Julius Stinde
Die Familie Buchholz. Aus dem Leben der Hauptstadt
Julius Stinde

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Ein Geburtstag

Ich bin nur eine einfache Frau, Herr Redakteur, und das Schreiben ist meine Sache durchaus nicht, aber da in Ihrem Blatte, welches ich so gerne lese, doch auch manchmal Gegenstände zur Sprache kommen, die nur von Frauen richtig erfaßt und behandelt werden können, so wage ich es, als vorsorgliche Mutter, Ihnen mein Herz auszuschütten und bitte Sie, den Stil, wo er reparaturbedürftig ist, gütigst ausbessern zu wollen. Es wäre mir nämlich peinlich, wenn meine Töchter Fehler in meinem Schreiben entdecken sollten, so etwas würde meine bisherige Autorität schädigen. Sie glauben gar nicht, wie die Kinder heut zu Tage es weit in der Schule bringen.

Nun aber zur Sache.

Vor zwei Weihnachten schenkte Onkel Fritz den Kindern ein Puppentheater, womit wir auch ganz einverstanden waren, weil sie ruhig sind, wenn sie sich damit beschäftigen. Selbst wenn der kleine Krause zu Besuch kommt und Heimreichs Dreie aus der Müllerstraße, geht es ohne Lärm her, sobald sie das Puppentheater vorhaben. Sonst spielten sie immer: »Wie gefällt dir dein Nachbar«, oder »Räuber und Soldat«, wobei es nie ohne Spektakel abging und einmal sogar die Scheibe von der Servante eingestoßen wurde, worin das gute Porzellan steht, das Gott sei Dank unversehrt blieb. Mein Mann schenkt den Mädchen daher auch hin und wieder einige Groschen, damit sie sich Bilderbogen kaufen und neue Figuren für das Theater zurechtpappen können, es ist das immer noch vortheilhafter, als wenn etwas entzweigebrochen wird. Die Scheibe vom Spinde kostete baar acht Mark. Neulich war nun Emmi's Geburtstag, und weil es doch ein Aufwaschen war, so bat ich die Alten auch, während Emmi, wie wir das so gewohnt sind, ihre Kindergesellschaft hatte.

Den Kindern war das Eßzimmer überlassen, und nachdem sie ihre Chokolade bekommen hatten (notabene mit der nöthigen Portion Kuchen), bauten sie das Puppentheater auf und stellten Stühle davor, ordentlich wie im Theater. Dann kam der kleine Krause und lud uns Großen ein, die Vorstellung zu besuchen, und wir gingen denn auch Alle hin, um den Kindern den Gefallen zu thun. Wir Damen saßen gleich vorne an, die Herren mußten aber an der Wand stehen, denn das Geschlepp mit den Plüschstühlen aus der guten Stube dulde ich nicht.

Als wir nun so sitzen und der Dinge harren, die da kommen sollen, sagt Frau Heimreich zu mir, daß sie im Ganzen nicht sehr dafür wäre, daß die Kinder sich mit Komödie beschäftigten, es machte sie so phantasiereich. Ich erwiderte ihr darauf: »Im Gegentheil, es bildet Herz und Gemüth und ist eine bessere Beschäftigung, als das Skandalmachen, wobei leicht Spiegelscheiben von Schränken eingerannt werden.« – Den Stich hatte sie weg, denn ihre Agnes war damals Schuld an dem Malheur gewesen, und so schwieg sie denn auch still.

Endlich ging der Vorhang auf. Onkel Fritz fing an zu applaudiren, obgleich noch kein Wort gesprochen war; er mußte wohl meinen, im Viktoriatheater zu sein, wo die Dekorationen immer den meisten Beifall bekommen. Hier war jedoch gar nichts zu beklatschen, denn die Szenerie stellte ein einfaches Zimmer dar, an dem unsereins nichts Bemerkenswerthes finden konnte. Aber Onkel Fritz will einmal als Kenner gelten.

Nun fingen die Kinder an zu sprechen. Meine Emmi schob eine der auf dem Theater befindlichen weiblichen Figuren nach vorne und sagte ganz laut und vernehmlich:

»Guten Morgen, meine Damen. Nee, ich kann nicht anders, als Ihnen mein Herz ausschütten. Denken Sie sich, die Rosalie, das leichtsinnige Geschöpf, kokettirt nun auch schon mit meinem Wachtmeister.«

»Das fängt ja sehr nett an!« flüsterte Frau Heimreich mir zu. – »Wer wird denn gleich Alles auf die Goldwage legen!« sagte ich. Ein bischen sonderbar war mir aber doch zu Muthe geworden, allein der Heimreichen gegenüber wollte ich mir keine Schwäche anmerken lassen.

