mit diesem Friedrich Beaufort zu verehlichen. Sein Vater schien auch damit einverstanden, und es fehlte nur noch an dem jungen Menschen, der keiner Neigung zu einem hübschen Mädchen fähig schien. Sieh, mein kleiner Engel, dich hat er freilich bezaubert, das hast du dir auch merken lassen, und ich habe es längst bemerkt. Dafür haben sie ihn nun auch zur Strafe als Hexenmeister festgesetzt. Dort, im Gefängnisse, wird er in sich gehn, seine schwarze Kunst ablegen, und du kannst unterdes ein wenig zaubern lernen. Lassen sie ihn dann wieder aus seinem Loche an das Tageslicht, so übst du deine kleinen Künste an ihm aus, und es wird zu meiner Freude doch wohl noch ein Paar aus euch. Weil aber hier bei uns in Arras das Zaubern, wie du siehst, so strenge verboten ist: wie wär's, wenn du dich zu deiner Muhme nach Paris aufmachtest, die du schon so lange hast besuchen wollen? Grüße sie von mir, und laß dich dort im Hexen unterrichten, du kleiner, zarter Engel.

Er küßte sie gerührt, und das erstaunte Mädchen sagte: Wie Ihr es befehlt, mein Vater, obgleich ich auf diese Reise gar nicht vorbereitet bin. Wenn reise ich?

Jetzt gleich, sagte Schakepeh; ich habe den Wagen schon einrichten lassen, die Pferde sind auch schon vorgespannt, sichre Leute und Diener werden dich begleiten.

Mein Vater, sagte Sophie bestürzt, gleich jetzt? Wie ist das möglich?

Ich folge dir bald nach, sagte der Vater; in wenigen Tagen siehst du mich auch dort in Paris, sobald ich nur meine notwendigsten Geschäfte geordnet habe.

Also keine Trennung? sagte Sophie. – Nein, mein Kind, erwiderte der Vater, indem er seine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte; lange möchte ich dich nicht aus meinen Armen lassen.

Sie stiegen die Treppe hinab, und das Kind verwunderte sich, den Reisewagen, unter dessen aufgespannter Leinwand sie sitzen sollte, mit so vielen Sachen bepackt zu sehen. Sie erfuhr, daß alle ihre Kleider und Wäsche, vorzüglich aber alle ihre Kleinodien, goldnes Geschirr und eine große Summe in Gold und Silber, sich in den Kasten befand, die dem Wagen aufgeladen waren. Alles dies, sagte der Vater, gibst du in Paris in die treuen Hände deines Oheims, meines lieben, verständigen Bruders, der dir so deine Mitgift bewahren wird. Ich hoffe noch in wenigen Tagen eine große Summe mit mir zu bringen. Nun, Herzchen, sieh dir noch einmal Haus, Zimmer, die Schränke und Spiegel an, falls dies das letztemal wäre, daß sie dir als dein Eigentum vor Augen ständen.

Lieber Vater, sagte sie zitternd, Ihr sprecht so rätselhaft. Wollt Ihr alles verkaufen? Wollt Ihr von hier wegziehen? Wollt Ihr in Paris Euren Handel fortsetzen?

Kann sein, kann nicht sein, antwortete der Vater; es ist ja auch möglich, daß man mir das Haus und alles drin und draußen abkaufen will, ohne es mir zu bezahlen. Kann nicht ein Erdbeben alles verschlingen? Ein Brand? Man muß sich für alle Fälle vorsehen.

Weinend fiel die geängstete Sophie dem Vater um den Hals. Er tröstete und beruhigte sie, rief die bewaffneten Diener herbei und sagte ihnen nochmals, wie die Reise gehen und wo sie Halt machen, die Nacht ausruhen und nirgend länger verweilen sollten, als es, um die Pferde ruhen zu lassen, notwendig sei. Für jede Stadt gab er ihnen Briefe mit, an Handelsfreunde, und so fanden sie auch bei diesen an jedem Tage frische Pferde. Sowie sie auf das Gebiet Frankreichs kämen, durften sie verweilen, und die dem Hause verbündeten Kaufleute sicherten ihnen, wie Schakepeh wußte, einen ruhigen und sichern Aufenthalt. Mit Freuden sah der Alte seine Tochter wegfahren, denn mit ihrer Entfernung war ihm die größte Angst vom Herzen gewälzt. Ruhiger wollte er in sein Haus zurückgehen, als ihn ein sonderbarer Anblick noch auf der Straße festhielt.

Es ritten bewaffnete Wächter daher, die den jungen Köstein in ihrer Mitte führten. Er saß auf einem schlechten Pferde, das ohne allen Schmuck war, er selbst trug nur geringe Kleidung, sein Antlitz war traurig und seine Haltung ohne Stolz. Schakepeh sah wohl aus diesen Anzeichen, daß er als Gefangener zurückkam, und die Gunst seines großen Herzogs ihn vor dieser Demütigung nicht hatte schützen können.

Der Bürger näherte sich dem Gefangenen, der sein Pferd anhielt, und sagte: Freund, Ihr kommt schneller wieder, als wir denken konnten. Was ist Euch begegnet?

Meine Feinde, sagte Köstein, haben für einen Augenblick den Sieg davongetragen. Aber in wenigen Tagen wird meine Ehre von neuem glänzen; mein großer Beschützer und Freund, der Graf Etampes, ist unterwegs und wird mir die vollkommenste Rechtfertigung verschaffen.

