Carl Spitteler
Lachende Wahrheiten
Carl Spitteler

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»Alt« und »jung«

Auf der einen Seite ein in ehrenhafter Mittelmäßigkeit ergrauter Senat, dem ich gerne die schuldige Ehrerbietung erwiese, wenn ich ihm Ehrerbietung schuldete, auf der andern Seite junge Häuflein, welche ob ihrer problematischen Pubertät ein Siegesgeschrei anstimmen wie die Frösche in der Mainacht, – jetzt wählen Sie, wer gefällt Ihnen am besten?

»Alt« und »jung«, das sind Fremdwörter für die Poesie. Weder das Alter noch die Jugend sind im mindesten ein Verdienst, noch ein Vorzug, ja nicht einmal eine Eigenschaft, sondern einfach ein Zustand. Man ist jung oder alt so wie man gesund oder krank ist und so wie man einst tot sein wird. Nicht der dieses und jener das, sondern jeder dieses und das. Was in aller Welt hat die Kunst damit zu schaffen? Genau so viel, als ob du Zahnschmerzen hast oder keine. Her mit euren Werken! Und zwar, bitte, jeder mit den seinigen besonders! Keine Stangeschen Reisegesellschaften durch den Geist der Zeit! Nämlich es steht ein Tourniquet vor dem Schalter, und Ermäßigungen für Schulen und Vereine gewährt der Ruhm nicht.

Was sind das überhaupt für kleine Sehwinkel, die nicht einmal über das eigene kurze Leben den Blick in die nächste Ewigkeit spannen! Wenn du nach deinem Tode ein bleibendes Werk wirst hinterlassen haben, dann wirst du anfangen jung zu werden, wo nicht, so warst du alt geboren, alt wie ein Lederapfel, trotz all deinem Dulieh und Gemauser. Oder wird vielleicht gerade darum so unverschämt gebalzt, weil man spürt, morgen wird Halali geblasen?

Du bist heute grün oder wenigstens grünlich. Ich gratuliere von Herzen. Allein nicht grün, sondern immergrün ist die Farbe des Ruhmes. Ihr seid heute unstreitig die Blüte der Nation, obschon ich mir lieber andere Blumen ins Knopfloch stecke. Allein seht euch vor, es gibt auch Blumkohl.

Gewiß: für die Zuchtwahl, für Ehe, Liebe und Liebschaft, da ist Jugend ein Vorzug. Falls also einer der Senatoren der Poesie auf den unglücklichen Einfall geriete, Euch eine Kellnerin vom Spatenbräu abspenstig machen zu wollen, dann würdet ihr glänzend über das Alter siegen. Immerhin, so über die Maßen genial braucht man sich deswegen nicht zu gebärden. Denn ob es auch ein Vorzug ist, so ist es doch gottlob kein seltener. Man teilt ihn mit Millionen von Mitmenschen, ja mit Milliarden von anderen minder zweibeinigen Geschöpfen, die darum nicht den Anspruch erheben, Genie zu sein.

Schließlich ein Geheimnis im Vertrauen. Mit der Jugend, wissen Sie, geht es wie mit dem Pferdespiel; sie rennt herum. Kaum hat einer angefangen, der jüngste zu sein, so reitet ihm schon ein noch jüngerer auf den Fersen. Und während er eben gerade im besten Zug ist, seinen Vordermann »wackliger Greis« zu schmähen, kichert es bereits hinter ihm »alter Geck«. Hören Sie es nicht? So schauen Sie doch nur in den Spiegel. Man sieht ja wahrhaftig schon drei anmutige Fältlein links und rechts neben den Augen! Das sind junge hoffnungsvolle Rünzelchen, mein Bester. Und wenn diese Rünzelchen werden Runzeln geworden sein, dann wird eine freche Bande mannbarer Buben Sie verhöhnen, so wie jetzt Sie die Alten verhöhnen. Amen, das geschehe!


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