Carl Spitteler
Lachende Wahrheiten
Carl Spitteler

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Dichter und PharisäerDieser Aufsatz wurde in der Sündenblüte der »Alten«, der sogenannten »Idealisten«, geschrieben, im Jahre 1886 oder 1887.

Man mag es drehen, behandeln und benennen wie man will, es kommt doch schließlich auch in der Kunst und Poesie auf den Glauben oder Unglauben hinaus. Glauben bedeutet auf diesem Gebiete der Überzeugung von einem ewig gegenwärtigen und werkkräftigen Geiste des Schönen; Unglauben die Meinung, jener Geist marschiere getrennt von der jeweiligen Gegenwart, um in der Entfernung von mindestens einem Menschenalter zu biwakieren. Und beiderlei Überzeugung stützt sich auf die Erfahrung. Den einen erfüllt es; wie sollte er's nicht spüren? In dem andern gähnt eine graue Öde; da muß er wohl die Gegenwart für eine Jurakalkperiode ansehen.

Gläubige im höchsten Grade sind natürlich diejenigen, deren ganze Tätigkeit den Glauben als Triebkraft voraussetzt: die schöpferischen Menschen, die Urkünstler, die Meister. Wo ein Meister wohnt, da glänzt die Hoffnung, da winkt die Aufmunterung. Auf das bloße Gerücht seines Vorhandenseins erheben die Mutigen den Kopf; bis in die fernsten Winkel der Mitwelt zündet sein Beispiel; sein Name wirkt auf den Edeln als Herausforderung; sein Ruhm versiegelt den Lügen vom Minderwerte der Gegenwart das Maul. Naht man vollends einem Meister persönlich, so badet man in einem Jungbrunnen. Während in allen Gassen die Klageweiber das Siechtum des Talentes bejammern, während jeder Katheder den Torschluß der Poesie verkündet, jede Dorfzeitung den Bann über den Weinberg verhängt und jede Glocke Vesper läutet, zeigt er auf die Sonne Homers, deutet nach ebenbürtigen Adlern am Horizont, redet von der Unerschöpflichkeit des Schönen, von der Kürze des Lebens, von dem Wenigen, was schon gesammelt, von dem Unabsehbaren, was noch zu ernten übrig bleibt. Unaufhörlich krächzt die Jahrmarktspolizei an den Kreuzwegen sich heiser: »Zurück! Die Hände weg! Ihr kommt zu spät! Es bleibt nichts mehr übrig!« Freundlich grüßt der Meister von seiner gastlichen Pforte: »Alles bisher Geleistete ist nur ein Anfang.«

Doch nicht allein zur Erzeugung des Schönen, sondern ebenfalls zu seiner Annahme bedarf es des Glaubens, wohlverstanden zur unmittelbaren Annahme, zur Wertschätzung vor der Legende; denn nach der Legende können's die Wichte. Auch nach dieser Richtung stehen die Künstler wiederum weit den übrigen voran, denn sie sind nicht bloß Schöpfer und Instrument zusammen, sondern zugleich Resonanzboden. Alles Schöne findet bei ihnen ein volltönendes, durch kein grämliches Mißtrauen, durch keine mäkelnden Vorbehalte gedämpftes Echo. Ein besonderes Seelenorgan befähigt den Meister, im Sande der trostlosesten Sündfluten die Goldkörner zu erkennen, aus den verheerendsten Bücherschwärmen das Bedeutende zu unterscheiden, ich meine jenes Verwandtschaftsgefühl, welches sich unangefragt meldet, sobald etwas Großes in den Gesichtskreis tritt. Außerhalb der Künstlergemeinde gebraucht das Urteil selbst des gescheitesten Mannes Krücken. Vergleichungen mit Vorbildern, Grundsätze, Aussprüche früherer Meister und ähnliches; schätzenswerte Krücken, immerhin Krücken; die überdies den Übelstand haben, gerade dann zu versagen, wenn man ihrer am dringendsten bedarf, nämlich dann, wenn das Originelle nicht den vorhandenen Mustern gleicht, wenn das Große nicht den Kleinen behagt, wenn das Neue kein durch das Alter geheiligtes Ansehen mitbringt. Das Urteil der Künstler ist ferner zugleich ein liebevolles, auf jede wertvolle Eigenart freundlich eingehendes; kein dankbareres Publikum für den Begabten, als große Männer; je größer, desto besser. Auf Grund dieser Eigenschaften bilden zu jeder Zeit die älteren, bereits anerkannten Meister die natürlichen Beschützer der jüngeren, noch um Anerkennung ringenden. Das Bedürfnis, einem Nachfolger die gröbsten Hindernisse aus dem Weg zu räumen, was bloß ein offenes Wort der Empfehlung kostet, ist auch ein zu nahe liegendes, als daß es nicht die Regel bilden sollte; das Gegenteil findet sich daher in der Geschichte der Kunst und Literatur nur als eine seltene Ausnahme. Über das Gegenseitigkeitsverhältnis der ausgereiften Künstler wird mancherlei Unrühmliches gemunkelt. Untersuchen wir jedoch die Akten genauer, so werden wir in jedem besonderen Falle das Zerwürfnis von den Hetzereien der beiderseitigen Anhängsel herrühren sehen. Mit unablässigem Sieden und Schüren, mit Wasserstoff, Chlor und Schwefel kann man bekanntlich sogar das Gold in eine Säure verwandeln.

