Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Die Gesellen tobten, und zerschlugen, was sie erreichen konnten; da aber Reisige, welche der Graf Etampes, unter Anführung eines Ritters, schickte, sich zeigten, schlichen sich viele der Aufrührer davon. Die Mutigen, welche blieben, hatten mit den bewaffneten Reitern einen ungleichen Kampf zu bestehn; erst als verschiedene getötet und schwer verwundet waren, nahmen die übrigen die Flucht und wurden in den Gassen verfolgt. Der lange Guntram riß mit seiner Riesenstärke eine verschlossene Haustüre auf, sprang über den Flur, rannte in den Garten, und kletterte über dessen Mauer hinweg, worauf er bald in einsamen Gegenden verschwand, wodurch er sich seinen Verfolgern entzog, die nicht begreifen konnten, wohin er so schnell entkommen war. Darüber verwundert ihr euch? sagte einer von den Lanzenknechten. Er ist ja auch einer von denen, die mit dem Teufel ein Bündnis aufgerichtet haben, so hat der Satan unsre Augen verblendet, oder den turmhohen Bösewicht durch die Lüfte oder auf einem Sturmwind davongeführt. Vielleicht hat er im Hause einen eingeweihten und sündlich getauften Besen gefunden, und ist auf diesem, wie auf dem besten Pferde, in alle Welt hineingerieten.

Der alte Beaufort saß trostlos in seinem innern Zimmer. Er hatte das Vertrauen zum Grafen Etampes verloren, da dieser sich so wenig der willkürlichen Tyrannei des Bischofes widersetzte, daß vielmehr seit seiner Anwesenheit weit mehr Verhaftungen, und von viel bedeutendern Menschen, stattgefunden hatten. In seinem Kummer überraschte ihn der Ritter Conrad, einer der Vertrauten des großen Grafen Etampes. Nach den Begrüßungen und einigem Gespräch sagte Conrad: Werter Herr, Eure Bürgerschaft handelt nicht klug daran, in offenbare Empörung gegen das Gesetz hinauszubrechen, da durch die Gegenwart meines gnädigen Grafen der Stadt doch ein Unterpfand gegeben, daß ihr auf keine Weise Unrecht geschehen soll.

Bedenkt, mein werter Herr, erwiderte Beaufort, daß es keinesweges die Bürgerschaft war, die sich empörte, sondern es war nur eine Rotte von Arbeitern, die jetzt, nach Einziehung des Peter Carrieux, um ihren Unterhalt besorgt ist. Und es ist wahr, die Stadt wird bald wie verwaiset und ausgestorben sein, wenn man fortfährt, so das Gewerbe zu stören.

Erlaubt, Herr Ritter, erwiderte Conrad, es war ein großer Volkshaufen, es waren Bürger, die uns bekämpften, ich bin selbst zugegen gewesen. Ein Ritter, der treffliche Adelbert, mein vorzüglicher Freund, ist in diesem Strauß erschlagen; vier der Reisigen sind verwundet, und fünf Lanzenknechte liegen mit tödlichen Stichen in der Brust im Spital. Soll da unser Graf nicht die Geduld verlieren, wenn er sehn muß, daß dieselben Bürger, welche er beschützt, sich ihm so mörderisch widersetzen?

Beaufort ward rot und sagte nicht ohne Bitterkeit: Könnten wir alle von diesem Schutze doch nur etwas gewahr werden. Daß der Graf so ganz mit unserm Bischofe, den wir immer nur geringe geachtet haben, einverstanden sein würde, konnten wir wohl niemals befürchten, als wir uns seines Eintritts erfreuten.

Was sollte er tun? erwiderte Conrad; der Kirche und ihren Satzungen feindlich widerstreben? Sich zu den Meuterern gesellen? Die Angeklagten freisprechen, bevor noch eine Untersuchung eingeleitet war? Den Kirchenbann und die Ungnade des frommen Herzoges wagen?

Es kann von allem, sagte Beaufort, innerlichst gekränkt, nicht die Rede sein; es kann überhaupt keine Rede, und über nichts mehr, geführt werden, sowie der Graf es nur irgend der Mühe wert findet, nach diesen Aussagen und Anklagen hinzuhören. Wenn er sie wirklich in seiner Seele nicht für aberwitzig hält, oder sich nur, wer weiß, warum, die Miene gibt, sie nicht so zu nehmen, so ist es mit meinem Witze völlig zu Ende.

