Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Nein! rief der Geistliche, Ihr seid reizend, und wißt es; noch lange wird sich Eure Schönheit erhalten, denn sie ist großartig und edel, nicht den vergänglichen Zufälligkeiten anvertraut. Aber verwerfen sollt Ihr mich darum nicht, weil ich Euch vergöttere; weil ich Euch nicht glaube, denn auch diese süße, Unschuld und Tugend spielende Lüge ist dem Weibe als Mitgift von der ewigen Natur zur Ausstattung mitgegeben. Opfert mich nicht ganz diesem Friedrich, den ich nicht verdrängen will; beglückt ihn und mich. Noch ist Eure Regierung der Schönheit nicht beschlossen, teilt künftig noch andern Eure Gunst mit, wenn dieser, wenn ich Euch Langeweile machen; aber erkennt den Bund an, den ich als einen solchen anbiete, der uns geziemt, der mein Leben verherrlicht, der erst allen jenen freundlichen Worten, die Ihr mir manchmal gesagt habt, Seele, allen holden Blicken Geist einhaucht.

Catharina wandte sich ab, um sich in ihr Gemach zu begeben. Nein, verlaßt mich nicht so, mit dieser Verachtung nicht, denn diese muß ich für Lüge halten; Ihr bildet Euch ein, jenem Jüngling dadurch treu zu bleiben, und vergiftet so die schönste Region Eures Geistes. Haß erfüllt Euch dann statt Liebe, und dieser könnte aus Eurem Herzen, eben weil ich Euch ganz angehöre, in das meinige herübersprühen. Wahrt Euch, ich bitte, in Eurem Hochmut, und laßt die Klugheit wenigstens das tun, was Neigung versagt. Mäßigt Euch und schont mich mindestens. Es könnte sich, das fühl' ich, eine Hölle in meinem Herzen erzeugen, so sehr ich alle finstern Leidenschaften, die alle aus der Eigenliebe fließen, immer gehaßt habe. Seht Euch vor, überkluges, tugendsames Kindchen. Ihr wollt mit mir spielen und Eurem Stolze ein Fest geben; aber hütet Euch, ich bin kein Jüngling.

Welche Sprache! rief Frau Catharina aus, indem sie sich umwendete; wie ziemt sie Euch zu mir? Wißt, hört, es ist mir gleichgültig, ob Ihr es glaubt: ich habe mir nichts vorzuwerfen. Gott kennt mein Herz und meinen Wandel.

Gut, sagte der Dechant, indem er sich, um fortzugehen, nach dem Garten wendete, die Welt soll also unrecht haben, alle Gerüchte sollen lügen, die Frau Denisel könnte sich einem Gottesgericht unterwerfen. Aber auferstehen werden denn doch vielleicht einmal alle die Sünden, die jetzt im Winkel schlummern und begraben scheinen, die Verführung des jungen Friedrich – – nun? warum seht Ihr mich so zornig an? Den Namen könnt Ihr also hören, und mit Ruhe, – gut, – aber auch, wenn ich Robert ausspreche? –

Er kehrte um, sie aber stürzte blaß in den Sessel und sah nicht, wie er Haus und Garten verließ. – Als sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, suchte sie sich durch Tränen zu erleichtern.

Am Nachmittag traf Friedrich seine verehrte Freundin noch weinend und in Schmerz aufgelöset. Sie empfing den Jüngling freundlich, mochte ihm aber jetzt noch nicht anvertrauen, wie sehr sie vom Dechanten gekränkt worden sei, weil sie seine Heftigkeit fürchtete. Sie gedachte aber der Warnungen, die Friedrich ihr noch gestern gegeben hatte, und sie erinnerte sich nun mit Schmerz, wie leichtsinnig sie die Entdeckungen seiner Eifersucht abgewiesen. Friedrich war sehr bekümmert. Er suchte die Geliebte zu trösten und zu beruhigen, aber Catharina war so tief betrübt, daß seine Reden nur wenig Eingang fanden.

Nach einer Pause sagte die Frau: Mein teurer, mein wahrer Freund, ich hatte diese Stunde dazu bestimmt, um Euch etwas von meinen Schicksalen zu erzählen, damit Ihr mich näher kennen lerntet; und sowie ich meinem Gedächtnis das trübe Blatt meines Lebens wieder aufgerollt habe, hat mich ein ungeheurer Schmerz befallen. Ach freilich! sind wir meistenteils nur glücklich, wenn wir in Zerstreuungen, in Nebensachen uns selbst vergessen.

