Carl Spitteler
Lachende Wahrheiten
Carl Spitteler

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Aus dem Zirkus

Der ästhetische Wert des Zirkus ist kein geringer, da körperliche Kraft- und Kunstleistungen Anmut zum Lohn eintragen. Er könnte noch bedeutend erhöht werden, wenn statt der virtuosen Kunstfertigkeit die Schönheit der Leistung als Zweck ins Auge gefaßt würde. Der Zirkus als eine Anstalt der höheren Gymnastik im Dienst der Ästhetik aufgefaßt und dementsprechend geleitet, müßte unfehlbar für den bildenden Künstler und den Freund der bildenden Kunst eine Anschauungsschule ersten Ranges werden, wie er es tatsächlich zum Teil schon jetzt ist, trotz seiner Grundsatzlosigkeit, Unsicherheit und Unzulänglichkeit. Hat doch z. B. der französische Maler Ingres die Vermutung gewagt, die Griechen hätten die lebendigen Modelle ihrer Statuen in Trikot gesteckt.

Das neueste Herzuziehen von Umzügen und Tänzen ist dabei vom Standpunkt des Genießenden zu billigen; daß die Theater an einigen Orten den obrigkeitlichen Schutz gegen die Zirkusballetvorstellungen angerufen und erhalten haben, spricht gewiß nicht gegen deren Reiz; denn man wehrt sich nicht gegen ungefährliche Nebenbuhlerschaften. Neben der Gymnastik aller Art besitzt übrigens der Zirkus noch eine Anziehungskraft, die er gegenwärtig nur spärlich und gar kläglich benutzt, nämlich die Mimik. Erinnern wir uns, was für eine Rolle die selbständige Mimik im Altertum spielte, und vergleichen wir damit die untergeordneten Dienste, welche die Mimik im modernen Theater zu verrichten hat, so bleibt ein unabsehbarer Rest von Möglichkeiten, der naturgemäß dem Zirkus zufällt, da das Theater ihn verschmäht. Es ist ja nicht gesagt, daß es durchaus Pantomimen und daß die Pantomimen durchaus läppisch sein müssen; der Mensch kann noch etwas anderes mit seinen Gliedern anfangen, als sich in einen Kasten mit drei Klappen zu verkriechen. Überhaupt legt der Zirkus eine merkwürdige Erfindungslosigkeit an den Tag, sobald die Phantasie sich von den Pferdeställen entfernt; und wenn ich hiermit einige Übelstände rüge, so geschieht es nicht aus Feindseligkeit gegen den Zirkus, sondern aus dem freundschaftlichen Wunsch, ihn diejenige Vollkommenheit erreichen zu sehen, die ihm gebührt und die ihm so nahe liegt.

Warum erscheint der Zirkus so manchen unter uns unaussprechlich langweilig? Weil er, statt seine unermeßliche Freiheit zu benützen, uns mit alten Kunststückchen abspeist, von welchen viele niemals einem vernünftigen Auge Vergnügen bereitet haben. Im Gebiete der Pferdedressur gehört hierher alles, was der Natur des Pferdes widerspricht und seiner Schönheit Abbruch tut: z. B. das Niederknieen, das Sich-auf-dem-Rücken-wälzen, das Herumrutschen der Hinterbeine im Sand, während die Vorderfüße entweder auf den Schranken oder auf rollenden Wagen stehen, und Ähnliches; im Gebiete der »berittenen Gymnastik« das Reif- und Teppichspringen, welches zwar dem Auge Vergnügen gewährt, allein im Unterschied von den Voltigierkünsten ein so bescheidenes, daß die endlose Wiederholung Überdruß hervorrufen muß. Der Ersatz des elastischen Tanzseils durch den Eisendraht darf kaum eine glückliche Neuerung heißen; denn es ist ohne Zweifel sinniger und schöner, daß eine elastische Gestalt von einem elastischen Seil in die Höhe gefedert werde, als daß jemand mit breiten Schuhen und plumpen Tritten schwerfällig die Luft bergan wate wie durch einen Sumpf.

