Julius Stinde
Die Familie Buchholz. Aus dem Leben der Hauptstadt
Julius Stinde

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Spukgeschichten

Ich hätte Ihnen schon längst einmal wieder geschrieben, wenn etwas Ordentliches passirt wäre, allein da es in unserer Familie, Gott sei Dank, ruhig hergeht, so fiel auch nichts vor, was Sie interessiren konnte. Freilich bekam mein Karl vor einigen Tagen einen Hexenschuß, aber der ist schon wieder im Abziehen begriffen, nachdem die Seele von Mann sechzehn trockene Schröpfköpfe aufs Kreuz bekommen hat. Gegen Hausmittel habe ich jetzt einige Abneigung, so trefflich sie auch in vielen Fällen sind.

Da mein Karl das Haus hüten mußte, worauf wir durchaus nicht gerechnet hatten, war es unmöglich, an dem Schlafrock zu arbeiten, mit dem wir ihn zu Weihnachten überraschen wollen, und welche Zeit eine Sammetborde mit Plattstich in Seide erfordert, das ist den Männern nicht leicht begreiflich zu machen, die in den Wissenschaften ganz gut bewandert sein können, aber sich in eine weibliche Handarbeit doch nur schwer hineinversetzen. Ich sagte deshalb zu den Töchtern: »Kinder, wir werden mit Papas Schlafrock nicht fertig, denn wann sollen wir daran arbeiten, da Vater ja den ganzen Tag zu Hause ist? Ich bin der Meinung, wir gehen heute Abend zu Dr. Joachims und holen das Versäumte nach. Überdies sind wir dort längst einen Besuch schuldig!« Die Töchter freuten sich sehr, weil sie ungemein gerne bei Joachims sind. Die Doktorin ist nämlich einen Jugendfreundin von mir: wir heiratheten beide fast zu gleicher Zeit, und ihre Töchter stehen ungefähr in demselben Alter, wie die meinen und heißen auch ebenso. Karl sah freilich etwas sauer darein, weil er den Abend nicht gerne allein zubringen wollte, aber als ich sagte, daß es nicht anders ginge, wo fügte er sich. Nach den Erlebnissen auf der Ausstellung, wo Onkel Fritz ihn in sündhafter Weise zum Bierprobiren verleitete, ist mein Mann überhaupt viel williger geworden, als früher, wofür ich dem Magistrat im Stillen danke, weil ohne dessen Umsicht ein so segensreiches Werk niemals zu Stande gekommen wäre.

Als wir bei Joachims anlangten, war die Freude auf beiden Seiten eine gleich große. Der Doktor war in seinen Bezirksverein gegangen, wo ein bedeutender Politiker einen Vortrag über das »Verhältniß der Droschken zur Unfallversicherung« hielt, und somit waren wir ganz unter uns, konnten ungestört an den Weihnachtsgeschenken arbeiten und nach Herzenslust plaudern. Es war sehr gemütlich, als wir Alle so dasaßen und fleißig waren. Was thut man auch nicht, um Andern eine Freude zu machen?

Die Doktorin fragte, ob mein Karl uns nachher abholen würde, worauf ich ihr denn sagte, daß er einen Hexenschuß bekommen hätte und zwar so plötzlich, daß man wirklich meinen könnte, eine Hexe hätte ihm etwas angethan. Nun lachte die Doktorin mich aus. »Ich weiß, Du warst von jeher ein wenig abergläubisch, Wilhelmine,« sagte sie, »aber daß Du an Hexen glaubst, das ist doch ein bischen stark.« – »Ich glaube nicht gerade an Hexen,« antwortete ich, »aber es giebt doch mancherlei Dinge in der Welt, die kein Mensch erklären kann, selbst Onkel Fritz nicht, der sonst Alles besser weiß, als andere Leute.« – Die Doktorin lachte wieder. »Es geht Alles auf der Welt natürlich zu,« sagte sie. – »So?« fragte ich. »In der Bülowstraße bei Kuleckes haben sie noch den Geist eines verstorbenen Sargmachers im Tisch, den man ganz deutlich sägen und hämmern hört, wenn man Kette mit den Händen bildet.« – »Bei Kuleckes werden auch schon spiritistische Sitzungen abgehalten?« – »Warum denn nicht? Die vornehmen Herrschaften beschäftigen sich mit Geisterklopfen und Lebensmagnetismus, und Kuleckes möchten sich gerne auf das Vornehme aufspielen. Bei Baron von G. haben sie neulich den Diener in magnetischen Schlaf versetzt und ihn so viele rohe Kartoffeln statt Birnen essen lassen, daß er zwei Tage zu Bett liegen mußte!« – »Das nenne ich frevelhaft mit der Gesundheit seiner Nebenmenschen umgehen.« – »O nein, es ist der Wissenschaft wegen und deshalb läßt Onkel Fritz auch keine Sitzung bei Kuleckes aus. Er sagt, Fräulein Kulecke ist ein großartiges Medium – –«

»Onkel Fritz findet sie bildschön gewachsen,« unterbrach mich Betti.

