Julius Stinde
Die Familie Buchholz. Aus dem Leben der Hauptstadt
Julius Stinde

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Bei der Sylvesterbowle.

Bei uns geht es nämlich mit dem Sylvesterabend um. Einmal wird er bei Krauses gefeiert, in dem folgenden Jahr bei Bergfeldts und dann bei uns. Wir hatten ihn zuletzt gehabt, und somit waren Krauses daran. Wie aber sollte es mit Bergfeldts werden?

Die Bergfeldten hatte mich zu tödtlich beleidigt; ich kann nicht sagen, wie ich mit geärgert habe, ja ich hätte sie zu meinen Füßen sterben sehen können, und wenn sie mich um einen Tropfen Wasser gebeten hätte, würde ich ihr Vitriol-Oel gereicht haben! – Doch nein, diese Gefühle bestürmten mich nur im ersten Moment und waren auch wohl Schuld daran, daß ich das Gallenfieber bekam; jetzt, nachdem ich mich ordentlich ausgesucht habe, denke ich nicht mehr so intolerant und schäme mich ordentlich, daß jemals solche Gedanken in meinem Busen aufsprießen konnten. Damit will ich aber keineswegs eingestanden haben, daß die Bergfeldten ohne Schuld sei. Im Gegentheil, sie war es, die anfing.

Also Krauses waren daran! – Herr Krause kam denn auch zu uns, um uns zu bitten, und mein Karl nahm die Einladung ohne weitere Überlegung an. »Karl!« rief ich, mit einer Kleinigkeit Schärfe im Ton: »Weißt Du denn auch, ob die Bergfeldten da sein wird oder nicht?« – »Gewiß!« erwiderte mein Mann trocken, »wir sind alle die Jahre am Sylvester zusammen gewesen und werden es diesmal auch!« – Er sagte diese Worte mit einer Bestimmtheit, die ich lange nicht an ihm bemerkt hatte. Während er sprach, fixirte ich ihn deshalb mit meinen Augen, aber obgleich er diesen Blick kennt, sah er nicht weg, sondern hielt ihn ruhig aus.

»So?!« rief ich. – Weiter sagte ich kein Wort, aber in diesem »so?!« lag etwas drin, daß mein Karl doch einen Schreck bekam und man ihm ganz gut ansehen konnte, wie es ihm vor Angst trocken im Munde ward.

»Liebe Frau Buchholz,« nahm nun Herr Krause das Wort, »ist es denn nicht möglich, daß Sie verzeihen können? Sehen Sie, draußen in der Welt giebt es Unfrieden genug, und Haß und Zwietracht wird an allen Enden gesät. Sollen diese bösen Dämonen auch das Familienleben zerstören, alte Bande der Freundschaft zerreißen und uns um die wenigen Freuden bringen, die aus dem humanen Zusammensein hervorblühen?« – Ich kämpfte eine Weile mit mir selber. »Nein,« sagte ich darauf: »Mit Dämonen mag ich nichts zu thun haben, ich hab' noch genug von neulich, als das dämonische Weib mir erschien, und Niemand soll mir nachsagen, daß ich nicht human wäre. Sie haben so schön gesprochen, Herr Krause, daß es unrecht von mir sein würde, wenn ich nicht nachgäbe! Natürlich aber muß die Bergfeldten mir das erste Wort gönnen, sonst bleibt's beim Alten.«

Herr Krause garantierte für die Bergfeldten, und so versprach ich denn, daß wir kommen würden.

