Carl Spitteler
Lachende Wahrheiten
Carl Spitteler

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Entmannte Sprichwörter

Moralisierende: pädagogische und andragogische Weisheit kann den kräftigen Lebenswitz der gesunden Volksseele nicht vertragen; sie biegt dem Sprichwort die Ecken um, oder verkehrt gar den Sinn ins Gegenteil, damit er ja nicht etwa erziehungswidrig wirke. Die meisten unserer Sprichwörter, die ein »nicht« enthalten, lauteten ursprünglich positiv. Das »nicht« wurde erst nachträglich in abschwächender Meinung, aus Vorsicht, eingeschaltet. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.« Solch eine Binsenwahrheit verkündet kein Sprichwort. »Aufgeschoben, aufgehoben,« das ist eine Lebenswahrheit, ein echter, aus Erfahrung gewonnener, warnender Volksspruch. »Wagen gewinnt, wagen verliert,« ist Eunuchenweisheit; um diese zu kennen, brauchen wir keinen Spruch. Die natürliche Unentschlossenheit des willenlosen Menschen reicht hin. Wie waagt, die wint (wer wagt, der gewinnt), sagt der Holländer, und so sagte ohne Zweifel einst auch der Deutsche. Mit der leidigen Ethnogogie und Moral-Schulmeisterei hängt es auch zusammen, daß wir gegenwärtig im Deutschen so wenig fröhliche, mutige Sprichwörter besitzen. Wie hübsch tröstet in Holländisch-Indien den Unglücklichen das Sprichwort: »In Indien endigt alles gut.« Und wie sonnig klingt der italienische Volksspruch: »Einem fröhlichen Menschen hilft Gott.«


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