Julius Stinde
Die Familie Buchholz. Aus dem Leben der Hauptstadt
Julius Stinde

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Herrn Bergfeldt's Unglück

Dieser Schreibebrief wird Sie gerade am Neujahrsmorgen treffen, wenn Stephan seine Postmaschinerie gut geölt hat, wie sonst immer. Wenn Sie wüßten, mit welchen Empfindungen ich diesmal die Feder ergreife! Ach, könnte ich doch vergnügter mit meiner Neujahrsgratulation zu Ihnen kommen! Denn wenn mich Jemand in diesem Augenblick abphotographirte und Ihnen das Bild schickte, würden Sie rufen: »Herr Du mein, was fehlt der Buchholzen? Die sieht ja aus, als hätte sie 'n Topf voll Mäuse hintergeschluckt!«

Natürlich liegt wieder alles an Bergfeldts, besonders an ihr. Er, Bergfeldt selber, ist ja ein netter Mann. Sein Beamtengehalt reicht genügend aus, und dann verdient er sich damit noch etliche Groschen nebenbei, daß er kleinen Geschäftsleuten und Handwerkern die Bücher in Ordnung hält.

Aber sie, die Bergfeldten! Man begreift nicht, wie der Mann sie hat nehmen können, denn er zählt doch halbwegs zu den Studirten, während sie jeglicher Spur von Bildung mit Konsequenz aus dem Wege gegangen ist. Natürlich liest so Etwas weder ein erhebendes Buch, noch ein belehrende Zeitung, sondern das sitzt den ganzen Tag und trinkt Kaffee und ißt Kuchen dazu. Darunter leidet die Wirthschaft, und die Folge davon ist, daß man mit dem, was der Mann verdient, nicht auskommt. Daß eine Frau zuweilen mit der Feder Einiges dazu erwirbt, das kommt freilich nur selten vor und ist von der Bergfeldten auch nicht zu verlangen.

Mit einem Worte: es steht bei Bergfeldts nicht so, wie es stehen sollte, und ihm habe ich schon seit langer Zeit angemerkt, daß er Sorgen hat. Sie kümmert sich selbstverständlich nicht darum.

Nun kommt noch hinzu, daß sie ihre Auguste doch ein bischen aussteuern mußten und Schulden machten. Wegen des Skandals auf dem Polterabend kündigte der Wirth ihnen die Wohnung, und sie mußten eine neue suchen. Und was ein Umzug kostet, davon kann Jeder, der in Berlin sich einmal veränderte, Trauerhymnen singen. So ein Möbelwagen ist wirklich das Grab der Habe, namentlich der Glassachen.

Emil studirt immer noch auf den Assessor, und daß er sich mit meiner Betti verlobte, ist das Dümmste, was je geschehen konnte. Die Bergfeldten wußte darum, die hätte die Verlieberei nicht leiden müssen, denn in ihrem Hause keimte das plemperige Verhältniß auf, während ich durch die Thatsachen gezwungen war, Ja und Amen zu diesem Bunde zu sagen, der den größten Verdruß meines Lebens bildet. Und keine Aussicht, ihn zu zerreißen, denn in Bezug auf ihre Liebe zu Emil ist Betti bockbeiniger, als in allen übrigen Dingen! –

Oft dachte ich in meinem Kummer, es könnte ja doch noch Alles gut werden, man hat ja Fälle gehabt, daß befähigte Juristen schließlich sehr hohe Posten erhielten, allein wenn ich Emil mitunter darauf ansehe, ob er wohl Grips zum Landesdirektor oder Minister hätte, so kommt er mir stets geistig nicht genügend verassekurirt vor, wenn sich auch nicht leugnen läßt, daß er äußerlich ein strammer junger Mensch geworden ist. Aber das ewige Zupfen an dem Schnurrbart ist doch kein Zeichen vorwärts strebenden Seelenlebens? Zum Obergerichtsrath gehört mehr, besonders Anlage! Man wird mir auch zugeben, daß, wo die Bergfeldten Mutter in einer Familie ist, die Kinder überhaupt froh sein können, wenn sie lesen und schreiben und die vier Spezies begreifen lernen. Meine Betti sagte schon im zehnten Jahre zum Geburtstage ihres Vaters ein französisches Gedicht auf und zwar so gut, daß die Schulmamsell behauptete, ein geborener Pariser könnte es nicht besser, während die Bergfeldtens natürlich für den französischen Kursus nichts übrig hatten. Bei einer solchen Ungleichheit der Charaktere ist es meine Pflicht, die Ehe zwischen Betti und Emil so weit als möglich hinauszuschieben.