Jenseits der Künstler sind noch zwei Klassen von Gläubigen zu verzeichnen, oder genauer gesagt: eine Klasse und ein Zustand. Die Klasse besteht aus der Auslese der Frauen. Die berühmte vorurteilslose Empfänglichkeit der Frau für das Schöne jeder Art, jeder Form und jeden Namens ist Natur, gehört zum Wesen; in ausgezeichneten Persönlichkeiten offenbart sie sich sogar als ein sehnsüchtiges Bedürfnis, als ein Durst. Zwar möchte auch die übrige Menschheit das Schöne, behauptet es zu begehren und vermeint es zu suchen; doch einzig die Frau stößt einen unwillkürlichen Freudenruf aus, wenn sie's erblickt. Das weibliche Urteil beruht wie das künstlerische auf dem Instinkt, was von allen Grundlagen stets die köstlichste bleiben wird, weil sich der Instinkt nicht beeinflussen laßt; doch ist der Instinkt des weiblichen Urteils auf das »Schöne« im engeren Sinne beschränkt; zur Unterscheidung des Nachempfundenen vom Ursprünglichen, des Anspruchsvollen vom Großen taugt er wenig. Herrliche Titanien, die sich an einen ungeschlachten Esel oder einen parfümierten Affen anklammern, in der Meinung, einen göttlichen Genius festzuhalten, werden stets von neuem sich unsern erstaunten Augen vorstellen. Wenn indessen die Frau nicht selten einen Frosch für einen Fisch ansieht, so hält sie doch kaum jemals einen Fisch für einen Frosch; noch weniger macht sie dem Fisch zum Vorwurf, daß er kein Frosch sei: es ist dies ein edler Zug und kein gemeiner Vorzug; man darf ihn zur Nachahmung empfehlen. Und dann, gegenüber dem einmal erwähnten Gegenstande des Glaubens, was für eine Treue! Was für eine Selbstlosigkeit! Was für ein unerhörter Mangel an moralischer Feigheit! Die Frau wartet keine Zeichen und Erlaubnisscheine ab, achtet kein Verbot, ja spottet selbst des Hohns. Nach den hoffnungslosesten Niederlagen erlischt dieser Stern nicht, in den schwärzesten Sturmnächten beharrt sein milder, glückverkündender Glanz; später, nach dem Siege, wenn die andern, die sich während der Schlacht in den Gebüschen versteckt, mit zudringlichem Jubel hervorbrechen, zieht sie sich zurück; denn sie stritt nicht um den Lohn. Die Philosophie mag über die Frau urteilen, wie sie will oder muß; die Kunst schuldet ihr Ehrerbietung, Dank und Liebe. Ohne die Frau würde die Menschheit schon längst die Kunstwerke mittels Logarithmen ausrechnen und die Dichterkraft mit dem Koprometer messen.

Der Zustand ist jene wundersame Lazur, welche einige Jahre lang selbst die Seelen von gemeinem Schrot mit einem duftigen Hauch verklärt: die Jugend. Freilich nur die männliche Jugend, da die weibliche mit dem Modellstehen für die Phantasie und mit der Heiratsfähigkeit anderweitig beschäftigt ist; die männliche aber bis ins zarteste Knabenalter. Das Wechselspiel zwischen begeistertem Empfangen und schöpferischem Ahnen, zwischen bescheidener Bewunderung und keckem Selbstgefühl verleiht dem Pubertätsidealismus seinen Reiz und seinen Wert; die gewaltige Zahl der Teilnehmer und der stürmische Charakter der Überzeugungsäußerungen seine Macht. Die Ankunft neuer Jünglingsregimenter bedeutet stets eine Unterstützung des Künstlers, eine Vermehrung der Pietät für das Schöpferische, eine Verstärkung des Ruhmes für unvergängliche Werte. Dem Sauerstoff ähnlich greift die Jugend nur altes Eisen und faules Holz an, die edeln Metalle schützt sie vor dem Staube. Heilsam vor allem aber wirkt die Jugend dadurch, daß sie die babylonischen Türme der Scholastik in die Luft sprengt. Zwar beginnt das Wühlen und Schanzen sogleich von neuem; immerhin war es doch ein hübsches Schauspiel, wie die Pagoden samt den Pfaffen umherflogen.

