Julius Stinde
Die Familie Buchholz. Aus dem Leben der Hauptstadt
Julius Stinde

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Geheimnisse.

Wenn es kalt wird, ziehe ich die Stadt doch dem Lande vor. Als die Blätter draußen auch anfingen modefarben auszusehen, siedelten wir wieder nach Berlin über. Krauses gingen viel früher als wir, weil seine Ferien um waren, und ich war froh, daß sie sich trollten. Am vorletzten Tag haben sie, wie ich von den Leuten erfuhr, bei denen sie gewohnt hatten, Muck in die Pfanne gekriegt und mit saurer Sauce verzehrt. Ich begreife nicht, wie man solche Arglist fertig bringt. Ein so reizendes Wesen, wie Muck war! Nun die Menschen sind ja nicht alle gleich in ihren feineren Empfindungen.

Im nächsten Sommer gehen wir wieder nach Tegel, vielleicht gehe ich allein. Dann besuche ich die alten lieben Plätze im Walde, setze mich auf der Karlshöhe ins Gras, und denke an die Vergangenheit und an die Zukunft, plaudere in Gedanken mit den Töchtern, die wohl schwerlich bei mir sein werden, weil .... nun weil sie nicht da sind.

Mittlerweile waren die weihnachtlichen Zeiten wieder gekommen, wo Eins Geheimnisse vor dem Andern hat, Jung vor Alt und Alt vor Jung, die so eifrig behütet werden, als gäb' es das größte Unglück von der Welt, wenn sie verrathen würden. Und doch sind sie lauter Liebe.

Aber mitunter hat diese Liebe doch auch einen etwas bittern Beigeschmack, und da das Bittere überhaupt nicht mein Fall ist, so danke ich für den Freudenkelch, in dem man mir Wermuth kredenzt.

Wenn die Kinder klein sind, so ist es nicht schwer, ohne daß sie es merken, hinter ihre kleinen Geheimnisse zu kommen, man muß sich sogar in Acht nehmen, daß man sie ihnen nicht abstößt, wie die Blätter einer Rose, die schon zu lange am Stengel gesessen hat. Wachsen die Kinder heran, dann lernen sie schon besser auf sich achten und wissen zu schweigen, wenn auch ihr ganzes Wesen zum Verräther an dem wird, was sie mit dem kleinen Herzen nicht fest genug umschließen können. Sind sie aber allmälig groß geworden, und lieben sie noch etwas Anderes, als ihren Herrgott und ihre Eltern, dann sind sie verschlossen wie der Berg, in dem der verwunschene Prinz sitzt. Wollen die Mütter jedoch wissen, wie der Prinz mit Tauf- und Familiennamen heißt, dann müssen sie schon den Zufall abwarten und die Spur wie ein Kriminalbeamter verfolgen. Man war doch auch einmal jung, und weiß recht gut, wie es hergeht! –

Meine beiden Töchter hatten sich rechtzeitig mit den nöthigen Stickmaterialien zur Weihnachtszeit versorgt und da heutzutage nicht blos die Wischtücher und Topflappen, sondern sogar die Scheuerwische mit neu-altdeutschen Mustern verziert werden, so widersetzte ich mich der Stickerei auch nicht. Sie ist einmal Mode, und immer noch besser, als das zeitraubende Romanlesen, denn was geht es Jemand an, ob sich Zweie kriegen oder sich nicht kriegen, die man doch nicht kennt?

