Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Ein Mann, der schon das Jünglingsalter überschritten hatte, Robert, ward durch den Pater Philipp in unser Haus eingeführt. Sowie ich ihn nur erblickte, mußte ich Vertrauen zu ihm fassen. Jetzt begann der Frühling meines Lebens, jetzt erst fand ich mich selbst im Abglanz meines Freundes, im Verstehen seines hohen Geistes erwachte meine Seele erst von ihren Träumen.

Ihr seht, mein trauter Friedrich, daß ich ganz wie zu einem geliebten Bruder zu Euch spreche. Mein Bildnis wird nach diesen Geständnissen meines Glückes und Unglückes klarer in Eurer Seele stehn. Dieser Robert hatte viele Länder durchwandert und war in Jerusalem mit dem Bruder Philipp bekannt worden. Seine Seele kam der meinigen entgegen und wir verstanden uns.

Ohne Wunsch, ohne Streben war diese Liebe. Es genügte uns Gespräch, Blick, Verständnis, Beisammensein. Robert war ganz glücklich, und ich war beseligt, daß er nicht mehr begehrte. Ein ganzer, heiterer, höchst beglückter Sommer verfloß uns in dieser kristallreinen Freude. Aber es sollte nicht immer so bleiben. Durch meinen Geliebten erfuhr ich zuerst von einem gewissen gereinigten Christentum, das sich im stillen verbreitet, und in vielen Ländern die helleren Geister, die kräftigeren Gemüter zu einem geheimen, unsichtbaren Bunde vereinigt hatte. Dieses Bündnis war gegen die verfolgenden Priester und den tötenden Buchstaben ihrer rohen Satzungen gerichtet. Schon früher, belehrte mich mein Freund, hatten Waldenser und Albigenser dieselben Erleuchtungen gesucht, doch bei der fast allmächtigen Hierarchie jener Tage waren sie vertilgt worden, weil sie ihre Einsichten zu offenkundig gemacht hatten; das empörte Volk, das den geistigen Sinn nicht fassen konnte, mordete die Priester und zerstörte die Kirchen, und Klerisei wie Regenten vertilgten mit Feuer und Schwert diese Rebellen. Seitdem bewachte die geistliche Inquisition und der Dominikanerorden die Länder. Man freut sich, daß man heutzutage über dergleichen zu vertrauten Freunden, wenn auch noch nicht öffentlich, sprechen darf. Diese Einsichten vermehrten das Glück meiner Liebe, und ich tat mir selbst das Gelübde, mich niemals zu vermählen, um in diesem geistigen Bunde meine ganze Befriedigung zu finden, und so am schönsten mein Leben zu erfüllen.

Aber es war mir nicht gegönnt, meinen Vorsatz auszuführen. Die Priester, die sich zwar nicht die Macht der früheren Jahrhunderte anmaßen durften, waren doch in Wut, als sie hie und da auf die Spuren dieser unsichtbaren Gemeine gekommen waren, und sie zürnten um so mehr, weil alle diejenigen, die sie auf ihrem dunkeln Wege entdeckten, zu den tugendhaftesten und frömmsten Christen gehörten, die sie selbst vielfach gelobt und andern als Muster zur Nachahmung aufgestellt hatten. Mein Vater schäumte vor Wut, und der angeklagte verdächtige Robert durfte unser Haus nicht mehr betreten. Damit nicht zufrieden, suchte mein Vater mir unter seinen geistigen Zunftgenossen einen Gemahl aus, der mich genauer bewachen und vor allen Verirrungen bewahren sollte. Ein ehemaliger Soldat, noch älter als mein Vater, war derjenige, den die Priester auserkoren, um meine Seele zu retten. Sein Wandel war in der Jugend und in jenen Feldzügen so ruchlos gewesen, daß man sprichwörtlich denjenigen, den man als abscheulich bezeichnen wollte, nur »so arg, als Denisel« nannte. Obgleich sich dieser Sünder bekehrt hatte, auf jene Weise nämlich, auf welche ihn jene abergläubigen Priester hatten bekehren können, so war der Zorn und die Wut des alten Riesen immer noch furchtbar und ungeheuer. Viele Fehler hatte er, nach seiner Meinung abgelegt, aber niemals, wie er selbst bekannte, hatte er sich die geringste Mühe gegeben, sich des Trunkes zu entwöhnen, und selbst sein Beichtvater durfte ihm mit dieser Anmutung nicht beschwerlich fallen. Dadurch wurde sein Zorn, an den er sich seit früher Jugend gewöhnt hatte, bei jeder Gelegenheit, auch der geringfügigsten, in ihm aufgeregt, er kannte sich selbst nicht, und wußte nicht, was er in dieser tierischen Wut begann. Sehr oft, und wohl die Folge seiner wilden ausschweifenden Jugend, fiel er dann in Krämpfen nieder, in welchen er schäumte und sich ohne Bewußtsein wälzte. Oft hatte man schon glauben müssen, daß er in solchem Anfalle seinen Geist aufgeben würde. So sehr war das Gemüt meines armen Vaters verfinstert worden, daß er den Einreden seiner geistlichen Freunde nachgab, und mir dieses Ungeheuer zum Gatten bestimmte. Daß jede Einrede von mir vergeblich sein würde, wußte ich, und ich verlor auch kein Wort gegen meinen Vater, um ihn auf andre Gedanken zu bringen.

