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16. Kapitel

Ein paar Tage darauf gab Arfuid Wittemberg ein Lebenszeichen von sich. Ein hoher Stabsoffizier brachte den Befehl an die Mönche, die Veste zu übergeben, und zwar an Miller und unverzüglich, unter Androhung der schwersten Strafen. »Ich will euren Starrsinn brechen,« schrieb er, »ein Beispiel konstatieren und – die Schuld meßt euch selber bei!«

Die ehrwürdigen Väter beschlossen nach Empfang des Briefes, ihre bisherige Taktik fortzusetzen und die Belagerer hinzuziehen. Wieder vergingen mehrere Tage unter Verhandlungen, abwechselnd mit heftiger Kanonade. Miller versicherte, daß er das Kloster nur besetzen wolle, um dasselbe vor den umherziehenden Räuberbanden zu schützen.

Darauf antworteten ihm die Väter, daß sie derselben selbst Herr werden würden, nachdem sie bewiesen, daß sie einer regulären Belagerung Widerstand zu leisten vermochten. Sie beschworen Miller bei allem, was heilig, aus Ehrfurcht vor diesem heiligen Orte, Gott und der heiligen Jungfrau geweiht, doch fortzugehen, wohin es ihm beliebte. Diese scheinbare Demut der Belagerten, verbunden mit der ununterbrochenen Kanonade vom Kloster, erschöpfte endlich die Geduld Millers.

Was bezweckten eigentlich die Mönche mit ihrem Widerstande, wenn doch das ganze Land sich freiwillig den Schweden unterworfen hatte? Die Zeit klärte ihn trotz seiner großen Beschränktheit endlich über die Ursache desselben auf. Allmählich begann er zu begreifen, daß es sich hier um ganz andere Dinge handle, als um die Erhaltung des Klosters. Diese kleine Veste sollte der ganzen Republik als leuchtendes Beispiel dienen; an dem Kampfesmut und der Ausdauer der Mönche sollte das ganze Land vom Baltischen Meere bis zu den Karpaten zu flammender Begeisterung für das Vaterland entfacht werden. Jetzt auch begriff Miller, was Sadowski mit seinen Einwendungen gewollt hatte.

Doch seine Reflexionen währten nicht lange. »Zum Kuckuck!« dachte er, »den schweren Festungsgeschützen kann das Nest nicht Stand halten, und wenn dieses Gespensterschloß in Rauch aufgegangen sein wird, dann wird auch die Ruhe im Lande wieder hergestellt sein.«

In der Erwartung der großen Geschütze wurde aus den kleinen einstweilen weitergeschossen. Die Belagerer erlitten täglich neue Verluste, während das Kloster und die Kirche vor den feindlichen Kugeln gefeit schienen; denn jedesmal, wenn der Wind die Rauchwolken zerteilte, standen beide unverletzt vor den Blicken der Schweden. Außerdem wurden, wie schon erwähnt, auch noch Mannschaften vermißt, die einzeln oder zu Paaren das Lager verließen. Der Verdacht fiel auf die Polen, welche zwar im schwedischen Heere dienten, aber sich geweigert hatten, an der Belagerung Anteil zu nehmen. Sie gingen ohne Beschäftigung im Lager umher, verspotteten die schwedischen Soldaten, schürten Unfrieden und Zänkereien, so daß sie zuletzt zu einander standen, wie zwei feindliche Armeen, die nur auf den Anlaß zum Losschlagen warteten.