»Aha!« bemerkte die Doktorin.

»Das ist Nebensache,« erwiderte ich, nahm mir jedoch im Stillen vor, Fritz einmal zu verhören, denn die Kuleckes sind keine Verwandtschaft für uns; sie thun immer groß, aber dahinter ist nicht Viel, denn sie haben Verluste gehabt.

Während ich schwieg und darüber nachdachte, was ich Fritz sagen wollte, ertönte mit einem Male ein jammervolles Gewinsel. »Mein Gott!« rief ich, »was ist das?« – »Es ist nur der Hund,« sagte Doktors Älteste. »Wir haben ihn in Papas Zimmer eingesperrt und gewiß ist die Lampe ausgegangen.« – »Wieso die Lampe?« fragte ich. – »Der Hund mag nicht im Dunkeln allein sein,« erklärte die Doktorin, »er fürchtet sich dann und heult. Es geht Alles natürlich zu, liebe Wilhelmine.«

So war es denn auch. Die Lampe wurde drüben wieder angezündet und der Hund verhielt sich nun ganz ruhig. »Man behauptet doch,« fing ich an, »daß Hunde Geister sehen können. Vielleicht sieht er etwas im Dunkeln und es gruselt ihn?« – »Möglich, daß er die Frau sieht!« entgegnete die Doktorin. – »Welche Frau?« »Du weißt, Wilhelmine, ich glaube weder an Gespenster, noch an Spuk, aber etwas Merkwürdiges habe ich schon vor einigen Jahren erlebt und jetzt vor Kurzem wieder. Es kommt nämlich mitunter des Nachts eine Frau zu mir, obgleich alle Thüren verschlossen sind.«

»Eine Frau? Durch die verschlossene Thür?« rief ich und mir wurde ganz beengt.

»Ich wache mitten in der Nacht auf, wenn das Weib kommt,« erzählte die Doktorin, »ich fühle es, wenn sie da ist, und muß aufstehen, ich mag wollen oder nicht. Dann sehe ich ganz deutlich das Weib, wie es den Kopf durch die halbgeöffnete Thür steckt und ins Zimmer schaut.« –»In Euer Schlafzimmer?« rief ich entsetzt. – »Nein, hier ins Wohnzimmer!« . »Und Du stehst auf?« – »Gewiß, die Thür muß doch wieder zugemacht werden.« – »Und Du gehst in das Wohnzimmer?« – »Nun freilich. Wenn ich aber die Thür zumachen will, hält das Weib den Kopf dazwischen, daß ich sie mit aller Anstrengung nicht schließen kann.« – »Und das Gespenst steht dicht vor Dir?« – »In unmittelbarer Nähe.« – »Und Du schreist nicht?« »Warum soll ich schreien; ich fürchte mich nicht.« – »Und wie sieht das Weib aus?« – »Mager und häßlich, mit tiefen Augenhöhlen, in denen statt der Augen schwarzer Moder liegt, mit grinsendem Mund und gelben, breiten Zähnen. Um den Kopf trägt sie ein graues Tuch, ihr Kopf ist ebenfalls aschgrau. Die Hände hält sie verborgen und an den mageren Füßen hat sie ganz altmodisch geformte Schuhe.« – »Und so was steckt den Kopf hier durch die Thüre? Wann aber geht das Gespenst wieder?« – »Wenn ich vergebens versucht habe, die Thür zuzudrücken, nehme ich das Licht und halte es dem Weib vor das Gesicht, dann flackert die Flamme, als wenn es hineinbliese. Darauf verschwindet das Weib, die Thür ist fest verschlossen und ich gehe wieder zu Bett!«

»Und den Spuk hast Du schon öfter erlebt?« – »Schon sehr oft. Mein Mann ist jedoch der Meinung, daß die Erscheinung eine Art von Alpdrücken sei, und ich bin derselben Ansicht.« – »Damit ist nichts erklärt, denn Du bist doch wach, hast ein brennendes Licht in der Hand und die Thür geht nicht zu. Dies ist Spuk. Es giebt unerklärliche Dinge!« – »Meinethalben,« lachte die Doktorin. »Wenn das Weib wieder kommt, werde ich ihr sagen: 'gehe zu meiner Freundin Wilhelmine Buchholz, die will Dich gerne kennen lernen.'« – »Um Gotteswillen nicht,« rief ich schaudernd, »ich könnte den Tod davon haben.«

Mir war ganz unheimlich zu Muthe geworden, denn wenn die Doktorin, die an kein Gespenst glaubt, von so schrecklichem Spuk heimgesucht wird und ihn mit eigenen Augen sieht, so muß doch was daran sein. Das war mir sehr bedenklich. – Ich mahnte zum Aufbruch, denn mittlerweile war es spät geworden, auch fürchtete ich jeden Augenblick, die Thür würde sich öffnen und das Weib hereinsehen. Als wir schon auf der Straße waren, rief mir die Doktorin noch nach: »Wilhelmine, ich schicke Dir das Weib!« Das machte uns so ängstlich, daß die Kinder und ich die Beine auf dem Heimwege nicht schlecht anzogen.

