Julius Stinde
Die Familie Buchholz. Aus dem Leben der Hauptstadt
Julius Stinde

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Emmi's Trousseau.

Früher, als ich noch jung war, begnügten sich die Bräute mit der Ausstattung: jetzt muß es aber ja ein Trousseau sein. Im Grunde genommen ist ein Trousseau allerdings nichts Anderes als das, was man sonst Aussteuer nannte, nur mit dem Unterschiede, daß der Trousseau firlefanziger ist und lange nicht so gediegen, wie das, was wir früher mitbekamen: mehr Spitzen und Kanten und altdeutsche Muster ... nur keine Haltbarkeit. Ich sagte mir jedoch: »Wilhelmine, du richtest die Aussteuer nach alter solider Weise ein. Der Doktor ist wohlgenährt und wiegt sein Theil, der kann keine gebrechlichen Möbel gebrauchen, und wenn die Bettücher nicht von erster Güte sind, müssen sie in ein paar Jahren hin sein. Der Chlorkalk frißt den modernen Fummel ja gleich kurz und klein.«

Einige Tage nach der Verlobung theilten mir die jungen Leute mit, daß sie gesonnen seien, die Hochzeit nicht auf die lange Bank zu schieben. »Hat das denn solche Eile?« fragte ich. »Der Brautstand ist so sehr lieblich,« bemerkte ich dem Doktor, »daß es unrecht ist, ihn abzukürzen. Giebt er den jungen Leuten nicht Muße, sich recht von Herzen kennen zu lernen? Giebt er dem Bräutigam nicht Gelegenheit, sich aufmerksam gegen seine Braut zu erweisen, und sind nicht so viele Vorbereitungen zu treffen, damit der neue Hausstand sich ausnimmt, als wäre er direkt für den Laden gearbeitet?« Der Doktor meinte jedoch, er für seine Person sei gegen jedes Gezerre und die Praxis ließe ihm keine Zeit zu überflüssigem Courschneiden.

»Lieber Schwiegersohn,« sagte ich darauf, »sich angenehm bei seinen Nebenmenschen machen, ist nie überflüssig, zumal wenn dieselben in nähere verwandtschaftliche Verhältnisse zu einander treten. Ich für mein Theil beanspruche auch weiter keine Rücksichten, als die, welche eine Schwiegermutter verlangen kann und muß, der das Glück ihrer Tochter auf der Seele liegt.« – Hierauf entgegnete der Doktor, daß er mich sehr schätze und mir gerne in allen billigen Dingen zustimme, daß jedoch im Übrigen sein Wille den Ausschlag gäbe. Auch ihm läge daran, Emmi glücklich zu machen, aber nicht nach den Vorschriften Anderer und nicht auf Kosten seiner persönlichen Freiheit. – Mit den 'Anderen' meinte er natürlich nur mich. Ich bezwang mich und sagte: »Gut denn, ganz wie Sie wollen, aber übereilt wird die Aussteuer nicht. Dafür bin ich die Mutter.«

Die Eile war mir sehr verhaßt, aber geht heutzutage nicht Alles im Galopp? Sonst wußte man, wenn die Crocus und Maiblumen blühen, ist Frühjahr; jetzt werden die armen Dinger gejagt und gequält, daß sie schon um Weihnachten im Gange sind. Sonst brach der Flieder erst aus, wenn die Nachtigallen gekommen waren; jetzt steht er schon im Januar blühend hinter den Fenstern der Blumenläden. Aber wie sieht er auch aus! Wie dürftig und gelb sind seine Blätter, wie miesepeterig sind seine Zweige, wie bettlägerig seine Blüthen.

Und ganz so verhält es sich mit dem kurzen Brautstand. Sonst, wenn die Aussteuer angeschafft wurde, hatte man Zeit, Alles gründlich und vorsorglich zu überlegen. Jedes Stück, das genäht wurde, bekam sein Recht und wurde Einem lieb und vertraut, weil mancher Gedanke mit hineingenäht wurde, manche Hoffnung und viel Freude, wie sie nur einmal im Menschenherzen wohnt, nämlich während des Brautstandes. Ich weiß das noch recht gut von meiner eigenen Jugend her. Ach, wie war die Zeit schön!

Nun geht es, als wenn Jemand mit der Peitsche dahinter stände. Die Nähmaschine muß Alles zusammenrasseln, aber hat die Gefühl? Akkurat macht sie ihre Arbeit, das ist wahr, aber Liebe kann sie nicht in den Stoff hineinnähen, den sie mit Höllengeschwindigkeit durchprickelt. Denn Liebe will Zeit haben. Es mag daher ganz passend sein, die heutige Aussteuer Trousseau zu nennen.

Ich machte mich mit den Töchtern daran, so viel wie nur irgend möglich nach alter Manier herzustellen. Eine, die nicht weiß, wie viele Arbeit und Mühe ein Stück Leinenzeug kostet, geht nachher gewissenlos mit den guten Sachen um, und ehe man sich's versieht, sind die feinen Servietten Wischtücher.