Am übelsten sieht es in der humoristischen Gegend des Zirkus aus. Da sind die Clowns, die bestellten Lustigmacher, die rechtmäßigen Erben des Shakespeareschen Narrenhumors, von welchem ich zwar beileibe nicht verlangen möchte, daß sie zwischen Tränen lächelten – das fehlte gerade noch! – aber von welchen wir fordern dürfen, daß sie uns erheitern, um so mehr, als ihnen keine ästhetischen Verbote Hindernisse bereiten, als ihnen von jedermann das Recht zugestanden wird, in dem ganzen ungeheuren Gebiet der Sprache und Gebärde irgend etwas Fröhliches gleichviel welchen Stils zu erjagen. Was ließe sich daraus machen! Und was machen sie daraus! Schon ihre Kleidung ist eine Bankerotterklärung des Witzes und obendrein noch eine Beleidigung. Komisch wirkt ein Kleid, wenn es ein Motiv aus dem Leben karrikiert; wofür jedoch keinerlei Anhaltungs- und Vergleichungspunkte aus der Anschauung gegeben sind, das kann einem vernünftigen Menschen kein Lachen abgewinnen. Was sollen uns diese Mehlgespenster mit ihren spitzen Perückenhelmen, mit ihren chinesischen Malereien auf Pariser Fräcken, mit ihren unter den Achseln festgebundenen feuerroten Pluderhosen? An wen oder an was erinnern sie? Was wollen sie verspotten? Nichts; sie sind bloß Ausgeburten des Aberwitzes, sinnlos für den Geist und häßlich für das Auge; dazu mit ihren Ansprüchen auf unsere Lachmuskeln widerwärtig aufdringlich. Die richtige Ausstaffierung des Clowns wäre naturgemäß die Übertreibung wirklich vorhandener Kleidertrachten oder Körperformen, vom Menschen hinab bis zur Tierwelt; alle Masken der Volkskomödie beruhen ja ursprünglich auf diesem Grundsatz, der englische Clown nicht weniger als der französische Paillasse oder der italienische Pantalon oder der deutsche Hanswurst. Wer verwehrt denn dem Zirkusnarren, aus der Mitte des großstädtischen Lebens nicht noch tausend andere Typen zu holen, als den dummen August, die einzige komische Figur, welche der Witz vieler Tausende während langer Jahre zu erfinden gewußt hat? niemand verwehrt es ihm, als seine Unfähigkeit und unsere unglaubliche Anspruchslosigkeit. Wenn vier Clowns einen Elefanten oder ihrer zwei ein Ehepaar von Katzen darstellen, dann sind sie in ihrem Gebiet, dann erheitern sie uns, dann zwingen sie uns zum Lachen, ob wir wollen oder nicht. Allein gibt es denn nicht noch mehr Tiere auf der Welt? Soll denn selbst in der Parodie die Schablone herrschen? Sind wir dazu verdammt, überall nur in ausgetretenen Geleisen zu wandeln? Gibt es denn kein Fünkchen gesunden Übermuts, fröhlichen Spaßes mehr? Allein die Herren Clowns dünken sich wohl zu vornehm, um ihren Narrenberuf mit Ernst durchzudenken und auszuführen; sie haben ja auch viel Erhabenes zu tun. Ehe man sich dessen versieht, wupp, steht einer dem andern auf den Schultern, ein dritter auf dem zweiten und dreht seinen Filz während anderthalb Ewigkeiten. Das mag vielleicht schwierig sein, langweilig ist es jedenfalls. Daß sich für die Filzkunststücke eine hübsche Komik gewinnen ließe, wenn die Clowns sich dabei als Tataren einführten, fällt ihnen natürlich nicht ein. Um solche Wahrheiten zu finden, bedarf es vermutlich der Gedankenarbeit mehrerer Jahrhunderte. Überhaupt fallen die Leute jeden Augenblick aus ihrer Rolle. Jetzt schellen sie mit Kuhglocken, oder klimpern Xylophon, oder kratzen den unvermeidlichen Karneval von Venedig in den verzerrtesten Stellungen, nicht etwa, um uns Freude zu gönnen, sondern damit wir ihre Geschicklichkeit bewundern. Wenn uns jedoch eine Maske erheitern soll, dann darf sie nicht zwischenhinein um Beifall winseln wie ein Tenorsänger; sie muß denselben erschleichen und erzwingen, nicht erbetteln. Von dem gesprochenen Witz der Clowns laßt uns schweigen. Nur ein Beispiel dafür, wie auch hier wieder sklavische Befangenheit in der Konvention statt des fröhlichen Einfalles herrscht: ein unleidliches blasses Englisch-Deutsch scheint so ziemlich alles zu sein, was die Leute von der Komik der Aussprache wissen, und selbst das üben sie nicht unsertwegen, sondern weil sie glauben, sich durch Englisch einen vornehmen Anstrich zu geben. Sie sollten doch im Lustspiel nachsehen, welches Vergnügen die Zuschauer bekunden, sobald ein Ungar oder Schwabe oder Russe auftritt; im Theater freilich erwecken solche Mittel der Komik das Achselzucken der Kritiker, weil sie für zu plump gelten; im Zirkus, neben dressierten Schweinen, werden sie wohl schwerlich zu gering sein. Verspotteten doch die Herren nicht frostige Hirngespinste, sondern das Publikum, mich und meine Nachbarn, damit wir einmal herzlich lachen könnten!

