Julius Stinde
Die Familie Buchholz. Aus dem Leben der Hauptstadt
Julius Stinde

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Sommerfrische

Es ist ja am Ende keine Kunst, dicke zu thun und mit einem billigen Extrazug irgendwo hinzureisen, um nachher sagen zu können: wir waren in der Schweiz oder Zoppot oder sonst in der fern entlegenen Fremde, aber bescheiden in der Nähe von Berlin zu weilen, daß Frau und Kinder sich am Luftwechsel erfreuen und der Mann Sonntags herauskommt und auch sein Vergnügen hat, –-- das halte ich für keine leichte Aufgabe. Da heißt es, die Krone des Hochmuths abzulegen und das einfache Waschkleid der Tugend anzuziehen.

Deshalb entschieden wir uns dafür, nach Tegel hinauszuziehen, sowohl wegen der Wohnung und der Umgebung, die uns sehr gefiel, als auch wegen meines Karl.

Mein Mann hat trotz des Schutzzolles ja brillant zu thun, so daß ich glaube, wenn dieser fehlte, würde er in zwei Jahren bereits zu den oberen Zehntausend gehören, und darum kann er nicht auf Wochen vom Geschäft bleiben. Soll er nun ganz auf mich verzichten und seine Kinder? – Nein, er muß die dankbaren Gesichter derer sehen, für die er sich abarbeitet, wenigstens alle acht Tage einmal. Und für solche Zwecke liegt Tegel sehr angenehm.

Und dann ist von dem Dorf Tegel das Schloß Tegel mit seinem Park nicht weit entfernt, und in dem Park liegt Alexander v. Humboldt begraben, dieser außerordentliche Gelehrte, der ja auch den Globus erfunden hat, der jetzt zu den beliebtesten Zimmerzierden gehört, obwohl seine blaue Farbe nicht immer mit den Möbelstoffen harmonirt. – Hat man einen solchen historischen Hintergrund in unmittelbarer Nähe, so fühlt man auf den Spaziergängen das Walten des Genius und ist glücklich in dem Bewußtsein, ebenfalls zu den Gebildeten zu gehören.

Emmi ist beim Vater in der Stadt geblieben, um ihm die Wirthschaft zu führen; ich und Betti sind hier draußen. Betti mußte aus den alten Verhältnissen herausgerissen werden, die sie überall an den treulosen Emil erinnern. Das Kind war so still und schweigsam geworden, daß es mir durch die Seele schnitt, wenn ich es heimlich beobachtete, und sagen durfte man nichts, denn dann gab es gleich schroffe Antworten und Thürenzuschlagen. Dies Alles, dachte ich, sollte sich in Tegel ändern. Wir wohnen hier allerliebst. Dieselben großen Linden und Ulmen, welche das Dach der kleinen Kirche beschatten, halten die Sonnenstrahlen von den Fenstern unseres Vorderzimmers ab, und wenn wir vor der Thüre sitzen, haben wir den alten Kirchhof mit seinen Denkmälern, Trauereschen und blühenden Gesträuchen vor uns. Der Anblick ist zwar ein ernster, aber wer ein reinliches Contobuch im Himmel hat, der wird durch ihn erbaut und gehoben. Ich glaube nicht, daß die Krausen ihn ertragen könnte. Doch von den schrecklichen Ereignissen später.

Nach hinten liegen zwei kleine Zimmerchen mit Aussicht auf den Garten und auch die Küche; die andere Hälfte des Häuschens ist ebenso gebaut, und dort wohnen die Hausleute, die zum Umgang für uns zu niedrig stehen, da sie, obgleich in Tegel geboren, von Humboldt und seiner Bedeutung auch nicht die geringste Ahnung haben.

Überhaupt hatten wir uns vorgenommen, mit der dortigen Einwohnerschaft nicht kordial zu werden, und daran thaten wir gut, denn man wird doch nur mißverstanden. Aus Rache dafür nennen sie uns die Gespensterfamilie. Das hat nun folgende Bewandtniß.

