Julius Stinde
Die Familie Buchholz. Aus dem Leben der Hauptstadt
Julius Stinde

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Erntefest

Dieses Kapitel wurde einer anderen Ausgabe entnommen. Re

Ich muß einmal wieder mit Ihnen reden und das aus schierem Vergnügen. Sie haben oft den Regenschirm des Trostes teilnehmend über mich gehalten, wenn die Wolken der Trübsal auf mich und die Meinen herabhagelten, und nun sollen Sie auch der erste sein, dem ich einen erfreulichen Familienwetterbericht sende.

Also die Aussichten sind folgende: Bettis Depression wegen Bergfeldtens Emil im Abnehmen begriffen, Dr. Wrenzchens Minimum wegen Emmi scheint in ein Maximum überzugehen, mein Karl und ich konstant heiter, Onkel Fritz unbestimmt. Sie sollen nach und nach erfahren, wie das alles gekommen ist. –

Muck ward also an die Luft gesetzt, die Kommodenschublade tüchtig ausgeseift und der Kosmos wieder zurückgeschickt, weil wir keine Zeit zum Lesen hatten und es uns auch ziemlich einerlei war, wie hoch die Berge in Mexiko sind. Dagegen machten wir Entdeckungsreisen in den Tegler Wald, wo wir wundervolle Stellen fanden. Einen Platz nannten wir Wilhelminens-Ruhe, einen anderen Bettis Waldsaal, weil die Bäume dort im Kreise stehen und ordentlich eine große Halle bilden; die Wiese vor dem Wald hieß mit einer Anlehnung an Humboldt Mucks Savanne, und eine Anhöhe im Walde, von der man den See überblicken kann, nannten wir meinem Manne zu Ehren Karlshöhe. Ich nahm mir vor, hier einmal ein kleines Picknick zu arrangieren.

Weil wir nicht recht wußten, wo wir nun mit dem Kaninchen hin sollten, schenkten wir es dem kleinen Krause, unter der Bedingung, daß er es nicht markelte. Herr Krause versprach, auf das Tier zu achten, und da er Mitglied des Tierschutzvereins ist, so waren wir beruhigt. Als Eduard kam, um Muck abzuholen, begleitete ich ihn über den Kirchhof. »Hier liegen die Menschen begraben,« sagte ich, »was meinst du wohl, wenn sie den kleinen Knaben auch hierher gebracht hätten, der damals ins Wasser fiel?« Er antwortete nicht, sondern machte sich mit dem Kaninchen zu schaffen. »Wenn er nun ertrunken wäre?« fragte ich weiter. – »Er hätte ja nur schwimmen können,« antwortete die gefühllose Kreatur. – »So? meinst du? Aber nicht wahr, du hast ihn nur aus Versehen angetippt?« – »Er fiel ganz von alleine!« entgegnete er patzig. – »Eduard, wenn ich dir das nun nicht glaube?« – »Mama sagt, der fremde Junge hätte Streit mit mir angefangen.« – »Der schwache zarte Knabe? Eduard, das kann ich mir nicht denken.« – »Es ist aber doch wahr. Mama hat es gesehen.« – »Dann wird es wohl so gewesen sein,« erwiderte ich, »jetzt gehe nur und sorge gut für Muck.« – Weg rannte er wie der Wind. Ich konnte mich gar nicht fassen über die Nichtswürdigkeit des Jungen. Was soll aus ihm werden? Wohin kann solche Erziehung führen? Ich fürchte, die Mutter wird noch einmal blutige Tränen über ihn vergießen, wenn es zu spät ist. – Zu spät! das furchtbarste Wort, wenn die eigne Schuld es dem Menschen zuschreit. Dagegen hilft kein Ohrenzuhalten. –

Wenn die Luft und das Baden Betti nicht so enorm gut bekommen wären, hätte ich Tegel je eher je lieber verlassen, denn ich hatte Bange, gelegentlich einmal mit der Krausen zusammenzugeraten, aber da die Ernte bald getan war und das Erntefest vor der Tür stand, zog ich es vor zu bleiben, weil mir diese Gelegenheit sehr geeignet erschien, einige Gäste bei uns in der Sommerwohnung zu sehen. Ich überlegte den Fall mit Betti.

