Carl Spitteler
Lachende Wahrheiten
Carl Spitteler

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Zum Schutz

Literarischer Hader

In der Lesegesellschaft meines Wohnortes liegen auf einem besonderen Tische die Broschüren. Wochen vergehen zuweilen, ehe ich Muße finde, mich mit ihnen zu befassen; so oft das aber geschieht, treffe ich zu meinem Erstaunen regelmäßig eine Streitschrift gegen eine literarische Persönlichkeit von Namen. Heute muß Baumbach, Julius Wolff oder Ebers herhalten, morgen Blumenthal, übermorgen Lindau, ein andres Mal sogar Paul Heyse oder Wildenbruch; mitunter werden wohl auch die Schriftsteller rottenweise abgeschlachtet, den Musen zum Namenstag. Mein Register ist, wie der Leser bemerkt, weit entfernt davon, vollständig zu sein, indessen genügt mir dasselbe schon im Übermaß, um mich befremdet nach der Ursache dieser Bissigkeit zu fragen. Ich sehe gar wohl ein, daß die Herren Verfasser in guten Treuen, um der Sache willen, im Namen des Geschmacks und der Poesie sich ereifern, allein ich kann nicht begreifen, was Geschmack und Poesie dabei gewinnen, wenn ein Schriftsteller den andern in die Waden beißt. »Wir müssen den falschen Größen die Maske herunterreißen, damit das Publikum ihr wahres Angesicht sehe,« so lautet jedesmal die Entschuldigung. Allein abgesehen davon, daß es eine unmanierliche Art des Demaskierens ist, wenn man dem Nächsten die Haare mitausrauft, gestatte ich mir, den streitbaren Herren Verfassern einfach nicht zu glauben, daß ein einziger unter unseren Schriftstellern eine Maske trägt. Sie schreiben und dichten vielmehr wie sie es können und vermögen, jeder nach seinem Talent, und zwar meistens mit einem Talent, das denn doch über dasjenige der geharnischten Heißsporne weit hinausragt, da die letztern kaum über eine geziemende Sprache verfügen.

Mich dünkt, man sollte sich ein für allemal darüber verständigen, ob ein Mensch dadurch, daß er ein Theaterstück aufführen läßt oder ein Buch veröffentlicht, die Pflicht übernimmt, wenigstens zwanzig Jahrhunderte zu erleuchten. Wenn ja, gut, dann schließe man unsere literarischen Verkaufs- und Schaubuden und erlabe sich fortan einzig an der philologischen Textkritik der Klassiker. Wenn aber nein, dann begreife ich nicht, was uns hindern sollte, an jedem Talent in seiner Art Freude zu empfinden und ihm seinen Erfolg zu gönnen, selbst wenn der letztere weit über das Verdienst hinausreichen würde. Das Publikum hat seine Launen und seine Lieblinge und wird dieses Vorrecht bis ans Ende der Tage behalten; ich gebe zu, daß es sich seine Lieblinge nicht durchaus nach ihrem literarischen Wert aussucht, ich gebe ferner zu, daß es besser wäre, wenn es anders wäre; allein ich vermag in diesem Übelstand keinen passenden Anlaß zu unpassenden Streitschriften zu finden, welche oft einem Pamphlet verzweifelt ähnlich sehen; ja noch mehr, ich kann den Übelstand nicht einmal für wichtig halten. Indem ich das sage, wird mich schwerlich jemand der Parteilichkeit verdächtigen, da ich wahrlich nicht zu den Lieblingen des Publikums gehöre. »Aber die falschen Tagesgötzen versperren ja dem wahren Talent den Weg!« Wohl uns Unbekannten, wenn uns nichts anderes im Wege stände, als die zwanzigste Auflage eines Baumbach oder die hundertste Aufführung eines Blumenthal! Aber selbst angenommen, dergleichen stände uns im Weg, so würde es sich immer noch fragen, ob es schön und wohlanständig sei, die Bahn mittelst literarischer Kesseltreiben frei zu machen.

Kurz, je länger ich den Eifer gegen die »falschen Tagesgötzen« beobachte, desto mehr befestigt sich meine Überzeugung, das Heilmittel sei schlimmer als die Krankheit. Den Geschmack des Publikums hat noch niemand durch Knüttel gebessert, sondern mittelst schöner Werke; übrigens wäre es ein Glück, wenn es keinen schlechteren Geschmack gäbe, als denjenigen des Publikums, ich wüßte schlimmere Geschmackssorten zu nennen. Hingegen tut der heftige Hader von Schriftstellern gegen Schriftsteller, selbst wenn er eine prinzipielle Fahne schwingt, unfehlbar der Würde des Standes Abbruch. Wie können wir denn verlangen, daß uns jemand achte, wenn wir einander selber nicht achten, wenn es bald keinen einzigen lebenden Schriftsteller mehr gibt, dem nicht schon von irgendeinem Landsknecht der Musen »die Maske heruntergerissen« worden wäre? Es gibt ein altes bewährtes Mittel gegen den Ärger, welchen einem die angebliche Unzulänglichkeit eines andern verursacht: besser machen. Wem dieses Mittel zu teuer ist, der darf und soll zwar an den Lieblingen des Publikums Kritik üben, wie er es versteht, und wie er es für gerecht hält, allein im Tone der Höflichkeit, ja, ich wage sogar zu fordern, der Achtung.


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