Es giebt in und um Tegel nämlich erschreckend viele Mücken, die der See ausbrütet. Als Betti und ich den ersten Abendspaziergang an den Gestaden des Sees machten, kamen wir Beide schön zugerichtet wieder heim. Bei mir hatten diese Geißeln des Menschengeschlechts es namentlich auf den Hals abgesehen, so daß ich aussah, als hätte ich einen Kropf, und wenn ich auch nicht leugne, daß mein Hals ein bischen fett ist, so findet mein Karl ihn doch immer sehr schön, und ich habe nicht nöthig, mir ihn ruiniren zu lassen. Für den nächsten Spaziergang rieben wir uns deshalb mit Lorbeeröl ein, das gut gegen Mückenstiche sein soll, aber das Zeug riecht so niederträchtig, daß es den Genuß an der balsamischen Natur vollkommen verkümmert. Ich schrieb daher an Emmi, sie sollte uns die beiden Mousselinballröcke mit herausbringen, und daraus haben wir zwei egyptische Schleiergewänder hergestellt, die den Oberkörper und die Arme schützen. Wenn wir am Waldrande sitzen und im Anblicke der Natur schwelgen, schmücken wir die Gewänder mit Feldblumen und verzieren die Sonnenschirme mit großen Blättern. Dies poetische Treiben halten die Tegeler nun für Verrücktheit, und wegen der weißen Schleier nennen sie uns die Gespensterfamilie. Ihnen zum Ärger gehen wir mit unserm Kostüm und den geschmückten Schirmen unentwegt durch das Dorf, um zu zeigen, daß wir über lächerliche Vorurtheile hoch erhaben sind.

So waren ich und Betti ganz allein auf uns angewiesen. Das wäre ja auch recht schön gewesen, wenn Betti ihr verschlossenes Wesen nur ein wenig abgelegt hätte. Es kamen aber Stunden, in denen Sie kein Wort redete, auf Fragen keine Antwort gab, und wenn ich in sie drang, sagte: »Mama, Du weißt ja doch Alles besser, was nützt Dir meine Weisheit?«

Neulich kam sie mit einem weißen Kaninchen an, das sie von den Dorfknaben, die es hetzten und peinigten, für einige Nickel gekauft hatte. »Kind,« rief ich, »was soll das schaudervolle Geschöpf?« – »Ich will ein Wesen haben, das ich liebe,« antwortete sie. – »Liebst Du mich denn nicht, Betti?« – »O gewiß, so meine ich es nicht, aber das Kaninchen wird mich zerstreuen. Es ist so hübsch und hat so klare rothe Augen.« – Wohin nun aber mit dem Thiere? Da der unterste Kommodenkasten leer war, thaten wir es da hinein, und ich mußte mich zufrieden geben, weil Betti sich wirklich an dem kleinen Vieh erfreute. Wir nahmen es auf unseren Spaziergängen mit ins Freie. Aber die Kommode und das Zimmer rochen sehr strenge nach dem Stallhasen, so viel wir auch lüfteten.

Unser Leben regelte sich gar bald. Morgens wurde erst im See gebadet und Betti schwamm bald ausgezeichnet. Dann frühstückten wir und Betti besorgte das Kaninchen, während ich die Wohnung in Ordnung brachte. Dann kam die Frau, welche die groben Arbeiten verrichtete, ich kochte und wir aßen zu Mittag. Dann nahmen wir ein paar Augen voll Schlaf und rüsteten uns darauf zum Spaziergang.