Meine Eltern, die in der Nähe unsrer Stadt Besitzungen hatten, waren reich. Ich ward als das einzige Kind mit aller Liebe und Sorgfalt erzogen. Man kam allen meinen Wünschen zuvor, und meine Mutter, die schwach war und fast verliebt in ihr verzärteltes Kind, verdarb mich und bestärkte mich in meinem kindischen Eigensinn. Mein Vater zeigte mir seine Liebe durch Geschenke; er liebte den Prunk, war aber ein ernster, ja finstrer Mann, den keiner niemals lachen oder lächeln sah. Als ich nun zur Besinnung kam, erfuhr ich und bemerkte es selbst, wie er gänzlich ein Werkzeug der Priester sei, die sich aller seiner Kräfte bemächtigt hatten und ihn unbedingt regierten. Er war in seiner Jugend Soldat gewesen, und erzählte selbst zuweilen von jener Zeit mit Grauen, und klagte sich auf dunkle Weise vieler Vergehungen an. Es schien mir, als ich erst fähig war, nachzudenken und über dergleichen Dinge ein Urteil zu fassen, daß er in seiner wilden Jugendzeit die Freiheit gemißbraucht hatte, die der Krieg und der Beruf des Soldaten bei so vielen zur Zügellosigkeit steigern.

So hatte er sich nun vorgesetzt, seine früheren Sünden durch Buße und strengen Wandel abzubüßen. In dieser Sinnesart bestärkte ihn vorzüglich sein abergläubiger Beichtvater, der jedes Geschöpf nur wie einen abgefallenen bösen Geist betrachtete, und in jeder unschuldigen Freude eine Gotteslästerung sah. Meine Mutter, deren weltliche Gesinnung diesem Wesen widersprach, fühlte sich in diesem finstern Treiben oft sehr unglücklich, besonders da mein Vater immer verschlossener und trübsinniger wurde; sie äußerte wohl, indem sie sah, daß jedes Jahr ihr mehr und mehr alle jene Feste, Reisen, Gesellschaften und weltliche Freuden raubte, auf welche sie mit Sicherheit gerechnet hatte, daß sie niemals die Verbindung mit meinem Vater eingegangen wäre, wenn er früher schon so streng und unfreundlich gewesen wäre.

So ward meine Jugend, die heiter zu beginnen schien, bald verfinstert, und noch mehr, als mein Vater verlangte, daß ich an seinen Andachtsübungen teilnehmen sollte. Christentum und Religion, wie ich sie nun kennen lernte, was diese Priester so nannten, war abschreckend und furchtbar. Der Gott, den sie erkennen konnten, war nur ein grausamer Tyrann, der an Qualen, die er verhängte, an sinnreichen Strafen, die er auf Kind und Kindeskind sendete, seine Freude hatte; das Leben war ein Gefängnis, der Mensch nur geschaffen, um zu büßen. Die Opferung des Sohnes heischte zur Vergeltung Blut; Haß, Verfolgung, Bitterkeit und Verzweifeln war es, woran sich diese Christen als solche erkannten.