Die Belagerten erwiesen sich auch als bessere Schützen wie die Schweden; ihre Kugeln trafen sicher, während diejenigen der Schweden zu hoch gingen, und über die Veste hinausflogen, auf der anderen Seite niederfallend, oft die eigenen Leute töteten. Die schwedischen Kanoniere erklärten ihren Offizieren, daß sie sich außerstande fühlten, gegen einen solchen Feind zu kämpfen. Eines Tages entstand in der südöstlichen Batterie eine entsetzliche Panik; die Soldaten behaupteten, deutlich zu sehen, wie eine Frauengestalt in himmelblauem Mantel über dem Berge schwebe und mit ihrem Mantel Kloster und Kirche schützend umhülle. Sie warfen sich bei diesem Anblick alle mit dem Gesicht zu Boden. Umsonst erklärte Miller, umsonst die Offiziere, daß es eine Täuschung der Sinne durch Nebelgebilde sei, zuletzt drohte der General mit Strafen und Kriegsgericht, niemand wollte gleich wieder an die Arbeit gehen, niemand gehorchen, besonders da die Soldaten bemerkten, daß Miller selbst seinen Schrecken kaum zu verbergen vermochte. Sie alle waren überzeugt, daß keiner von ihnen eines natürlichen Todes sterben würde.

Zum letzten Mal kam ein Abgeordneter Millers in das Kloster und trat vor den Pater Prior und die Versammlung hin. Es war der Herr Unterkämmerer Sladkowski. Die Schweden hatten ihn aufgegriffen, als er von Preußen in die Heimat reiste. Er wurde streng und kühl empfangen, trotz seines ehrlichen Gesichtes; denn die Väter waren mißtrauisch geworden – auch die Verräter hatten oft ehrlich ausgesehen. Aber Herr Sladkowski ließ sich durch diesen Empfang nicht irre führen; er grüßte freundlich mit dem Gruße: »Gelobt sei Jesus Christus.«

»In Ewigkeit!« antworteten die Versammelten – und Pater Kordezki setzte gleich hinzu: »Gesegnet seien, die ihm zu dienen bereit.«

»Auch ich zähle mich zu seinen Dienern,« sprach der Herr Unterkämmerer, »das soll sich bald zeigen ... nur bitte ... laßt mich, ehrwürdige Väter, erst zu mir kommen. Miller hat mich hergesandt, um euch zur Uebergabe zu bereden ... ich aber bin gekommen, euch zu sagen: ergebt euch nicht, verteidigt euch, denn die Schweden spinnen schon langsam und ihr Glück sinkt täglich mehr!«

Und nun begann Herr Sladkowski einen Bericht über die Zustände im ganzen Reich; er bestätigte zuerst das, was Kuklinowski schon dem Herrn Andreas erzählt hatte. Darauf schilderte er sehr beredt, wie die Schweden das Land verwüsteten, wie die Abtrünnigen die ihnen auferlegten Plagen als gerechte Strafe betrachteten und wie durch das Beispiel der Veste und des Klosters Tschenstochau selbst die verhärtetsten Gemüter aus ihrer Versumpfung aufgerüttelt worden seien. Er schloß mit der nochmaligen Bitte an den Konvent, doch die Verteidigung nicht aufzugeben.

»Haltet euch, geliebte Brüder, denn auf euch beruht jetzt die Rettung der Republik. Ihr werdet noch schwere Tage zu bestehen haben, denn man wird eure Mauern zerschmettern wollen, die Geschütze sind schon unterwegs, aber Herr Tscharniezki, welchem die Schweden wortbrüchig geworden sind, fühlt sich dadurch auch seiner Eide entbunden; er wird zu eurem Entsatz von Schlesien herbeieilen, wenn ihr nur noch eine kurze Zeit vermögt, die Stürme der Feinde auf die Mauern auszuhalten. Wenn es mir gelingt, Miller zu entkommen, will ich zu Sr. Majestät Johann Kasimir eilen und ihm sagen, daß Tschenstochau und die Mutter Gottes seiner Hilfe bedürfen. Rettung – Ehre – Ruhm soll euch werden ... bald! ... bald! ...«

Sladkowski sprach die letzten Worte fast schluchzend, denn seine Rede hatte die Mönche überwältigt. Endlich, ach, endlich eine frohe Botschaft für dieses kleine Häuflein treuer Vaterlandsverteidiger, für sie, die Sladkowski die Hoffnung, den Trost der ganzen Nation genannt. Viele von ihnen sanken einander in die Arme und weinten vor Freude, als gäbe es keine Schweden mehr im Lande. Auch der Pater Prior war aufgestanden und zu Herrn Sladkowski hingetreten; er breitete wortlos seine Arme dem Kündiger der Freudensbotschaft entgegen und beide Männer umarmten sich lange. Dann richtete Pater Kordezki sich auf und forderte die Versammlung feierlich auf, in die Kapelle zu gehen.

