Julius Stinde
Die Familie Buchholz. Aus dem Leben der Hauptstadt
Julius Stinde

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Herr Buchholz hat Zahnschmerzen.

Vor acht Tagen feierten wir unsern Hochzeitstag – es war der schauderhafteste, den ich je erlebt habe. Mir ist dieser Tag sonst das schönste Fest im Jahre, mehr noch als Ostern und Pfingsten zusammen, denn es ist mein Tag und mein Karl ist der Kalenderheilige dazu. Man könnte fragen, ob der Tag nicht auch meinem Karl gehört? Gewiß auch das, aber weiß ich, ob ich ihn ebenso glücklich gemacht habe, als er mich? Ich will es hoffen, aber ich kann mir nicht denken, daß je eine Menschenseele so glücklich sein könnte, als ich an dem Tage, als er mir seinen Namen gab und vor dem lieben Gott und den vielen Menschen laut und offen bekannte, daß er mich liebte. Ich konnte das Ja kaum über die Lippen bringen, weil ich mich vor den vielen Leuten genirte, und doch hätte ich laut aufjubeln mögen in all dem Glück.

Wenn nun unser Hochzeitstag herankommt, dann wird jener erste Tag wieder lebendig in meiner Erinnerung, als wäre es gestern, und wenn mein Karl mich stillschweigend umarmt und mir einen innigen Kuß giebt, dann ist mir, als sei er noch mein Bräutigam, mit dem Myrthenstrauße im Knopfloch, der weißen Binde und den fein frisirten Haaren, obgleich er jetzt nur den Schlafrock anhat und auf dem Kopfe früh Morgens ein bischen wuschig aussieht.

Am Abend haben wir stets eine kleine Gesellschaft, gute Bekannte und Freunde, und auf den Tisch kommt auch etwas Ordentliches. Mein Karl ist kein Kostverächter und mich freut es, wenn es ihm schmeckt. Diesmal aber rührte er fast nichts an, und das machte mich besorgt.

»Fehlt Dir was, mein Karl?« fragte ich.

»O nein,« antwortete er, aber ich merkte doch, daß das »O« so lang herauskam wie die halbe Friedrichstraße. Ich drang weiter in ihn, allein er verwies mir jede Frage und wurde so zu sagen etwas unangenehm gegen mich.

Gegen halb zwei Uhr entfernten sich die Gäste. Als wir nun unter uns waren, konnte ich doch nicht umhin, meinem Karl einige Vorwürfe über sein Betragen zu machen, worauf er sagte, daß er ein wenig Zahnschmerzen habe und nicht zum Vergnügtsein aufgelegt sei. Ich schlug ihm vor, ein Zahntuch umzubinden, aber er lachte mich aus und meinte, die Schmerzen seien nicht von Belang und würden sich schon wieder geben.

Als ich darauf in die Küche ging, um unserer Aufwaschfrau, die immer bei festlichen Gelegenheiten hilft, ihren Tagelohn zu geben, ließ ich auch ein Wort darüber fallen, daß mein Mann leidend sei, worauf die alte Grunert – so heißt die Aufwaschfrau nämlich . sagte, daß sie ein ausgezeichnetes Sympathiemittel wüßte, das schon so sehr vielen Leuten geholfen habe.

Warum sollte man nicht einmal einen Versuch machen, da Sympathie so unendlich billig ist?

Mein Karl höhnte anfangs, als ich ihm von der Grunerten sagte, jedoch ich redete ihm zu, da Sympathie keinen Schaden thun könnte, und so gestattete er denn, daß die Alte ihr Mittel anwendete.

Die Grunerten wußte, daß im Garten ein Hollunderbusch wuchs, der zu ihrem Vorhaben nothwendig war. Stillschweigend ging sie hinunter, schnitt einen Span aus dem Baum und bohrte meinem Karl damit so lange an dem kranken Zahn herum, bis er blutete. – Alles stillschweigend. – Dann ging sie wieder zu dem Baum, band den Span auf derselben Stelle mit einem leinenen Faden fest und fragte, ob die Schmerzen fort seien.