»Wie wäre es, wenn wir Herrn Felix Schmidt und seine Freunde heraus bäten?« fragte ich ganz wie von ungefähr. – »Ich würde es nicht für taktvoll halten, sie direkt einzuladen,« antwortete Betti. – »Aber sie versprachen doch, wieder bei uns vorzusehen, als sie an jenem Abend Abschied von uns nahmen.« – »Wenn sie zufällig herauskämen, würde ich mich sehr freuen,« sagte Betti, »aber wenn du sie extra einladest, dann gehe ich für meine Person nach Berlin.« – »Was willst du in der Stadt? Papa und Emmi kommen ja heraus und Onkel Fritz dito.« – »Aber ich gehe.« – »Betti, du bist unvernünftig.« – Betti hatte schon wieder eine Antwort bereit, aber ehe sie den Mund auftun konnte, hatte ich das Zimmer verlassen und die Tür mit einem gehörigen Baller hinter mir zugeworfen. Wäre ich ihr nicht zuvorgekommen, so hätte sie mit der Tür geknallt. Nun konnte sie auch einmal erfahren, wie abscheulich sich solches Tun ausnimmt. Nichts erzieht eindringlicher als Beispiele!

Am Nachmittag fuhr ich zur Stadt, und zwar allein, weil Betti launisch war, und unterwegs gab ich mich allerlei Gedanken hin. In meinen Augen war Herr Felix wie geschaffen für meine Betti. Daß er sein Herz auf dem rechten Fleck hat, das hatte er bewiesen, und daß er ordentlich und reell ist, das hatte ich an seiner Wäsche und seinem Zeug gesehen. Er ist Kaufmann. Mein Karl hat auch klein angefangen ... warum könnten die beiden nicht auch ihr Nest bauen, vorne mit einem Laden und einem Berliner Zimmer daran und oben die Wohnung?

Aber wie ihn heraus nach Tegel bringen?

Ich leugne nicht, daß es eine Vorsehung gibt. »Wenn ich Herrn Felix zufällig begegnen sollte,« so dachte ich, »dann ist dieses Zusammentreffen ein Wink des Himmels.« Und da es doch wohl erlaubt ist, den Fügungen des Schicksals ein wenig nachzuhelfen, nahm ich mir vor, durch die Königstraße zu gehen und zu versuchen, ob ich ihn dort nicht zufällig in seinem Geschäft anträfe. Er war aber nicht da, als ich dort ankam, dagegen traf ich ihn in unserem Hause in eifrigen Verhandlungen mit meinem Karl, und zwar über einen Posten wollener Socken, den sein Prinzipal von meinem Mann kaufen wollte. »Dies ist die Stimme des Himmels, « sagte ich mir und wartete so lange, bis das Geschäft abgeschlossen war und der junge Mann gehen wollte. Ich begrüßte ihn und sagte so obenhin: »Am Sonntag ist Erntefest in Tegel.« – »Es ist meine Absicht hinauszukommen, wenn das Wetter gut ist und es nicht regnet,« antwortete er und wurde rot. – »Sie fürchten doch die Nässe nicht?« erwiderte ich lustig, und er verabschiedete sich. – »Wird das Wetter am Sonntag schön,« kalkulierte ich, »dann habe ich ein drittes Zeichen, und es soll mir nicht einfallen, mich gegen die Vorsehung aufzulehnen.«

Mein Karl, der früher schon erfreut war, von mir zu hören, wie trefflich sich der junge Mann benommen hatte, nannte ihn jetzt auch noch einsichtsvoll, denn ihm sei es gelungen, seinen Prinzipal zu bewegen, mit uns Geschäftsverbindungen anzuknüpfen, von denen mein Karl sich guten Fortgang versprach. – »Karl,« sagte ich, »siehst du, wie Wohltun Zinsen trägt? Hätte ich mich seiner nicht angenommen, wer weiß, ob du die Socken so glatt durch ihn losgeworden wärst? Und die Betti scheint sich für ihn zu interessieren.« – – – Nun brauste mein Karl auf. »Für einen Posten Strümpfe ist mir meine Tochter nicht feil!« rief er. »Hast du noch nicht genug an deinen Heiratsstiftereien?« – »Karl,« sagte ich mit stiller Würde, »was im Himmel beschlossen ist, kommt auf Erden zur Ausführung. Der junge Mann arbeitet in deiner Branche. Wir haben nur die beiden Töchter, ... wie schön würde es später einmal heißen: Buchholz und Sohn, Wollenwaren und Phantasieartikel en gros!« Mein Karl überlegte eine Zeitlang. »Wenn du mir gelobst, deine Hände ganz aus dem Spiel zu lassen, will ich deinen Wünschen nicht entgegen sein,« sagte er dann.