Er ging allen voraus. In der Kapelle wurden die Wachskerzen entzündet, das Gnadenbild enthüllt. Dann knieten die Mönche, Herr Sladkowski mit ihnen, vor dem Marienaltar nieder, und der Pater Prior begann nach längerer stiller Sammlung das Gebet:

»Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, heilige Gottesgebärerin ...« Weiter kam er nicht. Die wochenlang standhaft und still getragenen Sorgen, Lasten, Mühen und Entbehrungen lösten sich; er wurde schwach, und der Mann, auf dessen Schultern augenblicklich das Geschick eines ganzen Reiches lastete, fiel auf sein Antlitz und weinte wie ein Kind. Sein Körper bebte in konvulsivischem Schluchzen, während die anderen Brüder, die älteren Väter und die Edelleute, welche sich inzwischen ebenfalls in der Kapelle eingefunden hatten, leise vor sich hinweinten.

Erst viel später verließen die Anwesenden die Kapelle, nur der Pater Prior blieb dort die ganze Nacht zu Kreuze liegend. Man war besorgt, daß er der Anstrengung unterliegen könne, aber er ließ sich nicht davon abhalten, erschien am anderen Morgen wie immer auf den Bastionen, unterhielt sich mit den Soldaten fröhlich und tröstete sie mit den Worten:

»Kinder! Eure Not und Mühsale werden nicht mehr lange währen; mit Hilfe der allerheiligsten Jungfrau werden wir auch die neue Gefahr bewältigen, und dann kommen bessere Zeiten.«

Es war der Festtag der unbefleckten Empfängnis. Einige Offiziere und Soldaten aus den polnischen Regimentern Millers hatten von diesem durch zudringliches Bitten die Erlaubnis ausgewirkt, dem Gottesdienst in der Klosterkirche beizuwohnen. Vielleicht rechnete Miller darauf, daß die Soldaten sich mit der Besatzung in ein Gespräch einlassen und dieselbe durch die Erzählung von der Ankunft der Festungsgeschütze in Schrecken setzen würden. Vielleicht auch wagte er nicht, ihnen die Bitte abzuschlagen, aus Furcht, den Funken der Rebellion, welcher längst im Lager glimmte, hellauflodern zu machen.

Mit diesen Offizieren war ein Tartar in das Kloster gekommen, welcher zur allgemeinen Verwunderung die Mönche anfeuerte, die Veste ja nicht diesem Volke zu übergeben, da die Schweden binnen kurzem die Belagerung mit Schimpf und Schande von selbst würden aufgeben müssen. Auch die Soldaten wiederholten die Aussagen Sladkowskis. Das alles zusammen hob die Stimmung im Kloster und befestigte das Vertrauen und den Mut der Verteidiger.

Während der nächsten zwei Tage arbeiteten die Geschütze auf beiden Seiten immerwährend. Die Ladung der schwedischen bestand zumeist in Schiffstauen, welche stark mit Teer getränkt und in Brand gesetzt, gleich feurigen Schlangen dahergeflogen kamen und auf die Dächer niederfielen. Doch die Feuerwache des Klosters war so gut organisiert, daß sie die Gefahr stets schnell beseitigte.

Dann folgte eine Nacht, so finster, daß trotz der angezündeten Pechtonnen die Belagerten nicht zu sehen vermochten, was in der Nähe der Mauern vorging. Im schwedischen Lager herrschte ein außerordentliches Leben. Man hörte das Knarren von Wagenrädern, ein Geräusch von Menschenstimmen, zuweilen ein Schnaufen von Pferden und andere Laute. Die Soldaten auf den Wällen errieten, was vorging. Die Festungsgeschütze waren angekommen.