Aber zu meinem Freunde Philipp flüchtete ich, den ich bei einer Muhme von mir traf. Er tröstete mich; aber welcher Trost konnte fruchten? Einigemal sah ich auch meinen Geliebten heimlich. Er war in Verzweiflung. Wie glücklich ich in deiner Nähe, im Bewußtsein deiner Liebe war, rief er aus, davon bist du Zeuge gewesen; kein Wunsch, keine Begier bestürmte dich. Vielleicht soll der irdische Mensch nicht so geistig schwärmen und sich seinem Berufe, der Aufgabe des Lebens entziehen, die er freilich auch mit den Niedrigsten teilt. Aber meine Seele duldet es nicht, dich in den Armen jenes Ungeheuers so völlig entweiht, so bis zum Entsetzlichen geschmäht zu denken. Jetzt ist die Begier, dich ganz mein zu nennen, daß du mir als Gattin angehörst, geheiligt worden. Jetzt ist es meine Pflicht, dich zu diesem Schritt zu überreden, durch meine Liebe dich zu ihm zu zwingen, wenn du dich weigern solltest.

In der Verwirrung aller meiner Lebensgeister folgte ich seinen Einreden nur gar zu gern. Ich ward sein Weib und Philipp segnete unsern Bund.

Wir sahen uns oft bei jener Muhme, einem liebevollen, schwachen Wesen, die durch unsre Not war gerührt worden. Da aber zu befürchten stand, daß mein Vater alles entdecken würde, so hatten wir die Flucht beschlossen; wir hatten vor, uns nach England zu wenden, wo Robert angesehene Freunde hatte. Doch zu spät. Mein Vater traf mich, indem ich einen Brief an Robert schrieb, aus ihm ersah er, daß er mein Gatte war. Er schäumte und war entsetzlich in seiner Wut. Ich ward eingesperrt und bewacht. Er wendete sich an Bischof und Klerisei. Philipp ward als Verbrecher angeklagt und mußte entfliehen, ich weiß noch jetzt nicht, wohin. Alle Worte, Bitten und Klagen waren vergeblich. Durch Geld – o was vermag das Geld nicht – brachte man es dahin, daß meine scheinbare Ehe, so nannte man sie, für ungültig erkannt und aufgelöst wurde; ich sei noch nicht mündig gewesen, und habe mich also, vorzüglich ohne Wissen meines Vaters, noch nicht versprechen können; Philipp sei ein Abtrünniger und kein Priester, er habe also das Sakrament nicht verwalten und spenden dürfen, und von jener Sünde des Konkubinats ward ich, als Unwissende, Törichte, von meinem Beichtvater, nachdem ich mancherlei Bußen hatte üben müssen, losgesprochen. Ich war wieder vernichtet und zum zweitenmal um mein Leben, und um ein verschönertes, vereiteltes, betrogen. Ich mußte mich und die Welt und Menschen verachten, um so mehr und schmerzlicher, da der rohe, gefühllose Denisel keinen Anstand nahm, mich nach diesem öffentlichen Schimpf als seine Gattin heimzuführen.

O! es ist entsetzlich, was der Mensch erleben und ertragen kann, und kein Mann kann es fühlen und wissen, um wieviel furchtbarer noch das Schicksal des Weibes ist. Sei er durch Unglück an eine Gattin gekettet, die er hassen oder verachten muß, – so vernachlässigt er sie, findet im Geschäft, Arbeit, Gesellschaft, oder bei andern Weibern, selbst im Laster, Zerstreuung und Trost. Gibt er sich in schwachen Stunden dem aufgedrungenen Weibe hin – er verliert nicht seinen Wert, nicht sich selbst in ihren Armen. – Ja, Freund, wir sind schon in der Geburt, seit dem Beginn der Schöpfung verflucht, und nur wenigen, nur Auserwählten ist es vergönnt, sich dieser Schmach und Verwerfung zu entziehen, und diesen gelingt es doch wohl nur, wenn sie sich der Alltäglichkeit, den kümmerlichen Gewohnheiten des Lebens, der hoffnungslosen Mittelmäßigkeit unbedingt ergeben, und einem Gatten angeschlossen sind, der auch von sich und dem Leben nichts als ein jammervolles Unbedeutendes erwartet. – Gefühl, Liebe, Sehnsucht nach Wahrheit und unsterblichen Gütern überliefert uns immer wieder dem schadenfrohen bösen Feinde.