Damit ist die Liste der Lämmer erschöpft und wir geraten zu den Böcken. Und zwar haben die Böcke eine auffallende Familienähnlichkeit mit den im neuen Testamente geschilderten. Das neue Testament unterscheidet zwei Hauptklassen von Ungläubigen, die eine: das Volk, die andere: die Pharisäer, Sadduzäer und Schriftgelehrten mit ihrem Anhang. Das Volk nennt man in der Kunstsprache »Publikum«. Unter jedem Namen betätigt es seine bekannten Eigenschaften. Einerseits: Wankelmut des Urteils und der Bedürfnisse und geistige Schwerfälligkeit, andererseits Gutartigkeit und brachligende, nutzbare Bereitwilligkeit. Das Publikum in seiner Gesamtheit zu schmähen, ist weder geziemend, noch gerecht, noch vernünftig, denn erstens hilft es nichts, zweitens hat der Mensch noch dringendere Pflichten auf Erden, als den Auftrag, Publikum zu bilden, drittens befinden sich in der buntscheckigen Gesellschaft sehr vornehme Seelen, z. B. die ersten Meister der Nebenkünste, überdies Persönlichkeiten, denen man mindestens Höflichkeit schuldet, z. B. Königinnen, endlich Personen, die kein wohlerzogener Mensch öffentlich schulmeistert, z. B. die eigenen Geschwister. Unheil stiftet das »Volk« oder »Publikum« höchstens durch seine Blindgläubigkeit gegenüber seinen Lehrern; gesellt sich nämlich zu der Blindgläubigkeit der Eifer, dann ergibt sich der »Anhang« der Pharisäer. Je weiter man sich von den Schulen entfernt, desto mehr schwindet diese Gefahr, desto harmloser und bereitwilliger erscheint das Publikum. Darum bekunden heute noch wie vor zweitausend Jahren die Meister eine merkliche Vorliebe für den Umgang mit Zöllnern und Fischern.

Für den Namen »Pharisäer, Sadduzäer und Schriftgelehrte« je einen genauen Paralleltitel in der Kunstwissenschaft zu finden, wäre eine leichte Aufgabe; sie wird mir übrigens gar nicht gestellt, da ich es nicht mit der Trennung, sondern mit der Zusammenfassung zu tun habe. Für die Zusammenfassung nun wähle ich mit Bedacht denjenigen Namen, welcher auf die gemeinsame geistige Heimat hinweist, den Namen Alexandriner. Wer immer von den Alexandrinern handelt, muß, will er nicht zur Ungerechtigkeit hingerissen werden, das natürliche Gesicht dieser Leute von ihren sauertöpfischen Mienen beim Anblick eines Wunders oder Werkes unterscheiden. An sich waren und sind ja die Alexandriner würdige Männer, achtbar und geachtet, verdient um Bildung und Wissenschaft, und darum mit Titeln und Ämtern ausgezeichnet, an antiquarischen Kenntnissen die Ersten ihrer Zeit, und darum »zu oberst in den Schulen« sitzend, voll von Eifer für die Erziehung des Volkes und der Jugend, Hüter des Tempels und des Gesetzes (der Kunst und Literatur), von schrankenloser, fast abgöttischer Pietät vor den heiligen Schriften (den »Klassikern«) erfüllt, an begeisterten Huldigungsbezeugungen für die Verfasser derselben sich niemals genugtuend; »sie bauen den Gerechten Denkmäler und schmücken die Gräber der Heiligen«; jede Kritik der Schriften, jede von den Propheten abweichende Meinung verabscheuen sie als einen Gräuel der Gotteslästerung. Sie haben überhaupt nur den einzigen Fehler, daß sie meinen, der Quell der Offenbarung wäre ausgetrocknet, daß sie lehren, der heilige Geist mache zu ihrer Zeit eine kleine Generalpause von einem Jahrhundert, daß sie die fröhlichen Weissagungen an das Ende der Welt adressieren, daß ihr gesamtes Fühlen und Denken von der Voraussetzung beherrscht wird, die Gegenwart habe keinen vornehmeren Beruf, als der Vergangenheit die Fingernägel zu putzen, und der lebendige Mensch keine wichtigere Aufgabe, als die Toten zu balsamieren. Den einzigen echten Balsam liefert natürlich die Firma Kaiphas & Cie.