Als es endlich Tag geworden war, konnte man vom Kloster aus die nächtliche Arbeit der Schweden sehen. Auf zwei Seiten – im Norden und Süden – ragten mächtige Schanzen, an deren Fertigstellung noch Tausende von Menschenhänden arbeiteten. Sie waren bereits so hoch, daß sie fast die Höhe der Klostermauern erreichten. In den in regelmäßigen Zwischenräumen angebrachten Einschnitten des Schanzenkopfes konnte man deutlich die offenen Schlünde der Riesengeschütze sehen, dicht hinter ihnen die Soldaten, wie ein Haufen gelber Ameisen.

Noch ehe die Frühmesse beendet war, begann die Beschießung. Das, was die Belagerten bisher erlebt, war ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was nun kam. Die kleinen Geschütze verrichteten wie bisher ihre Arbeit, während die sechsundzwanzigpfündigen Geschosse der neu hinzugekommenen die Pfeiler von den Mauern abrissen, in die Mauern und Wände eindrangen oder große Löcher hineinschlugen. Kalk und Mörtel stürzten herab, die Mauern bekamen leichte Sprünge, die Klostergebäude wurden mit Feuer und Brennstoffen überschüttet.

Die Spielleute im Kirchturm fühlten, wie die Mauern desselben zitterten. In der Kirche selbst fielen von der Erschütterung die Bilder von den Wänden, die Lichter von den Leuchtern. Die angerichteten Schäden begannen sich fühlbar zu machen; eine Granate schlug in die Pferdeställe, erschlug drei Pferde und setzte einen Teil derselben in Brand. Die Soldaten arbeiteten mit unentwegtem Mut in Rauch, Feuer und Kugelregen und schossen erbittert auf den Feind, indem sie die Kanonen mit eigenen Händen an jene Stellen rollten, wo die Gefahr am größten war, während Frauen mit aufgelösten Haaren umherrannten, die Löscharbeiten verrichteten und überall da eingriffen, wo Hilfe nötig war. Der Pulverdampf schien alle zur Begeisterung und Kampfeslust zu entflammen, denn man konnte sehen, wie manche der Frauen hinter Granaten herrannten, welche noch im Rollen waren, und dieselben mit einem Eimer Wasser begossen, damit sie nicht zum Platzen kamen. Alles das geschah, wie selbstverständlich, ohne Kommando. Nur die hilflosen Greise und die Kinder sangen in der Kirche die Bittgesänge um Hilfe in der Not.

Gegen Mittag hörte das Feuern plötzlich auf. Man atmete auf. Doch gleich darauf erschien am Hauptthore ein Parlamentär Millers mit der Anfrage: ob sie jetzt im Kloster genug hätten und sofort die Thore öffnen wollten.

Pater Kordezki erteilte selbst die Antwort: »sie würden es sich bis morgen überlegen!« Kaum war die Antwort ins Lager gelangt, als die Beschießung wieder begann. Von Zeit zu Zeit näherten sich größere Abteilungen Fußsoldaten den Mauern, als wollten sie versuchen, zu stürmen; sie zogen sich aber immer mit Hinterlassung einer Anzahl Toter wieder in den Schutz ihrer Batterien zurück.

Miller ließ weniger die Bastionen als die Längsmauern beschießen, so daß dieselben bereits Lücken aufzuweisen hatten, welche jedoch nicht groß genug waren, einer größeren Truppe beim Sturm auf die Mauern Durchlaß zu gewähren.