»Was sollten sie wohl?« rief mein Karl ärgerlich. »Sie sind nach dem Bohren nur noch schlimmer geworden!« – Die Grunerten sagte, er solle nur warten, bis der Span angewachsen sei, dann würde der Schmerz wie weggeblasen sein, wünschte gute Besserung und ging nach Hause.

Mein Karl schalt sehr über den Unsinn, zumal die Pein nach der Sympathie immer heftiger ward.

Ich rieth ihm, warmes Wasser in den Mund zu nehmen, was ja auch sehr gut ist, und ging nach der Küche, um Wasser zu kochen.

»Gott, Madame,« sagte die Köchin zu mir. »Wenn ich Zahnschmerzen habe, nehme ich Senfspiritus und reibe die Backe damit ein. Es beißt wohl ein bischen, aber es hilft!« Zum Glück hatte sie noch einen Rest, den ich dankend annahm und bei meinem Karl in Anwendung brachte.

Ich wollte, ich hätte dies nicht gethan, denn der Senfspiritus fraß wirklich sehr stark, und mein Karl meinte, ich hätte ihm das höllische Feuer in Antlitz gestrichen. Die Backe wurde roth wie ein gesottener Krebs und ging denn auch richtig sehr bald ganz dick auf. Nun mußte er doch ein Zahntuch umbinden, was er ja gleich hätte thun können, wenn er meinem Rath gefolgt wäre. Aber Männer sind immer eigensinnig, wenn es ihr Bestes gilt.

Mit der Sympathie und dem Senfspiritus war es gegen drei Uhr geworden und wir gingen zur Ruhe.

Ich kann nicht sagen, daß ich eine angenehme Nacht hatte, denn mein Karl schlief fast gar nicht und wühlte fortwährend in seinem Bett herum. Es sah am andern Morgen aus, als hätte er Unklug darin gespielt.

Gegen acht Uhr schlief er ein und ich hoffte schon, daß Alles gut sein würde. – Um zehn kam die Polizeilieutenanten zum nachträglichen Gratuliren, die meinen Karl aufrichtig bedauerte und sagte, daß nichts besser gegen Zahnschmerzen sei, als echte chinesische Po-ho-Essenz. Wir schickten unser Mädchen herum, die denn auch bald mit der Flasche ankam.

Mein Karl litt wieder schrecklich. Ich wies auf die Essenz hin, aber er wollte Nichts davon wissen.

»Karl,« sagte ich, »es wäre eine Beleidigung gegen die Frau Polizeilieutenanten, wenn Du das kostbare Mittel nicht gebrauchen wolltest!« Er widersetzte sich und war widerwillig, allein da die Chinesen doch in vielen Fällen klüger sind als wir, so bequemte er sich zuletzt und ich drückte ihm ein Stück tüchtig mit Essenz getränkter Watte in den Zahn.

Er spuckte zwar fürchterlich, aber der Schmerz war fort. Ihm standen die Thränen in den Augen von der Essenz, aber er lächelte doch, so gut es mit der geschwollenen Backe möglich war. Der gute Karl! Nein, wie dankbar wir der Polizeilieutenanten waren, das kann sich Niemand ausmalen. Wir begleiteten sie die Treppe hinunter und sie war auch sehr froh, daß ihr Rath so schön geholfen habe. – Als wir wieder oben kamen, hörte ich meinen Mann jedoch schon wieder lamentiren. Die Zahnschmerzen waren mit doppelter Kraft retour gekommen.

Nun ist es ein Glück, wenn man kluge Kinder hat. Meiner Betti fiel ein, daß Herr Krause eine homöopathische Apotheke besitzt und schon so manches Leiden im Handumdrehen kurirte, und rasch lief sie zu Herrn Krause, ihn zu uns zu bitten.

Herr Krause ist Lehrer und man darf Zutrauen zu solchen Leuten haben, die wirklich Alles wissen, da sie doch den Grund zu Allem legen und ja auch damals den Krieg gewannen, der ohne sie jedenfalls nicht zu Stande gekommen wäre. Und namentlich Herr Krause ist ungemein weit in der Wissenschaft und Bildung und hat zu den Ärzten durchaus kein Vertrauen. Ich bin, wie gesagt, auch mehr für Hausmittel.