Vorläufig ist auch – dem Himmel sei Dank – nicht im Geringsten daran zu denken, denn Bergfeldts sind schrecklich in der Klemme.

Ich merkte schon seit langer Zeit, daß etwas nicht richtig sei, denn Herr Bergfeldt nahm zusehends ab. Von Zeit zu Zeit hatte er Unterredungen mit meinem Karl, der jedesmal, wenn Herr Bergfeldt bei ihm gewesen war, ein ebenso sorgenvolles Gesicht machte wie dieser. – »Karl!« sagte ich zu ihm, »Ihr habt ein Geheimniß, Du und Dein Freund Bergfeldt. Ich bin nicht neugierig, aber ich will es wissen, was es ist, denn ich sehe, wie es an Dir zehrt, und wie es Dich mitnimmt.« – »Wilhelmine!« antwortete mein Karl ernst: »Es ist nicht mein Geheimniß, sondern das meines alten, lieben Freundes, und deshalb erfährst Du von mir keine Silbe!« – »Karl, so kommst Du mir, Deiner Gattin?« – »Wilhelmine, ich bitte Dich, werde nicht heftig!« – »Ich heftig? O nein, dazu ist mir die ganze Heimlichthuerei viel zu gering. Aber das sage ich Dir, besucht Dich Dein Freund Bergfeldt noch einmal ... dann ...« – »Nun dann?« – »Dann rede ich mit ihm und zwar so deutsch und deutlich, wie es in der Landsbergerstraße Mode ist!«

Mein Karl lachte laut auf.

»Karl, ich bitte mir aus, daß Du die Mutter deiner Kinder respektirst!« – »Mit Dir ist heute nicht auszukommen,« erwiderte mein Karl. »Du brauchst mit dem Abendbrod nicht auf mich zu warten.« Und damit ging er fort.

Ich ließ ihn ruhig ziehen, that auch der Kinder wegen, als vermißte ich ihn gar nicht. Als er um Elfen noch nicht da war, gingen wir schlafen. Was bleibt Einem in solchen Fällen auch übrig als das Bett, das so zu sagen der Mutterschoß für den Erwachsenen ist, wenn auch nur ein mangelhaftes Surrogat, ohne ein fühlendes Herz. Schläft man erst, so kann es ganz einerlei sein, wo und wie man liegt, aber das Einschlafen, das ist das Wesentliche. So ein Kopfkisssen sagt kein liebes Wort, es streichelt nicht Wange noch Haar, es schließt die Augen nicht mit einem sanften Kuß, es singt kein Wiegenlied und ist tückisch genug, gerade dann heruntergerutscht zu sein, wenn der Schlummer einen Ansatz macht.

Ich bin oft zu Bett gegangen, ohne aufzusitzen, um meinen Karl zu erwarten, und freute mich jedesmal, wenn er früher nach Hause kam, als ich berechnete. Aber dann hatte er auch kein Geheimniß vor mir, kein Geheimniß, an dem diese unglückseligen Bergfeldts Schuld waren, das mir den Schlaf raubte und meinen Mann ins Wirthshaus trieb. War dies Geheimniß nicht ebenso gut wie eine Wand, die man zwischen uns aufgerichtet hatte?

Und konnte ich anders vermuthen, als daß die Bergfeldten der Grund alles Übels sei? Wie ich diese Person verabscheute, das ist gar nicht zu sagen. Wäre sie bei mir gewesen, ich hätte ihr die Wurst schon aufschneiden wollen.