Plötzlich trat ein Ereignis ein, welches der Beschießung ein Ende machte. Es war gegen Abend. An einem der größeren schwedischen Geschütze stand ein Artillerist mit der brennenden Lunte in der Hand, um dieselbe eben an das Zündloch zu bringen, als eine Kanonenkugel vom Kloster ihn mitten in die Brust traf; doch da dieselbe nicht direkt gekommen, sondern erst einigemal an den herumliegenden Felsenstücken abgeprallt war, so tötete sie ihn nicht, sondern warf den Mann samt der brennenden Lunte auf den wenige Schritte davon stehenden Pulverkasten. Unter schrecklichem Donner flog dieser in die Luft. Nachdem Rauch und Dampf sich verzogen hatten, fand man, daß fünf Artilleristen tot da lagen und die Räder der Kanone zerschmettert waren. Auf dieser Schanze mußte für heute das Schießen eingestellt werden, der dichte Nebel aber, welcher jetzt begann, die Erde in vollkommene Finsternis zu hüllen, machte auch auf den anderen Schanzen das Schießen unmöglich.

Der nächste Tag war ein Sonntag. Miller ließ wieder anfragen, ob die Mönche die Thore öffnen wollten; er erhielt die Antwort: »sie könnten es noch länger aushalten!«

Im Kloster wurden die Schäden besichtigt. Dieselben waren bedeutend. Mehrere Menschen waren getötet worden, außerdem waren die Mauern stark beschädigt. Besonders groß war der Schaden auf der Südseite, wo auf der dortigen Schwedenschanze eine riesengroße Feldschlange aufgestellt war. Ihre Geschosse hatten die Mauer so sehr erschüttert und eine so große Menge Steine und Ziegeln herausgerissen, daß voraussichtlich die Mauer fallen mußte, wenn die Beschießung noch ein paar Tage fortdauerte. Die Bresche mußte dann so groß werden, daß sie mit Holzwerk und Erde nicht mehr auszufüllen war.

Pater Kordezki betrachtete mit sorgenvollen Blicken diese Verwüstung, welcher er nicht Einhalt zu thun imstande war.

Am Montag begann die Attacke von neuem: das Riesengeschütz setzte sein Zerstörungswerk fort. Aber auch die Schweden erlitten verschiedene Unglücksfälle. Ein schwedischer Kanonier hatte in der Dunkelheit versehentlich den Schwestersohn Millers erschlagen, einen hoffnungsvollen jungen Krieger, welcher der Erbe seines Namens, seines Ruhmes und seines Reichtums hatte werden sollen und welchen Miller sehr geliebt hatte. Dafür schwur er den Mönchen um so grimmigere Rache.

Die Südmauer des Klosters hatte an diesem Tage so stark gelitten, daß für die Nacht der Sturm auf dieselbe beschlossen worden war. Um Deckung für die Stürmenden zu gewinnen, ließ der General im Dunkel des Abends eine Reihe kleiner Hügel bauen, bis dicht unter die letzte Steigung des Berges. Aber es war Schnee gefallen; die Arbeiter zeichneten sich auf der weißen Decke deutlich ab. Sie wurden durch die Klosterkanonen vertrieben, zerstreut, so daß sie ihre Windschirme aus Faschinen, Körbe, Bretter und Balken im Stich lassen mußten.

Im Morgengrauen erblickte Herr Tscharniezki eine fertige Sturmleiter, welche man soeben im Begriff stand, gegen die Mauern vorzuschieben. Sie wurde mit Leichtigkeit von den Kanonen zerschmettert, dabei aber so viele Menschen getötet, daß dieser Tag als der Tag des Sieges für das Kloster hatte verzeichnet werden können, wäre nicht jene fürchterliche Feldschlange dort drüben gewesen.

Während der nächsten Tage trat Tauwetter ein; die Nebel wurden so dicht, daß die Mönche begannen, zu verzagen. Man konnte von den Belagerern und ihren Arbeiten nichts wahrnehmen, die Schweden konnten unbemerkt bis dicht unter die Mauern kommen. Am Abend nahm Tscharniezki den Prior, welcher wie immer die Mauern umschritt, bei Seite.

