Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Peter Carrieux befahl ihnen, die Waffen niederzulegen und wieder an ihre Arbeit zu gehen; dem großen heftigen Mann aber winkte er zu bleiben, und ging mit ihm in seinen Garten, in welchem sie nicht gehört werden konnten. Warum übereilt Ihr Euch so? sagte der Herr zu seinem Gesellen. Die Bürger würden nicht zu uns stehn, die Schöffen sind unentschlossen und voll Angst, der Adel zöge vielleicht gegen uns. Dann wären wir verloren, wenn der Herzog nachher noch seine Reisigen gegen uns schickte. Ja, wären wir einig und dächten alle so wie ich, so wollten wir diesem kleinen verrückten Bischof bald sein Spiel verderben.

Wie ihr wollt, Herr, sagte Guntram; aber Ihr seid in diesen Dingen nicht so erfahren wie ich. Ich habe den großen Aufstand in Gent mitgemacht, früher war ich Soldat; wo es Lärmen und Scharmützel gab, da wurde ich von meinem Gemüte hingezogen. Es liegt oft nur an einer Kleinigkeit, daß eine ganze Stadt und Landschaft in den hellen Aufruhr hinausbricht. Sitzt alles still und läßt sich alles Unheil auf Ohren und Rücken regnen, so ergibt sich freilich nichts. Aber oft bedarf es nur einer Handvoll Menschen, die steif und fest auf ihrem Willen bestehen, so befeuert das die andern; der Schläfrigste wirft seine Mütze ab und setzt fluchend den Sturmhut auf; der Spektakel ergreift alles; in jeder Gasse rühren sich die Menschen und besinnen sich darauf, daß sie etwas zu verfechten haben. Wie ein Fieberhitziger steckt einer den andern an, und sie trotzen, schreien und toben, und wissen oft selbst nicht, was sie wollen. Manchmal haben sie keine Sache zu verfechten, die finden sie dann aber im Tumult. O, ich weiß mit den Geschichten Bescheid und kenne das Gemüt meiner Landsleute. Einer, dann etliche, dann mehr müssen nur voran. Jeder denkt dann, die haben Hinterhalt, so laufen sie mit und begeistern sich und andre. Die Masse wächst, wie ein gerollter Schneeballen, und indem sich jeder auf den andern verläßt, wird er selber mutig. Und Ihr nun gar! Ihr habt ja die allerbeste Sache von der Welt zu verfechten. Jetzt sind es gerade dreißig Jahr, als ich dabeistand, wie das gute Mädchen von Orleans verbrannt wurde. Das tapfere Kind, das damals den jetzigen Franzenkönig aus seinem Elend errettete, sollte nun auch eine Hexe sein. Das, dachten wir alle, wäre nun gewiß die letzte Hexe, die sie auf den Scheiterhaufen setzten, denn die schändliche Lüge sprang allen in die Augen. Die Menschen weinten und ächzten, als sie das geduldige, schönlockige Schlachtopfer in seinen qualvollen Tod hineingehen sahen. Ich versichere Euch, hätten sich nur vierzig Menschen einen echten Mut fassen können, so wäre wohl das ganze Volk, trotz der englischen Soldaten, zur Meuterei erwacht. Laßt uns gewähren, Herr, und Ihr sollt Wunder sehen.

Ich verbiete dir jedes Unternehmen, sagte Carrieux, wenn du nicht willst, daß ich dich, so nützlich du mir bist, fortschicken soll.

Meinthalb, sagte Guntram verdrießlich; aber ich gebe Euch mein Wort, daß Ihr es noch bereuen werdet, so unsern guten Willen verkannt zu haben.

Köstein, von der Forderung und Appellation des verwundeten und kranken Denis erschreckt, nahm unvermutet von seinen Freunden, Bekannten und dem Kanonikus Melchior Abschied, um schnell zum Herzoge zu reiten, damit ihm die Berufung auf dessen Sohn keinen Schaden bringen möge. Er war überzeugt, daß es nur weniger Worte beim alten Fürsten bedürfe, um alles niederzuschlagen, was irgend Wahres oder Unwahres gegen ihn vorgebracht werden könnte. Melchior war um seinen Vetter besorgt; dieser aber verlachte in seinem jugendlichen Übermut nur die Furcht des älteren Mannes.