Die Kinder waren sehr thätig; namentlich die Emmi. Fragte ich einmal wie verloren. »Nun, Emmi, Du wirst uns diese Weihnachten wohl ganz außerordentlich überraschen?« dann wurde sie verlegen und sagte: »Mache Dich nur nicht auf zu viel gefaßt, Mama, Du weißt ja: Wenig aber von Herzen!« Da sie aber die halben Nächte aufsaß, konnte ich mich nicht beruhigen und legte mich daher, wie es Pflicht jeder Mutter ist, aufs Spioniren. – So genau ich auch aufpaßte ... sie war zu schlau, und obgleich ich mit jedem Tage fester davon überzeugt wurde, daß sie ein Geheimniß vor mir hegte, das nicht in gestickten Taschentüchern oder dergleichen bestand, gelang es mir doch nicht, einen Anhaltspunkt zu gewinnen. –- Wenn ich Betti danach fragte, so bekam ich die Antwort: »Mir sagt sie auch nicht was sie vorhat,« und mit meinem Karl wollte ich darüber nicht sprechen, denn der war in der letzten Zeit stets so guter Laune, daß ich sie ihm mit Familienquengeleien nicht verderben wollte. Hätte ich aber doch nur gesprochen, obgleich sich noch Alles zum Besten gewendet hat. Jedenfalls hätte ich einen Leib voll Ärger weniger gehabt.

Eines Abends, Emmi und Betti saßen in ihrem Zimmer und arbeiteten an den Weihnachtssachen, und ich gab meinen Gedanken Audienz – klingelte es. Ich wie ein Schießhund hinaus, denn ich hatte mir fest vorgenommen, auch nicht die kleinste Kleinigkeit unkontrollirt ins Haus zu lassen, und öffne. – »Is et hier richtig bei Buchholzens?« fragte Jemand, der wie ein Handwerkerlehrling aussah. – »Ja wohl,« antwortete ich, »hier ist es bei Buchholzens.« – »Jut,« antwortete er, »ich habe mit die Fräulein Emmi zu sprechen.« Mit einem Male fiel es mir wie Schuppen von den Augen. »Hier ist der Schlüssel zu dem Geheimniß,« rief es in meinem Innern, und ohne mich lange zu besinnen, sagte ich: »Das ist ja sehr schön, das Fräulein Emmi bin ich.« – »Da sind Se wohl uf's Lager liefen jeblieben?« fragte das freche Geschöpf. »Na, vielleicht helfen de Hosendreejer noch!« Bei diesen Worten holte er ein Packet heraus, in dem zwei halbfertige Hosenträger waren, die er sich wie zur Probe über die Schultern schlug. »Der Meester läßt grüßen und so'n langen Leib, wo die zu paßten hätte doch wohl keen Mensch, wenn er nich als Riese jeboren wäre. Oder aber, es wollte Eener die Hosendreejer jleich als Steeje jebrauchen.«

»Ja wohl, mein Sohn, die sind zu lang,« erwiderte ich, so ruhig ich konnte. »Ich werde noch einmal nachmessen. Spreche in einer halben Stunde wieder vor. Hier ist ein Groschen!« – »Behalten Se den man so lange, bis ick retourkomme und Sie mir die anderen dazujehörigen Nickel ooch jeben. Adje! –«

Der unverschämte Patron ging. – Ich besah mir die Hosenträger. Sie waren mit feinster Seide gestickt, lauter Rosenknospen und Vergißmeinnicht; eine wahnsinnig mühevolle Arbeit, aber mindestens um einen halben Meter zu lang. Für wen aber hatte das Kind sich so abrabazzt? – Dies mußte ich erfahren! – Ich also die Treppe hinauf nach dem Zimmer der Töchter. Ich klopfte an, damit sie Zeit haben sollten, ihre Weihnachtsgeheimnisse zu verbergen, und trat darauf ein, als wüßte ich von gar nichts: »Emmi,« sagte ich, »es war eben ein junger Bursche da, der brachte diese Hosenträger. Sie sind ja viel zu lang!« – Emmi blickte mich ganz geisterhaft an und rief: »Ach, nun ist Alles verloren!« – »Was ist verloren?« rief ich erschreckt. – »Und wir hatten uns Alle so sehr darauf gefreut.« – »Aber Kind – –?«