»Es ist schlimm, Vater,« sagte er leise. »Unsere Mauer hält höchstens noch einen Tag.«

»Vielleicht halten die Nebel auch jene dort vom Schießen ab,« antwortete Pater Kordezki. »Wir bessern unterdessen die Schäden aus.«

»Ihnen thut der Nebel nichts; ihre Geschütze sind gerichtet, die können auch nachts ihr Zerstörungswerk verrichten.«

»Unsere Hoffnung beruht auf Gott und der heiligen Jungfrau!«

»Wie wäre es, wenn wir einen Ausfall machten?« sagte Herr Peter. »Wäre es auch nur, um einige Soldaten zu töten.«

Da tauchte eine Gestalt im Dunkel neben ihnen auf; es war Kmiziz.

»Wir sprechen von der Feldschlange, die so viel Schaden anrichtet,« sagte der Pater Prior. »Herr Tscharniezki rät zu einem Ausfall.«

»Auch ich, ehrwürdiger Vater, denke nur an dieses Mordinstrument, seit es dort steht; mir ist ein Gedanke gekommen, aber gehen wir hinein, dort will ich mitteilen, was ich denke.«

»Gut!« sagte der Prior, »kommt in meine Zelle.«

Als sie Platz genommen, blickten der Pater Prior und Tscharniezki dem Herrn Andreas aufmerksam ins Gesicht. Dieser aber sagte:

»Ein Ausfall hätte hier keinen Zweck; er würde von der Schanze her abgeschlagen werden. Hier muß ein Einzelner zum Retter werden.«

»Wie? Ein Einzelner?« frug Herr Tscharniezki. »Wie soll ich das verstehen?«

»Es muß einer dorthin, um das Geschütz zu zersprengen; das kann nur geschehen, wenn der Nebel so dicht ist, wie heute. Wir haben im Kloster ein Paar Waffenröcke, welche denen der Schweden gleichen. Im Notfalle muß er sich in dieser Verkleidung unter die Artilleristen mischen. Wenn aber diesseits der Schanze sich Soldaten nicht befinden, dann um so besser.«

»Das ist unmöglich!« rief Herr Peter aus.

»Man braucht dazu nur eine ordentliche Ladung Pulver, die dem Geschütz von vorn in die Mündung gesteckt und durch einen Schwefelfaden entzündet wird. Wenn das Pulver explodiert, dann holt der Teu..., ich wollte sagen, dann platzt das Geschütz.«

»Aber was du redest, Junge!« sagte Pater Kordezki. »Ich dächte, dieselbe bekommt täglich genug Pulver zu schlucken.«

»Aber, es ist etwas anderes, ob die Ladung von vorn, oder von hinten in den Lauf gesteckt ist. Fragt einmal den Herrn Tscharniezki, ob ich recht habe oder nicht.«

»Es ist so,« bestätigte Herr Tscharniezki. »Das ist für den Soldaten kein Geheimnis.«

»Ist dieses Geschütz zerstört, dann sind die anderen unschädlich!« sagte Kmiziz.

»Es ist aber unmöglich, diese That auszuführen,« meinte der Pater Prior, »denn erstens, wer wollte es wagen?«

»Ein Taugenichts wird es thun,« antwortete Herr Andreas, »ein Taugenichts, der aber sonst ein resoluter Mensch ist; er heißt Babinitsch.«

»Du? Ihr?« riefen wie aus einem Munde der Prior und Herr Peter.

»Wie könnt ihr zweifeln, ehrwürdiger Vater, da ihr doch alle meine Uebelthaten kennt und ich kein Geheimnis vor euch habe. Dieses Unternehmen fordert nicht mehr Mut als jene.«

»Ein Held seid ihr, ein Ritter, so wahr ich Gott liebe!« rief Herr Peter. Dabei faßte er Kmiziz um den Hals und küßte ihn.

»Bedenkt auch, daß ich deutsch sprechen kann, das will viel heißen; denn man würde umsoweniger merken, daß ein Fremder sich ins Lager geschlichen hat, besonders wenn die Verkleidung gelingt. Aber ich denke, daß niemand vor der Mündung der Kanone zu finden sein wird, und ich die Arbeit verrichte, ehe es jemand bemerkt.«

»Was denkt ihr darüber, Herr Tscharniezki?« frug der Prior plötzlich.

