Julius Stinde
Die Familie Buchholz. Aus dem Leben der Hauptstadt
Julius Stinde

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»Auf einen Löffel Suppe«

Es ist mit dem Schicksal akkurat wie mit dem Wetter. Man hofft, daß es endlich einmal schön werden soll, man sieht nach dem Barometer, man betrachtet die Abendwolken, man spricht darüber, daß es sich doch ändern muß, man liest die Berichte der Seewarte und sagt zu seiner Familie: 'Liebe Kinder, morgen wird das Wetter gut, legt die Kleider nur zurecht, wir gehen aus,' aber am nächsten Tage gießt es, als wäre die Wasserleitung im Himmel geplatzt. Und gerade so steht der Mensch dem Schicksal gegenüber, er mag sich anstellen wie er will, hoffen und wünschen, sich mühen und plagen und, wie die Dichter sagen, die Weltenuhr ein bischen vorstellen, es hilft doch Alles nichts. Schließlich und zuletzt muß er seine Ohnmacht einsehen und zerknirscht die Gewalt der ewigen Urgesetze anerkennen.

Das heißt jedoch, ich für meine Person nehme den Kampf mit den ewigen Gesetzen auf, dafür bin ich zu resolut. Rom wurde auch nicht an einem Tage ruinirt, o nein, es steht noch eine ganze Menge davon da. –

Ich hielt es für geboten, dem Doktor zu zeigen, daß wir ihn nicht ausschließlich als Hausarzt schätzten, sondern, daß wir auch den Hausfreund in ihm sähen, und lud ihn deshalb zum Sonntag auf einen Löffel Suppe ein. Daß er blos auf Suppe kommen würde, durfte ich nicht erwarten, und deshalb fügte ich hinzu, daß wir aus Mecklenburg eine Kalbskeule von zwanzig Pfund geschenkt erhalten hätten, die nur von Kennern gewürdigt werden könnte.

»Wilhelmine, was ist das für ein Schwindel mit der Kalbskeule?« fragte mein Karl, als ich ihm die Einladung zur Begutachtung vorlegte.

»Sie wird schon da sein, wenn es soweit ist,« entgegnete ich, »und nachgewogen braucht sie nicht zu werden.«

Mein Karl schüttelte den Kopf, aber ich bedeutete ihm, daß es Dinge gäbe, von denen die Männer nichts verständen. Der Doktor müßte einmal eingeladen werden, das sei man ihm und uns schuldig.

Der Doktor sagte zu. Er schrieb, daß er am Nachmittag um Fünf allen seinen Verpflichtungen nachgekommen sein werde und sich freue zu erscheinen. Daraus konnte man sehen, wie gewissenhaft er es mit der Praxis nimmt, denn es giebt Ärzte, die keinerlei Sonntagsarbeit verrichten, einerlei ob sie bestellt sind oder ob sich ihnen zufällig etwas bietet. Ein solcher Arzt, wie Dr. Wrenzchen, mit so soliden Ansichten, mußte ja jeder Familie willkommen sein. Mein Mann fragte, ob wir Onkel Fritz nicht auch bitten wollten, aber für diesen Vorschlag hatte ich nur ein vielsagendes Lächeln. Ich konnte keine Gesellschaft gebrauchen, ihn allein wollte ich haben, ihn, den Doktor ganz allein. Diesmal sollte er mir nicht entschlüpfen! Ich sorgte rechtzeitig für den Braten und der Sonntag war da, als die Woche Feierabend gemacht hatte. –

Um drei Uhr schob ich die Keule in den Bratofen. Emmi war gerade in der Küche und fragte, ob sie nicht rasch zu Bergfeldtens laufen sollte, um sie einzuladen. So unschuldig war das Kind, es hatte keine Ahnung von der Wichtigkeit des heutigen Tages. Ich umarmte sie, Thränen füllten meine Augen und erstickten meine Stimme; ich konnte nur sprachlos auf die Kochmaschine deuten, als wenn dort die ganze Zukunft meines Kindes briet.