»Da siehst Du wieder, was darnach kommt, wenn Du Dich in Alles hineinmischst, Mama,« sagte Betti vorworfsvoll. – »Wieso?« – »Nun, was hilft jetzt noch das Heimlichthun? Du giebst ja doch nicht eher Frieden, als bis Du Alles haarklein weißt. Emmi ist mit dem Doktor Wrenzchen verlobt, und Papa hat es zugegeben, und Dr. Wrenzchens Eltern sind damit einverstanden, und Dir wollten wir das Brautpaar zum Weihnachten als Überraschung aufbauen. Die Hosenträger sind natürlich für den Doktor, der immer so furchtbar kurz in den Hosenbeinen ist, und um dem Übel abzuhelfen, sind sie wohl zu lang gerathen. So, nun weißt Du Alles; die dummen Dinger (sie deutete auf die Rosen- und Vergißmeinnicht-Riemen) hätten Dich ja doch bald auf die richtige Spur gebracht.«

Ich mußte mich setzen. Emmi verlobt mit dem Doktor! Hinter meinem Rücken! Ohne mein Wissen! – Mir war zu Muthe wie einem König, dem man seine Herrschaft nimmt. Meine Autorität in der Familie war untergraben. Und von wem? Von einem Fremdling. Von diesem Doktor, der mir schon so oft entgegen gewesen war und nun heimtückisch meinen Karl für sich gewonnen hatte. Dies war zuviel. Wäre ich mit dem Kopf in vollem Laufe gegen eine Wand gerannt, ich hätte nicht verbiesterter dasitzen können, als jetzt.

Mein erstes Gefühl war, in eine laute Lache auszubrechen, aber ich hielt an mich, denn von mir hing jetzt das Glück meines Kindes ab; mit dem Doktor konnte ich die betreffenden Hühner ja noch so oft und so lange pflücken, bis einer von uns auf der Bahre liegen würde. Ich faßte mich daher, erhob mich und ging bewegt auf Emmi zu und umarmte und küßte sie. »Meinen Segen hast Du,« sagte ich. »Wäre der Doktor hier ... ich würde ihn gleich mitsegnen.« – »Ist gut, Mama!« sagte Betti lächelnd und verschwand.

Ich war nun allein mit Emmi, und das Kind schüttete jetzt sein ganzes Herz in meinen Mutterbusen aus, immer bunt durcheinander, bald ganz Lustiges, bald Verständiges, aber Alles, was es sprach, hatte Zusammenhang, denn Jegliches bezog sich auf den Doktor. – Sie wäre ihm stets gut gewesen und er ihr auch, nur mit Gewalt hätte er nicht glücklich gemacht werden wollen. »Und dann trafen wir uns auf der Pferdebahn, und als ein Herr mich Abends einmal verfolgte, nahm er mich in seinen Schutz. Es war Herr Kleines, das Ekel. Der Doktor sagte, um ihn los zu werden, ich sei seine Braut; es war aber nur Scherz. Und eines Tages – wir fuhren wieder einmal zufällig in der Pferdebahn – da sah er mich an und streckte mir seine Hand entgegen und ich gab ihm die meine. Da waren wir einig.« – »Ohne ein Wort zu sagen?« – »Ohne ein Wort. Aber da war es Ernst. Und wie ich die Pferdebahnen rasend gern leiden kann, das glaubst Du gar nicht, Mama. Dem Doktor sind sie auch sein Liebstes!« Mit einem Kusse schloß ich der kleinen Schwätzerin den Mund. Sie war aber auch zum Küssen, wie sie so dastand mit leuchtenden Augen und gerötheten Wangen, so jung, so jung, so lebensfroh und durchglüht vom Morgenroth der ersten Liebe. Ich muß sagen, ich gönnte sie dem Doktor eigentlich nicht, aber sie lieben sich, und ich war machtlos.