»Unter Hunderten würde kaum einer glücklich dabei davonkommen,« antwortete Herr Peter – aber– audaces fortuna juvat!

»Ich habe früher um des schalen Ruhmes willen schlimmere Dinge vollbracht,« bat Kmiziz, »warum sollte ich das jetzt zu Ehren der heiligen Jungfrau nicht thun. Und gälte es wirklich den Tod, sagt selbst, giebt es irgendwo einen ruhmvolleren, als denjenigen im Dienste Gottes?«

Der Pater Prior dachte lange nach.

»Wäre es nur darum, für dich selbst Ruhm und Ehre zu gewinnen, niemals würde ich meine Einwilligung zu einem solchen Wagnis geben,« sprach er endlich langsam. »Es handelt sich aber um viel wichtigere Dinge, ja um Dinge von unschätzbarem Werte, denn es gilt nicht nur die Rettung dieses Heiligtums, sondern die Rettung des ganzen Vaterlandes. Ob du das Werk vollbringst, ohne dabei zu Grunde zu gehen, ob der Tod dich dabei ereilt, immer wird dir die Palme unsterblichen Ruhmes und der ewigen Glückseligkeit bleiben. Ich halte dich nicht zurück, gehe! ... Unser Gebet und Gottes Schutz werden dich begleiten ... Gehe und kehre uns glücklich wieder, du wackerer Soldat, denn wir haben dich sehr lieb gewonnen. Der heilige Rafael möge dich geleiten und wieder bringen, mein lieber Sohn!«

»So will ich gleich meine Vorbereitungen treffen,« sagte Herr Andreas, »ich will mir schnell eine Verkleidung suchen. Der Nebel ist meinem Vorhaben günstig.«

»Möchtest du nicht vorher noch beichten?«

»Wie sollte ich nicht. Ohne das wäre ich nicht fortgegangen.«

»So komme gleich mit.«

Nachdem Herr Andreas das heilige Sakrament empfangen hatte, ging er, sich bereit zu machen.

Eine, bis zwei Stunden später pochte er wieder an die Zelle des Pater Prior, wo auch Tscharniezki noch auf ihn wartete; er war kaum wiederzuerkennen. Sein Schnurrbart war hoch hinauf gedreht und an den Spitzen auseinandergekämmt. Mit dem Schlapphut auf dem Kopfe und dem Kollet um die Schultern konnte man ihn gut für einen schwedischen Reiteroffizier halten.

»Wahrhaftig,« rief Herr Peter. »Man ist versucht, mit dem Säbel dreinzuschlagen!«

»Fort mit dem Licht!« befahl Kmiziz. »Hier seht! diese Ladung soll das Ungeheuer zu schlucken bekommen.« Und er zeigte ihnen einen Sack von etwa einem und einem halben Fuß Länge, von der Dicke eines starken Mannesarmes aus gewachstem Leinen, welcher vollgepfropft mit Schießpulver war und an dessen einem Ende eine mit Schwefel getränkte Zündschnur lang herabhing.

»Womit willst du denn die Zündschnur anzünden,« frug Pater Kordezki.

»Darin liegt eben die größte Gefahr, denn ich muß Feuer schlagen. Ich habe einen guten Feuerstein, einen ausgezeichneten Stahl und trockenen Zünder, aber, es macht doch Geräusch und die Feinde können aufmerksam werden! Die Zündschnur werden sie nicht mehr löschen können; sie werden sie kaum sehen, aber mich werden sie verfolgen, weil ich nicht geradeaus ins Kloster zurück kann. Der Luftdruck bei der Explosion würde mich töten, ich muß erst etwa hundert Schritt seitwärts laufen, mich glatt auf die Erde legen und kann erst nach erfolgter Explosion zurückkommen.«

»O, Gott! so große Gefahren!« rief der Prior, indem er die Augen zum Himmel erhob.