Herr Krause trat bald mit seiner Apotheke und dem Doktorbuche ein, galt es doch seinen leidenden Mitmenschen beizustehen und wahre Humanität auszuüben. Mein Mann saß im Sopha mit dicker Backe und war sehr verdrießlich, aber weil er nur mit dem einen Auge gut sehen konnte, da das andere ziemlich zugeschwollen war, schien es, als wenn er Jedermann vergnügt zublinzelte.

»Nun, lieber Herr Buchholz,« rief Herr Krause ihm entgegen, »immer den Humor oben, das lobe ich mir!«

»Mir ist gar nicht nach Humor zu Muthe!« entgegnete mein Karl verdrießlich. »Wenn Sie mir einen Gefallen thun wollen schicken sie zum Arzt.«

»Zum Doktor?« lächelte Herr Krause, »das werden wir hoffentlich nicht nöthig haben. Die Ärzte kennen die Geheimnisse der Natur keineswegs, denn das, worauf es ankommt, das Heilen der Krankheiten lernen sie bei allem Katzenschlachten und Hundeschinden doch nicht. Und dann, was geben sie dem Menschen nicht Alles ein? Gifte und durchschlagende Mittel, die ewiges Siechthum herbeiführen. Die Homöopathie dagegen hebt die Krankheiten auf naturgemäße Weise.«

»Mit Holzsplittern oder mit Senfspiritus?« fragte mein Mann.

Herr Krause lächelte. »Die Homöopathie heilt nur mit dem Geiste der Arzneimittel,« setzte er uns belehrend auseinander. »Denken Sie sich eine Flasche voll Wasser, so groß wie der Mond, und in dies Wasser einen Tropfen Medizin gegossen und durchgeschüttelt, dann haben Sie ein homöopathisches Heilmittel.«

»Du meine Güte,« rief ich. »Wer kann aber den Mond schütteln?«

»Es ist nur bildlich gemeint, liebe Frau Buchholz,« entgegnete Herr Krause. »Nun wollen wir erst einmal die Symptome prüfen, um das richtige Mittel zu finden. Haben Sie Bohren in dem Zahne?«

»Seitdem die Grunerten fort ist, nicht mehr,« antwortete mein Karl.

»Also kein Bohren. Zieht der Schmerz von links nach rechts, oder von rechts nach links?«

»Er sitzt solide fest.«

»Aha, da wäre Pulsatilla angezeigt. Die dicke Backe deutet auf Zug. Wir werden Aconit mit Pulsatilla im Wechsel gebrauchen«

»Erlauben Sie, die dicke Backe kommt vom Senfspiritus.«

»Dann müssen Sie erst Camphora nehmen, um das Senfgift aus dem Körper zu treiben,« erwiderte Herr Krause.

Bei diesen Worten öffnete er seine Hausapotheke und ließ meinen Mann drei kleine weiße Kügelchen schlucken. Hierauf rührte er andere kleine Kügelchen in Wasser und sagte, mein Karl müsse alle Stunden davon einen Schluck nehmen. Erst würden die Schmerzen sehr heftig werden, das 'wäre die naturgemäße Erstverschlimmerung, weil der Geist der Arznei mit dem Geist der Krankheit kämpfe. Hierauf aber werde das Leiden wie durch ein Wunder gehoben. Außerdem verbot er ihm Tabak, Thee, Kaffee, Saures, Gewürze und namentlich Kamillenthee, der jahrelanges Siechthum zur Folge habe. Dann ging er.

Mein Mann nahm genau nach der Uhr ein: die Schmerzen wurden aber immer gräßlicher. »Gottlob,« sagte ich, »das ist die Erstverschlimmerung, die beiden Geister kämpfen gehörig, nun wird es bald besser?« Mein Karl stöhnte, daß er mich entsetzlich dauerte. – Er ging auf und ab. – Dann setzte er sich wieder. – Dann legte er sich auf das Sopha und bohrte mit dem Kopf in die Ecken hinein.

»Es ist nicht zum Aushalten,!« schrie er.