Ich wünsche Euch das beste Glück, sagte Schakepeh, indem er ihm die Hand reichte. Köstein ritt weiter, nach dem Hause, das ihm vorläufig war angewiesen worden, um dort bewacht zu werden. Schakepeh wendete sich an den letzten Wächter mit der Frage, warum der Ritter so behandelt werde. Ich verstehe die Sache nicht weiter, antwortete dieser, aber ernsthaft ist sie; denn auf Veranlassung des kranken Denis ist der Prinz, der Graf Charolais, selbst als Kläger gegen den Ritter aufgetreten, und beschuldigt ihn des Hochverrats. Der Erbprinz wird auch, sagt man, hieher kommen, vielleicht sogar der Herzog.

O weh! sagte Schakepeh, du armer Köstein! Deine Laufbahn scheint mir schon geendigt. Gegen so hohe Klagen wirst du dich schwerlich rechtfertigen können. Der Prinz selbst dein Gegner? dem dich der Herzog schon preisgegeben hat? Wer wird sich nun noch deiner annehmen wollen?

Er ging zum Kanonikus Melchior, um ihm diese Nachricht mitzuteilen. Der Kanonikus hatte die Sache schon erfahren und war in Angst. Hätten wir doch, rief er aus, diesen unglückseligen Denis bei der alten Gertrud gelassen, wo er vielleicht stillschweigend gestorben wäre, oder wenigstens nicht diese ungeheure Anklage gegen meinen Vetter erhoben hätte. Denn er tut es, um sich zu retten und seinen Mord zu rechtfertigen. So bricht denn Elend von allen Seiten herein. Und ich muß fürchten, daß meine Verwandtschaft mit Köstein mich auch in die unglückselige Sache verwickelt.

Labitte hatte indessen in seinem Gefängnisse, in trostloser Verzweiflung und alles Rates entblößt, folgendes seltsame Bekenntnis aufgeschrieben, welches die Verwirrung seiner Sinne für den Verständigen am deutlichsten bekundete.

So soll ich denn, Ihr geistlichen Väter, schriftlich meine Bosheiten gestehen, weil ich nicht sprechen kann, und mir durch eigne Schuld das Maul gestopft ist. Die Zunge, durchschnitten und eines Teiles beraubt, ist doch so groß und aufgeschwollen, daß sie mich fast am Atmen, noch mehr aber am Trinken und Essen hindert. Gewiß zur Strafe für alles Törichte, was sie getrieben und geredet hat. Soll das Gehirn, weil es unkluge Dinge beherbergte, ebenso anwachsen, so muß mein Kopf, so hart er auch sein mag, zerbersten.

So habt Ihr denn also, liebwerte Herren, meinen weißen Pudel schon, zusamt der Ziege der Frau Gertrud, als böse Zaubergeister verbrennen lassen. Es war dem Tyras nicht an der Wiege gesungen, daß er so wie Herkules zum Olymp steigen sollte, und Feuer nötig sei, die Kapsel zerspringen zu machen, die seinen Geist zum Blühen brächte. Ob er sich gewundert hat? Er war nur daran gewöhnt, aus dem Wasser zu apportieren, im Feuer ist er gewiß steckengeblieben. Da hat er sich selbst nur herausholen können und zum Schöpfer sagen: da bin ich wieder! Ich hielt den weißen klugen Schelm nur für einen ganz gewöhnlichen Hund, nebenher Pudel. Aber freilich: was ist ein Hund? Weiß mir das einer der hochwürdigen Herren zu sagen? Aus seinem Blaffen und Bellen habe ich es nie heraushören können. Er wußte es wohl selbst nicht, und verfiel darum jedesmal in dieses Stottern oder Stammern, wenn er von sich Kunde geben sollte. Ein Geist war er wohl. Ihr sagt, ein gefallener. Kann auch sein. Vielleicht sind die Geister für uns hier auf Erden nur dann da, wenn sie gefallene sind, das heißt, geschaffene. Insofern sie aus dem ewigen Urquell des höchsten Gottes freigemacht, und dem Dasein anvertraut worden, ist das schon ein Abfall vom Ewigen, Unaussprechlichen zu nennen. Kann Tyras ein abgefallener Geist sein, so mußte er wohl durch seine pudelnärrische Hundenatur, wie in einer der untersten Klipp- und Pfennigschulen, hindurch, um in eine höhere Klasse zu kommen. So mag auch das Feuerexamen für den Kandidaten in seiner nicht ganz rein weißen Zotteltoga ein recht menschliches Beförderungsmittel gewesen sein, ihn auf eine bessere Bank hinaufzupraktizieren, auf welcher er aber vielleicht wieder als Ultimus sitzt, und als Pennal von allen andern Mitschülern gehänselt und torquiert wird. Ihr meint es aber eigentlich nicht so, sondern behauptet, da Ihr den Teufel und Satan nicht bloß vom Hörensagen kennt, das lustige Vieh sei aus der sogenannten Hölle desertiert, und habe sich bei mir für einen Hund ausgegeben. Nun könnte ich zwar einwenden, daß mir des Tyras Vater und Mutter schon als augenscheinliche, unzweifelbare Hunde bekannt gewesen, aber die Aussage, daß er echte Hundeahnen habe aufweisen können, würde bei Euch wenig fruchten, da Ihr von der Mesalliance innigst überzeugt seid, durch die ein hoher Höllenfürst sich erniedrigt hat, um als mein Tyras auf vier Beinen sich umzutreiben. Dieser schwarze Prinz hat mich dann auch beherrscht, oder ich erst scheinbar ihn; wir haben uns einander einverleibt und dies höllische Paktum hat mich zum Zauberer und Ketzer gemacht.


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