Betti kam wieder und sagte, sie hätte zum Doktor geschickt, damit er seinen Theil vom Segen abbekäme, aber er wäre bis neun Uhr auf der Praxis und nach Neune könnte er nicht ausgehen, weil seine Treppen gemalt würden. – »Kann er denn nicht die Hintertreppe hinabsteigen?« – »Es ist keine zweite Treppe in dem Hause, Mama!« sagte Emmi, »so gemüthlich es sonst ist.« – »Du warst schon bei ihm im Hause?« – »Gewiß, mit Papa und den alten Wrenzchens ... ach, sind das prächtige, liebe Leute –.«

»Ohne mich?« fuhr ich entrüstet auf.

»Ja, Mama. Du wolltest ihn doch immer so gern zum Schwiegersohn haben, und da dachten wir, ihn Dir zu Weihnachten zu bescheeren,« sagte Emmi. – »Wer kam auf den niedlichen Gedanken?« fragte ich. – »Natürlich der Doktor. O, Mama, er ist so klug und gescheut,« rief Emmi. – »Und wenn Du wüßtest, wie liebevoll er sein kann – –.«

»Emmi!« rief ich schmerzlich, »ist Deine Mutter Dir gar nichts mehr und dieser Doktor, der wie ein Wolf in die Hürden bricht, Alles? Ist das der Dank dafür, daß ich Dich geboren und groß gezogen habe, daß ich Dich hütete wie meinen Augapfel, daß Ihr nun Alle miteinander mich kalt stellt wegen dieses Doktors? Vielleicht ist es sein Glück, daß die Farbe auf den Treppen erst morgen früh trocken ist, wer weiß, wenn er hier wäre, ob ich ...«

Emmi legte leise ihre Arme auf meine Schulter. »Hat die Großmutter auch so gescholten, als Du Papa's Braut wurdest?« fragte sie und sah mich glückselig lächelnd an. – »Nein ... nein ... Kind ...ich schelte ja auch nicht. Nur, daß Ihr mich an Eurem Glücke nicht schon längst habt theilnehmen lassen ... das verdrießt mich!«

»Und wir glaubten, wir würden Dir eine Weihnachtsfreude bereiten, wie nie zuvor. Es geschah ja nur aus Liebe, daß wir schwiegen!«

Das Kind hatte Recht und ich gab mich denn auch bald zufrieden. Als der Bursche kam, händigte ich ihm die Hosenträger wieder ein und gab ihm das Maß von meinem Karl mit, der ist einen Kopf länger als der Doktor, so daß sie wohl passen werden, wenn er sie hochschnallt. – Mein Karl kam erst spät aus seinem Bezirksverein nach Hause. Allzu liebenswürdig war ich freilich nicht gegen ihn, denn er sollte empfinden, daß man eine Frau nicht ungestraft hintenansetzt, einerlei, ob Weihnachtsüberraschungen beabsichtigt werden oder nicht, die ja nun doch dahin sind.

Ich ließ ihn am andern Morgen mit Seelenruhe die Zeit verschlafen. – Warum ist er auch so? – –

Der heilige Abend rückte immer näher heran. Die Pfefferkuchen kamen, die Tannenbäume und mit ihnen der ganze Weihnachtszauber. Auch in den Zeitungen und Journalen erschienen die kleinen Festgeschichten, die ich jedoch konsequent überschlage. Warum? – Weil sie alle so schrecklich traurig sind. Eins ist ja meistens krank, entweder die Mutter oder der Vater oder das Kind, und das Gesunde hat dann in seiner grenzenlosen Betrübniß irgendwo draußen eine gute Begegnung und zum Schluß wird ein Tannenbaum angezündet und die Noth ist aus. Wenn so viele wohlhabende Fremde in der Welt herum liefen, wie um die Weihnachtszeit in den Novellen, dann müßte man doch auch einmal aus Bekanntenkreisen von einem solchen glückspendenden Weihnachtsonkel hören, aber da das nie der Fall ist, glaube ich, daß die Erzählungsschreiber diese Art von Wohlthätern nur als Kühlsalbe gebrauchen, um den künstlichen Schmerz zu lindern, den sie dem zartfühlenden Leser mit dem armen kranken Menschen versetzt haben. Wer es weiß, wieviel Elend in der Welt ist, der braucht nicht noch nachgemachtes dazu, der versteht es zu finden und lernt das Helfen gar bald. Deshalb bin ich gegen die erdichtete Weihnachtstrübsal.