Es gibt übrigens noch eine unleidlichere Gesellschaft im Zirkus, als die abstrakten Filznarren: das sind die Statuenmännchen. Weshalb ein verehrliches Publikum diese Mehlwürmer nicht in gebührender Weise mit Schimpf und Schalen aus der Arena jagt, ist mir stets ein Rätsel geblieben. Vergeblich zerbreche ich mir den Kopf darüber, was diesen Attentätern auf den gesunden Menschengeschmack Gnade erwirkt, hingegen weiß ich gar wohl, warum ich sie unausstehlich finde. Wenn ich nämlich nicht irre, so beruht die Schönheit einer Statue hauptsächlich auf ihrer Schönheit; daß jedoch diese in Badehosen, faltige Wollenjacken und Schnabelstrümpfe gesteckten Gesellen mit ihren aufgeklebten Perücken, mit ihren verschmähten Gesichtern, mit ihren roten Hälsen, die vom Saum des Wamses geköpft werden, mit ihren frechen beifallslüsternen Blicken und Gebärden schön wären, wird schwerlich jemand behaupten. Ein andrer wesentlicher Vorzug in Marmorgruppen scheint mir im Marmor zu liegen; ob man aber den Marmor mit Glück durch Brei, Mehl und Schweiß ersetzen könne, bleibt mir fraglich. Doch wahrscheinlich ist es schon ein Bildungsgenuß, überhaupt nur an antike Statuen erinnert zu werden, einerlei wie? Da erhalten wir denn ein liebliches Gleichnis: Die Alten ahmten mit ihren Statuen den menschlichen Körper nach, im edelsten Stoff und in den idealsten Formen ihn verschönernd; wir äffen durch den menschlichen Körper die antiken Statuen nach, mit den abscheulichsten Leibern und mit den gemeinsten Stoffen dieselben verballhornend. Noch ein Schritt weiter, so werden unsere Bildhauer die Mehlakrobaten des Zirkus in Marmor ausführen, um auf diesem Wege zur Natur und zur Antike zu gelangen. Der Gipfel des Geistes aber wird es sein, wenn nun die gescheckten Filzvirtuosen, von Neid über den Erfolg ihrer gipsernen Kollegen erfüllt, den letztern ins Handwerk pfuschen, sich in ihren roten Fräcken in die Narrenbrust werfen, martialische Gesichter schneiden wie ein Fechter von Bologna und die Faust erheben wie ein Patriarch, der seinen Sohn verflucht. Auch das kommt vor und erregt natürlich einen wahnsinnigen Beifallssturm.


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