Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2. Kapitel

Zuerst trat tiefe Stille ein. Bald jedoch begann es im Dickicht aus der Ferne zu poltern und zu lärmen, als brächen sich Wildschweine Bahn durch das Gehölz. Je näher aber das Geräusch kam, desto langsamer wurde es, zuletzt hörte dasselbe ganz auf.

»Wie Viele sind ihrer?« frug Kmiziz.

»Es können sechs, höchstens acht sein; ich konnte sie nicht genau zählen« antwortete Soroka.

»Das ist günstig! Dann machen sie uns nichts!«

»Nein! sie werden nichts gegen uns ausrichten, aber es ist notwendig, daß wir einen von ihnen lebendig bekommen und ihn zwingen, uns den Weg zu weisen.«

»Dazu ist noch Zeit. Paß auf.«

Kaum hatte Kmiziz das letzte Wort ausgerufen, als eine schmale, weiße Wolke im Dickicht auftauchte und ein Geräusch entstand, als rauschte eine Vogelschar herbei, die etwa dreißig Schritte von der Hütte entfernt im Grase niederfiel.

»Sie schießen mit Hufnägeln aus Windbüchsen!« sagte Kmiziz. »Sie scheinen Musketen nicht zu haben; dann können sie uns nicht treffen, denn die Windbüchsen tragen nicht bis hierher.«

Soroka stützte die linke Hand, welche die Muskete hielt, auf den Sattelknopf des vor ihm stehenden Pferdes und indem er die rechte in Form einer Trompete an den Mund legte, rief er laut:

»Kommt doch einmal einer hervor, wenn ihr Lust habt einen Purzelbaum zu schießen!«

Es blieb einen Augenblick still, dann rief eine drohende Stimme aus dem Gehölz: »Wer seid ihr denn?«

»Bessere Menschen als Wegelagerer.«

»Mit welchem Rechte seid ihr in unsere Besitzung gedrungen.«

»Ein Räuber will vom Rechte sprechen! Der Henker soll euch das Recht lehren! Geht zum Henker!«

»Wir werden euch ausräuchern wie Dachse.«

»Seht euch vor, daß ihr nicht selbst am Rauche erstickt!«

Die Stimme im Gehölz verstummte. Die Räuber schienen zu beraten, was anzufangen war. Währenddessen flüsterte Soroka Kmiziz zu:

»Wir müssen einen von ihnen hervorlocken und binden; dann haben wir zugleich eine Geisel und einen Führer.«

»Bah!« sagte Kmiziz, »das könnte nur gegen Ehrenwort geschehen.«

»Bei Räubern braucht man es mit dem Ehrenwort nicht genau zu nehmen.«

»Noch besser ist es, dasselbe gar nicht zu geben!« meinte Kmiziz. Da erscholl aufs neue aus dem Walde die Frage:

»Was wollt ihr hier?«

Jetzt ergriff Kmiziz das Wort:

»Wir würden fortgehen, wie wir gekommen sind, wenn ihr Artigkeit zu üben verständet und eure Büchsen in Ruhe ließet.«

»Ihr könnt euch ohnedies nicht bei uns einquartieren, denn gegen Abend kommen an die Hundert Pferde hier an.«

»Und noch vor dem Abend werden zweihundert Dragoner hier sein. Sie fürchten die Sümpfe nicht, denn sie haben Führer, die den Weg genau kennen, so wie wir.«

»Seid ihr Soldaten?«

»Selbstverständlich! Nicht Räuber, wie ihr.«

»Von welcher Fahne?«

»Bist du der Hetman, daß du Rechenschaft verlangst? Dir brauchen wir nicht Rede zu stehen.«

»Noch einmal warne ich euch in Güte. Ihr werdet hier ein Fraß der Wölfe.«

»Und ihr eine Speise der Raben.«

»Redet, was wollt ihr? Wozu seid ihr in unsere Hütte gedrungen, bei allen Teufeln!«

»Kommt doch endlich einer hervor; es soll ihm nichts geschehen. Näher! näher!«

»Auf Ehrenwort?«

»Das Ehrenwort gilt für Ritter, nicht für Raubgesindel. Wollt ihr uns trauen, gut; wenn nicht, auch gut!«

»Dürfen wir zu zweien kommen?«

»Gut! ihr dürft.«

Gleich darauf traten aus dem etwa hundert Schritt entfernten Gehölz zwei große, breitschultrige Männer hervor. Der eine von ihnen hatte eine etwas gebeugte Haltung; er schien nicht mehr jung zu sein, während der andere gerade, aufrecht ging und neugierig den Kopf vorstreckte. Beide trugen kurze, mit grauem Tuch bezogene Pelzröcke, wie sie der Kleinadel zu tragen pflegte, hohe kalblederne Stiefeln und tief in die Augen gedrückte Pelzmützen.