Ich kenne Leute, die es durchaus nicht reichlich haben und denen ein Spendir-Fremder sehr zu paß käme, aber sie behelfen sich auch ohne ihn und sind trotzdem zufrieden. Das habe ich so recht an Weigelts gesehen, die ich am Heiligabend besuchte.

In unserm Hause war diesmal die Bescheerung spät angesetzt, weil der Doktor vor zehn Uhr nicht zu uns kommen konnte. Da dachte ich denn, du gehst vorher nach Weigelts und hilfst der jungen Frau, die das Mädchen wieder abgeschafft hat um zu sparen und sich allein im Hausstand plagt. Um sieben war ich bei ihr auf der vierten Etage, und sie freute sich sehr, als ich kam.

Der Mann hatte gesagt, daß er vom Bureau aus auf den Weihnachtsmarkt gehen würde, und war noch nicht da. So konnten wir Beiden Manches ganz unter uns besprechen, und da Auguste mir Alles vertraut, wußte ich bald, wie es bei Weigelts zugeht. Aus den Schulden sind sie immer noch nicht, die erste auf Borg genommene Einrichtung war zu theuer und seit der Junge da ist, kann sie mit Handarbeit nur wenig dazu verdienen. Wenn ein Weihnachtsonkel aus Amerika käme und sie von dem Möbelhändler befreite, wären sie schön heraus, aber die giebt es leider nur auf dem Papier.

Trotzdem war Auguste keineswegs verzagt. Im Gegentheil, sie war vergnügt, wie noch nie, denn zum ersten Mal baute sie ihrem Jungen auf, der erste Baum stand für den kleinen Kerl geschmückt da und harrte auf den Augenblick, in dem zwei helle Kinderaugen seinen Lichterglanz trinken sollten. Der Stammhalter, wie sie ihn nennen, lag in seinem Bettchen und schlief.

»Ich bin fertig mit Allem,« sagte Auguste, »nur mein Mann fehlt noch.« – »Ich wundre mich, daß Du ganz allein zu Stande kommst,« entgegnete ich, »Deine Wohnung ist in Ordnung, zum Abendessen steht Alles vorbereitet, die Bescheerung hast Du aufgebaut ... wie wurde Dir das möglich?« – »Ganz einfach,« erwiderte sie fröhlich, »ich habe ein Zauberwort; seitdem ich das kenne, geht mir Alles rasch von den Händen.« – »Und wie heißt das Wort?« fragte ich neugierig. – »Dalli, dalli!« antwortete sie lachend. »Es ist ja eigentlich polnisch,« fügte sie hinzu, »aber es sagt sich so leicht, viel bequemer als flink, flink, und klingt dabei lustig. Wenn ich eine Arbeit anfange, dann rufe ich mir leise 'dalli, dalli' zu; kaufe ich auf dem Markte ein, heißt es: 'dalli, dalli', sonst erwacht der Junge, ehe Du nach Hause kommst. Wasche ich mein Geschirr in der Küche auf, scheure ich die Wohnung, immer geht's 'dalli, dalli', und so kommt es, daß ich ganz allein zur rechten Zeit mit meinem Hausstand in Ordnung bin.«

Das gefiel mir gar wohl, und da wirklich Alles sauber war, mußte ich gestehen, daß Auguste nicht nur dalli, sondern auch gründlich bei ihren Arbeiten ist.