Die Kinder spielten weiter und Emmi fuhr fort:

»Na es ist auch kein gutes Haar an dem Frauenzimmer. Hat sie Ihnen nicht auch Ihre Liebhaber abspenstig zu machen gesucht, das fatale Ding?«

»Ja freilich! Ja freilich!« antworteten die anderen Kinder im Chor und bewegten die Puppen an ihren Drähten, als wenn die gesprochen hätten. Sogar der kleine Krause stimmte mit ein, weshalb er vom Theater weggewiesen wurde und weinerlich hinter dem Bettschirm hervorkam, mit dem die Kinder das Puppentheater auf der einen Seite verstellt hatten, damit man sie nicht sehen konnte.

»Mir scheint, die Sache wird immer heiterer!« sagte Frau Heimreich ziemlich laut. Ich that, als wenn ich nicht merkte, was sie meinte, und sagte deshalb zum kleinen Krause: »Komm nur zu mir, Eduard, von hier siehst Du's am allerbesten!« – »Ich denke, das Kind thäte gut, wenn es von solcher Art Komödie gar nichts sähe,« bemerkte Frau Heimreich spitz. Ich schwieg. Nun erschienen auf der Bühne zwei Puppen, die davon redeten, daß sie heimlich verheirathet seien, einen Sohn hätten, von dem die Eltern nichts wüßten, und dergleichen Anzüglichkeiten mehr. Hierauf kam ein alter Sünder, welcher der Rosalie die Cour machen wollte und zwei Flaschen Champagner mitbrachte, auf die er zwei Zehnthalerscheine geklebt hatte. Frau Heimreich machte in einem fort spöttische Bemerkungen. »Das bildet wohl Herz und Gemüth?« gab sie mir zurück. »Besser ist denn doch, die Glasscheiben nehmen Schaden, als die jungen Kinderseelen!« – Konnte ich ihr Recht geben? Ich hätte es wohl eigentlich müssen, allein sie war zu impertinent, so daß ich nur sagte: »So etwas wie auf der Bühne kommt im Leben oft genug vor!« – »Derlei Erfahrungen habe ich nicht gemacht!« höhnte sie. – Ich hätte ihr dies und das anthun können, aber Recht sollte sie doch nicht haben. »Wenn man sich blind und taub stellt, sieht und hört man natürlich nichts von der Welt!« erwiderte ich. Zum Glück fiel der Vorhang und der erste Akt war vorbei. Onkel Fritz und der kleine Krause waren die einzigen, die applaudirten, ich klatschte natürlich auch mit, blos um Frau Heimreich zu zeigen, daß ich mich an ihr Geschwätz durchaus nicht kehrte.

Nun kam der zweite Akt. Es wurde ein Kind ausgesetzt, die Rosalie findet es, ein Mann sagt ihr auf den Kopf, es wäre das ihre. – »Ich bin Stickmamsell, wie käme ich denn zu so was!« ruft meine Emmi, welche die Rolle der Rosalie zu sprechen hatte.

Mir war es schon zu verschiedenen Malen heiß und kalt übergelaufen und jetzt konnte ich nicht länger an mir halten. – »Nun ist's aus mit der Komödie!« rief ich, »das geht mir denn doch über allen Spaß!« und sprang auf. »In Ihrem Hause lernen die Kinder allerliebste Dinge!« rief Frau Heimreich. »Ha, ha! Herz und Gemüth! Ja die finden ihre Rechnung. Das muß man sagen!« Hierauf rief sie: »Agnes, Paula, Martha, Ihr kommt zu mir, von solchem Unfug will ich nichts wissen. Wir sind eine respektable Familie, Euer Großpapa, mein seliger Vater, hatte den rothen Adlerorden.«

»Aber man blos vierter,« warf ich ein, denn wenn sie nur irgend kann, bringt sie den alten Mann mit seinem Orden auf's Tapet. – Die Kinder kamen hinter dem Bettschirm mit trübseligen Gesichtern hervor. Meine weinten laut und der kleine Krause fing mit an zu heulen. Es war das reine unterbrochene Opferfest.- »Was haben wir denn gethan, daß Du so böse bist, Mama?« flennte Emmi. – »Ach was!« sagte ich, »wie könnt Ihr so dummes Zeug aufführen!« – »Blos dumm?« fragte die Heimreich. – »Wo habt Ihr das Stück her?« inquirirte ich. – »Vom Buchbinder!« antwortete Emmi und brachte mir ein Büchlein, dessen Titel lautete: »Eine leichte Person. Posse in drei Akten von Büttner und Pohl. Für Kindertheater bearbeitet von Dr. Sperzius. Neu-Ruppin, Verlag von Oehmigke und Riemschneider.« – »Das mag ein schöner Doktor sein, der Spuzius oder Sperenzius,« sagte Frau Heimreich. »Schämen sollte er sich.« – Nun mischte Onkel Fritz sich dazwischen. »Eine sehr gute Posse,« sagte er, »sie ist unzählige Male auf großen Bühnen gegeben.« »Ja wohl!« rief ich, »eine Posse für einzelne Herren. Aber was Dir als ledigem Junggesellen gefällt, braucht deshalb noch immer nicht gut zu sein. Ich hoffe nicht, daß Du sie gesehen hast, Karl?« fragte ich meinen Mann. Er erinnerte sich nicht genau.