Schon zweimal hatte ich das Kopfkissen neu aufgeschüttelt und mein Mann kam immer noch nicht. Die Uhr hatte bereits Eins geschlagen. »So!« dachte ich, »nun wird mein Karl auch noch ein Säufer und Nachtschwärmer wegen dieses Weibes. Die armen Kinder! Sie werden ihren Vater nicht mehr achten, und er wird immer tiefer sinken, wenn er fühlt, wie die Liebe der Seinigen von Tage zu Tage erkaltet. Aber den Schwur thust du, Wilhelmine, wenn du auch keine Liebe mehr zu ihm hegst, Mitleid wirst du ihm nie versagen, und sollte es auch noch so weit kommen!« Das sagte ich zu mir selber, und ich mußte bitterlich weinen, als ich an all' das Unglück dachte, das die Zukunft bringen würde.

Da kam mein Karl.

Ich that, als ob ich schliefe. Er zündete das Licht an, zog leise seine Stiefel aus und machte seine Nachttoilette, als sei gar nichts vorgefallen. Nicht ein Wort, nicht einen Gruß hatte er für mich. Dann legte er sich nieder und löschte das Licht. Es war dunkel um mir und in mir. Ich hätte vergehen mögen vor Kummer.

»Weinst Du, Wilhelmine?« fragte mein Karl nach einer Weile.

Ich konnte nicht antworten. Die Kehle war mir wie mit einem Stricke zugeschnürt. Ich mußte weinen und weinen, sonst wäre ich erstickt.

»Wilhelmine,« sagte mein Karl, »was ist Dir? Du erschreckst mich, soll ich ein Brausepulver holen?«

»Nein!« schluchzte ich. »Ich bin nicht krank, aber so elend, so schrecklich elend und unglücklich!«

»Wilhelmine, was ist geschehen?« Deutlich hörte ich, wie mein Karl sich erhob und aufstehen wollte.

»Nichts!« erwiderte ich, »bleibe nur ruhig liegen. Mache Dir meinetwegen keine Sorge. Was ist Dir auch Dein Weib? – Bergfeldtens sind Dir ja mehr.«

»Du bist albern!« sagte mein Mann strenge.

»O nein!« antwortete ich. »Du hast Geheimnisse mit Bergfeldtens, die Du vor mir verbirgst. Und das müssen schreckliche Dinge sein, die Du mir, Deiner bisherigen Lebensgefährtin, nicht mitzutheilen wagst. Ach, es ist Alles aus, Alles!«

Karl schwieg einen Augenblick. Dann sagte er: »Ich hätte Dich für gescheidter gehalten, Wilhelmine. Mein Freund Bergfeldt hat schwere Sorgen, die er mir, seinem alten Schulkameraden, offen darlegt, weil er weiß, daß ich ihm beistehe, so weit und so gut ich vermag. Selbst seine Frau weiß nicht darum ...«

»So?« unterbrach ich ihn.

»Nein,« entgegnete Karl. »Es gibt Sorgen, die der Mann allein trägt, ohne sie der Frau zu offenbaren, die er liebt. Das sind Sorgen, die er zu überwinden hofft und niederzuhalten trachtet, mit denen er allein kämpft, damit sie Anderen nicht auch noch Weh bereiten. Wie würde Euch Frauen das Leben verbittert, wollten die Männer Euch mit jeder Widerwärtigkeit im Geschäft, mit jeder Sorge in dem Ringen um die Existenz behelligen, und wie qualvoll macht die Frau ihrem Manne das Dasein, wenn sie ihm jeden kleinen Hausärger auftischt, jeden Zank mit dem Dienstmädchen vordeklamirt, jeden Verdruß von den Nachbarn von ihm gerächt wissen will. Mache das Jeder mit sich in seinem Departement ab, damit Sonnenschein im Hause ist, wenn die Familie sich in den Stunden zusammenfindet, die der Erholung und der Ruhe gewidmet sein wollen!«