Aber Kmiziz konnte sein Vorhaben in dieser Nacht noch nicht ausführen. Als er mit dem Prior und Tscharniezki an die Pforte kam, durch welche er hinausgehen wollte, hörten sie ein ungewöhnliches Geräusch im Schwedenlager. Sie warteten, bis sie im Morgengrauen sehen konnten, was vor sich ging. Zu ihrem Staunen bemerkten sie, daß die große Feldschlange an einen anderen Ort gebracht worden war. Später erfuhren sie, daß die alte Bettlerin Konstantia, welche täglich furchtlos außerhalb der Klostermauern umherging, einigen spionierenden Schweden erzählt hatte, daß ein Stück weiter nach der südlichen Bastion zu, die Mauer nahe am Einstürzen sei, deshalb wollten sie ihre Geschosse mehr nach jener Stelle richten.

Kmiziz verbrachte den folgenden Tag in größter Unruhe. Erst als es finster zu werden begann, wurde er ruhiger. Spät am Abend trat er wieder als Schwede verkleidet vor Herrn Peter hin.

»Ich gehe jetzt!« sprach er.

»Wartet, ich will erst den Pater Prior benachrichtigen.«

»Gut! Gebt mir einen Kuß, dann geht.«

Herr Tscharniezki küßte ihn herzlich und ging. Als er mit dem Pater Prior wiederkam, war Kmiziz fort.

»Er ist fort!« sagte Pater Kordezki erschrocken und gerührt zugleich. »Heilige Jungfrau bewahre deinen Diener.«

»Mir ahnt, daß es ihm gelingen wird,« versetzte Herr Peter.

Während sich beide noch eine Weile über Herrn Andreas unterhielten, trat Herr Samojski zu ihnen. Als dieser erfuhr, was Herr Andreas zu thun unternommen, schlug er die Hände über dem Kopfe zusammen und schalt, daß ihm die Erlaubnis dazu erteilt worden war; er ließ sich den Plan ganz genau beschreiben, während er immer wieder den Kopf schüttelte.

»Beten wir für ihn,« sprach Herr Samojski.

Und sie knieten nieder, aber die Angst und Unruhe ließ sie zu keiner Andacht kommen. Schweigend verharrten sie so etwa eine Stunde, – eine Ewigkeit für sie.

Da plötzlich! Eine Feuersäule, welche hoch aufsteigt! Eine fürchterliche Detonation folgt, als stürze das Firmament ein.

»Es ist geschehen!« rief Herr Tscharniezki.

»Heilige Mutter! Schutzpatronin! – führe ihn uns zurück!« betete der Prior.

Auf den Mauern wurde es lebendig. Die Besatzung, welche nicht begreifen konnte, was geschehen war, griff zu den Waffen, die Mönche stürzten aus den Zellen, sogar die Frauen kamen herbei. Fragen und Antworten flogen durcheinander. Endlich rief einer der Kanoniere:

»Das große schwedische Geschütz ist zersprengt.«

»O Wunder! O Wunder! Das größte Geschütz? Die Feldschlange? Wo ist der Pater Kordezki?« schrie es durcheinander. »Er ist auf den Mauern. Er betet! Sein Gebet hat das bewirkt,« antworteten andere Stimmen.

»Babinitsch hat die Feldschlange zersprengt!« rief Herr Tscharniezki.

»Babinitsch? Gelobt sei die heilige Jungfrau! Die Feldschlange wird keinen Schaden mehr anrichten!«

Gleichzeitig tönten Schreckensschreie aus dem schwedischen Lager herüber. Aus allen Schanzen blitzten Feuer auf, Trompetensignale erschallten.

Der Pater Prior kniete noch immer im Gebet versunken. Die Nacht verging; sie begann dem Morgengrauen zu weichen, aber Babinitsch kehrte nicht in die Veste zurück.

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