Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Und so kann nur ein Schuft sprechen! schrie der wütende Peter Carrieux, indem seine gewaltige Faust zugleich den jungen Mann beim Halse ergriff. Der starke Mann machte Miene, den nach Hülfe Rufenden aus dem Fenster zu schleudern. Der Wirt aber widersetzte sich aller Gewalttätigkeit, und brachte mit ernsten und freundlichen Worten alles wieder zur Ruhe. Flamand war totenblaß geworden und verließ mit kurzem Abschiede das Haus.

Alle beurlaubten sich jetzt, verstimmt, erschreckt, betrübt, voll Sorge, was sich aus dieser Begebenheit entwickeln möchte. Labitte blieb zuletzt, und zu diesem sagte halb scherzhaft der wohlwollende Schakepeh: Freund Poet und Maler, Euch sollten diese wilden Bürgersmänner eigentlich ein wenig auf die Finger klopfen, denn Ihr habt durch Euer Gemälde vom Hexensabbat die Menschen vielleicht zuerst wieder auf diese Fratzen und Abenteuer gebracht.

Nun, nun, sagte Labitte; die Dummheit war schon da, schon als Spaß im Goldnen Esel. Aber freilich, ich hätte mit meinen Farben bessere Gestalten anstreichen können. Unser Verstand ist ein schwaches Werkzeug, da die alte Gertrud so hat unsinnig werden können. Wir sollen uns alle hüten.

Die Stadt Arras war nach diesen Vorfällen in großer Aufregung. Keiner hatte geahndet, daß dergleichen Unerhörtes plötzlich geschehen könne. Die Reichern, die Verständigen, die Bürger und die Jugend sahen, daß plötzlich etwas als Ernst behandelt wurde, worüber sie wohl nur als über einen Gegenstand des Lachens gesprochen hatten. Viele unter dem Pöbel, manche aus den ärmern Klassen hatten ihrer Schadenfreude keine Hehl, daß etwas geschehen war, welches die Klügeren niemals hatten glauben wollen. Viele Priester gaben sich ein geheimnisvolles Ansehn, und beantworteten die mancherlei Fragen nur mit bedenklicher Miene, die von den Zudringlichen an sie gerichtet wurden.

Die Schöffen und die Bürgerschaft, mit einigen der Adligen verbunden, sendeten einige ehrbare Männer an den Herzog, um ihre Beschwerden vorzutragen.

Der Bischof von Baruth hatte am folgenden Tage die vornehmsten Geistlichen, unter welchen sich auch der Dechant und der Kanonikus Melchior befanden, zu einer Synode berufen. Er trug ihnen vor, was sie schon wußten, und da keiner antwortete, forderte er sie auf, ihm ihre Meinung frei und unverhohlen mitzuteilen. Der Dechant schwieg, aber Melchior machte ihn auf die Unwahrscheinlichkeit und das Törichte dieser Vorfälle, Schilderungen und Anklagen aufmerksam, er wünschte, daß man diese Frauen als Kranke behandle, sie freigebe und alles unterdrücke.

Die kleine Gestalt des Bischofs erhob sich im heftigen Zorn. Er ging dem Sprechenden ganz nahe und sahe diesem scharf in die Augen. Nein, sagte er dann, aus Euch spricht nur Einfalt und Gutmütigkeit, und Ihr seid kein Mitglied dieses höllischen Ordens.

Wie meint Ihr das, Herr Bischof? fragte Melchior erstaunt.