»Du hast wohl Recht, Karl!« erwiderte ich, »aber ich bin doch der Meinung, wenn der Hausherr das Dienstmädchen hin und wieder einmal gehörig anlappt, so wirkt das mehr, als wenn die Frau es vornimmt. Und was nun Deinen Freund betrifft, so halte ich es für sehr unrecht, daß er seine ganzen Angelegenheiten nicht für sich behält, sondern sie Dir aufhängt und dadurch das Familienglück anderer Leute stört. Aber natürlich gilt Dir die Bergfeldten mehr als Dein Weib!«

»Wilhelmine, sei nicht komisch. Morgen, wenn Du vernünftig geworden bist, sollst Du wissen, warum [!] es sich handelt. Du mußt es sogar wissen, weil ich ohne Deine Zustimmung nicht gerne vorgehen möchte.«

»Meinst Du, daß diese Zusicherung mir Ruhe giebt? Was ich morgen erfahren soll, sagst Du mir am besten jetzt, denn schlafen kann ich so wie so nicht.«

»Nun,« sagte mein Karl nach einer kleinen Weile, »Du weißt, daß Bergfeldts in letzter Zeit Ausgaben hatten und etwas zurückgekommen sind ....«

»Durch wessen Schuld?« fragte ich. »Wenn eine Frau so unpraktisch ist, wie die Bergfeldten ....«

»Einerlei wodurch!« unterbrach mich mein Karl. »Die Verhältnisse sind einmal so, wie sie sind, und nicht zu ändern. Aber das Schlimmste kommt noch. Bergfeldt hat sich verleiten lassen, eine Bürgschaft zu übernehmen, und da der Mann, für den er gut gesagt hat, vor dem Banquerott steht, muß er zahlen.« – »Das ist unerhört!« rief ich. – »Er hat mich in sein Vertrauen gezogen, und nun kommt die Reihe an uns, Wilhelmine. Wir müssen helfen, wenn er nicht ganz zu Grunde gehen soll.«

»Wir?« fragte ich entsetzt. »Und wie viel soll er zahlen?« – »Zweitausend Mark,« erwiderte mein Karl kleinlaut. – »Nie!« rief ich, »das hieße einen Raub an unsern Kindern begehen. So reichlich haben wir es doch auch nicht. Dürfen wir unser bischen sauer Erworbenes zum Fenster hinauswerfen?«

»Ich weiß,« sagte mein Karl, »Du hegst keine allzu freundlichen Gesinnungen gegen die Bergfeldten, aber trotzdem wirst Du Deine Einwilligung geben. Wir haben ja die Erbschaft von der Tante aus Bützow.« – »Das war meine Tante, Karl!«

»Eben deshalb wünsche ich Deine Zustimmung. Könntest Du noch eine frohe Stunde haben, wenn Du sehen müßtest, wie eine Familie durch Deine Unbarmherzigkeit ganz ins Verderben geräth? Und Bergfeldt verliert sein Amt, wenn er gezwungen wird, sich ebenfalls Konkurs zu erklären!«

Ich antwortete nicht. Ihr wäre die Demüthigung recht heilsam, dachte ich. Aber ihm und der Auguste und seinem Sohne könnte ich doch nie wieder gerade in die Augen sehen.

»Du schweigst, Wilhelmine? Hast Du auch keine Antwort, wenn ich Dich recht von Herzen bitte?«

»Thu', was Du nicht lassen kannst, Karl?« sagte ich, »Ich will nicht Schuld an ihrem Unglück sein.«

»Ich wußte, daß Du nicht nein sagen würdest,« rief mein Karl froh. »Du bist im Grunde gut und liebreich, wenn Du es auch nicht immer scheinen willst. Und nun sollst Du auch einen Kuß haben!«

»Karl!« rief ich, »erkälte Dir die Füße nicht!« Aber er ließ sich ja nicht rathen. – Und dann erzählte er mir, wie Alles gekommen, und wie Bergfeldt in das Unglück gerathen sei, und was geschehen müsse, um ihm zu helfen. Der ganze Plan war schon beinahe fertig, und alles dünkte mich klug und praktisch. – Nein, einen solchen herzensguten Mann wie meinen Karl giebt es nicht zum zweiten Male auf der Welt! – –