Kaum war Herr Krause gegangen, als ich zu Karl sagte. »Er hat doch wohl recht, es ist besser, wir leben in Frieden, als im Streit; wozu auch das ewige Maulen? Aber die Weihnachtskleider der Kinder müssen noch bis zum Sylvester fertig, und das neue Medaillon mit dem großen Diamanten, das Du mir geschenkt hast, werde ich tragen. Soweit bringen Bergfeldts es doch nie!« – –

Der Abend kam. »Wir wollen nicht die Ersten sein,« sagte ich, »es sieht gierig aus, wenn man zu präcise antritt.« – »Wie Du meinst,« erwiderte Karl, »aber bedenke doch, wir gehen nicht in Gesellschaft, sondern zu Freunden!« Ich blieb jedoch bei meiner Meinung bestehen, und wir warteten daher so lange, bis der kleine Krause kam und sagte, sie wären Alle da und die Schlagsahne finge schon an dünne zu werden, Mama könnte sie nicht länger halten. Da machten wir uns denn auf den Weg. Als wir ankamen, ließ ich meinen Mann zuerst eintreten, dann folgte ich in hellgrauer Seide, etwas ausgeschnitten, mit dem neuen Medaillon, begleitet von den Kindern, die in ihren Weihnachtskleidern sehr vortheilhaft aussahen. Alle standen sie auf und wir begrüßten uns. Krauses waren sehr herzlich, desgleichen Herr Bergfeldt, aber sie, die Bergfeldten, machte eine Verbeugung, die acht Tage auf Eis gelegen hatte. Mir versetzte es ordentlich den Athem, zumal die Krausen mich auf das Sopha neben die Bergfeldten nöthigte. Es war eine Angstpartie, und da sie Alle das bemerkten, redete keiner ein Wort: es flog ein Riesenengel durch das Zimmer. Mit einem Male unterbrach Onkel Fritz die fürchterliche Stille, indem er laut ausrief: »Es kann heute ja noch recht gemüthlich werden!« – Alle fingen an zu lachen, während ich und die Bergfeldten roth übergossen auf dem Sopha saßen. Nun kam es darauf an zu zeigen, wer von uns die Gebildetste sei, und deshalb rief ich: »Das wird es auch wohl noch!« und hierauf antwortete die Bergfeldten: »Es ist ja nur einmal Altjahresabend im Jahr!« Dem stimmten denn auch Alle bei, der Thee kam und nach dem Thee Kirschmarmelade mit Schlagsahne für die Damen und Bier für die Männer, und ehe ich mich versah, war ich mit der Bergfeldten im Gespräch ganz wie früher. Während die jungen Leute »Thaler wandern« spielten – Onkel Fritz ließ den Thaler mitwandern und brachte die ganze junge Gesellschaft immer ins Lachen – unterhielten wir Älteren uns über dies und das, bis wir zu Tisch gingen. Die Bergfeldten hatte mir erzählt, daß der Student, Herr Weigelt, sich sehr nett herausmache und nächstes Jahr wohl Assessor sein würde und dann Auguste heirathen könnte, und ich mußte ihr versprechen, zur Hochzeit zu kommen. Es war ganz wie zu alten Zeiten. Herr Krause hatte auch wohl mit ihr geredet, und so konnte man deutlich sehen, daß ein vernünftiger Mann doch viel Gutes stiften kann, wenn er die Gelegenheit dazu wahrnimmt. Überhaupt wünschte ich in diesem Augenblicke, daß mein Karl in dieser Beziehung etwas von Herrn Krause abhätte, so sehr ich sonst im Übrigen mit ihm zufrieden bin.

Bei Tische war es wieder außerordentlich nett. Wir saßen zwar ein bischen sehr eng, aber es ging doch. Erst hatten wir Mahnpielen, dann Karpfen in Meerrettig und dann Rippespeer mit Compot, zum Schluß gab es Eis. Mitten auf dem Tisch stand eine Bowle, Herr Krause und Onkel Fritz schenkten ein, und wenn sie leer war, kam Frau Krause mit einem großen Topf und goß sie wieder voll. Wir wurden nun zusehends fideler. In den Pausen sangen wir Lieder, die Onkel Fritz auf dem Klavier begleitete. Vor dem Fisch sangen wir: »Wohlauf noch getrunken den funkelnden Wein«, und vor dem Braten: »Wir gehn nach Lindenau«, wozu Onkel Fritz eine ganze Masse neuer Verse gemacht hatte, die er solo vortrug, und wobei wir Andern immer nur den Refrain sangen. Nein, wie haben wir gelacht! Einen Vers hatte er auf mich gedichtet, in welchem er sagte, ich würde überall gelesen, »sogar in Lindenau!« – Es war zu spaßhaft, auch der kleine Eduard stimmt mit ein und noch den ganzen Abend sang das Kind vor sich hin: »Wir gehn nach Lindenau!«