»Du hast wohl Recht, wenn Du über den Braten unglücklich bist, Mama,« sagte Emmi, »Du sollst sehen, er wird nie alle. So viel Kalbfleisch haben wir noch nie auf einmal im Hause gehabt. Und kein Mensch mag ihn!« – »Einer wird ihn mögen!« rief ich mit Beziehung. »Geh nur, mein Kind, und schmücke Dich. Zieh die gepuffte Sammettaille an, stecke Dir die Blumen ins Haar, die ich vom Markt für Dich mitgebracht habe. Es sind Orangenknospen.« – »Die sehen nach Nichts aus,« entgegnete Emmi. »Aber sie sind symbolisch!« erwiderte ich. »In Italien windet man ... den Brautkranz daraus. Nun geh, mein Kind!« – Emmi wurde roth bis über die Ohren, sah mich groß an, und entfernte sich, ich aber wandte mich zu dem Braten, der sich bereits schön bräunte, und sagte zur Köchin: »Jette, nach zehn Minuten wird er zum ersten Male begossen. Mir liegt daran, daß er vorzüglich werde.« – »Mir ooch!« entgegnete Jette, »Madame kann sich ruhig anziehen, ick werd' schonst Acht jeben.« –

Der Tisch war gedeckt. Mein Karl sah so nett frischgewaschen aus, daß ich ihm einen Kuß gab, und die Töchter glichen seraphischen Gestalten, namentlich Emmi in dem stahlblauen Sammet. »Wie eine kleine niedliche Doktorsfrau,« flüsterte ich meinem Karl zu. Je näher der Zeiger auf Fünf rückte, um so beklommener wurde mir. Wenn der Dokter[!] noch im letzten Moment absagte? Wenn einer seiner Patienten nach ihm schickte? Dann überkam mich die Angst, der Braten könne ansengern und die gute Sahnesauce verdorben werden. Ich flog nach der Küche. Die Jette begoß den Braten gerade mit liebevoller Sorgfalt; er sah herrlich aus. Wir gaben die Sauce durch ein Sieb, ich machte sie noch mit einem Theelöffelchen voll Kraftmehl seimig und zog ein Stückchen frischer Buttter durch, damit sie so recht milde und schmackhaft würde. »Der Doktor wird sich alle zehn Finger lecken,« dachte ich und schmunzelte und die Jette schmunzelte auch, als wenn sie ebenso dächte wie ich.

Präzise um Fünfen war der Doktor da. Mir fielen die ganzen Alpen vom Herzen. »Sie müssen mit uns allein vorlieb nehmen, lieber Herr Doktor,« sagte ich. »Einige Freunde, die leider .....« Hier unterbrach mich mein Karl, dem Nothlügen ziemlich fatal sind, und sagte: »Je kleiner der Kreis um so größer die Gemüthlichkeit.« – Und der Doktor fiel lächelnd ein! »Wenn's Herz nur schwarz ist!« – Unter Lachen und Scherzen setzten wir uns zu Tisch. Ich reichte dem Doktor meinen Arm, ihm gegenüber kam Emmi zu sitzen. Mein Karl saß des Einschenkens halber zu seiner Linken und Betti an meiner anderen Seite.

Erst hatten wir eine einfache Hausmannsbouillon mit Marx und Portwein dazu, den der Doktor ausgezeichnet fand. Dann gab es Zander mit Austernsauce (natürlich nur amerikanische Dosen-Austern), und dann kam der Kalbsbraten. So muß Napoleon die Pyramiden angelächelt haben, wie der Doktor die Keule. Auf einen Wink von mir lächelten Emmi und Betti auch, obgleich sie schon den Mund verziehen wollten. Die Keule war delikat und ward denn auch sichtlich kleiner. Ich hatte die schwache Seite des Doktors getroffen, und wenn er auch, wie Onkel Fritz sagt, Alles heruntertrinkt, was naß ist, und es noch obendrein lobt, so hatte mein Karl doch für vorzügliche Weine gesorgt: einen Johannisberger Schloßabzug für eine Mark zum Fisch und ein Chateau la Pancha für eine Mark und Dreißig. Der Doktor erklärte, er ließe sich einen Nagel in den Leib schlagen, wenn er jemals besseren Wein wünschte. – Wir waren ungemein heiter. Namentlich freute es mich, wenn er sich mit Emmi unterhielt und ihr die kleinen Geschichten erzählte, die er in der Zeitung gelesen hatte. Wir kannten sie zwar, weil wir auf dieselbe Zeitung abonnirt sind, aber ich konnte ihm doch ein Kompliment darüber machen, daß er so gut von Gedächtniß sei.