Die Frage, aus welchem Seelenwinkel der sonderbare Trieb entspringt, bei abgöttischer Verehrung der Vergangenheit die Gegenwart zu entwerten und die Kinder der nämlichen Propheten, vor welchen man sich auf den Bauch wirft, schlecht zu empfangen, ein Trieb, der sämtlichen Alexandrinern so natürlich ist wie Pulsschlag und Atemzug, ist leicht und bündig zu beantworten: er entspringt aus dem Instinkt der Selbsterhaltung; darum ist er so zäh und störrisch. Das ganze Ansehen und die hohe gesellschaftliche Stellung der Alexandriner beruht eben auf einem Interimszustand, auf einer Sedivakanz, auf der Tatsache oder Annahme, daß zu ihrer Zeit keine großen Männer vorhanden seien. Sonst müßten sie ja von ihrem Thron heruntersteigen und das Lineal, das sie so meisterhaft schwingen, in ein Futteral stecken; sie haben sich aber da oben eingenistet und den Stuhl behaglich gefunden. Daraus erklärt sich ihre unbewußte, darum jedoch nicht minder eifrige Feindseligkeit gegen jede lebendige Kunst und gegen jeden Anspruch auf schöpferischem Gebiete. Ein Gleichnis soll diese Stimmung noch verdeutlichen. Wenn nach dem Tode des Herrn die Dienerschaft sich seines Erbes bemächtigt hat und in seinem Namen schaltet und waltet, wird sie wohl die Nachricht, daß ein Verwandter des Verstorbenen anrücke, mit Freuden begrüßen und dem jungen Herrn demütig mit dem Schlüsselbunde entgegenziehen? Nein, sie wird sich zwar bereit erklären, das Erbe dem Erbberechtigten auszuliefern, aber in jedem besonderen Falle den Ankömmling für unecht ausgeben; mit der Zeit wird sie sogar Aktenstücke vorweisen, welche bezeugen sollen, daß der Herr kinder- und verwandtenlos gestorben sei. Der nämliche Satz in den unbildlichen Gedanken übersetzt, lautet: die Alexandriner müssen allem Ursprünglichen und Großen, wenn es lebendig, wenn es gegenwärtig, wenn es persönlich auftritt, den Krieg ansagen, weil es sie bedroht, weil es sie von ihrer Stellung neben dem heiligen Gral herunternötigt, weil der angekündigte junge Herr voraussichtlich einen Blick und eine Stimme, ein Urteil und einen Befehl und überdies allerhand unheimliche Abneigungen haben wird. Die ganze Sorge der Alexandriner ist daher darauf gerichtet, die Ankunft einer überlegenen Persönlichkeit zu verhüten und für den unglücklichen Fall, daß sie trotzdem herannahe, Wellenbrecher zur Abwendung der schädlichen Folgen anzubringen. Der Instinkt der Selbsterhaltung erfindet zu diesem Zwecke weitläufige Verteidigungssysteme, mit vorgeschobenen Werken, kunstvoller, als der vollendetste Biberbau und Termitenhügel.