»Sei doch nur ruhig, mein süßer Karl! Du hast doch gehört: erst muß es schlimmer werden, ehe der Schmerz geht. Nimm nur noch einen Schluck von der Medizin, die Her Krause angerührt hat, und laß es ordentlich in Deinen Zähnen kämpfen!«

Wir warteten Stunde um Stunde, aber die Verschlimmerung ließ noch nicht nach. Mein Mann wollte rauchen, aber das durfte er nicht. Zu Mittag hatten wir sein Leibgericht, Schmorfleisch mit saurer Sauce. Dies durfte er auch nicht essen. Er wurde sehr wüthend, als er sich mit Zwieback und Milch behelfen mußte.

Schließlich meinte Emmi, Herr Krause habe wohl den Senfspiritus herausgetrieben, aber den Po-ho noch nicht, ob der wohl am Ende dagegen wirkte? Sie eilte deshalb zu Herrn Krause, um ihn zu fragen. Sie blieb lange fort, und als sie wiederkam, sagte sie, Herr Krause habe in seinem Doktorbuche nachgeschlagen, aber ein Gegenmittel gegen Po-ho sei nicht darin, und dieses Gift mache die Wirkung seiner Mittel zu Schanden. Hier wäre die Homöopathie einfach machtlos.

Nun aber hatte die Geduld von meinem Karl ein Ende. Emmi nannte er eine einfältige Pute und mich eine dumme Gans. Er war wie ein Wilder und pantherte im Zimmer auf und ab, wie ein Tiger in seinem Käfig. – Ich brach in Thränen aus und das Kind weinte mit mir. »Karl,« rief ich, »mir das und dem Kinde desgleichen! O wie bist Du lieblos, wo wir auf alle mögliche Weise Dein Leiden zu lindern suchen. So handelt nur ein Rabenvater. Du hast kein Herz für uns armen, schwachen Wesen. Karl, Karl, Du versündigst Dich an den Kinde und an mir!«

Er antwortete nicht, und als ich mit thränenden Augen über mein feuchtes Taschentuch aufblickte, sah ich, wie mein Karl auf dem Sopha vor Schmerz Kopf stand. Dies war gräßlich, denn kann es etwas Fürchterlicheres geben, als wenn man den Vater seiner Kinder, Bezirksvorsteher und Wahlvertrauensmann auf dem Kopfe stehen sieht, mit den Beinen hoch über der Sophalehne in der Luft? – Ich that einen lauten Schrei vor Entsetzen.

In diesem Augenblick kam Onkel Fritz. »Was giebt's denn hier für eine Komödie?« rief er lachend, als er dies Bild der Familienverzweiflung sah. Nur mit Mühe konnten wir ihm Alles auseinandersetzen, denn während unsere Stimmen von Thränen erstickt wurden und mein Karl nur unartikulirte Laute von sich gab, wollte er vor Lachen umkommen.

»Karl, alter Junge,« rief er, »was hat man mit Dir aufgestellt?«

»Nur Hausmittel!«

»Konntet Ihr denn nicht zu Dr. Wrenzchen schicken?« fragte Onkel Fritz.

»Wer geht denn gleich zum Arzt?« warf ich ein, »wozu sind denn die Hausmittel da?«

»Um Deinen Mann zu quälen und zu martern,« entgegnete er.

Onkel Fritz schalt nun meinen Karl aus, daß er sich von Alteweiberkram (ich glaube, dies war der gassenhafte Ausdruck) elenden ließe und hieß ihn sich anziehen, um mit ihm zum Zahnarzt zu fahren, da ihm einfiel, daß Dr. Wrenzchen nur für Innerliches und nicht für Äußerliches sei.

Dies war mir nicht recht, denn wenn Dr. Wrenzchen gekommen wäre, hätte er sich mit Betti unterhalten können; aber wir Frauen müssen uns der rohen Gewalt ja fügen.

Er fuhr mit meinem Karl ab. Nach einer Stunde kamen sie wieder. Mein Karl war seinen Zahn und die Schmerzen los und wie neu geboren, aber das neue Jahr unserer Ehe hatte keinen so lieblichen Anfang, wie alle die vorhergehenden, denn er war zu hart gegen mich gewesen, was ich nicht ohne Weiteres verzeihen durfte. Und wie gut hatten wir Alle es mit ihm gemeint!


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