»Was zum Teufel!« murmelte Kmiziz, während er die Männer aufmerksam betrachtete.

»Herr Hauptmann,« rief Soroka. »Es sollte mich Wunder nehmen, wenn das nicht Leute von den Unsrigen sind.«

Jene waren ein paar Schritte näher gekommen, doch konnten sie die vor der Hütte stehenden Männer nicht erkennen, da dieselben von den Pferden verdeckt waren.

Plötzlich trat Kmiziz vor. Doch auch jetzt konnten die Daherkommenden ihn nicht erkennen, weil sein Gesicht verbunden war. Sie blieben aber stehen und maßen ihn mit unruhigen und neugierigen Blicken.

»Wo habt ihr euren zweiten Sohn, Herr Kiemlitsch?« frug Herr Andreas. »Er ist doch nicht etwa gefallen?«

»Wer ist das? Was? Wie? Wer spricht?« sprach der Alte mit seltsam erschreckt klingender Stimme, während er regungslos mit offenem Munde und weit aufgerissenen Augen stehen blieb.

Da riß der Jüngere, welcher besser sehen mochte, plötzlich seine Mütze vom Kopfe.

»Um Gotteswillen! Jesus! Vater! Das ist der Herr Hauptmann! Das ist Herr Kmiziz!« schrie er.

»Jesus! Süßer Jesus!« stimmte nun der Alte ein, »es ist Herr Kmiziz.«

Sie blieben beide in der regungslos unterwürfigen Stellung stehen, welche Untergeordnete ihren Vorgesetzten gegenüber einzunehmen pflegen. In ihren Gesichtern malte sich gleichzeitig Verwunderung und Schrecken.

»Ha! ihr Vagabunden!« sagte Kmiziz, indem er zu lächeln versuchte, »ihr begrüßt mich also mit Windbüchsen?«

Da kam Leben in den Alten, und während er auf Herrn Andreas zuschritt, schrie er aus vollem Halse:

»Kommt herbei! Alle herbei!«

Im Dickicht begann es sich zu regen; es erschienen noch einige Männer auf der Lichtung, unter welchen sich auch der zweite Sohn des Alten und der davongelaufene Köhler befand. Sie kamen alle im Eilschritt, mit der schußbereiten Waffe in den Händen, da sie nicht wußten, was geschehen war; aber der Alte schrie schon wieder:

»Zu Füßen, ihr Schelme, zu Füßen! Hier ist Herr Kmiziz! Welcher Schafskopf hat denn vorhin geschossen? Her mit ihm!«

»Das waret ihr selbst, Vater!« sagte der junge Kiemlitsch.

»Du lügst! Du lügst, Schuft! Herr Hauptmann, wer konnte auch ahnen, daß Ew. Liebden in unsere Besitzung kommen würden! Wahrhaftig, ich traue meinen Augen kaum, noch jetzt.«

»Ich bin es, in eigener Person!« sagte Kmiziz und streckte ihm die Hand hin.

»O Jesus!« entgegnete der Alte. »Solch ein Gast im Walde. Ich traue noch immer nicht! Mit was sollen wir Ew. Liebden hier aufwarten? Hätten wir das nur geahnt.«

Hier wandte er sich zu den Söhnen:

»Fort mit einem von euch, ihr Hammel! Lauf in die Grube, hole Met!«

»So gebt mir den Schlüssel zum Vorlegeschloß!« sagte einer der Söhne.

Der Alte begann im Gurt nach dem Schlüssel zu suchen; dabei schielte er mißtrauisch zu dem Sohne hinüber.

»Den Schlüssel zum Vorlegeschloß? Nicht möglich! Man kennt dich Zigeuner. Du willst selbst mehr trinken, als hierher bringen. Wie? Ich werde selbst gehen. Geht ihr die Stämme fortwälzen, ich werde aufschließen und den Met selbst holen.«

»Wie ich höre, so habt ihr unter jenen Stämmen ein Kellerloch versteckt, Herr Kiemlitsch?«

»Könnte man denn sonst vor diesen Räubern etwas erhalten?« antwortete der Alte, indem er auf die Söhne wies. »Die würden mich selbst mit aufzehren. Seid ihr noch hier? Fort, wälzt die Stämme weg. Gehorcht ihr so eurem Erzeuger?«

Die Jungen sprangen hurtig davon und verschwanden hinter der Hütte, zwischen gefällten Stämmen.