Natürlich waren wir auch mit Lektüre versehen; Onkel Fritz hatte den Kosmos von Humboldt besorgen müssen. Er sagte, als er ihn brachte: »Wilhelmine, er wird Dir zu hoch sein.« Aber da kam er schön an. Ich erwiderte ihm:

»Ich habe leider oft genug erfahren, daß Du die Fähigkeiten der Frauen unterschätzest, weil Du ein Freigeist bist; deshalb ist jedoch noch lange nicht gesagt, daß ich nicht verstehe, was Du nicht zu begreifen vermagst!«

Hierauf lächelte er malitiös und sagte: »Glück mit dem Kosmos. Schicke ihn nur bald zurück, damit er wieder in die Bibliothek kommt.«

Es war nun erst recht meine Pflicht, den Kosmos zu lesen. Wir nahmen ihn und das Kaninchen, das wir Muck genannt hatten, mit in den Wald, und Betti las mir aus dem Buche von den Gebirgen in Mexiko vor und den Gesteinsschichtungen, die obendrauf liegen. Das erste Mal schlief ich leider ein, weil es sehr heiß war, das zweite Mal hatten wir Bohnen zu Mittag gehabt, wodurch wir beide müde wurden. Das dritte Mal las Betti sehr schlecht, weil Muck immer davon hüpfte und sie ihn wieder greifen mußte. Wir werden dessenungeachtet den Kosmos im Winter mit Ruhe lesen, denn es wäre doch lächerlich, wenn man ein gedrucktes Buch nicht verstehen sollte. Das sind Prätensionen von Onkel Fritz.

Als nun eine ausdauernde Regenzeit kam, wurde es ziemlich triste, zumal Betti meistens verstimmt war. Ohne Muck wäre es nicht auszuhalten gewesen. Betti nähte ihm eine blaue Jacke, und wir amüsirten uns, wenn er darin umherhopste.

An den Sonnabend-Abenden kamen mein Karl und Emmi heraus. Das waren dann wahre Festtage. Sie brachten stets allerlei Genußreiches mit, und wenn die Sonne schien, gingen wir in den Wald und delektirten uns an den guten Sachen. Aber wie kurz so ein Sonntag ist, davon macht man sich kaum einen Begriff. Wenn mein Karl am Abend wieder in die Pferdebahn stieg, war mir, als sei er erst eben angekommen, und wenn ich und Betti dann nachher noch vor der Thür saßen, den Kirchhof vor uns, war mir mitunter, als müßte einmal eine Zeit kommen, wo er mich umschlungen hielte und ich fest, ganz fest an seinem Herzen ruhte, ungetrennt für alle Ewigkeit. Mein lieber, lieber Karl! –

Wir sollten aber nicht ohne Umgang bleiben, nämlich Krauses zogen ebenfalls nach Tegel. Ich hatte mich freilich mit der Krausen auf der Taufe bei Weigelts wegen des kleinen Eduard ein bischen überworfen, aber wir trafen und eines Morgens auf dem schmalen Badesteg, so daß ich sie nicht schneiden konnte. Sie begrüßte mich sehr artig, und ich war auch froh, endlich Jemand zu haben, mit dem ich mich einmal aussprechen konnte, weshalb ich sie auf den Nachmittag einlud.

Sie kam auch, aber allein. Eduard war mit ihrem Manne auf die Schmetterlingsjagd an den See gegangen.

Anfangs wollte das Gespräch nicht recht in den Zug kommen, sie fand den Kaffee jedoch sehr schön und bald gab ein Wort das andere, und so erfuhr ich denn zu meiner Freude, daß sie den Umgang mit Bergfeldtens auch aufgegeben.

Sie sagte, man könne mit der Familie nicht mehr verkehren. Er sei wieder gänzlich verschuldet und Emil habe sich nur mit dem reichen Mädchen verlobt, um aus dem Dalles herauszukommen, Er trüge jetzt immer helle Anzüge, aber ob die Braut sie bezahle, wisse man nicht, die Verhältnisse seien nicht klar. Daß Bergfeldts nicht im Stande wären, ihn Aufwand machen zu lassen, das wisse ja Jedermann.