Als wir gegessen hatten, tranken wir den Kaffee im andern Zimmer und die Herren zündeten eine Cigarre an. Mein Karl bat hierauf den Doktor um Entschuldigung, wenn er ihn auf eine halbe Stunde verließe, er habe einen wichtigen Gang. Dies war auch richtig, denn er hatte Kassenrevision in seinem Bezirksverein. Betti ging, ohne ein Wort zu sagen, nach Bergfeldts und die Jette schickte ich mit einem Stück Zander nach der Ackerstraße zu Weigelts, von woher sie vor 'ner Stunde nicht zurück sein konnte. Als ich Alle entfernt hatte, bat ich selbst den Doktor um ein Viertelstündchen Urlaub, auf einen kurzen Sprung in die Nachbarschaft. Ich verließ das Haus aber gar nicht, sondern kehrte von der Hausthür auf den Zehen leise zurück und verbarg mich in der Speisekammer. Dort setzte ich mich auf einen Küchenstuhl.

»Gut gegessen und getrunken hat er,« dachte ich. »Wenn er nur eine Spur dankbar für das Genossene ist, trägt er ihr Herz und Hand an. Aber« – so regte sich der Zweifel – »giebt es nicht auch Menschen, die sich aus einer Einladung gar nichts machen, die es sogar für ein Opfer halten, mit Leuten zusammengebracht zu werden, die ihnen nicht zusagen?« – Vor mir auf dem Tisch stand eine Schale mit weißen Bohnen. Ich nahm eine Hand voll heraus und sagte: »Ist die Zahl paar, dann werden die Beiden heute noch richtig mit einander.« – Ich zählte die Bohnen auf den Tisch. Es waren siebenundzwanzig. – Also unpaar. »Das erste Mal gilt nicht,« dachte ich, »nun also einmal unpaar.« Es waren ausgerechnet vierzehn!

Aber aller guten Dinge sind drei. Ganz vertieft in das Bohnenorakel hörte und sah ich Nichts von der Außenwelt, als plötzlich zwei kräftige Arme mich faßten und mir Jemand einen Kuß aufdrückte, daß mir die Ohren klangen. Ich sprang auf. In der Dämmerung erkannte ich, daß ein militärischer Mensch, so ein richtiger Siebenfüßer, vor mir stand. »Wer sind Sie? – Was wollen Sie?« herrschte ich ihn an. Er stellte sich in Positur und schnarrte: »Jefreiter Jehren vom Jarderrrmt.« – »Was wollen Sie?« rief ich. – »Zu Befehl,« antwortete er, »die Jette hat mir heute zu Kalbsbraten injeladen!« – »Die Jette?« rief ich ergrimmt. »Der ist verboten, einen Bräutigam in die Küche kommen zu lassen.« – »Sie is ooch nich meine Braut, sie is man blos meine Schwester!« erwiderte der junge Reichs-Goliath. – »Ihre Schwester?« fragte ich empört, »das ist nicht wahr! So wie Sie mich eben, faßt man keine Schwester an, das würde nicht einmal mein Karl sich erlauben. Machen Sie, daß Sie fortkommen.« Er ging aber nicht sondern liebäugelte mit dem Kalbsbraten, den er auf dem Speisekammertisch entdeckte, und den ich am Abend zum Punsch als Aufschnitt geben wollte, wenn wir dazu kämen, die Verlobungsbowle anzusetzen. – »Gehen Sie oder ich rufe nach Hilfe!«

Schmach, Zorn und Wuth übermannten mich. »Mörder!« schrie ich, »Einbrecher, Diebe, zu Hilfe!« Kaum merkte der Soldat, daß ich Ernst machte, als er auf der Hintertreppe verschwand. Der Doktor und Emmi kamen angestürzt. Was sollte ich nun thun? Die Wahrheit konnte ich nicht sagen. Ich murmelte etwas von Schreck, Gespenstern und that, als wenn ich ohnmächtig werden würde. Emmi war ganz außer sich, als sie mich in diesem ungewohnten Zustande sah, aber ich dachte: »Wilhelmine, du bist doch überraschend schlau, denn so ruchlos kann kein Doktor sein, der auf Pflicht und Gewissen hält, daß er eine arme Leidende verläßt, zumal wenn er vorher reichlich Kalbsbraten bekommen hat und mit dem Wein so außerordentlich zufrieden war.« – Ich erholte mich daher langsam und erzählte, ich müßte mich wohl über das Küchenhandtuch im Halbdunkel erschreckt haben, denn durfte ich bekennen, daß ich, statt in die Nachbarschaft zu gehen, mich lauernhalbers in die Speisekammer gesetzt hatte; konnte ich auch nur ein Wort von dem verwegenen Überfall des Soldaten sagen, der mich für die Jette gehalten? – Nein, niemals! –