»Wie ich sehe, lebt ihr noch immer mit den Söhnen im Unfrieden,« sagte Kmiziz.

»Wer wäre imstande, mit ihnen Frieden zu halten? Sie verstehen sich zu schlagen, Beute zu machen; wenn es aber gilt, mir meinen Anteil zu sichern, dann muß ich ihnen denselben fast aus dem Halse reißen ... Solche Freude erlebe ich an diesen Riesen! Ich bitte Ew. Liebden in die Hütte; es ist frostig. Bei Gott! ein solcher Gast, ein solcher Gast! Wir haben unter eurem Kommando mehr Beute gemacht, als dieses ganze Jahr hindurch ... es ist ein mageres Jahr! Die Zeiten werden immer schlechter und das Alter macht keine Freude. Ich bitte einzutreten! Sei Ew. Liebden meine Schwelle nicht zu gering! Mein Gott! wer hätte das gedacht! ...«

Der alte Kiemlitsch sprach das alles auffallend hastig und mit weinerlicher Stimme. Seine Blicke flogen unruhig umher. Er war ein riesengroßer knochiger Greis mit einem immerwährend verzerrten Gesicht. Seine Augen waren, wie die seiner Söhne, schief geschlitzt, buschige Brauen beschatteten dieselben und unter dem ebenso buschigen Schnurrbart ragte die Unterlippe so weit hervor, daß sie, wenn er sprach, bis unter die Nase kam, wie bei Menschen, welche keine Zähne mehr haben. Dieses verschrumpfte Gesicht bildete einen seltsam schroffen Gegensatz zu der kernigen frischen Gestalt des Alten, welche noch eine ungewöhnliche Rüstigkeit zeigte. Seine Bewegungen waren schnell, besonders drehte er den Kopf immerwährend nach allen Seiten hin, ihm entging nichts, was um ihn her geschah oder sich befand. Seine Unterwürfigkeit gegen Kmiziz steigerte sich in dem Maße, wie die gewohnte Ergebenheit gegen den früheren Vorgesetzten, Furcht, Bewunderung oder Zuneigung sie ihm diktierten.

Kmiziz kannte die Kiemlitsche genau, denn der Vater hatte mit beiden Söhnen im Feldzuge gegen Chowanski unter ihm gedient. Sie waren tapfere Soldaten, aber ebenso grausam als tapfer. Der Sohn Kosmus hatte eine Zeitlang sogar die Fahne in Kmiziz's Kompagnie getragen, aber er hatte dieser ehrenvollen Stellung bald wieder entsagt, denn sie hinderte ihn, Beute zu machen. Die Kiemlitsche zeichneten sich schon damals vor allen anderen durch eine große Habgier aus. Sie verstanden immer reiche Beute zu machen und dieselbe in den Wäldern zu bergen. Besonders hatten sie es von jeher auf Pferde abgesehen. Der Vater schlug sich ebenso tapfer wie die Söhne, aber nach jeder Schlacht beanspruchte er den Löwenanteil der Beute für sich, daher hörten die Streitigkeiten zwischen ihnen fast nie auf. Trotzdem ließ einer auf den anderen nichts kommen; sie verteidigten einander gegen Fremde bis aufs Blut. Die Waffengefährten fürchteten sie, denn sie konnten bei vorkommenden Streitigkeiten schrecklich werden, und selbst die Offiziere vermieden, ihnen in den Weg zu kommen. Kmiziz allein hatte vermocht, ihnen unbeschreibliche Angst einzuflößen und nach ihm Ranizki, vor dem sie zitterten, sobald das Gesicht des Offiziers sich mit roten Flecken zu bedecken begann. Jedenfalls ehrten die Kiemlitsche sowohl in Kmiziz wie in Ranizki auch die hohe Geburt, wodurch sich die beiden Offiziere ebenfalls auszeichneten.

In der Kompagnie hielt man die Kiemlitsche für sehr reich, obgleich niemand recht wußte, ob sie wirklich so große Schätze besaßen. Eines Tages hatte Kmiziz sie mit einem Transport Beutepferde weggeschickt, – von diesem Tage an, waren sie verschwunden. Kmiziz glaubte dazumal, daß sie umgekommen seien, die Soldaten waren anderer Ansicht; diese hatten sie im Verdacht, daß die Versuchung für sie zu groß gewesen und sie die Pferde für sich behalten hatten. Als nun Kmiziz die dreie hier gesund wiedersah, im Schuppen drüben eine Anzahl Pferde gewahrte und neben der Unterwürfigkeit des Alten auch die Unruhe bemerkte, die sich von Minute zu Minute steigerte, mußte er unwillkürlich denken, daß die Soldaten richtig kalkuliert hatten.