Als wir das Eis »intus« hatten, wie der Student, Herr Weigelt, zu sagen pflegt, erhob sich Herr Krause, sah nach der Uhr und klopfte an sein Glas, um die Rede auszubringen. Es wurde mit einem Male sehr still und feierlich, und auch der kleine Krause hielt mit dem Singen inne, nachdem sein Papa ihm einen milden Klapps verabreicht hatte. Was Herr Krause nun sprach, war wirklich sehr wohlthuend. »Dem neuen Jahre,« so etwa sprach er, »jubele man zu, als wenn es die Macht hätte, alle Hoffnungen und alle Wünsche, selbst die eitelsten und gefährlichsten zu erfüllen, während man das alte Jahr verabschiede, wie Jemanden, der mehr versprach, als er habe halten können, ohne Mitleid und ohne Bedauern. Und doch sei das alte Jahr während 365 Tagen unser Freund gewesen und habe uns im bunten Wechsel Freude und Leid gebracht, wie der liebe Gott es für gut halte. Die Freude ermuthige den Menschen, das Leid läutere ihn, beide aber hätten sie das Gemeinsame, die Herzen der Menschen einander zu nähern, und wo wahre Liebe zu Hause, da lege jedes Jahr einen neuen Ring um die, welche sich liebten, daß sie nimmer von einander lassen könnten. Und das wollten wir auch von dem neuen Jahre hoffen: was es auch bringe, die Liebe möge es festigen.« Als Herr Krause geendet, schlug es im Nebenzimmer dumpf zwölf und wir stießen mit den gefüllten Gläsern an. Da rief plötzlich der kleine Krause: »Es hat doch dreizehn geschlagen!« – Und so war es auch. Onkel Fritz, der im Nebenzimmer mit der Feuerzange die Glocke schlug, hatte, wie stets, wieder einmal Unsinn gemacht. Wir lachten jedoch und ließen uns nicht weiter stören, obgleich dreizehn keine angenehme Nummer ist.

Onkel Fritz hat eben etwas reichlich Freigeistiges an sich.

Wir blieben noch bis gegen Zweien, dann brachen wir mit dem Bewußtsein auf, einen recht frohen, gemüthlichen Abend verlebt zu haben. Die Bergfeldten lud uns zu ihrem Geburtstag ein, der nächstens ist, und ich sagte zu. So wäre denn das Kriegsbeil zwischen uns begraben.

Unterwegs sprach ich mit meinem Manne darüber, wie prächtig es doch von Herrn Krause gewesen sei, die Versöhnung zwischen mir und Bergfeldts herbeizuführen. – »Warum sollte er auch nicht,« antwortete mein Karl, »ich hatte ihn ja darum gebeten!« – »Du, Karl?« – »Mir that Euer Zwist längst in der Seele weh!« – »Mein Karl!« – Weiter sagte ich nichts, aber ich fiel ihm um den Hals und gab ihm einen tüchtigen Kuß. »Wilhelmine!« rief er ganz überrascht. – »Du bist doch der beste Mann auf dem Erdboden,« sagte ich, »Du hast das Herz auf dem rechten Fleck, nur nicht immer den Mund!« – »Das hat seine guten Gründe,« lachte er, »dafür sprichst Du für Zwei!« – »Aber Karl . . . .!« – »Laß gut sein, Kind, es soll im neuen Jahr bleiben wie im alten!« –

So feiern wir Sylvester bei uns in der Landsbergerstraße. Hoffentlich ist eine von meinen Beiden am nächsten Sylvester verlobt und auch für Onkel Fritz wird sich wohl etwas Passendes finden; für den wird es nachgerade Zeit. Prosit Neujahr!


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