»Ja,« sagte ich, »kümmerlich geht es nur her bei ihnen.«

»Sagen wir ärmlich,« meinte die Krausen. »Mir ist es schon öfter aufgefallen, daß ihre meisten Kaffeetassen keine Henkel haben, und als ich zuletzt da war, hatte sie Theelöffel, wie man sie in der ›Neuen Welt‹ bekommt!«

»Dem Manne werden die Augen erst aufgehen, wenn sie gefaßt wird,« entgegnete ich. »Man kann schließlich nur froh sein, daß man nicht mit Leuten zu thun hat, die ohne Zweifel einmal in dem grünen Wagen fahren müssen. Zwei Jahre kriegt sie mindestens.«

Es war ein Glück, daß Betti Muck gerade im Garten grasen ließ, denn sobald sie nur den Namen Bergfeldt hört, läßt sie den Kopf hängen. Aber sie soll gelegentlich doch erfahren, wie die Welt über jene Familie denkt.

Um vier Uhr wollte Herr Krause mit dem kleinen Eduard wieder zurück sein, und wir gingen nach dem See, um ihn zu empfangen. Das Dampfschiff kam gerade von Saatwinkel an, und viele Leute stiegen aus, so daß es recht belebt an der Landungsbrücke war. Auch Equipagen hielten unten. Herr Krause und Eduard waren schon da mit ihren Schmetterlingsnetzen. Wir begrüßten uns und sprachen über dies und das, als wir plötzlich einen lauten Schrei hörten. Die Krausen hatte ihn ausgestoßen. »Eduard!« rief sie. Eduard stand aber ganz ruhig auf der Brücke und sah in das Wasser hinab.

Was war geschehen? Leute eilten herbei. Ein Knabe, hieß es, sei in den See gefallen. Die Fischer machten ein Boot los, aber ehe sie damit fertig wurden, sprang Jemand rasch wie der Blitz in das Wasser hinab und tauchte unter. Es war ein ängstlicher Augenblick. »Da ist er,« riefen die Leute. – »Hat er den Knaben?« – »Nein, er taucht wieder unter.« – Und abermals verschwand der Mann, welcher hinabgesprungen war. Dann aber kam er wieder empor .... er hatte den Knaben, den er in das mittlerweile herbeigeeilte Boot legte.

Am Ufer stand eine junge Frau; sie wollte sich in den See nachstürzen denn es war ihr Knabe, der nun in dem Boote lag. Man mußte sie mit Gewalt zurückhalten. Als das Boot landete und man den Knaben brachte, als sie ihn bleich und leblos vor sich liegen sah, brach sie zusammen. Dann trugen sie den Knaben in das Badehaus.

Mir war als sei mit einem Male die ganze Schönheit der Natur plötzlich verschwunden, als der Tod so plötzlich und unerwartet in die sonnenbeleuchtete Welt trat, um ein junges Leben abzurufen in sein fernes, trauriges Land.

Ich sah nicht mehr den blauen See mit seinen Ufern und dem klaren Himmel, ich sah nur das Badehaus, das den ertrunkenen Knaben barg, und blickte unverwandt auf die Leute, welche vor der geschlossenen Thür standen, als wenn ich von denen erfahren könnte, ob Hoffnung vorhanden sei, das entflohene Leben zurückzurufen. Die Eltern des Kindes waren in dem Badehause. Die Equipage hielt in einiger Entfernung, der Kutscher stand neben den Pferden und sah unverwandt auf das Bretterhaus im Wasser. Ob der Kleine wohl je wieder auf den Pferden reiten würde? Ob er ihm wohl je wieder sagen würde: »Johann, wir fahren spazieren, ich sitze bei Dir auf dem Bock und Du giebst mir dann die Zügel?«

Es war ein heißer Sommernachmittag, und doch kam es mir vor, als wenn von Zeit zu Zeit ein kalter Hauch über den See herüberwehte, der mich frösteln machte. Und es war so still, trotz der vielen Leute.

Da flüsterte Betti mir zu: »Mama, Mama! ich habe eben etwas Furchtbares gesehen.«

»Was hast Du gesehen?« fragte ich leise.

»Wenn der Knabe lebt, will ich dir es sagen,« entgegnete sie kaum hörbar. »Vielleicht habe ich mich getäuscht. Aber die Krausen sah es auch.«

»Wo sind Krauses?«

Wir sahen uns überall nach ihnen um. Krauses waren verschwunden.