Nachdem Herr Andreas mit dem Alten in die Hütte eingetreten war, setzte er sich auf das eine der Lager, stemmte die Arme in die Seiten, und den Alten scharf ansehend, frug er:

»Kiemlitsch! wo sind meine Pferde geblieben?«

»O Jesus! süßer Jesus!« stöhnte der Alte. »Die haben uns die Leute des Soltarenka abgenommen. Sie haben uns geschlagen, mißhandelt, an die sechzehn Meilen weit fortgeschleppt; wir haben kaum das nackte Leben gerettet. Heilige Mutter! Wir konnten weder Ew. Liebden noch die Partei wiederfinden. Bis hierher in die Wälder haben sie uns geschleppt, in diese Einöde, diese Sümpfe ... Gott sei Dank, daß Ew. Liebden wenigstens leben und gesund sind, wenn auch verwundet, wie ich sehe. Vielleicht kann ich die Wunde etwas mit heilsamen Kräutern kühlen ... Ach, und meine Söhne sind, wie es scheint, zwischen den Stämmen verschwunden. Was mögen die Schelme so lange dort thun? Sie haben gewiß die Thür ausgehoben und trinken Met. Hunger und Elend hat man hier, sonst nichts! Wir leben von Pilzen, aber für Ew. Liebden wird sich schon ein Trunk finden und etwas zu beißen ... Die Pferde haben sie uns abgenommen ... Da ist nichts mehr zu sagen! ... Und uns haben sie um den Dienst bei Ew. Liebden gebracht, nicht einmal eine Versorgung für das Alter ist mir geblieben, es sei denn, Ew. Liebden nehmen uns wieder in Dienst.«

»Das könnte wohl geschehen,« antwortete Kmiziz.

In diesem Augenblick kehrten Kosmus und Damian, die Zwillingssöhne des Alten, zurück. Sie waren hochgewachsene ungeschlachte Menschen mit übergroßen, ganz mit dichtem borstenähnlichem Haar bewachsenen Köpfen, welches in ungleichen steifen Strähnen ihnen über die Ohren stand und auf dem Wirbel sich in die Höhe sträubte. Sie blieben an der Thüre stehen, da sie in Gegenwart des Herrn Kmiziz sich nicht zu setzen wagten, und Damian meldete: »Die Grube ist frei.«

»Gut!« sagte der Alte. »Ich will jetzt den Met holen.«

Er sah im Hinausgehen die Söhne scharf an.

»Jene Pferde haben die Leute Soltarenkas uns geraubt, versteht ihr!« raunte er ihnen zu und ging hinaus.

Herr Andreas betrachtete die beiden Schleulose, die an den Thürpfosten standen wie mit der Holzaxt zugehauen. Plötzlich frug er:

»Was thut ihr jetzt?«

»Wir stehlen Pferde!« antworteten beide gleichzeitig.

»Wem?«

»Wen es trifft.«

»Und wem am meisten?«

»Dem Soltarenka.«

»Das schadet nicht! Feinde darf man bestehlen, aber wenn ihr eure Landsleute bestehlt, dann seid ihr Lumpen und Spitzbuben, keine Adlige. Was macht ihr mit den Pferden?«

»Der Vater verkauft sie nach Preußen.«

»Habt ihr schon versucht, den Schweden welche abzunehmen? Es müssen doch hier unweit schwedische Kommandos liegen, habt ihr die schon beschlichen?«

»Ja, das haben wir.«

»Da habt ihr also einzelne überfallen oder kleinere Haufen? Wenn sie sich nun wehrten, was habt ihr da gemacht?«

»Wir haben ihnen die Köpfe gewaschen.«

»Aha! Auf diese Weise haben die Soltarenkaschen und die Schweden eine Abrechnung mit euch, und ihr würdet schlecht wegkommen, wenn sie euch in ihre Gewalt bekommen.«

Kosmus und Damian verstummten.

»Ihr treibt ein gefährliches, und mehr eines Raubgesindels als einer adligen Familie würdiges Handwerk ... Jedenfalls werden auch noch verschiedene Rechtssprüche auf euch lasten, die aus früherer Zeit stammen?«

»Wie könnte das anders sein!« antworteten die Brüder.

