Carl Spitteler
Lachende Wahrheiten
Carl Spitteler

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Zur Fremdwörterfrage

Wie bekannt, ist in Deutschland seit Jahren eine Bewegung zur Reinigung der deutschen Sprache von überflüssigen Fremdwörtern im Gange; eine eigene Verbindung hat sich zu diesem Zwecke gebildet, eine regelmäßig erscheinende Zeitschrift sucht die Sache dem Volke ans Herz zu legen; die Obrigkeit leiht ihr ihre Gunst und starke Mithilfe, so daß gegenwärtig wohl kaum ein Fach oder ein Geistesgebiet gänzlich von diesem nationalen Streben unberührt geblieben ist.

Stellen wir uns nun auf den unparteiischen Standpunkt eines Beobachters, den die Sache praktisch gar nichts anginge, so werden wir wohl kaum zaudern, die Bestrebungen der deutschen Sprachreiniger im großen und ganzen gut und vernünftig zu heißen. Denn ein Besen tat weiß Gott not, das wird jeder bestätigen, der die norddeutsche Umgangssprache an der Quelle zu kosten Gelegenheit hatte, und der sich darüber klar geworden ist, aus welchen Beweggründen die Bescherung stammte. Die Mehrzahl der Fremdwörter verdankt ja ihre Aufenthaltsbewilligung in der deutschen Sprache keineswegs, wie die Gegner glauben machen wollen, einem logischen Bedürfnis, einer Begriffsnot, einer Wortarmut, sondern vielmehr der schmählichen, abgeschmackten Prahlsucht. Gewisse Stände dünken sich vornehm, wenn sie französische, andere, wenn sie lateinische Brocken zum besten geben; nicht um ein feineres Verständnis zu vermitteln, sondern im Gegenteil, um womöglich gar nicht verstanden zu werden, reden sie in Zungen; denn nicht verstanden werden, halten sie für gleichbedeutend mit einer Auszeichnung. Die Überhebung, mit welcher andere Völker dem Fremden begegnen, übt der Deutsche an seinen Volks- und Sprachgenossen; das gehört zu seinem Nationalvergnügen. Der Russe ist stolz darauf, daß einzig er die lateinischen Abstraktworte, das Gemeingut der übrigen europäischen Völker, nicht braucht, weil er die zartesten Begriffe aus eigenen slavischen Wurzeln zu bilden versteht; der Franzose verleiht jedem Fremdwort, das nicht der lateinischen Mutter- oder der griechischen Tantensprache entstammt, eine verächtliche Nebenbedeutung; der Deutsche umgekehrt hält das geliehene Wort stets für das vornehmere. Die verdiente Strafe für eine solche Gesinnung liefert der Humor der Weltordnung, indem er die gelehrttuerische Prahlerei der Unwissenheit überführt und der Lächerlichkeit überantwortet. Denn ohne die plumpsten Fehler hinsichtlich der Betonung, der Aussprache und der Sprachregeln geht es an denjenigen Orten, wo Fremdwörter als Verzierungen betrachtet werden, niemals ab, zumal wenn es sich um französische Brocken handelt. Der Berliner Ovisier und Portiö, der deutsche Zahlóng, die Chansonette (statt Chanteuse), die Balleteuse (statt Ballerine), die table d'eau und unzählige andere Beispiele geben dafür Zeugnis. Jedes französische Wort muß schon deswegen ohne Ausnahme und ohne Gnade und Barmherzigkeit aus der deutschen Sprache entfernt werden, weil der Deutsche unvermeidlich bei diesem Anlaß wenigstens einen, meistens drei Fehler und obendrein allerlei Tonabscheulichkeiten begeht.