Ich wollte Betti weiter fragen, als die Thür des Badehauses sich öffnete. Die Leute schritten vom Steg herab an das Ufer. – »Lebt er?« – »Er lebt!« – Dann kam der Vater, der den Knaben trug, den man in ein Plaid und in weiche Tücher gehüllt hatte. Die Mutter folgte von der Badefrau unterstützt. Sie nahmen Platz in dem Wagen; der Kutscher stieg auf den Bock und sah in den Wagen hinein. Dann verklärte sich sein Gesicht, und fort ging's in raschem Trabe.

Die Leute zerstreuten sich. Nur eine Gruppe junger Männer blieb noch stehen, als warteten sie auf Jemand. Der Erwartete trat aus dem Badehause. Er war durch und durch naß. Das war der junge Mann, der den Knaben gerettet hatte.

Die jungen Leute eilten auf ihn zu und streckten ihm ihre Hände entgegen, und dann, so schien es, hielten sie eine Berathung. Ich ging auf sie zu. »Meine Herren,« sagte ich, »ich wohne in der Nähe. Überlassen Sie es mir, für Ihren wackeren Freund zu sorgen, denn in den nassen Kleidern kann er nicht bleiben!« – Sie machten Einwendungen, aber sie kannten mich schlecht: – ich ließ nicht locker.

Sie gingen mit uns. Vor dem Hause nahmen sie Abschied und sagten, daß sie gegen Abend wieder vorsprechen und sich bis dahin im Schloßrestaurant aufhalten würden. Einer von ihnen trat auf den Retter des Knaben zu und legte ihm seine Rechte auf die Schulter. Dann blickte er ihn fest und innig an und sagte: »Gehab' Dich wohl, Felix!« Die Beiden mußten gute Freunde sein, und das gefiel mir gut. – Die jungen Leute schlugen den Weg zum Schloß ein und wir traten in das Haus.

Der junge Mann sagte: »Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle, ich heiße Felix Schmidt.«

»Und ich bin die Buchholzen. Nun kommen Sie nur in das Schlafzimmer. Hier ist ein Hausrock von meinem Mann und hier Hose und Weste und hier ein Nachthemd und Strümpfe. Die Morgenschuhe stehen in der Ecke. Kleiden Sie sich nur um. – Wollen Sie Kaffee oder trinken Sie lieber einen Grog?«

»Ein Grog würde nicht schaden – –«

»Sollen Sie haben. Aber jetzt nur rasch aus dem nassen Zeuge!«

Ich ging in die Küche und machte ein gehöriges Feuer an. Nach einer Weile öffnete sich die Thür, die vom Schlafzimmer in die Küche führt, und Herr Felix Schmidt stand auf der Schwelle.

»Ich mache Ihnen zu viel Mühe,« sagte er verlegen.

»Nichts da!« rief ich und nahm ihn beim Arm. »Nun kommen Sie nur mit in's Wohnzimmer.«

Dort setzte ich ihn in den großen Lehnstuhl, und wie er so da saß, sah ich mir ihn an. Äußerlich war es freilich mein Karl, und doch war er es wieder nicht. Mein Karl ist dunkel, der junge Mann ist blond, mein Karl trägt einen Backenbart, er dagegen einen braunen Schnurrbart, der ihm gar gut zu Gesicht steht. Aber doch sind sie sich ähnlich, denn so jugendfrisch und blühend sah mein Karl auch aus, als wir uns kennen lernten und ich noch nicht wußte, wie lieg ich ihn einst haben würde.

Mittlerweile mußte das Wasser kochen. Die Frau von der anderen Seite des Hauses erwartete mich in der Küche und fragte, ob sie mir behilflich sein könnte. Es that mir leid, daß ich sie immer links hatte liegen lassen, ich schämte mich jetzt sogar ein wenig vor ihr, aber ich nahm ihr Anerbieten gerne an.

Wir holten das nasse Zeug, wringten es aus und hingen es im Garten in den Sonnenschein auf die Leine. Die Stiefel stülpten wir über zwei Pfähle. Sie waren voll Wasser gewesen, denn auf dem Fußboden stand ein großer Pfuhl. Die Frau holte einen Scheuerlappen und wischte ihn auf.