Am nächsten Morgen erschien mir die ganze Angelegenheit jedoch nicht in demselben rosigen Versöhnungslicht, wie in der Nacht und je weiter ich meinen Mann über die Einzelheiten abhörte, um so brenneriger kam mir die Bürgschaft vor, welche Herr Bergfeldt für einen Kneipwirth übernommen hatte. ich beschloß daher, erst einmal die Wirthschaft in Augenschein zu nehmen, um zu sehen, ob man sein Mitleid auch vielleicht an Unwürdige verschleuderte. –

Es war Nachmittags gegen Fünfen, als ich an Ort und Stelle gelangte, denn ich wählte absichtlich eine Zeit, in der es in den Wirthschaften still zu sein pflegt.

Was mir bei meinem Eintritt in das Restaurationszimmer gefiel, das war eine wirkliche Sauberkeit. Es lagen weder Cigarrenstummel, noch Knöchelchen auf dem Fußboden, sondern man hatte, wie ich an den Flecken von dem Sprengwasser erkannte, frisch ausgekehrt und der Kellner stand gerade im Begriff, die kleineren Tische für die Abendzeit zu arrangiren. Das Zimmer war ziemlich groß; nach der einen Seite hin bog es sich im Winkel zu einem schmaleren Raum aus, an dessen Ende sich das Büffet befand, in dessen Nähe ein größerer runder Tisch stand, den ich natürlich gleich für einen der sogenannten Stammtische hielt, an denen gewissenlose Familienväter die Existenz und das Glück der Ihrigen frevelhaft opfern und von den Genossen alle jene Untugenden lernen, mit denen sie das Zartgefühl ihrer Gattinnen verletzen. Ich wiederhole es: der Stammtisch ist der Opfertisch, auf dem die Häuslichkeit geschlachtet wird. Manches gebildete Mädchen würde verheirathet sein, wenn den jungen Männern dies verabscheuenswürdige Stück Möbel verboten werden könnte.

Trotzdem ließ ich mich an dem runden Tische nieder und fragte den Kellner, ob es mir vergönnt sein könnte, Frau Helbich – die Speisewirthschaft heißt nämlich 'Cafe Helbich'- in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen.

Es dauerte auch nicht lange, als die Frau erschien. Sie machte einen ebenso sauberen Eindruck wie das Lokal und gefiel mir deshalb gleich. Ihre Figur war mehr untersetzt und rundlich, als lang und zerrig, wie ich dem Namen nach anzunehmen glauben mußte. Das Gesichtchen sah freundlich und niedlich unter dem einfachen Häubchen hervor, und doch schien es mir, als ob die Augen eben mit Weinen fertig geworden wären und im nächsten Moment wieder anfangen wollten.

Sie fragte, womit sie mir dienen könne.

»Liebe Frau,« antwortete ich, »es handelt sich um ernste Dinge. Ich bin nämlich wegen der Bergfeldtschen Angelegenheit zu Ihnen gekommen. Sie wissen wohl, wegen der Bürgschaft, die Herr Bergfeldt für Herrn Helbich übernommen hat!«

»Ach Du lieber Gott!« rief die Helbichen aus. »Sie sind gewiß seine Frau und wollen uns Vorwürfe machen!«

»Nein!« unterbrach ich sie indignirt. »Ich bin die Buchholzen und Gott sei Dank nicht die Bergfeldten, aber ich weiß von Allem Bescheid.« Und nun sagte ich ihr, daß Bergfeldts total in die Verschmetterung geriethen, wenn andere Leute ihnen nicht beisprängen, und daß andere Leute es auch nicht so dicke hätten und Räuber und Mörder an ihren eigenen Kindern werden müßten, und daß die ganze Sache himmelschreiend unverantwortlich sei. »Und wenn Sie, meine Liebe,« so schloß ich, »am Ende besser aufgepaßt hätten und vielleicht etwas ökonomischer gewesen wären, dann würden andere Leute nicht mit in die Verluste hineingerissen.«