Friedrich war eben bei der tief betrübten Frau Catharina, um sie zu trösten, als sie durch einen Boten, den sie nicht kannte, und der sich schnell wieder entfernte, folgendes Blatt erhielt. Die Schrift war verstellt, und der Schreiber nicht mit Sicherheit zu erraten.

»Entflieht! Noch heut, womöglich noch in dieser Stunde. Am sichersten nach Frankreich oder Deutschland. Zaudert nicht. Wählt das Land, das Ihr am ersten erreichen könnt. Nehmt Juwelen und Geld mit, soviel Ihr könnt. Morgen ist alles zu spät. Laßt auch das Beste zurück, um Euch nur selbst zu retten.«

Sie sahen sich an und auch Friedrich war erblaßt. Ich fliehe, sagte sie, denn ich errate, von wem dieses Blatt kommt; es ist eine Tat der Reue, denn der Dechant hat erst diesen Unsinn des Bischofs befördert, den er jetzt vielleicht gern zur Vernunft bringen möchte. Es scheint also, die Sache wird ernster, als selbst unsre böseste Furcht ahnden konnte.

Wie kann ich Euch nützen, arme Freundin? fragte Friedrich; soll ich Euch begleiten? Braucht Ihr mehr Diener?

Nichts von alledem, sagte sie, was nur Aufsehn machen würde. Ich gehe in einer Stunde mit meinem Reisewagen fort, als wenn ich jemand auf dem Lande besuchen wollte, und suche die Küste zu erreichen, um von da nach England zu gehen. Ich habe am Hofe dort einige Jugendfreundinnen, die mich aufnehmen werden. Zwar ist mir nach dem entsetzlichen Schicksale meines geliebten Robert das Leben verhaßt, aber ich will nicht so sterben, unter Martern, als Scheusal, ein Opfer des Aberwitzes.

Friedrich nahm mit einer herzlichen Umarmung Abschied von der schönen Frau. Er konnte nicht weinen, aber sein Herz war unendlich beschwert, und als er aus der Tür trat, versagten es die Knie, ihn aufrecht zu erhalten. Er kehrte noch einmal um, sich etwas mehr zu sammeln, und sagte erschöpft: Daß ich Euch so verlieren soll, die ich niemals mein nennen durfte, konnte uns wohl keiner vorhersagen.

Vielleicht sehen wir uns wieder, und bald, antwortete sie; dieser Traum der Torheit, dieser Schwindel muß ja doch bald vorübergehn. Wahrt Eurer Gesundheit, geliebter Freund, gedenkt Eures alten Vaters.

Noch einmal drückte der Jüngling die schöne Gestalt an sein Herz, dann eilte er schnell aus dem Hause, um einen Vorsatz auszuführen, der ihm im letzten Augenblicke wieder Kraft und Hoffnung gegeben hatte. Er eilte nämlich nach der Residenz des Bischofes, und ließ sich bei diesem melden und um eine Unterredung bitten. Ein Priester führte ihn durch die Gemächer in das Zimmer des Bischofes, den er in Gesellschaft des Dechanten traf. Der kleine Mann saß und hielt das feurige Auge starr auf ein Blatt geheftet, welches er las und dann unterschrieb. Der dienende Priester nahm es dann aus seiner Hand und entfernte sich stumm und mit einer tiefen Verneigung. Noch blieb der Bischof in seiner nachdenkenden Stellung, der Dechant stand verlegen, und es schien, als wage er es nicht, sein Auge zum Jüngling zu erheben. Endlich stand der Prälat auf, als wenn er aus tiefem Sinnen erwachte, ging auf Friedrich zu, trat ihm ganz nahe vor das Antlitz, und sah ihm scharf und brennend in seine Augen, mit einem so langen und unermüdlichen Blicke, daß Friedrich die Augen niederschlug und wie in Beschämung errötete. – Es ist richtig! sagte der Bischof dann, wie ich es vermutet habe, und trat wieder zurück: ich habe Euch lange nicht gesehn, junger Mann, und Ihr habt Euch wunderbar verändert.