Es war ein Glück, daß mein Karl eine Flasche von dem guten Meuckow'schen Cognac mit herausgenommen hatte, denn nun konnte ich einen deliciösen Grog brauen. Und das that ich auch. Und für uns machte ich einen kräftigen Kaffee auf den Schreck, obgleich wir schon einmal getrunken hatten. Auch die Frau bekam eine Tasse.

Drinnen im Zimmer saßen Herr Felix Schmidt und Betti, als ich mit dem Grog kam. Die beiden unterhielten sich ganz lebhaft. – Ich sagte ihm, daß er heute eine Familie vor großem Leid bewahrt habe. Er meinte, das hätten Andere an seiner Stelle auch gethan. Er habe gerade gesehen, wie der Knabe in das Wasser gefallen wäre, und sei am nächsten bei der Hand gewesen.

Betti fragte, ob er gesehen habe, wie der Knabe zu dem Fall gekommen sei?

Herr Felix Schmidt schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Es stand noch ein zweiter Knabe auf der Landungsbrücke.«

»Ganz recht,« antwortete Betti.

»Kennen Sie den Knaben?«

»O ja,« rief ich. »Er ist ein kompleter Taugenichts.«

»Ich würde ihn nicht ohne Aufsicht lassen,« sagte Herr Schmidt.

»Wie so?« fragte ich.

»Er könnte auch leicht einmal hinabfallen,« erwiderte Herr Schmidt kurz.

»O nein,« lachte ich. »Unkraut verdirbt nicht.«

Herr Schmidt hatte den ersten Grog aus, und ich ging, ihm den zweiten zu mischen. Die Sonne war mittlerweile herumgegangen, und die Frau und ich mußten ihr mit dem nassen Zeuge nachrücken. Es trocknete aber schon recht gut. Die Wäsche konnte bald geplättet werden, und ich legte deshalb Bolzen ins Feuer. – Da kam Betti und sagte, Herrn Schmidt's Cigarren seien sämmtlich naß geworden; er möchte gern rauchen.

»Woher weißt Du das?«

»Ich habe ihn danach gefragt.«

»Wie kamst Du darauf?«

»Du weißt doch, Emil konnte keine Viertelstunde ohne Cigarre sein.«

»Papas Cigarren stehen auf dem Kleiderspinde. Nimm auch den Grog mit hinein und diese Stullen, er wird Hunger haben.«

Ich hätte laut lobsingen mögen. Zum ersten Male nach langer Zeit sprach Betti den Namen wieder aus, der ihr sonst Kummer verursachte, sobald er nur angedeutet wurde. Nun war er ihr gleichgiltig geworden. Endlich!

Die Bolzen waren roth, und ich machte mich an das Plätten. Die Wäsche konnte ja nicht so gut werden, als wenn sie neugestärkt worden wäre, aber ich konnte doch meine ganze Kunst an ihr zeigen. Es war gediegene Wäsche und hübsch gezeichnet. Der junge Mann war ordentlich, das konnte man sehen. Auch die weiße Weste bügelte ich; mein Karl trägt im Sommer stets weiße Westen, und er sagt immer, daß Niemand sie ihm so zu Dank macht, wie ich. Dann kam Betti wieder und brachte Herrn Schmidt's Uhr, die voll Wasser sei und nicht gehen wolle. – »Wird ihm die Zeit denn schon lang?« fragte ich. – »Nein,« erwiderte sie »wir sprachen nur davon, wie die Stunden rasch vergehen, und da sah er nach der Uhr.« – Ich hing die Uhr über dem Feuerheerd auf, eine werthvolle, goldene Uhr, kein Spindenschlüssel, wie ihn Bergfeldt's Emil früher an der Kette trug. Bergfeldtens waren überhaupt eine Verirrung.

