Carl Spitteler
Lachende Wahrheiten
Carl Spitteler

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Amor

Es ist in der deutschen Ästhetik von jeher viel von Berechtigung oder Nichtberechtigung der Allegorie die Rede gewesen. Hierüber sind die Ansichten verschieden, und meine Ansichten verschieden von den übrigen. In der Ausübung hat sich mittlerweile die Sache so gestaltet, daß die Allegorie da, wo sie hingehört, nämlich in die Kunst des Gedankens, wie ein Skorpion geflohen, hingegen da, wo sie am wenigsten taugt, nämlich in der bildenden Kunst, wie ein Schatz verliebt von Geschlecht zu Geschlecht weitergeschleppt wird. Ich bin der letzte, der bildenden Kunst dies Vorrecht zu mißgönnen, nur meine ich, sie sollte die herkömmlichen allegorischen Motive jeweilen auf ihre Brauchbarkeit näher ansehen und überhaupt die archäologische Erbschaft bloß sub beneficio inventarii antreten.

Unter den überlieferten Allegorieen aber ist eine, deren volkstümliche Allerweltsbeliebtheit im schroffsten Gegensatz zu ihrem Wert, ja zu ihrer Erträglichkeit steht: ich meine den Amor als Buben, mit oder ohne Bogen, Flügel und Taschentuch.

Ich denke, über die Grundsätze, nach welchen der Wert einer bestimmten Allegorie für die bildende Kunst zu beurteilen sei (wenn wir die Allegorie im allgemeinen zulassen), ist man einig. Es handelt sich nicht darum, ob der Gedanke, welcher in einem besonderen Fall versinnbildlicht werden will, seinen guten Reim habe, sondern darum, ob das Gleichnis, das zum Ausdruck des Gedankens gewählt wird, vor dem schauenden Auge bestehe. Nun ist ja der Gedanke, der den bübischen Amor gezeugt, klar und einleuchtend, erschreckend klar und einleuchtend: Schönheit gebiert Liebe, folglich ist der Liebesgott ein Sohn der Schönheitsgöttin. Die Schönheitsgöttin wird schwerlich eine Matrone sein, sie bedarf vielmehr des Reizes der blühenden Jugend; eine blutjunge Göttin kann aber unmöglich einen erwachsenen Sohn besitzen, folglich ist Amor ein Knabe; fertig. Die Liebe ist ferner blind; geben wir also dem Buben eine Binde, wie der Justitia. Die Liebe hat bekanntlich Launen, Mucken und Tücken; nichts leichter als das: Amor bekommt ein schelmisches Grübchen und ein schalkhaftes Lächeln. Die Liebe verwundet und schmerzt, sie trifft oft plötzlich und ihre Wunden heilen schwer: eine Kinderei für einen geschulten Allegoriker; ein Bogen, ein Köcher und ein Bündel Pfeile mit Widerhaken, wer könnte das nicht verstehen?

Das alles ist ebenso mathematisch einfach, als seicht und nüchtern; zu einer rhetorischen Schmuckfigur reicht es eben hin, und eine allegorische Dichtkunst mag meinetwegen mit dem rattenkahlen Gleichnis weiter wirtschaften, wenn sie sich damit begnügen will, abgegriffene Scheidemünze abzugeben. Allein die Malerei! Was bietet die Malerei dem Beschauer, indem sie jene dünnen abstrakten Gedankenfäden als zusammengewickelten Knäuel körperlich vor Augen stellt? Das Scheußlichste, was ausgeheckt werden kann: einen Buben als Kuppler, und zwar wohl verstanden, als einen Kuppler, der genau weiß, worum es sich handelt; das bezeugt seine kokettierende Haltung, seine verschämte Miene und sein verschmitztes Lächeln. Gibt es nun im ganzen Gebiet der Liederlichkeit etwas Ekelhafteres, als solch ein Müsterchen von einem achtjährigen Schlingel? Ein achtjähriger Kuppler, das ist nicht bloß unnatürlich, sondern geradezu unmöglich. Und dergleichen führt man uns seit Jahrhunderten mit überzeugter Andacht zu Gesicht, in Bildsäulen, Gemälden und Stichen; und jedermann nimmt es als die harmloseste, selbstverständlichste Sache gläubig hin.

Den Gipfel der Liebenswürdigkeit erreicht der interessante Junge, wenn er angesichts eines nahenden Liebhabers seiner Mama mit pfiffigem Lächeln die letzte Hülle vom Leibe zieht. Was für eine nette Gemütsbeschaffenheit, Welterfahrung und Menschenkenntnis setzt das bei dem holden Früchtlein voraus! und was für eine abgelebte Blasiertheit obendrein!

Hierüber Worte zu verlieren, ist doch wohl hoffentlich unnötig; ich denke, es genügt, auf den schauerlichen Widerstreit zwischen Sinn und Versinnbildlichung hingewiesen zu haben. Die geehrten Herren Künstler aber möchte ich im Namen des Verstandes und des Geschmackes flehentlich bitten, uns hinfort mit dem faulen Kuppelbuben gütigst zu verschonen.


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