»Das verspreche ich dir,« sagte ich, »aber auf Sonntag habe ich ihn schon halb und halb eingeladen.« – »Siehst du wohl,« rief mein Karl, »du bist unverbesserlich; allein das sage ich dir: ich werde meine Augen offen halten.«

Ich packte nun Sachen ein, deren wir für unsere Gäste bedurften, und dann ging ich zu Onkel Fritz und befahl ihm, ebenfalls mit einigen Freunden anzutreten, damit ich Betti einen Grund für die Teller, Bestecke und das Löffel- und Gabelwerk angeben konnte.

Am Sonntag war das herrlichste Wetter.

Mein Mann kam schon am Sonnabend heraus. Am folgenden Nachmittag kamen Onkel Fritz und Herr Kleines. Emmi sollte Polizeileutnants Mila mitbringen.

Wir warteten eine ganze Weile auf Emmi, aber vergebens, und auch Herr Felix ließ sich nicht sehen, so daß uns nichts übrigblieb, als ohne sie ins Dorf zu gehen, um die geschmückten Erntewagen vorbeipassieren zu lassen und die Ernteleute mit ihren Geräten. Der Zug war sehr hübsch arrangiert, jedoch machte er mir kein Vergnügen, denn ich hatte Sorgen, weil Emmi ausblieb und Herr Felix mit seinen Freunden. – Endlich kam Emmi, aber allein. – »Wo ist Mila?« fragte ich. – »Sie hatte nichts anzuziehen!« – »Unsinn! Warum kommst du so spät?« – »Ich ... ich sah erst, wie in der Französischen Straße die Pferdebahngeleise gelegt werden.« – »Emmi, was hast du in der Französischen Straße zu tun; was geht dich die Pferdebahn an?« – »Oh, Mama, die ist so interessant!« – »Das war sonst doch nicht?« – »Wenn alles nur ordentlich erklärt wird, ist sie entzückend.« – »Wer erklärt die Pferdebahnen? Heraus mit der Sprache!« – »Dr. Wrenzchen!« antwortete sie schüchtern. – »Was ist das?« – »Die neue Linie geht jetzt auch an seiner Wohnung vorbei.« – »Woher weißt du das?«

– »Ich traf ihn neulich in der Pferdebahn.« – »Wen?« – »Dr. Wrenzchen; ganz zufällig.« – »Und heute auch ganz zufällig?« – »Nein, er holte mich ab.« – »Um die Pferdebahngeleise zu besehen?« – »Ja. Und dann fuhren wir bis zum Halleschen Tor und wieder zurück.« – »Lud er dich zu der Tour ein?« – »Ja, aber bezahlt habe ich selber, er bezahlt nie für mich, wenn wir auf der Pferdebahn fahren.«

– »Also ihr gebt euch Rendezvous? Weißt du nicht, wie empörend er sich gegen mich benommen hat?« – »Mama, du hast ihn verkannt, er ist so gut.« – »Wir sprechen weiter über dein Betragen,« sagte ich »wie kannst du einem Manne, der dir in aller Form einen Korb gegeben hat, irgendwelche Annäherung gestatten und noch dazu in Pferdebahnen? Es wird besser sein, ich nehme dich heraus zu mir nach Tegel.«

Nun werde jemand klug aus diesem Doktor. Ich setze ihm den schönsten Kalbsbraten vor, und er läßt sich nichts merken, kaum aber habe ich den Rücken gewandt, so schlängelt er sich an mein unschuldiges Kind heran. Gottlob, in der Pferdebahn sind sie unter Aufsicht.

Die Herren waren vorangegangen, ich und die Töchter folgten ihnen nach dem Schloßrestaurant, wo das Fest schon in vollem Gange war, und dort fanden wir denn auch Herrn Felix mit seinem Freunde Max. Wir begrüßten uns, nahmen einen Tisch in Beschlag und ließen uns häuslich nieder.