Die Frau hatte ich zum Schlächter geschickt; sie kam wieder und brachte Carbonaden, und setzte sich dann hin und schälte Kartoffeln. Das Zeug wurde nach und nach trocken. Wo ich konnte, half ich mit dem Plätteisen. Es war mir fast, als mühte ich mich für meinen Herzens-Karl, für den zu arbeiten mir ja die größte Freude auf der Welt ist. Dann legte ich das Zeug ordentlich bei einander auf mein Bett und stellte die Stiefel daneben, welche die Frau blank gemacht hatte, so gut es gehen wollte.

»So, Herr Schmidt,« sagte ich, »es ist Alles wieder in der schönsten Konfusion – (man will doch auch einmal einen kleinen Witz machen) – die Maskerade kann nun ein Ende nehmen.«

Er war erstaunt, wie Alles so rasch in Ordnung gekommen, aber was verstehen Männer auch von heißen Plättbolzen?

Betti und ich deckten nun den Tisch im Vorderzimmer. Wir legten sieben Couverts: für Herrn Schmidt, seine vier Freunde und uns Beide. Wein hatten wir im Haus, und mit Gläsern und Tellern half die Frau aus. Sie benahm sich wirklich scharmant und ich beschloß, von nun an mehr Umgang mit ihr zu pflegen.

Als Herr Felix seine Toilette beendigt hatte und in das Zimmer trat, sah er aus, wie aus dem Ei gepellt. Wirklich ein stattlicher, hübscher junger Mann. Nur sein Shlips was fort, und von meinem Karl war keiner vorhanden. Betti aber wußte zu helfen. Sie nahm meine Scheere, schnitt einen Streifen von dem Geisterkostüm und fertigte einen wohlgelungenen weißen Shlips daraus, den sie ihm aber selbst umbinden mußte. Anders wollte er ihn nicht annehmen.

Als nun die Freunde kamen, waren die Kartoffeln gar und Coteletts sind ja bald gebraten. Es schmeckte ihnen trefflich, und wir Alle waren guter Dinge. Der Freund des Herrn Felix erhob sein Glas und sagte, er wolle in ihrer Aller Namen dem gastfreien Hause den Dank abstatten für die Sorgfalt, die ihrem Kameraden gewidmet worden sei, und dann stießen Sie an auf das Blühen und das Gedeihen des Hauses Buchholz. – Ich toastete dagegen und sagte, ich bedauerte nur, daß mein Karl nicht zugegen sei und daß ich hoffte, sie Alle wiederzusehen. Das versprachen sie auch. Es war ein reizender Abend. Es mußte aber doch einmal geschieden sein, und Herrn Felix schien es schwer zu werden, wieder nach Berlin zurückzukehren. Aber auch er folgte den Andern, die schon weit vorauf waren.

Wir räumten ab und setzten uns noch ein wenig vor die Thür. Es war wundersam draußen, denn in den hellen Nächten schläft die Natur nicht, sondern drusselt nur ein bischen, weil der Morgen ja doch gleich wieder kommt. Die Bäume und Sträucher dufteten in die Nacht hinein und in der Hecke sangen die Heuschrecken.

»Mama,« sagte Betti, »das Kaninchen muß morgen fort, es ist unerträglich, Es verpestet die ganze Wohnung.«

»Gottlob,« sagte ich.

Nach einer Pause flüsterte Betti mir zu: »Mama, ich muß es Dir sagen, der Knabe ist nicht ins Wasser gefallen .... der kleine Krause hat ihn von hinten hineingestoßen.«

»Betti!« rief ich entsetzt.

»Ich sah es und die Krausen sah es auch, sie wurde todtenbleich, und Herr Felix hat es auch gesehen.«

»Sagte er das?«

»Nein, aber ich weiß, daß er es gesehen hat, ich las es in seinen Augen.«

Ich schlang meinen Arm um Betti, und sie schmiegte sich an mich, wie sie seit langer Zeit nicht gethan. Wir schwiegen, jede hing ihren Gedanken nach, und erst als es spät geworden war, als der Himmel im Osten sich zu lichten begann, begaben wir uns in das Haus.


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