Nun bohrte Frau Heimreich wieder nach. Ich, als Mutter, hätte nicht dulden müssen, daß solche Bücher in mein Haus kämen, worauf ich sagte, daß ich mehr zu thun hätte, als darauf zu achten; in meinem Hause könnten die Leute, die zu Besuch kämen, ihren Namen nicht anstatt der Visitenkarte in den Staub schreiben, der fingerdick auf den Möbeln läge. Ein Wort gab das andere und sie verließ uns, indem sie sagte, sie würde nie wiederkommen, ebensowenig wie sie ihren Kindern ferner gestattete, ein solches Gomorrha wieder zu betreten, wie unser Haus sei. Das war mir ganz recht, denn meine beiden sind eigentlich schon zu groß für Heimreich's drei Jüngsten und wenn die Heimreichen sich auch mit ihrer Moral brüstet, so bin ich doch der festen Meinung, daß sie nur so lange fromm ist, als sie Sonntags in der Kirche sitzt.

Die Kinder weinten schrecklich, als die Heimreichs davongingen. Ich gab ihnen Chokolade und Kuchen, obgleich sie erst vor Kurzem genug gehabt hatten, aber Kinder haben immer noch Platz und das war in diesem Fall sehr gut, denn so wurden d i e wenigstens ruhig. Wir hatten zwar ziemlich lange Umgang mit Heimreichs gehabt, aber des Menschen Wille ist ja sein Himmelreich. Sie wollte es einmal nicht anders. Außerdem wohnen sie ganz hinten in der Müllerstraße, und das ist von uns ein entsetzliches Ende. Krauses blieben noch und als wir wieder in der guten Stube saßen, kam die Rede natürlich auf das infame Buch, das soviel Unheil angerichtet hatte. Herr Krause meinte, es sei unverantwortlich, solches Zeug den Kindern in die Hände zu geben. Onkel Fritz entgegnete, die seien viel zu dumm, als daß sie wüßten, warum[!] es sich eigentlich handelte. »Aus kleinen Kindern werden große!« sagte mein Mann. »Jugendeindrücke haften fürs ganze Leben!« sagte Frau Krause. »Die Kinder hätten ja nur 'Schneewittchen' oder 'Rübezahl' oder Derartiges aufführen können,« rief ich, »daß ihnen auch gerade solche Dummheit in die Hände gerathen mußte, wie die leichte Person.«

Onkel Fritz meinte, wir hätten die Komödie ruhig zu Ende spielen lassen sollen, das wäre besser gewesen, als unnützes Aufsehen zu machen. – Ich wusch ihm aber nicht schlecht den Kopf, denn Onkel Fritz ist mein jüngster Bruder. Sein albernes Theater sei an Allem Schuld, behauptete ich. Er wälzte sie jedoch von sich ab auf den Buchbinder und den Dr. Sperrenzius oder wie er heißt. Es gab eine allgemeine Verstimmung.

Nun frage ich Sie, Herr Redakteur, ist es zu verantworten, daß Fabrikanten und Händler unter der harmlosen Bezeichnung »für Kindertheater bearbeitet« Schriften zum Verkauf bringen, die für die Kinderwelt passen, wie die Faust aufs Auge? Wo ist ein Gesundheitsamt für die Verfälschung der geistigen Nahrungsmittel?

Das Geburtstagsfest war allerdings gründlich gestört – Schuld hatte die Heimreich auch . . . . . aber das habe ich als Lehre daraus genommen, die Lektüre meiner Beiden wird von heute ab von mir und meinem Manne überwacht, in das Paradies ihrer Kindheit kommt mir ein solches Giftgethier nicht wieder. Krausens sind ganz meiner Meinung und vielleicht sind es andere Familien auch, wenn sie erfahren, wie es mir ergangen ist. Sie sind nicht Mutter wie ich, aber ich hoffe, Sie werden mir in dieser Angelegenheit beistehen, Herr Redakteur.

Ihre ergebene

Wilhelmine Buchholz, geb. Fabian.

P. S. Das Buch füge ich bei. Sie sehen, daß ich die schlimmsten Stellen gar nicht angeführt habe.


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