Als nun der Mann kam, wurde er gleich mit dem Bescheid in das Schlafzimmer gewiesen, den Jungen aufzunehmen und munter zu machen, und als er dann von drinnen rief: »Wir sind präsentabel,« brannten auch schon die Lichter an dem Bäumchen. – Er trat mit dem Jungen auf dem Arme ein und blieb an der Thür stehen. Der Kleine streckte dem Lichte die Händchen entgegen und sah mit großen Augen das Wunder an. Dann aber rief er: »Da, da!« und Auguste eilte auf ihn zu und küßte ihn und küßte ihren Mann, und der hielt sie fest umschlungen. Der Freudenlaut aus dem lallenden Munde hatte sie glückselig gemacht. Es war Weihnacht in dem Stübchen auf der vierten Etage. – Dann kamen die Überraschungen. Sie beschenkte ihren Mann, und er hatte Mancherlei für sie. Jeder hatte sich gewünscht, was er bekam, und ganz außer sich war Auguste über einen messingenen Mörser, den sie bis jetzt sehr entbehrt hatte; nur fand sie ihn viel zu kostbar.

Auch die Kleinigkeiten, welche ich mitgebracht hatte, machten ihnen Vergnügen. Ich blieb, bis Auguste das Abendbrod bereitet hatte, und amüsirte mich an dem Jungen. »Er wird groß und stark!« sagte Herr Weigelt, und der Junge kreischte vor Lust, während er seinem Vater die Haare zerzauste. Nachher ging ich, so viel Auguste mich auch zu bleiben bat. »Kinder,« sagte ich, »am liebsten seid Ihr heute doch ganz unter Euch!« – –

Als ich auf die Straße trat, rannte die Menschheit mehr als gewöhnlich. Jeder wollte nach Hause und gar viele trugen Packete, etliche ein Tannenbäumchen, das sie noch billig erstanden hatten, manche aber gingen langsam, als wenn sie Etwas suchten. Vielleicht die Weihnachtsfreude? Waren sie einsam in der großen Stadt und verlassen? Wer weiß es ... ich kannte sie nicht. Aber alle gingen sie an dem Hause vorbei, wo der Weihnachtsjubel so hell und rein eingekehrt war, wie ich möchte, daß er Jedem bescheert würde. Und was war es, genau besehen? – Ein kleiner Krabauter und ein messingener Mörser.

Bei uns sah es noch nicht weihnachtlich aus, als ich nach Hause kam, denn es wurde auf den Doktor gewartet. Aufgebaut hatten mein Karl und ich schon am Nachmittage. Emmi war sehr unruhig, das sind Bräute ja auch meistens, wenn ihr Abgott in Sicht ist. Dann trat Onkel Fritz an; nun wußte ich Bescheid, denn die offizielle Verlobungsfeier hatte ich immer noch hinausgeschoben, und mit Onkel Fritz verabredet, den Doktor an Heiligabend heimlich ins Haus zu schmuggeln. Wenn er aufgebaut werden sollte, so wollte ich es besorgen, das war mein Amt. Ich ging unbemerkt in das Bescheerungszimmer, in das Onkel Fritz den Doktor eingelassen hatte. Da stand er wie ein Einbrecher in der Nacht. Ich begrüßte ihn und er sagte mir guten Abend, aber er schien nicht recht zu wissen, womit er sich entschuldigen sollte. »Helfen Sie mir, den Baum anzünden,« munterte ich ihn auf, und gab ihm die Tändsticker. – Er benahm sich so anstellig dabei, daß ich scherzend sagte: »Sie sind zum Familienvater wie geboren.« Dann mußte er sich in einem blumenbekränzten Lehnstuhl vor den Tisch hinsetzen, auf dem der Baum stand, und als ich ihn mir darauf ansah, machte er sich ganz prachtvoll, beinahe so reputirlich, wie ein Kirchenrath.

