Carl Spitteler
Lachende Wahrheiten
Carl Spitteler

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Das Schlimmste

Es wird in guten Treuen viel geredet und viel geschadet. Aber eins ist unverantwortlich, eins darf man sich nicht zuschulden kommen lassen: Es soll kein Vater, kein Lehrer zu einem Kinde sagen: »So hoch wie dieser oder jener wirst Du's freilich nie bringen,« und es soll kein Schriftsteller zu seiner Nation sagen: »Punktum, fertig, Türe zu; die große Zeit der Literatur ist vorüber, es wird nie mehr einen Goethe oder Schiller geben.«

Das ist erstens eine Torheit, denn die Zukunft weiß man erst nachher, und die Natur liefert keine Programme. Hat man etwa Anno 1740 prophezeit: Gebt acht, stäubt ab, zieht euch sonntäglich an, denn jetzt fängt nächstens die klassische Literatur an. jetzt wird bald der große Goethe geboren? Oder hat jemals ein Schullehrer einen Buben mit den Worten der Klasse vorgestellt: »Geht mir säuberlich mit dem da um, denn das gibt einmal das große weltberühmte Genie X?« Nein, sondern er hat zu allen Zeiten den Geniebuben einen Esel genannt.

Zweitens ist es eine Anmaßung; denn andere herabdrücken, heißt nicht bescheiden sein, sondern unverschämt.

Drittens ist es eine gewissenlose, schlechte Handlung. Niemand hat das Recht, dem heranwachsenden Geschlecht den Mut totzuschlagen und dem nachkommenden Geschlecht zum voraus in die junge heilige Hoffnung zu spucken. Das ist betlehemitischer Kinderseelenmord.


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