Onkel Fritz forderte die jungen Leute auf, ein Tänzchen zu machen. Herr Felix engagierte Betti, und Herr Kleines machte Emmi sein Kompliment, aber sie erklärte, nicht tanzen zu wollen, worauf er mit hängender Unterlippe verschwand. »Emmi, wie kannst du so unartig sein?« fragte ich. – »Oh, Mama,« sagte sie, »den kennst du lange nicht. Neulich in der Friedrichstraße, beim Bahnhofe, bot er mir abends seine Begleitung an und war so ungezogen und so zudringlich, daß ich ihn gar nicht los werden konnte. Wenn Doktor Wrenzchen nicht gekommen wäre... ich weiß nicht, was ich hätte beginnen sollen!« – »Was redest du zusammen? Wie kamst du in die Friedrichstraße?« – »Ich war mit der Stadtbahn gefahren.« – »Und woher kam der Doktor?« – »Der kaufte mir ein halbes Viertel von den roten französischen Fruchtbonbons.« – »Und Herr Kleines?« – »Der redete mich an, als ich vor dem Laden auf den Doktor wartete.« – »Emmi, das war mehr als leichtfertig!« – »O nein, als er Herrn Kleines gehörig abgewiesen hatte und ich vor Aufregung an Händen und Füßen zitterte, da sagte der Doktor...« – »Was sagte er?« – »Es sei doch gemütlicher auf der Pferdebahn!« – »Das war alles?« – »Ja.« – »Hat Herr Kleines dich denn nicht erkannt?« – »Ich glaube kaum, ich war ziemlich dicht verschleiert.« – »Emmi, sind das Fahrten, die sich für dich schicken? – Damit du nicht wieder in ähnliche Verlegenheiten gerätst, verbiete ich dir jeden Umgang mit dem Doktor, und mit Herrn Kleines werde ich reden.«

Ich suchte nun Herrn Kleines auf und stellte ihn. Anfangs leugnete er, aber ich redete ihm scharf ins Gewissen, bis er sich damit entschuldigte, daß er die Dame nicht gekannt habe. – »Um so schlimmer,« sagte ich, »daß Sie ein solcher Trottoirwüstling sind, der wildfremden Töchtern anständiger Familien nachstellt.« – »Überdies,« sagte er, »empfahl ich mich sofort, als ich vom Doktor hörte, die Dame, welche unter seinem Schutz stände, sei seine Braut. War diese Dame Ihr Fräulein Tochter, so kann man ja gratulieren!« – »Ist das wahr?« fragte ich. – Nun spielte er den Beleidigten. Wie ich einen Zweifel in seine Worte setzen könnte? – »Gut,« erwiderte ich, »ich will Ihren jugendlichen Leichtsinn verzeihen, wenn Sie mir geloben, sich zu bessern und den Mund zu halten.« Das versprach er, und da es kühl wurde und er vorgab, an Husten zu leiden, hielt er es für nützlich, wieder in die Stadt zu fahren. Ich wußte ja auch genug.

Wir andern waren noch lange sehr vergnügt. Betti blühte auf wie eine Rose, und Onkel Fritz tanzte wie toll mit den Bauernmädchen. Herr Max, der Freund von Felix, war ziemlich still, und als ich ihn fragte, warum er so ernst sei, da sagte er, daß er sich an dem Glück seines Freundes freue. Ich entgegnete kein Wort hierauf, aber innerlich posaunte ich förmlich den Düppler Siegesmarsch vor lauter Frohlocken. Die beiden Freunde mußten sich ausgesprochen haben, und worüber, das braucht mir niemand erst klarzumachen. So helle bin ich längst. Als wir später zum Abendbrot nach unserer kleinen bescheidenen Sommerwohnung gingen, sagte mein Karl unterwegs: »Wilhelmine, ich glaube, die Firma ›Buchholz und Sohn‹ würde sich gut ausnehmen. Er ist ein prächtiger Mensch – aber tu mir die einzige Liebe und treibe nicht nach.« – »Karl,« stimmte ich zu, »wie du meinst. Ich sehe auch ein, daß gut Ding Weile haben will. Übrigens bleibt Emmi jetzt bei mir in Tegel; wenn der Doktor es aufrichtig meint, weiß er ja, wo sie zu finden ist.«

»Was ist mit dem Doktor, Wilhelmine?«

»Paß auf, ich werde doch noch seine Schwiegermutter, und dann rechne ich mit ihm ab. Er hat zu viel auf dem Kerbholz!«

Wir waren noch fidel zusammen, bis die Herren wieder in die Stadt zurück mußten. – In der Nacht träumte mir, der Doktor und Emmi führen auf der Pferdebahn davon, und ich lief hinterdrein und konnte sie nicht einholen. Hoffentlich bedeutet der Traum nichts Böses.


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