Der Doktor wohnt sehr nett, aber es ist ein altes Haus, in dem er sich angesiedelt hat, und die Zimmer reichen nicht aus. Er braucht ein Wartezimmer und ein Sprechzimmer schon allein für sein Geschäft. Wo bleibt da die gute Stube? Hierüber mußte es ja zu Kämpfen kommen. Er meinte, wenn er nicht gerade Sprechstunde habe, könnte seine Frau sich in dem Sprech- und Studirzimmer es so bequem machen, wie sie wollte. Das wäre eine Zumuthung, warf ich ihm ein, es sei nothwendig, die obere Etage zuzunehmen. Hierauf sagte er, daß er durchaus keine Lust verspüre, sich für den Hauswirth abzuschinden. Die Etage liefe nicht weg, die könnte man später auch noch haben. – »Aber wo bleibt die gute Stube?« rief ich entsetzt. – »Was sollen wir mit einem Aufbewahrungsraum für Möbel?« fragte er. »Die guten Stuben, die alle Jubeljahre einmal gebraucht werden, sind für den Mittelstand ein dummer Luxus. Die Familie murkst in den Hinterzimmern herum, um nach vorn heraus ein Möbelmagazin zu haben, das nur des Scheuern und Reinmachens wegen da ist. Den Unsinn mache ich nicht mit.« – »Wenn Sie die Welt auf den Kopf stellen wollen, so muß ich mich wohl fügen,« antwortete ich spitz, aber ich begehrte nicht weiter auf, weil das Standesamt noch sein Wort nicht gesprochen hatte. Im Stillen gelobte ich mir, meinen Willen schon durchzusetzen, wenn der Doktor nur erst dingfest gemacht worden sei. Verlobungen sind heutzutage ja von einer Unsicherheit, daß man erst aufathmen kann, wenn Standesamt und Kirche ihre Schuldigkeit gethan haben. Ich bin für Beide, denn doppelt hält besser.

Auch von einem Umzug wollte er nichts wissen. »Meine Kundschaft weiß, wo sie mich findet,« sagte er. »Glauben Sie mir, es ist in Berlin schwer für einen jungen Arzt, sich Praxis zu verschaffen, denn er fehlt nicht viel an Fünfzehnhundert Ärzten.« – »Dies ist ja erschreckend!« rief ich. »Und Alle wollen existiren. Kann es denn so viel Ungesundheit geben, daß Alle genug davon haben? Berlin ist doch eigentlich haarsträubend.« – Als ich diese Konkurrenz erfahren hatte, fiel es mir nicht ein, weiter mit dem Wohnungswechsel auf ihn einzudringen. Man muß ja Gott danken, wenn er Leute krank werden läßt, und es wäre geradezu sündhaft, wenn der Himmel mal ein Einsehen mit den Doktoren hat und für Leidende sorgt, den Patienten den Weg zu ihnen zu erschweren. – Neu hergerichtet muß die Wohnung jedoch werden, so propper sie auch ist, denn wenn ein Junggeselle auch noch so nett horstet, ist es doch etwas Anderes, wenn eine Frau in das Haus kommt. »Das Ameublement besorgen wir, lieber Doktor,« sagte ich, »einfach, aber gediegen, oder sind Sie für das modern Stilvolle?« Er meinte, die stilvollen Möbel wären wohl mehr zum Ansehen, als zum Daraufsitzen, aber das Eßzimmer möchte er gern modern haben, wenn er sonst auch die Bequemlichkeit der Alterthümelei vorzöge. Was die Betten anbelangte, so wäre er für reelle Tischlerarbeit und gegen alle neueren Surrogate. »Seien Sie nur unbesorgt,« erwiderte ich, »die Betten sollen eine Wohnung für sich werden. Ich lasse sie eigens anfertigen, auf die gekaufte Waare ist ja kein Verlaß. In Biesenthal bin ich auf einer Landpartie mit Übernachtung sogar einmal mit einer nagelneuen Bettstelle niedergebrochen.« Er bedauerte mich nachträglich und hoffte von einer so erfahrenen Frau das Beste in Betreff der häuslichen Einrichtung, zumal er von Küchengeräth gar keine Ahnung hätte.

»Wo aber stellen wir das Büffet hin?« fragte ich ihn, als wir seine Wohnung auf die neue Einrichtung hin musterten, »ich denke, wenn wir das eine Büchergestell auf den Boden schaffen, so gewinnen wir einen passenden Platz dafür.« – »Wie kann ich mich von den Büchern trennen?« rief er. Ich nahm eine von den alten Scharteken, um ihm zu zeigen, wie viel Raum sie wegnehmen, und schlug sie dabei auf. »Doktor!« rief ich, nachdem ich mich von meinem Entsetzen erholt hatte, »wozu gebrauchen Sie Bücher, in denen Menschen mit abgezogener Haut abgebildet sind? So viel ich weiß, zieht kein Doktor den Leuten das Fell ab und Ihr Examen haben Sie lange gemacht. Was sollen daher so gräßliche Bücher in dem Zimmer, worin Emmi sich während Ihrer Abwesenheit aufhält? Bedenken Sie, wenn das Kind zufällig diesen Band in die Hände bekäme, es könnte den Tod davon haben. Die Doktorbücher müssen auf den Boden.« – An solche Bücher würde Emmi sich schon gewöhnen. – »Nie,« sagte ich. Er wurde ärgerlich und entgegnete heftig: »Das muß ich besser wissen. Die Bücher gebrauche ich und sie bleiben hier unten.« – »Wie Sie wollen,« sagte ich und nahm Hut und Schawl. »Da habe ich eine nette Schlange an meinen Busen gelegt,« sagte ich zu mir selbst. »Aber nur Geduld, mein Herr Doktor. Keine gute Stube und so abscheuliche Bücher in dem Zimmer, das wäre ja zu allerliebst!« –

Und zu Hause saß Emmi glückstrahlend und nähte an ihrem Trousseau. – »Wenn Du wüßtest, was Dich erwartet, Du armes Kind,« seufzte ich in mich hinein, »aber sei unbesorgt, Du hast eine Mutter, die ihr Junges wie eine aufgebrachte Löwin in Schutz nehmen wird. Sobald die Zeit nur erst da ist, dann weiß ich, wohin die Bücher kommen!«

Ich half Emmi, denn es gab noch viel zu schaffen. »Mama,« sagte sie, »solches Vergnügen habe ich noch nie an einer Arbeit gehabt, als wie an dem himmlischen Trousseau.«


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