Mit den lateinischen und griechischen Fremdwörtern verhält es sich scheinbar besser, doch nur deshalb, weil dem überlieferten Sinn und der einmal angenommenen Aussprache kein lebendiges Muster gegenübersteht. Wer jedoch darum meinen sollte, die Benützung dieser Brocken hätte nichts auf sich, die Verpönung derselben entspringe lediglich einer puristischen Schrulle, dem empfehle ich zwar nicht weitläufige Abhandlungen zu lesen, wohl aber zwei Proben an sich selbst anzustellen. Schreibt mein Leser selbst, so versuche er es einmal, Neugier halber, einen seiner rasch hingeschriebenen Aufsätze nachträglich von allen Fremdwörtern strengstens zu reinigen. Das wird ihn gewiß sauer ankommen und nicht überall wird es gelingen; allein unter zehn Fällen gelingt es sechs oder siebenmal. Vergleicht er dann den solchermaßen veränderten Aufsatz mit dem frühern, ursprünglichen, so wird er zu seiner mehr oder weniger großen Überraschung unfehlbar den Eindruck erhalten, daß der letztere nicht bloß sauberer, sondern zugleich vornehmer, klarer und eigentümlicher, ich meine, die Ansichten und den Charakter des Verfassers treuer widerspiegelnd, lautet. Das kommt daher, daß die Fremdwörter Gemeinplätze sind, Redensarten, aber nicht Gedanken bedeutend und mindestens drei bis vier ähnliche, doch verschiedene Begriffe verschwommen bezeichnend. Darum eben wird uns die Verdeutschung so schwer, weil sie den Geist nötigt, aus dem verschwommenen Nebel den genauen Gedanken herauszulesen, weil sie ihn zur Wahl zwischen mehreren Ersatzwörtern zwingt, welche natürlich niemals vollständig dem Fremdwort entsprechen können, da sich um das Fremdwort durch den täglichen Gebrauch allerlei unklare Begriffsbeimischungen angehäuft haben. Ich möchte das Fremdwort mit einer Münze vergleichen, deren Inschrift niemand mehr liest, an deren zweifelhafter Überkrustung jedoch die Spuren von jedermanns Händen wahrnehmbar bleiben. Ein solches Geld mag einem durch Gewohnheit vertraut werden, dasselbe ist auch ohne Zweifel wohlfeiler, bequemer und leichter erhältlich, allein die Zumutung an den Schriftsteller, edles Gold auszugeben und sein eigenes Bild deutlich darauf zu prägen, ist für ihn ebenso ehrenvoll wie heilsam. Eine mit Fremdwörtern gespickte Schreibart wird schwerlich eigenartig und ursprünglich sein.

Dies der erste Versuch. Nunmehr der zweite, noch einfachere. Wer nicht selbst schreibt, der nehme aufs Geratewohl einige deutsche Bücher aus den letzten Jahrhunderten oder auch Jahrzehnten vor. Dabei wird er, wenn er seine Eindrücke aufmerksam prüft, folgendes Ergebnis finden: Die darin enthaltenen deutschen Worte, die heutzutage nicht mehr gebräuchlich sind, werden ihn mitunter befremden, andere Male etwas bäuerlich anmuten, so daß er über dieselben freundlich lächelt, wie man über die Einfalt eines ungelenken Kindes lächelt, weit häufiger jedoch werden sie seine unmittelbare Zustimmung gewinnen, so daß er den alten Schriftsteller darum beneidet und vielleicht gar unbewußterweise sie ihm ablernt. Der Gesamteindruck des außer Gebrauch gesetzten deutschen Wortschatzes bleibt derjenige der Kraft und Ursprünglichkeit, etwa einmal auch der Unbeholfenheit, doch nicht derjenige des Alters und des Moders. Sobald dagegen ein einziges Fremdwort, das wir heutzutage nicht mehr anwenden, aus dem Satz ins Auge sticht, nimmt sich dasselbe jetzt so über die Maßen wunderlich aus, daß wir hell auflachen müssen. Das ist nun Zopf, das ist alt, das ist geschmacklos. Vollends ein mit Fremdwörtern durchspickter Stil aus früherer Zeit scheint uns in das fernste rohe Mittelalter zu versetzen, obwohl das Buch vielleicht nicht hundert Jahre alt ist. Man vergleiche nur Hallers Briefwechsel mit demjenigen Lessings: Haller scheint aus fernen Jahrhunderten zu uns zu sprechen, während Lessing sich so frisch ausnimmt, als hätte er gestern geschrieben. Auch Luthers Bibelübersetzung verdankt ihre unverfängliche Jugend nicht zum wenigsten der kühnen Verdeutschung des unmöglichsten Tohuwabohu; an Berechtigung, einige zehntausend hebräische Sprachbildungen stehen zu lassen, »weil die Verdeutschung den Sinn nicht vollständig wiederzugeben vermöge,« hätte es ihm wahrlich nicht gefehlt. Eine zweite Hauptwahrheit lautet mithin folgendermaßen: Wer ohne jedes Bedenken oder gar mit Behagen Fremdwörter in seinen Stil sät, wird zwar bei seinen Mitlebenden möglicherweise den Schein hervorragender Schulbildung gewinnen, dafür aber ohne jeden Zweifel bei der Nachwelt das Urteil der Barockheit eintauschen. Und zwar, wohlverstanden, bereits bei der nächsten Nachwelt, denn Fremdwörter veralten unglaublich rasch, kaum weniger rasch als die Mode, weil an die Stelle der einstigen Lieblinge andere gesetzt werden.


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