Nun öffnete ich die Thür und überrascht blickten sie Alle auf den brennenden Baum und den Doktor. Das hatten sie nicht erwartet. Emmi rief jedoch gleich: »Da ist er!« und flog auf ihn zu, und wir freuten uns über die beiden Menschenkinder, die sich die Hände gereicht hatten und über die der Christbaum sein strahlendes Licht ergoß. In ihren Augen erglänzte aber noch ein Helleres, Leuchtenderes als der Kerzenschein! Und das war die Liebe. Mein Karl ging auf ihn zu und bot ihm die Rechte, in welche der Doktor einschlug. »Der erste Weihnachtsabend in unserer Familie, die nun auch die ihrige ist, lieber Doktor,« sagte mein Karl, »möge seine milde Feier das Band noch fester knüpfen, das uns vereint. Gemeinsam in Freude, gemeinsam in Leid. Wir gehören zu einander!«

Ich wurde ganz gerührt, als mein Karl so sprach, aber ich ließ nichts merken und sagte: »Nun laßt uns doch sehen, was der Weihnachtsmann gebracht hat.« Das war denn Vielerlei. Der Doktor war sehr glücklich über seinen Aufbau, an dem mich jedoch eine heimlich von Onkel Fritz hingelegte Gabe empörte, nämlich ein eleganter Skatblock mit der Devise: 'Wer giebt denn?' Mir hatte Onkel Fritz ein Theaterstück bescheert, das den Titel 'Rezept gegen Schwiegermütter' trug und das ich gleich bei Seite that. Emmi bekam von ihm eine kleine Pferdebahn, worüber sie sich jedoch keineswegs erzürnt stellte. Der Doktor hatte sich sehr angegriffen und überraschte Emmi mit einer prachtvollen Kette nebst Medaillon, in dem sich sein Portrait befand, so daß ich ihm wegen seiner Verschwendung Vorwürfe machen mußte. Er meinte aber, die Sachen behielten ja ihren Werth.

»Du kannst Dir keinen solideren Schwiegersohn wünschen,« sagte Onkel Fritz mir im Vertrauen, »denn er mauert beim Skat.« – »Das ist mir unverständlich,« entgegnete ich, »aber ich weiß leider, daß er verschwendet, besonders an seinen Geburtstagen.« – »Wer hat das gesagt?« – »Du selbst.« – Fritz lachte auf. – »Die einzigen Unkosten, die er macht, ist, daß er sich zur Feier des Tages die Haare schneiden läßt; wir erzählen überall von seiner vermeintlichen Üppigkeit, damit er geutzt wird.« – »Und ich auch?« fragte ich. – »Du auch!« lachte er. – Ich lachte aber nicht mit. »Fritz, das darf nicht wieder vorkommen,« sagte ich, »allein schon Emmi's wegen nicht. Bedenke, wenn sie die Achtung vor ihrem Zukünftigen verlöre, denn nichts setzt den Menschen mehr herab als Utzereien.« – »Werde nur nicht sentimental, Wilhelmine, sondern thue, was Deines Amtes ist und rühre einen Ordentlichen an ... ohne Punsch ist keine Verlobung rechtskräftig!«

Wir punschten so zu sagen mit Andacht. Onkel Fritz ließ aber das Necken doch nicht, denn er sah öfters nach der Uhr und rief jedesmal dem Doktor zu: »Wenn Du noch einen Lachs fangen willst, wird es die höchste Eisenbahn!« Der Doktor aber meinte, er könnte ja nicht fort, seine Braut hielte ihn fest an der Hand. – Wie hübsch es klang, als er meine Tochter seine Braut nannte! Es ist ja auch der größte Erfolg, den eine Mutter haben kann, wenn alle Sorgen, alle Liebe, alle Erziehung und die vielen Unkosten schließlich mit dem Brautkranze gekrönt werden. Liebt der Doktor Emmi von ganzem Herzen, so wird er gewiß den Karten entsagen und selbst das solideste Mauern aufgeben. Ich werde nicht aufhören, an seiner Besserung zu arbeiten.

Mein Karl hielt mir am andern Morgen vor, ich hätte einen kleinen Zacken gehabt. »Karl,« entgegnete ich ohne jede Spur von Unmuth, »es war nicht einmal ein Spitz; nur die Freude, ...die pure Freude!«


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