Der Doktor benahm sich nun bezaubernd gegen mich; es ist förmlich ein Vergnügen, Patient bei ihm zu sein. Er meinte, so ein Schreck sei nur etwas Äußerliches und würde sich bald geben. Ihm thäte es blos leid, jetzt gehen zu müssen, da er verpflichtet sei, einen Patienten zu besuchen, der an der fixen Idee litte, jeden Sonntag-Abend einen Lachs zu fangen, und ehe dieser Mann, der obendrein Familienvater sei, nach Dalldorf käme, wolle er versuchen, ihn nach allen Regeln der Kunst zu erleichtern. Da er sich auf keine Weise halten ließ, mußte ich ihn schweren Herzens ziehen lassen.

Als er fort war, fragte ich Emmi: »Nun, wie war er gegen Dich?« – »Sehr nett!« – »So? und worüber sprach er?« – »Er meinte, es müßten Orangenblüten im Zimmer sein, die möchte er nicht riechen, denn als Kind sei ihm einmal ein Brechmittel mit Orangenblüthenwasser verordnet worden, und seit der Zeit wäre ihm der Geruch äußerst fatal.« – »Nun und Du?« – »Ich sagte, ich würde die Blumen aus meinem Haar nehmen; aber er meinte, das könne er nicht verlangen. Ich that's aber doch, und da setzte er sich zu mir heran . . .« – »Und da?« – »Da erzählte er mir allerlei von seinem guten Papa und seiner lieben Mutter, wie die ihm immer sagte, eine Schwiegertochter wäre das Beste, was er ihr einmal bringen könnte, und da ...« – »Und da?« fragte ich athemlos. – – »Und da fingst Du an zu schreien, Mama, und wir stürzten nach der Küche.« – –

Mir ward schwarz vor den Augen. Wie vernichtet glitt ich auf das Sopha. So nahe am Ziel – schon lag ihm das erlösende Wort auf den Lippen, als das Schicksal in Gestalt eines hungrigen Kriegers grausam dazwischen trat. Mein erster Gedanke war, die Jette sofort nach ihrer Zuhausekunft durch einen Schutzmann abholen zu lassen, da sie doch offenbar die Thür nicht verschlossen hatte, damit die bewaffnete Macht ins Haus dringen konnte. Aber ich durfte nicht. Was würden mein Karl, die Kinder, Dr. Wrenzchen und gar Onkel Fritz von meiner freiwilligen Verbannung in die Speisekammer gesagt haben, die dabei zur Sprache kommen mußte? Entsetzlich. – Und die Jette ist seitdem so frech und impertinent, daß ich ihr kaum ein Wort zu sagen getraue, ja ich gehe Abends nicht einmal in die Küche, weil ich fürchten muß, den Gefreiten dort anzutreffen. Statt des erhofften Glücks habe ich nur Kummer und Verdruß geerntet und wer weiß, wann es mir wieder gelingt, den Doktor einzufangen? Ich bin sehr niedergeschlagen und gebeugt, aber ich gebe trotzdem den Kampf mit dem Schicksal um den Doktor nicht auf. – – – –

P.S. Der Doktor ist an dem betreffenden Abend gar nicht bei einem Kranken gewesen. Im Gegentheil, er hat mit seinen Kumpanen in Nifelheim bei Helbichs Skat gespielt. Onkel Fritz hat ihn dort getroffen und sagte mir, 'Lachs fangen' bedeutet soviel, als das Bier im Skat ausspielen. Also verhöhnt hat er mich trotz der Kalbskeule und des Zanders mit Austernsauce. Ich möchte wohl mal sehen, ob er sich das als Schwiegersohn erlauben würde? Das Lachsfangen wollte ich ihm schon abgewöhnen.


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