Ich wollte aber doch, ich hätte diese Worte nicht gesagt, denn als ich nun die kleine runde Frau strafend ansah, und zwar mit einem Blick von der Nummer, vor der selbst meine Köchin den Muth verliert, da schlug sie ihre treuherzigen Augen zu mir auf und schüttelte den Kopf ganz leise und fast unmerklich. Hätte sie aufbegehrt und auf den Tisch geschlagen, es wäre mir angenehmer gewesen, denn dieser stumme Vorwurf biß mir ins Gewissen. Sollte ich ihr Unrecht gethan haben?

Es trat eine Pause ein, die mich sehr verlegen machte und deshalb stotterte ich: »Sie müssen meine Offenherzigkeit schon verzeihen, aber wäre ich zu Ihnen hergekommen, wenn ich es nicht gut mit Ihnen meinte? Wir wollen Ihnen ja helfen aber ehe wir uns entschließen, müssen wir klar auf den Grund sehen!«

»Es kommt Alles auf den Bierbrauer an,« entgegnete die Frau.

»Wieso?« fragte ich.

»Das ist nicht leicht auf einmal zu sagen,« antwortete Frau Helbich. »Aber wenn Sie sich nicht geniren, und mit mir hinter in die Küche kommen wollen, wo ich noch vielerlei für den Abendtisch zu besorgen habe, dann erzähle ich Ihnen, woran es liegt, daß wir dicht vor dem Ruin stehen. Unsere Schuld ist es nicht, Frau Buchholzen!«

Ich folgte der Frau durch die Schenke nach der Küche. Auch hier war Alles sauber und ordentlich. »Du kannst die Kartoffeln in der Aufwaschküche schälen,« sagte Frau Helbich zu dem Mädchen, »und wenn Du damit fertig bist, rupfe die Hühner, aber vorsichtig, daß die Pelle nicht eingerissen wird.« Das Mädchen ging. Frau Helbich nöthigte mir einen Knickebein auf und wir setzten uns an den großen Küchentisch, wo sie eine Rehkeule zum Spicken vornahm. Und da ich mich auch nützlich machen wollte, ging ich an einen Korb mit Teltower Rübchen und fing an, die zu putzen. Sie wollte dies zwar nicht zugeben, aber ich ließ nicht ab, und es war, als wenn wir durch die Rüben so befreundet wurden, als hätten wir uns schon lange gekannt.

»Sehen Sie,« begann die kleine Frau, »wir sind zu der Wirthschaft gekommen, als unser erstes Geschäft nicht mehr gehen wollte. Mein Mann hatte eine kleine Pappenfabrik, aber als in unserer Nähe die Konkurrenz aufkam mit großem Kapital und neumodischen Maschinen, da war es vorbei. Es ging rascher zu Ende, als wir dachten, und das Bischen, was wir retteten, reichte gerade hin, diese Wirthschaft zu kaufen. Von allen Seiten redete man uns zu, dies Geschäft zu übernehmen, und mein Mann und ich wollten arbeiten und thätig sein. Wir dachten mit Fleiß und Ordnung schon vorwärts zu kommen!«

»Wo ist Ihr Mann?« fragte ich.

»Der schläft gerade,« erwiderte sie. »Na,« dachte ich im Stillen, »das ist ja ein recht netter Fleiß.«

»Die Hauptsache war jedoch, daß wir Kredit beim Brauer bekamen, und es fand sich ja auch einer, der sich auf den Kredit einließ; nur pro forma, wie er sagte, wollte er ein bischen Bürgschaft haben. Es würde ihm nie einfallen, uns zu drängen, wenn es mal mit dem Gelde knapp sei, und wenn er Kredit gäbe, würden Schlächter und Bäcker auch mit sich reden lassen. Und so kam es, daß Herr Bergfeldt, der ein Freund von meinem Manne ist, gutsagte. – Es war ja blos zum Schein.«

»Und nun ist es Ernst geworden,« warf ich ein.