Es ist begreiflich, antwortete Conrad mit einigem Hohn, daß Ihr und Euresgleichen die Sache möchtet für abgemacht halten, bevor sie noch einmal angefangen hat; wir andern aber –

Ich und meinesgleichen? fragte Beaufort mit Heftigkeit, indem die Hand nach der Schwertseite griff; was meint Ihr damit?

Keine Privatzwiste, sagte Conrad mit großer Kälte, denn es handelt sich jetzt um ganz andre Dinge, und ich bin Streites wegen von meinem Grafen nicht hergesendet worden. Weil der hohe Graf Euch persönlich ehrt und Euch befreundet ist, weil er Euren Stand achtet, so hat er mich, seinen Vertrauten, einen Euch ebenbürtigen Ritter, abgeschickt, um Euch kundzutun, daß Ihr auf wichtige und unabweisliche Anzeigen verhaftet seid, und daß Ihr Euch mit mir, damit kein Aufsehn erregt werde und man Euch nicht beschimpfen könne, sogleich zum Bischof begeben sollt.

Man wagt es! rief Beaufort im größten Erstaunen aus; an den Adel legt man die Hand, an den freien Rittersmann? Was habe ich mit dem albernen Bischof zu verrechnen, außer daß ich meinen Sohn von ihm fordern muß?

Er nahm den Degen, setzte das Barett auf, und ging mit Conrad die Stiege hinunter. So finde ich wenigstens, sagte er, Gelegenheit, diesem böswilligen Prälaten alles zu sagen, was ich von ihm denke.

Als sie auf die Straße traten, wurden sie vom Pöbel verfolgt, der sich vor dem Hause versammelt hatte, denn es mußte schon ausgekommen sein, daß man den alten Ritter Beaufort zum Verhaft und in das Verhör der Geistlichen führe.

So ist es recht! rief ein Lahmer; auch die Reichen, auch die Vornehmen müssen ans Gericht. Die Bösewichter! Gott der Herr hat ihnen schon so vieles verliehen, Geld vollauf und alle Herrlichkeiten, und sie müssen sich doch aus Bosheit noch mit dem Satan verbinden! Indes wir Hungernde, Kranke –

Beaufort wandte sich um. Er kannte den Bettler, der oft Almosen von ihm empfangen hatte. Spiessing! alter Soldat! rief er ihn an, ich gab dir oft, nimm auch dies noch, vielleicht zum letztenmal. Ich vergebe dir.

Der alte Krüppel war beschämt und schlich weinend davon. Die übrigen erinnerten sich der Güte des greisen Ritters, und verließen ihn, ihrer Schlechtigkeit sich bewußt, und so gelangte er ohne Begleitung und Beschimpfung in die Wohnung des Bischofes.

Die Sache des jungen Ritter Köstein, die sehr geheim gehalten wurde, hatte indessen dem Anschein nach auch eine schlimmere Wendung genommen. Er war in ein strengeres Gefängnis gebracht, und niemand, auch sein Vetter Melchior nicht, durfte ihn besuchen und sprechen. Man erfuhr nur so viel, daß er beschuldigt sei, dem Leben des Prinzen Carl nachgestellt zu haben. Diesen Erben des Reiches erwartete man, um den peinlichen Prozeß des jungen Ritters zu beendigen.

Alles war in der Stadt in Verzweiflung, eine Angst hatte sich aller Gemüter bemächtigt. Niemand wagte, zu verreisen, wenn es sein Geschäft noch so dringend verlangte, um sich nicht dem Verdacht des argwöhnischen Bischofes auszusetzen, sein Gewissen treibe ihn fort und er wolle sich der Strafe entziehen. Fremde vermieden jetzt, auf ihren Wanderungen Arras zu berühren, aus Furcht, auch zu den Hexenmeistern und Zauberern gezählt zu werden. Diese Begebenheit hatte allenthalben das größte Aufsehn erregt, und man sprach darüber auf mancherlei Weise. Glaubten die schwachen Gemüter die Wahrheit der Anklage, so spotteten andere um so bitterer, vorzüglich in Frankreich, über diese augenscheinliche Torheit; die Feinde von Burgund und des Herzoges enthielten sich nicht, laut auszusagen, Philipp benutze diesen Aberglauben, um sich zu bereichern.