Mein jugendlicher Sinn wendete sich mit Abscheu von diesen Vorstellungen. Es geschieht so oft, daß Kindern und jungen Gemütern auf diese Weise selbst das Edelste und Größte auf immer oder auf lange verleidet wird, und ich bemerkte nicht an mir allein, daß die Mädchen und Jünglinge, die man vorsätzlich zu Frommen und Rechtgläubigen ausbilden wollte, am leichtesten in Unglauben und Widerwillen gegen die Religion verfielen. So war es auch mit mir. Es hatten sich mehr Mädchen meines Alters zusammengefunden, und wir bildeten gleichsam eine stille Verschwörung gegen die Kirche und ihre Gesetze, wir brachen in unsern Versammlungen die Fasten, und ahmten die Lächerlichkeiten der Priester und unserer Beichtväter nach. Als die Sache verraten ward, entstand, wie leicht zu begreifen, ein ungeheures Geschrei. Wir waren alle verdammt, und es konnten kaum Bußen genug und hinreichende Grausamkeit ersonnen werden, um diesen entsetzlichen Abfall wieder einigermaßen zu vergüten. Ich wurde menschenscheu, gab mich selbst auf, und mein Leben war mir in der Jugend schon verbittert. Jetzt befreundete ich mich mit den Vorstellungen des Todes und der Verwesung, da ich hier keine Freude haben sollte und mir jenseit keine denken konnte, daher war mein Wunsch und meine ganze Sehnsucht nach der Vernichtung gerichtet. Ich glaubte weniger als jene, aber um nicht wieder den grausamen Mißhandlungen derer zu verfallen, die für meine Seele sorgten, lernte ich lügen und heucheln, und war in meiner Trostlosigkeit auf dem Wege, ganz schlecht zu werden. Meine Mutter bejammerte meinen Zustand, wußte aber keinen Rat, da man sie so eingeschüchtert hatte, daß sie kein Wort für mich zu sprechen wagte. Auch litt sie an einer Krankheit, die allgemach ihre Kräfte verzehrte, und an der sie wirklich nach einigen Monden starb. Ich hatte sie leiden sehen, und ihre Schmerzen hatten mir oft das Herz zerschnitten. Ich begriff es nicht, daß sie ungern starb, daß sie noch, selbst mit allen diesen Leiden, zu leben wünschte. Ich beneidete sie und wünschte mich an ihre Stelle; gern hätte ich meine Gesundheit und Jugend gegen die Vernichtung ausgetauscht, in welche sie jetzt, nach meiner Überzeugung, eingegangen war. In jener Stimmung, in welche ich damals geraten war, erschien mir nichts so fürchterlich, als zu leben, da zu sein. Die ganze Schöpfung schien mir die Wirkung eines furchtbaren Fluches, oder der Niederschlag ehemaliger, wahnsinniger Geister, die auch verschwunden waren in das Nichts, und nur das tolle Werk ihrer Raserei zurückgelassen hatten, das sich nun irr und zwecklos fortbewegte und ängstigte, und sich in Verzweiflung dem Tode entgegenquälte. Ich kann nicht Worte finden, meinen damaligen Zustand zu schildern, es ist mir auch nicht möglich, ihn mir deutlich zu vergegenwärtigen. Aber wahr ist, daß ich ganz und unerschütterlich überzeugt war, es sei kein Gott. Wie mir nun Kirche, Priester, Religionsübung erschien, wie mir die Lehren, die Wunder, die Messe und alles Christliche vorkamen und in das Ohr tönte, würde, wenn man es beschreiben wollte, das seltsamste Gemälde einer Verstimmung des Herzens und der Seele geben. Indem ich mich in der Kirche in mein Gebetbuch niederbückte, von meinem Schleier verhüllt, mußte ich oft laut in bitterm Hohn der Verzweiflung lachen, welches meine gläubigen Nachbarn für Tränen der Buße und Erschütterungen der Reue hielten, da meine Gottlosigkeit stadtkundig geworden war.

Ich schwankte an der Grenze des Wahnsinns hin. Schlimmer als jede Entartung ist diese innere Verwesung des Herzens. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht, als ich zur Jungfrau erwachsen war, einen wahrhaft frommen Mann, einen Priester hätte kennen lernen, der von einer Wallfahrt nach Jerusalem zurückkam: Dieser Pater Philipp, der in einem benachbarten Kloster ein Bruder war, löste allgemach meine Seele aus ihren Todesbanden. Daß nur Liebe der Geist der Religion, vorzüglich aber des Christentums sei, dieses Gefühl, diese Ahndung ging nach und nach in meinem erstorbenen, felsenharten Gemüte auf. Alles, was ich verhöhnt hatte, erschien mir nun als ein süßes Geheimnis, in welches sich mit allen Kräften unterzutauchen, himmlische Wollust war. Als ich erst als Schülerin in diese Lehre eingeweiht war, sprang mein Geist auch sogleich von einem zum andern Äußersten; denn mir genügte nicht Wort, Bild und Wunder, ich glaubte alles noch inniger, in einem höhern Sinne zu verstehen und zu erfassen. Meine Trunkenheit hob mich oft wie über die Erde und alle Bedingungen des zeitlichen Daseins hinweg. Ich schaute, ich war entzückt, und rühmte mich, daß der Geist Gottes in mir sei, Philipp suchte diese Gefühle zu mäßigen und mich von dieser Schwärmerei zu heilen, welche er ebenso gottlos als jenen starren Unglauben schalt. Ich verstand ihn damals nicht, und wähnte schon, in einer höhern Weisheit, als mein Lehrer, einheimisch zu sein. Wahrscheinlich wäre mein Abfall von dieser schwindelnden Höhe noch gefährlicher und heilloser als mein früherer geworden, wenn nicht das Glück oder mein Schicksal, vielleicht der Himmel, vielleicht ein böser schadenfroher Geist, mir einen Mann entgegengeführt hätte, der so in meinem Herzen das Gefühl der irdischen und ewigen Liebe anzündete, daß in diesem Schimmer sich alles sühnte und erquickte, alle jene über die Erde fliegenden Gefühle und Phantasien sich im nächsten Gefühle milderten und zum Verständnis wurden.

Ja, Friedrich, ich habe einmal geliebt, ich bin geliebt worden, und meine Liebe war kein Irrtum, war es wenigstens in ihrem ersten Frühlingsalter nicht. Ach nein, die Liebe selbst ist niemals ein Mißverständnis, nur stößt und verwundet sie sich leicht an diesen Mißverständnissen des Lebens und der Wirklichkeit.


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