Man verfaßt vor allem einen Kalender, welcher auf Grund der Stellung des Mondes zur Erde ausrechnet, daß in den nächsten hundert Jahren überhaupt keine Talente möglich seien; die Kritik übernimmt die Verantwortlichkeit dafür, daß dieses Naturgesetz nicht übertreten werde. Ohnehin hat sich ja die Natur mit der Hervorbringung der Klassiker dermaßen angestrengt, daß man ihr unbedingt eine Erholung gewähren muß. Man schickt sie also in die Ferien, ob sie will oder nicht will. Die Diagnose ist da; die Gefahr der Schwindsucht ist dringend; der Spruch der Ärzte erlaubt keinen Spaß. Zur untrüglichen Erkennung außerordentlicher Begabung, die man so gut zu schätzen weiß wie ein anderer, wird der Mitwelt eingeschärft, daß erfahrungsgemäß jedes echte Talent mit einem Denkmal unter den Füßen einherzuspazieren pflegt; die Anwendung dieses Satzes auf das falsche Talent ergibt sich durch Umkehrung von selbst. Das Gesundheitsamt veröffentlicht ein Gutachten, laut welchem verdiente Anerkennung, oder gar Ehre und Ruhm, in der Jugend oder im rüstigen Mannesalter genossen, giftig wirkt, es wird demnach jedermann ermahnt, denjenigen, der sich etwa unnatürlicher Weise schon in jungen Jahren auszeichnet, vor der Berührung mit den genannten Stoffen ängstlich zu behüten. Den Pfuschern im Gegenteil bekommt jede Auszeichnung in jedem Lebensalter wohl, da es ihnen zur Aufmunterung dient. Junge und auch ältere noch rüstige und zuviel versprechende Meister sollen demgemäß bei ihrer Ankunft sofort isoliert und einer lebenslänglichen Quarantäne unterzogen werden, bis eine Medizinalkommission ihren nahe bevorstehenden Tod, beziehungsweise ihren vollendeten siebzigsten Geburtstag bezeugt. In diesem Falle versammelt sich der Prüfungsausschuß der Alexandriner, um über ihre Aufnahme in den literarischen Senat zu beraten. Es darf immer nur einer auf einmal in den Senat aufgenommen werden, auch ist bei der Aufnahmefeierlichkeit strengstens darauf zu achten, daß die Anerkennung des einen ja den Charakter einer Zurücksetzung der übrigen enthalte; darüber muß in jedem einzelnen Falle der Takt entscheiden. Das Empfangsgeschrei muß so laut angestimmt werden, daß niemand es überbieten kann, so sichert man sich das Vorrecht der Verehrung. Der Verfassungsrat der vereinigten Pharisäer, Sadduzäer und Schriftgelehrten beehrt sich, einer löblichen Gegenwart und Zukunft mitzuteilen, daß Höchstdieselben beschlossen haben, die aristokratische Republik der Künstler und Dichter in eine Wahlmonarchie zu verwandeln. Wählbar sind nur tote Senatoren. Allfällige Bewerber um die Stelle eines Dichterfürsten haben ihre Zeugnisse, ihre nachgelassenen Werke und ungedruckten Briefe nebst Curriculum vitae, Namen, Wohnort und Nummer des Grabsteins bis spätestens zu Ende des Monats bei Endesunterzeichneten einzureichen. Jedes Gesuch, dem nicht ein amtlich beglaubigter Todesschein beigegeben ist, bleibt unberücksichtigt. Künstler, Schriftsteller und Dichter sind von der Abstimmung ausgeschlossen. Insubordinationen gegen den einmal erwählten Dichterfürsten in Form unbefugter Vergleichung desselben mit einem ihm an Rang und Kommando Nachstehenden soll als Hochverrat geahndet werden. Dem verewigten Dichterfürsten ist eine mit unumschränkte Vollmacht ausgerüstete, aus der Zahl der Alexandriner zu ernennende Regentschaft beigegeben, welche in seinem Namen die Regierungsgeschäfte besorgt.

So weit die Alexandriner. Was sagt hierzu der Künstler und Dichter? Nun, der geht seiner Wege und tut seine Wunder und Werke. Treiben es jene gar zu dreist, so wendet er auch wohl einmal das Haupt nach ihnen und macht sich mit einer poetischen Metapher Luft. Heutzutage wählt er hierzu mit Vorliebe Bilder aus der Klasse der höheren Wirbeltiere. Ehemals hieß es: »O, ihr Schlangen, Heuchler und Otterngezüchte!« Im Grunde sind es ja keine Ottern, sondern bloß Blindschleichen. Zum Unglück der Alexandriner unterstreicht jedoch die Nachwelt solche Exklamationen, selbst wenn sie unbillig sein sollten, doppelt und dreifach mit innigem Behagen. Deshalb, weil sie den Dichtern so unendlich viel und ihren Gegnern so unendlich wenig verdankt, weil ferner jene so überaus liebenswürdig, und diese es so ganz und gar nicht sind. Man wird immer von neuem versucht, im Namen der Gerechtigkeit ein gutes Wort für die verwünschten Alexandriner einzulegen. Wer verfolgt indessen ihr Andenken am wütendsten? Die Alexandriner der jedesmaligen Gegenwart. Und das ist der Humor des Unglaubens. Lächelt er auch nicht zwischen Tränen, so beißt er doch in sein eigenes Bein. Mit diesem versöhnenden Bilde will ich schließen.


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