In Arras selbst wagte niemand mehr, laut zu sprechen, seit diejenigen, die man als die kühnsten Gegner dieses Hexenprozesses kannte, selbst als Mitschuldige waren eingezogen worden. Dem Bischofe gegenüber hatte man noch einigen Mut behalten, sich ihm zu widersetzen; aber seit der große Graf von Etampes mit seinen Rittern, Reisigen und Lanzenknechten in der Stadt wohnte, war auch der Verwegenste verstummt. Im Kreise der Familien flüsterte man, daß es leicht sei, der wahnsinnigen Gertrud in den Mund zu legen, was man nur wolle, und daß sie und die Bäuerinnen Mitschuldige ihres Sabbats genannt, deren Namen sie früher nie gekannt hätten.

Es war seltsam, daß die Richter der Sache ebenso befangen und schüchtern waren. Viele, wie der Dechant, sahen den Unsinn und das Widersprechende der Aussagen ein; der Dechant aber war, durch frühere leichtsinnige Äußerungen, so völlig in der Gewalt des Bischofes, daß er am eifrigsten den Prozeß betrieb, und allen Verstand aufbot, aufmerksam die früheren Begebenheiten und Hexengeschichten las und sammelte, um sich seinem Vorgesetzten nun als einen Bekehrten zu zeigen, damit dieser nicht, in seinen plötzlichen Launen, ihn selber den Gefangnen und Angeklagten beigesellte. Einige der Doktoren meinten, die Weiber seien von einer Gemütskrankheit befallen, in welcher sie sich alles, was sie ausgesagt, nur eingebildet hätten; sei aber die Sache selbst unwahr, so könne die Aussage und das Zeugnis von Törichten nicht gegen wackre unbescholtne Männer auf irgendeine Weise gelten. Ein junger Mann dachte dadurch der Sache den Ausschlag zu geben, daß er riet, man solle eins dieser Weiber, in Gegenwart von Zeugen, sich oder einen Stock mit der Zaubersalbe bestreichen lassen, um zu sehen, was sich ergeben werde. Bliebe sie, wie er glaubte, zur Stelle, oder fiele vielleicht nur in Schlaf, so sei die Unwahrheit von selbst entschieden. Dieser ward aber von den Eiferern überstimmt, und man entgegnete ihm, daß, sowie die Hexe oder der Zauberer im Gewahrsam einer echten Obrigkeit sei, sie ihre Zaubermacht verlieren; auch könne der Teufel ihnen vielleicht immer noch gestatten, zu ihm zu kommen, und an ihrer Stelle einen Scheinkörper zurücklassen, um die Richter zu blenden. Dieser Versuch sei also der verwerflichste, weil durch ihn nichts bewiesen werden könne, und man außerdem noch in Gefahr gerate, die Hexe selber einzubüßen. Es war nah daran, daß der Bischof und die Eifrigen seiner Partei den jungen Ratgeber selbst für einen Genossen des Sabbats erklärten, denn sie meinten schon, der Teufel selbst könne nur dem Gelehrten einen so listigen und verderblichen Ratschlag eingegeben haben, der, wenn er ausgeführt würde, wohl gar dem ganzen Hexenprozeß ein Ende machen dürfte.

Die alte Gertrud, Armgart und Elsbeth sagten von sich und andern aus, was man nur wollte. Labitte, der ganz zerstört war, erzählte schriftlich allerhand durcheinander, von seinen Grillen über Kunst und Natur, von seinen Gedanken über die Schöpfung und Luzifer, und daß er den Hexensabbat müsse gekannt haben, weil er ihn sonst nicht habe malen können; dann phantasierte er wild, wie vertraut er mit allen Teufeln, aber ebenso mit den Heiligen und dem Himmelreiche sei, und daß er, soweit er vermocht, jung und alt in seine Ansichten der Dinge eingeweiht habe. Die Frau Denisel hatte sich völlig der Betrübnis ergeben; sie konnte und wollte die Spiele nicht leugnen, in denen sie, nach Labittes Anordnung, figuriert habe, als Venus, oder Göttin; ebenso bekannte sie ihren vertrauten Umgang mit Robert, von dessen Ketzereien sie allerdings Kunde gehabt. Friedrich und dessen Vater leugneten alles, nur gestand der letzte, als man ihn erinnerte, daß er als König Artus im Garten der Frau Catharina eingeführt sei. Taket, Schakepeh und Josset wollten auf nichts eingehn, bekannten aber ihre Freundschaft zu Labitte; am hartnäckigsten und heftigsten war Carrieux, der seine Richter immer mit Zorn und Verachtung behandelte, und ihnen, vorzüglich dem Bischofe, oft die härtesten Dinge sagte, und ebensowenig den Grafen Etampes verschonte, wenn dieser bei den Verhören zugegen war.


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