Die kleine Frau wischte die Augen. »Anfangs ging Alles nach Wunsch,« fuhr sie fort. »Wir konnten mit der Kundschaft zufrieden sein, den Gästen schmeckten die Speisen und das Bier war gut. Wir kamen langsam vorwärts. Miethe und Steuern waren rechtzeitig da, nur bei dem Brauer waren wir im Rückstand, denn es mußte mancherlei Inventar angeschafft werden, und da der Hauswirth den Keller nicht umbauen lassen wollte, blieb uns nichts übrig, als ihn für unsere Rechnung machen zu lassen. – Da bekamen wir das erste schlecht Bier.«

»Die Gäste murrten. Mein Mann machte dem Brauer Vorstellungen, der aber sagte, so wie die Kunden zahlten, so wäre auch das Bier, und es blieb beim Alten. Da fingen die Gäste an, sich allmälig wegzugwöhnen, und in der Küche verdarben die theuren Sachen. Die Schulden beim Schlächter und Bäcker wuchsen von Tage zu Tage; es war schier kein Einhalten. Für Geld und gute Worte bekam mein Mann bei einem anderen Bierverleger anderes Bier. Wir glaubten schon uns durchzuhelfen, aber nun der Brauer erfahren hat, daß wir uns nach anderem Bier umgesehen haben, will er ohne Nachsicht bezahlt sein. Steckt er sich nun hinter den Bäcker und Schlächter, so sind wir am Bettelstab, und ich weiß, er thut das, denn er hat schon einen neuen Reflektanten auf diese Wirthschaft.«

»Aber,« warf ich ein, »Sie müssen, der Küche nach zu urtheilen, doch noch Kundschaft haben.«

»Eßkundschaft, ja!« rief sie, »aber was wird daran verdient? Ich stehe selbst den ganzen Tag vor dem Herd, allein was nützt das, wenn die Gäste nicht bleiben, um einige Seidel zu trinken? Freilich sitzen einige Kunden bis spät in die Nacht, aber die spielen Skat und vergessen das Verzehren, die bringen den Gas nicht ein. Gestern wurde es wieder gegen zwei Uhr und nun ruht mein armer Mann sich von dem Nachtwachen ein wenig aus!«

»J so!« sagte ich und fügte dann hinzu: »Glauben Sie mir, liebe Frau, das Skatspiel ist eine ganz teuflische Errungenschaft, die nur Unglück in die Familie bringt.«

»Gewiß!« bestätigte die Frau, »da sitzen sie, als ginge es um ihrer Seelen Seligkeit und nachher giebt es Krakehl. Da ist ein Herr Kleines darunter, der jedesmal Stank anfängt. Wenn die Andern ihm sagen, daß er schlecht gespielt hat, dann wirft er die Karten auf den Tisch und führt schreckliche Reden und schwört, nie wiederzukommen. So, denke ich dann, nun bleiben die letzten paar Gäste auch noch weg.«

»Thun sie das denn?«

»Nein. Sie bringen immer wieder einen frischen Bekannten zum Spielen mit, bis Herr Kleines auch wiederkommt und den gleichfalls weggrault. Er überlegt ja nie, was er spricht.«

»Schade, daß es nicht mein Sohn ist,« sagte ich, »den wollte ich schon erziehen.«

»Ach nein,« erwiderte die Frau, »der hat keine Stelle, wo man ihn erziehen kann, den schlägt man gleich kurz und klein, so dürr ist er. Der muß schon baufällig auf die Welt gekommen sein.«