Ihr wart lange nicht in unserm Hause, verehrter Herr, antwortete Friedrich, und kein Geschäft führte mich in das Eurige, so ist mein Antlitz Euch fremd geworden, und Ihr findet es verändert, weil vielleicht früher Kummer seine Kennzeichen hineinschrieb.

So? antwortete der Bischof trocken; und heut führt Euch ein Geschäft zu mir?

So ist es, antwortete Friedrich; aber es wird mir schwer, den Anfang meiner Bitte, oder Vorstellung, oder wie soll ich es nennen, zu finden; aber ich möchte Euch manches im Namen unsrer ganzen Stadt an das Herz legen, was Ihr nicht von Euch weisen solltet.

Also seid Ihr ein Abgesandter von der Stadt? fragte der Bischof, und sprecht in ihrem Namen?

Nichts weniger als das, sagte Friedrich; nur mein eigner Entschluß hat mich hierher getrieben.

Die Stadt, antwortete der Prälat kurz, hätte freilich wohl auch einen Ältern und Verständigern senden mögen. Also aus eignem Antrieb beliebt es Euch, mir manches zu eröffnen; so redet denn.

Ich beschwöre Euch, sagte Friedrich, verachtet meine Jugend und mein gutmeinendes Wort nicht, damit Ihr Euch nicht den Fluch Eurer Mitbürger, der Geistlichkeit und der Zukunft durch rasches und leidenschaftliches Tun herbeiziehn möget. Es ist nicht anders möglich, Euer Gemüt muß erwachen, Eure Vernunft muß sich überzeugen, daß Ihr jetzt ein Werk begonnen und unternommen habt, welches nur mißverstandner geistlicher Eifer, falsche Frömmigkeit und eine Sucht, das Abenteuerliche zu glauben und leere Phantasien für Wahrheit zu nehmen, hat hervorbringen können. Auf diese schwindelnde Spitze setzt Ihr Euren Ruf, Eure Würde, Euer Verhältnis zur Klerisei und zum Papst. Kehrt um, guter schwacher Mann, solange es noch Zeit ist, und gesteht als Christ Eure Übereilung ein.

Ohne Zweifel, sagte der Bischof mit Hohn; und was treibt Euch dazu, Euch in Dinge zu mengen, die Euch gar nicht berühren, und weit über Eure Begriffe und Fähigkeiten liegen?

Wie? rief Friedrich mit Unwillen; es soll mich nicht, nicht jeden berühren und mit Schmerz und Pein durchdringen, wenn ein würdiger Mann, wie unser Schöffe Taket, uns grausam geraubt und als Verbrecher dem Pöbel preisgegeben wird?

Er ist also kein Zauberer und Hexenmeister? fragte der Prälat.

Gewiß nicht, erwiderte Friedrich; sowenig als ich es bin.

Der Bischof lachte laut auf, und der Jüngling, von diesem kalten Hohn noch mehr auf gereizt, verlor seine Fassung ganz und sagte mit zornglühenden Augen: Laßt ihn frei, den würdigen Schöffen, sowie die andern armen Opfer eines irrigen Verstandes. Kann es Euch denn wirklich darum zu tun sein, mit Wahnsinnigen einen Prozeß auf Leben und Tod zu führen? Ist es erhört, daß man auf die Aussagen von Verrückten andre Unbescholtene einkerkert und ihr Leben in Gefahr setzen will?

Diese Unbescholtenen, fing der Prälat wieder an, liegen Euch also sehr am Herzen? Unbescholten sind die beiden Dirnen wohl auch, die vom Laster ihren Unterhalt gezogen haben? Wollt Ihr nicht für diese auch als Ritter auftreten?

Das ist etwas ganz anderes, antwortete Friedrich; die Dirnen sind verwerflich, und die Stadt kann ihnen verboten werden.

Sie sind aber wenigstens ebensogut, sagte der Bischof höhnend, als Euer Liebchen, die Frau Catharina Denisel, die doch auch ein ebenso schändliches Gewerbe getrieben hat.


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