Ich hieß die Kinder sich schlafen legen, als wir zu Hause ankamen, und sagte, sie sollten sich nicht fürchten, obgleich ich selbst unruhiger war, als ich eingestehen mochte. Mein Karl schlief fest, aber ich weckte ihn, um ihm die Spukgeschichte zu erzählen und zu fragen was er davon dächte? – »Ich schlief so schön, Wilhelmine,« sagte er vorwurfsvoll. – »Und ich graule mich. Du mußt wachen, Karl, das hast Du mir vor Gott und den Menschen am Altar geschworen.« – Davon hätte der Pastor nichts gesagt; ihm wäre das Schlafen nicht verboten worden. – »O, Karl, sagte er nicht, der Mann müsse die Stütze der Gattin sein, ihre Zuflucht in Noth und Gefahr?« – »Wenn Jemand Noth hat, bin ich es mit meinem Hexenschuß; überdies sehe ich keine Gefahr.«- »Ich fürchte mich. Das ist genug. Wenn das Weib jetzt käme?« – »Laß mich schlafen, Wilhelmine!« – »Wenigstens nicht eher, als bis ich liege. Kannst Du nicht einen Gesangbuchvers auswendig, lieber Karl? Sage ihn so lange her, bis ich die Haare aufgemacht habe.« – »Wilhelmine, Du bist albern.« – »Nein, Karl, das nicht, aber ich habe so gräßliche Angst. Wenn ich erst liege, kann das Weib kommen, dann stecke ich den Kopf unter die Decke. Bitte, Karl, nur einen Vers. Die Doktorin will mir das Weib schicken und es ist schon nach zwölf. Nur einen Vers, bester Karl; die Geister können Bibel und Gesangbuch nicht leiden.« – Als Karl mich so flehen hörte, fing er denn auch an; er wußte aber nur einen Vers von dem Morgenliede: »Mein erst Gefühl sei Preis und Dank.« Den wiederholte er immer von vorn. Es war nicht viel, aber doch wenigstens etwas.

Ich saß währenddessen ganz benommen vor meiner Toilette und machte die Haare. Wie ich nun so in den Spiegel sehe, da bemerke ich mit Grausen, wie hinter mir ganz leise die Thür aufgeht. Ich konnte mich nicht rühren und keinen Laut hervorbringen. Wie gebannt mußte ich in den Spiegel blicken. – Da huscht etwas, als wollte es zur Thür hinein, ein Kopf wird sichtbar, ganz langsam schiebt er sich vor – – das Weib war da, das gespenstische Weib! – Noch eine Sekunde und es wäre im Schlafzimmer drin gewesen. – Mit einem Schrei sprang ich auf und wollte die Thür schließen, die Thür ging nicht zu. – – Ich drückte noch einmal heftig, da schreit das Gespenst laut: »Au, Mama, Du drückst mich todt!« – Karl war aus bei meinem Schrei trotz seiner Schmerzen aus dem Bett gekrochen. »Mein Gott, was ist denn los?« rief er. – »Ich weiß nicht,« stöhnte ich, »erst war das Weib da und nun ist es Betti.« – Die lag auf der Erde und hielt sich jammernd den Kopf. Ich war halb ohnmächtig und schlotterte nur so. »Dies ist mein Tod,« rief ich, »Betti, wie konntest Du mich so erschrecken?«

»Ach, Mama,« weinte das Kind, »als wir bei Doktors zuammenpackten, habe ich aus Versehen eine Arbeit in Deine Tasche gelegt, die Du von mir zu Weihnacht haben sollst, und damit Du es nicht bemerken solltest, wollte ich sie jetzt eben heimlich holen. Au, mein Ohr!« – Ich nahm das Licht und leuchtete. Auf der Stirn war eine Brüsche und das Ohr blutete, so hatte ich das Kind in meiner Angst geklemmt; im Übrigen fehlte ihm Gottlob nichts weiter. »Das kommt von Eurem Aberglauben,« sagte mein Mann. – »Karl!« rief ich, »warum stehst Du noch so da, draußen sich zwölf Grad Kälte. Ich will dem Kinde Arnika geben und morgen lassen wir Doktor Wrenzchen holen!«

Nach und nach kamen wir zur Ruhe, und als Doktor Wrenzchen am andern Tage Betti's Ohr untersuchte, sagte er, es hätte nichts zu bedeuten, es wäre nur äußerlich, und dabei war er so liebevoll gegen Betti, daß ich ihn auf den Sonntag zum Mittag einlud. Als ich ihn fragte, was er gern äße, antwortete er: »Kalbsbraten ist meine einzige Leidenschaft.« – Den soll er denn auch haben. Wer weiß, ob die Spukgeschichte nicht doch noch einen sehr angenehmen Ausgang nimmt?


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