»So meine ich's nicht, liebe Frau. Ich würde ihn moralisch nehmen.«

»Das schlägt bei ihm ebensowenig an, wie das Essen.«

»Das fragt sich,« antwortete ich. »Wer sind denn die andern Spielgesellen?« forschte ich weiter. – »Sehr achtbare Leute, aber sie reden sich meistens mit Beinamen an.« – »Das finde ich sehr ungebildet.« – »Es klingt aber ganz spaßig. Das Lokal hier nennen sie Nifelheim und sich selbst Mäxchen, Don Carlos, Arm Gottlieb – der sieht aber blos zu – lieben Fritz, Onkel Hans, nur den Dr. Wrenzchen tituliren sie richtig.« – »So?« rief ich, »also Dr. Wrenzchen ist auch dabei, das ist ja sehr schön. Die Skatspieler müssen auch mit heran. Meine Idee ist nämlich folgende, liebe Frau. Wir sind viele Bekannte und Sie werden auch Freunde haben, die Skatspieler nehmen wir ebenfalls dazu, Dr. Wrenzchen ist ein Gentleman, der schließt sich gern mit an, und so giebt es mehrere. Wir Alle gründen Ihre Wirthschaft! Jeder zahlt fünfzig oder hundert Mark und statt der Dividende geben Sie Biermarken. Geht das Geschäft dann flott, so fangen Sie an, die Gelder allmälig zurückzuzahlen.«

»Ware dies möglich?« rief die kleine Frau.

»Gewiß,« sagte ich. »Es hat mich Jemand auf diese Idee aufmerksam gemacht und ich bin gekommen, um zu sehen, wie es bei Ihnen hergeht. Sie sind eine ordentliche Frau und Alles ist so propper und sauber, und es wäre schändlich, wenn sie wegen eines Biertyrannen ins Unglück gerathen sollten.«

Die kleine Frau stand auf und umarmte und küßte mich und weinte, wie sie nur konnte. »Sie sind unser rettender Engel,« schluchzte sie.

»Ich bin nur praktisch,« sagte ich, »und mein Mann und Onkel Fritz werden mit Ihrem Manne sprechen und das Geschäftliche besorgen.«

»O, wenn wir nur gutes Bier haben, wird es uns nicht fehlen!« rief sie. »Ich lasse mich ja keine Mühe verdrießen, aber es ist hart, mit aller Arbeit rückwärts zu kommen. – wie oft habe ich nicht ein Faß Bier zuschlagen müssen, weil es nicht zu trinken war und jeder Schlag klang mir, als wenn ich auf den Sarg schlug, in dem unser bischen Glück begraben werden sollte.« Sie weinte und dann lachte sie wieder: »Wenn es möglich wäre. – Es wäre zu viel!«

Die Rüben waren geputzt, ich hatte nichts mehr zu thun und brach daher auf. Im Lokal war der Gas angezündet und der Kellner stand da und wartete auf Gäste, aber die gingen dem Bier aus dem Wege.

Ich möchte nicht Wirth sein, man ist doch zu sehr abhängig vom Brauer und dem Publikum.

P.S. Onkel Fritz hat Alles in Ordnung gebracht. Er sagte, die Sache habe sich über Erwarten leicht reguliert, nur Dr. Wrenzchen hätte sich anfangs gesperrt. Herr Kleines hat sehr erfolgreich in seinen Kreisen gewirkt, ich lade ihn nächstens einmal ein, da er nicht nur gebildet, sondern auch amusant ist und drei lebende Sprachen spricht. Onkel Fritz sagt zwar, die fremden Sprachen wären bei ihm durcheinander wie Vogelfutter, aber was schadet das? Wenn ich ihn einlade, soll er ja doch nur Spaß machen.

Und wie kam Herr Bergfeldt dazu, die Bürgschaft zu übernehmen? Seine Frau brummte immer, wenn er Abends einmal ein Glas Bier trinken ging, und um den Zank zu vermeiden, hatte er sich dafür den Frühschoppen angewöhnt, der das Verderblichste für die Männer sein soll, was es nur auf der Welt giebt. Wie können sie auch am Nachmittage mit dem Bierschädel auf dem Posten sein? Der Frühstückstisch ist noch viel schlimmer als der Stammtisch am Abend. Den Beweis lieferte Herr Bergfeldt, der die unselige Bürgschaft in der Frühschoppenlaune leichtsinnig übernahm. Aber, wer trieb ihn zum Morgentrunk? – – Sie, die Bergfeldten. Sie verdient es kaum, daß er von seinen Verpflichtungen so butterglatt losgekommen ist.


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