Was mir am leidlichsten schien, ja was mir eine Art von Trost gewährte, war die Grausamkeit, mit der mich dieser aufgedrungene Gatte mißhandelte. Mein Vater, die Priester und er waren übereingekommen, daß er mich, als Ersatz der Kirchenbuße, wegen meiner Abtrünnigkeit täglich züchtigen und strafen könne, auch ohne alle Veranlassung, ohne daß ich gegen ihn den kleinsten Fehl, nach seiner Meinung, begangen habe. Dies zu tun vergaß mein Peiniger nie. Meine Gesundheit schwand, mir war alles gleichgültig, ich stand in keinem Verhältnis, in keinem Zusammenhange, weder mit Gott noch Menschen. – Ach! mein Freund, ich habe viel gelitten, ich habe viel gefehlt, und auch an der Liebe mich versündiget. Damals wünschte ich kaum noch den Tod, denn Sein und Nichtsein lag in der fürchterlichsten Gleichgültigkeit vor mir. Ich glaube, eine Pflanze hat mehr Stolz.

Unvermutet lichtete sich mein Dasein wieder aus. Die Liebe macht listig und erfinderisch, und so hatte Robert Mittel gefunden, durch Verkleidung unkenntlich gemacht, wieder in die Stadt zu kommen; er hatte mit meinem Peiniger Bekanntschaft gemacht, und als armer Bittender dessen Gunst so sehr gewonnen, daß dieser ihn in seine Dienste nahm. Wie erstaunte, wie erschrak ich, ja hielt es für ein Wunder, als mein Mann mir meinen Geliebten, meinen Gatten selbst in mein Zimmer führte, und diesem die Aufsicht über mich anvertraute.

Freilich hatte sich mein Leben nun verwandelt. Die Kunst des Robert vermochte viel über den unmenschlichen Denisel, nur konnte er ihn nicht überreden, die Strafen, mit denen er mich täglich heimsuchte, zu unterlassen. In der Abwesenheit des Mannes war Robert mein Gesellschafter. Oft aber, wenn Denisel keine vornehmen Freunde fand, mußte Robert mit ihm trinken und schwärmen; in diesen wilden Stunden erzählte er ihm von den Streichen seiner Jugend, von seiner Rohheit und Mordsucht im Kriege, von den Weibern und Mädchen, die er verführt und elend gemacht hatte, von den Bauern und Bürgern, die er geplündert oder in ihren Häusern verbrannt hatte. Auch jetzt noch, ob er gleich Greis war, hatte er noch seine Liebschaften mit gemeinen und liederlichen Dirnen. Alles dies erzählte mir Robert, und es war natürlich, daß ich meinen Quäler nur um so mehr verachtete und haßte.

War mein Wesen verwandelt, so war auch Robert nicht mehr, wie ich ihn ehemals gekannt hatte. Sein Sinn war weltlicher, heftiger, ja ich mag es wohl so ausdrücken, roher geworden. Die Gelage, zu welchen er meinen Mann begleiten mußte, waren ihm bald nicht mehr so zuwider, wie anfangs; ich entschuldigte es, wenn ich ihn manchmal berauscht sah, daß er sich der Umgebung und dem Willen seines Herrn fügen müsse. Wollte ich, wenn ich ihn jetzt betrachtete, meine Empfindung für ihn mit jener messen, wie sie noch vor kurzem, wie ein Engel leuchtend, durch meine Seele flog, so schnitt es durch mein Herz; ich konnte mich jenes Himmelsklanges nicht erinnern, und mir war, als sei alles nur Lüge gewesen, welche mir eine Seligkeit erheuchelt hatte.

Warum, Freund, führe ich Euch diese Wanderung durch die furchtbare Wüste meines Gemütes? Ihr sollt mich kennen lernen, damit Ihr Euch und mich beruhigt. Aber richtet nicht zu strenge, und entzieht mir Eure Achtung und Freundschaft nicht.

Heftiger geworden, in einen Mann verwandelt, der sich viel weltlicher als ehemals zeigte, glaubte Robert sich durch seine ihm von der Kirche gegebenen Rechte ermächtigt, vertraulich mit mir umzugehen, und auf das neu geschlossene Bündnis keine Rücksicht zu nehmen. Alle meine Zweifel wußte er mit seiner Beredsamkeit zu widerlegen, seine Bitten bestürmten mich, die Achtung vor mir selbst hatte ich längst verloren, meinem Quäler glaubte ich keine Pflicht schuldig zu sein, Religion und Priester hatten sich mir als Feinde, die erkäuflich waren, gegenübergestellt, und so ergab ich mich ihm, in der Überzeugung, ihn glücklich zu machen.


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