Ihr wißt, sagte der Bischof, daß ich im Jahre 1450 in Rom war, und dort das große Jubiläum mitgefeiert und -erlebt habe. Dort hatte ich Gelegenheit, die Welt kennen zu lernen. Rom, die große Stadt, war so mit Fremden und Pilgrimen aus allen Ländern Europens überdrängt, daß sie kaum Platz fanden und sich täglich die sonderbarsten und bedenklichsten Vorfälle ereigneten. Auch fand ich Gelegenheit, mich bei den frömmsten und gelehrtesten Priestern zu unterrichten. Schon damals vernahm ich von Zaubereien und unerlaubten Künsten, die man seit Jahrhunderten, im Norden wie im Süden, getrieben hatte. Diese Schulen der Zauberei, von denen wir schon in sehr alten Chroniken lesen, sind niemals untergegangen. Und immer ist dieses Verbrechen mit der Gottlosigkeit der Ketzerei verbunden gewesen. Alle früheren Manichäer, Donatisten, Arianer, nachher die Waldenser und Albigenser, zu Zeiten die Juden, sind Zauberer gewesen, und haben durch ihr Verbündnis mit dem Satan es wie oft möglich gemacht, mit einem Schein von Tugend, Weisheit und Frömmigkeit zu glänzen, und arme Unwissende zu blenden und zu verführen. Immer wieder wird die Bosheit auf eine Zeit verschwiegen und unterdrückt, sie tritt von neuem hervor, und wieder muß die rechtgläubige Kirche dagegen kämpfen. Es ist Bosheit und Unglaube, zu sagen, diese Abscheulichkeiten seien nicht wirklich und nur Erzeugnisse einer kranken Einbildung. Jeder, der dies dreist behauptet, macht sich selber der Zauberei und eines Bündnisses mit bösen Geistern verdächtig, wenn er nicht bald von seiner Unwissenheit zurückkommt. Aber ich bin damals, in Rom, erschrocken, wieviel Menschen, die unter dem Vorwande, als Christen das Jubeljahr zu feiern, nach Rom kamen, sich dem Teufel, der Ketzerei und Zauberei ergeben haben. Viele Tausende sind von Christo abgefallen und seine Feinde geworden, Millionen dieser Bösewichter sind in allen christlichen Ländern verbreitet. Von den höchsten Theologen belehrt, sah und erfuhr ich, daß Kardinäle, Bischöfe und Prälaten, der Weltgeistlichen und Mönche zu geschweigen, diesem gottlosen, ungeheuren Bunde angehören. Soldaten, Bürger, Ritter, Studierte, Kaufleute und Bauern in allen Ländern. So ist es nahe daran, daß sich die Kirche auflöst und unsre heilige Religion gestürzt wird. Was fehlt noch, als daß sich irgendwo ein mächtiger, unternehmender Fürst an die Spitze dieser Abtrünnigen stellt, und er kann Papst und Klerisei, Rom und die Gesetze Gottes umwerfen, und ein neues Reich beginnen, in welchem Christus von seinem Stuhle gestoßen wird. Den Ausbruch dieser furchtbaren Begebenheit können wir jeden Augenblick erwarten. Wer weiß, wo jetzt schon der Fürst oder König lebt, der sich zum Heerführer dieser Bande machen möchte. Darum müssen wir von der Geistlichkeit dagegen kämpfen mit allen unsern Kräften, mit Lebensgefahr, um diesen großen, furchtbaren Augenblick zu verhindern oder zu verzögern, durch Schreck und Furcht die widerspenstigen Gemüter in die Bahn des Glaubens zurückzutreiben. Mögen die Überweisen unser Werk und unsern Eifer verlachen und verspotten; auch die Apostel wurden verhöhnt, auch der Heiland verachtet.

Noch muß ich zweier Dinge erwähnen, die meinen Brüdern vielleicht wunderbar, manchem unglaublich scheinen mögen.

Alle Welt weiß, daß damals in Rom die Brücke über den Tiberstrom zerbrach und Hunderte in den Fluten ihren Tod fanden, viele auf immer verstümmelt waren und krank und elend blieben. Das aber wußten ich nur und die Freunde, die mit mir in die Geheimnisse drangen, daß die Zauberer dieses Unglück herbeiführten, denn alle, die dort umkamen, waren Fromme und Rechtgläubige.

Das zweite Wunder ist, daß ich von meinem ehemaligen, frommen, heiligen Lehrer die Gabe erhielt, jedem Ketzer, Hexenmeister, jeder Hexe es an den Augen ansehen zu können, ob sie zu der verworfenen Zunft gehören. Mich kann daher kein Mensch trügen. Mein ist das Amt, die Untersuchung, die Verantwortlichkeit vor Gott und Menschen mein, und so weit ich wirken und helfen kann, soll zum Besten der Menschheit und dieser armen Seelen selbst, keine von diesen Angeklagten anders als auf dem Wege des Scheiterhaufens zur Buße und Versöhnung gelangen.

Alle erschraken. Die Kanonici sahen sich schweigend an und der Dechant fragte endlich: Auch die alte Gertrud?

Wie anders? erwiderte der Bischof. Sie hat mit Umständen, mit überzeugenden, sich selbst angegeben. Sie muß nun, freiwillig oder auf der Folter, andre Mitschuldige anzeigen, nicht minder jene Armgart und die andern Weiber, damit wir unsre Stadt und Gegend säubern können.

Man ging wieder auseinander. Die Einrede der Geistlichen hatte nichts gefruchtet, da der Bischof sich auf frühere Prozeduren und vorgeschriebene Formen berief, da alle seinen Wahnsinn fürchten mußten, der keinen Anstand nahm, jeden Widerspruch mit dem Namen Ketzerei zu bezeichnen.

Der Dechant blieb zurück. Im Vertrauen auf sein früheres Verhältnis mit dem Bischofe wollte er ihm deutlich machen, wieviel er wage, wenn er sich bei der Bürgerschaft zu sehr verhaßt mache; wie vielleicht der Herzog, ja der Papst selbst, diese Strenge nicht billigen möchten. Er suchte seinen Stolz in Bewegung zu setzen, daß sein Ruhm bei diesem sonderbaren Unternehmen leiden könne.

Schweigt! rief der Bischof im höchsten Zorne, ich kenne Euch ganz. Es fehlt nur um wenige Zoll, so steht Ihr selbst unter den Ketzern. Weiß ich nicht, wie vertraut Ihr mit der verruchten Hexe Denisel umgegangen seid? Eine Freundschaft mit dem verworfenen, gottlosen und lasterhaften Weibe, die allen Ehrbaren ein Anstoß und Ärgernis war! Seid Ihr nicht freiwillig zur alten Hexe Gertrud hingelaufen? Eure Zweifelsucht, Eure Lust am Witz und grübelnder Untersuchung sind schon die Vorschwelle zur Zauberei und Gottesverleugnung.

Wie könnt Ihr, sagte der Dechant, meinen Umgang mit einer Frau, die Ritter und Kaufleute besuchen, so ärgerlich auslegen? Als wir die Schriften von Langres und die Bekenntnisse des hingerichteten Robert erhielten, war ich es, der Euch, selbst unerbrochen, alle jene Briefschaften und Papiere übergab. Nachher, als Ihr mir sie zur Untersuchung gabt, konnte ich die Blätter, welche die Denisel betrafen, zurückbehalten. Daß ich aber so offen verfuhr, muß Euch beweisen, wie wenig ich mir vorzuwerfen habe, und wie mein Verhältnis zu dieser Frau ein ganz untadeliges muß gewesen sein.

Ihr hättet mir die Blätter zurückhalten können? rief der Bischof erbost; Ihr irrt! Tatet Ihr es, so wart Ihr selbst verloren, armer Mensch. Ihr selbst hattet mir in vertraulichen Stunden schon zu vieles von dieser Denisel vorgeschwatzt; ich hörte Euch zu und antwortete nicht; aber ich habe mir alles gemerkt und eingeprägt. Und haben denn nicht Hunderte die gottlosen Worte dieser Denisel und des alten verruchten Labitte gehört? Alles soll bei Euresgleichen für Scherz und Witz, oder Poesie und artige Phantasiebilder gelten, worin aber das ganze Gift der Hölle verborgen liegt. Nein, Mann, noch bin ich Euer Freund; noch, ich sehe es Euch an, seid Ihr nicht ausdrücklich von Gott abgefallen. Darum wahrt, solange es noch Zeit ist, Eure Seele und Eure Ehre als Priester. Morgen werde ich ernster mit Euch sprechen. Euer Liebchen wird heut noch in Gewahrsam genommen; sie und der alte Maler, den das Volk nur den dummen Abt nennt, sollen uns wohl, sie mögen wollen oder nicht, die eigentlichen Obern ihrer Rotte verraten.

Herr Bischof, rief der Dechant, Ihr könntet so weit gehen, und diese Armen, Unschuldigen –

Noch ein solches Wort! sagte der Bischof, indem er den Bestürzten mit dem Ausdruck der tiefsten Verachtung ansah – und Ihr sitzt gefesselt im dunkeln Gefängnis. Ich muß wissen, was ich zu tun, was ich zu lassen habe. – Kommt jetzt mit mir zur alten Gertrud, um ein vorläufiges Verhör mit ihr anzustellen.


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