»Das dachte ich mir. Aus welcher Gegend seid ihr?«

»Aus der hiesigen.«

»Wo wohnte der Vater früher?«

»In Borowitschko.«

»Gehörte das Dorf ihm?«

»Ihm und dem Herrn Kopystinski zusammen.«

»Was ist mit jenem geschehen?«

»Wir haben ihn erschlagen.«

»Und ihr mußtet deshalb vor dem Gesetze von dort fliehen, ist es nicht so? O, es steht schlimm um euch, ihr Kiemlitsche; ihr werdet euer Leben an Baumästen vollenden und der Henker wird euch dazu leuchten!«

Da knarrte die Thür; der Alte kam zurück. Er trug eine dickbauchige Flasche voll Met und zwei Gläser. Während er eintrat, blickte er unsicher bald auf seine Söhne, bald auf Kmiziz, dann sagte er: »Geht, verlegt die Grube wieder.«

Die Zwillinge eilten fort. Kiemlitsch goß von dem Met in das eine Glas, das andere stellte er leer beiseite; er wollte erst abwarten, ob Kmiziz ihm mitzutrinken erlauben würde.

Aber Kmiziz konnte selbst nicht trinken, ja er konnte nur sehr mühsam sprechen, so schmerzte ihm die Wunde. Als der Alte das sah, sagte er:

»Die Wunde mag den Met nicht leiden. Wir müssen sie zwingen, indem wir sie mit dem Met ausbrennen. Wenn Ew. Liebden erlauben, möchte ich die Wunde ansehen und verbinden; ich verstehe es ebensogut, wie jeder Feldscherer.«

Kmiziz war einverstanden, und nachdem Kiemlitsch den Verband gelöst, betrachtete er die Wunde genau.

»Die Haut ist heruntergerissen! Die Kugel hat die Wange nur gestreift, sie ist aber sehr angeschwollen.«

»Darum schmerzt es auch so.«

»Aber, es kann kaum zwei Tage her sein, daß ihr sie bekamt. Heilige Mutter! Es muß jemand in allernächster Nähe auf Ew. Liebden geschossen haben.«

»Woran erkennt ihr das?«

»Das Pulver hat nicht vermocht, zwischen Lauf und Wange zu verbrennen: die Körnchen sitzen noch ganz unter der Haut. Das werden Ew. Liebden für immer behalten. Für jetzt wollen wir Brotteig mit Spinnweben auflegen. Furchtbar nahe ist der Schuß gefallen – ein Wunder, daß Ew. Liebden nicht sofort getötet wurden.«

»Der Tod war mir noch nicht bestimmt. Bereitet den Teig schnell, Herr Kiemlitsch, und verbindet mich so bald als möglich; ich habe mit euch zu reden, und die Kinnlade schmerzt furchtbar.«

Der Alte sah den Hauptmann mißtrauisch an; er fürchtete, die Unterhaltung würde wieder auf die Pferde zurückkommen, welche angeblich von den Kosaken weggenommen worden waren. Trotzdem beeilte er sich, den Brotteig zu bereiten, und da es in der Hütte an Spinnweben nicht mangelte, so war der Verband bald hergestellt.

»Jetzt ist mir wohl,« sagte Herr Andreas. »Setzt euch, Herr Kiemlitsch.«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann!« versetzte der Alte, indem er sich nur leicht auf den Rand der Bank setzte und seinen struppigen Kopf vorstreckte.

Anstatt aber zu sprechen oder zu fragen, stützte Herr Andreas seinen Kopf aus die Handflächen und versank in tiefes Sinnen. Dann stand er auf, um hin und her zu gehen; zuweilen blieb er vor Kiemlitsch stehen und sah den Alten zerstreut an. Er überlegte und sann augenscheinlich über etwas nach. Das währte wohl eine halbe Stunde. – Der Alte wurde immer unruhiger.

Endlich begann Kmiziz.

»Herr Kiemlitsch,« sprach er, »wo stehen hier die nächsten Fahnen, welche sich gegen den Fürst-Wojewoden aufgelehnt haben?«

Der Alte blinzelte mißtrauisch mit den Augen.

»Wollen Ew. Liebden hin zu ihnen?«

»Ich bitte, nicht zu fragen, sondern zu antworten.«

»Man sagt, daß in Schtschutschin eine Fahne im Quartier liegt, diejenige, welche zuletzt nach Smudz hier durchkam.«

»Wer sagt das?«

»Die Leute von der Fahne selbst.«

»Wer ist ihr Führer?«

»Herr Wolodyjowski.«

»Das ist gut. Ruft mir den Soroka.«

Der Alte entfernte sich und kehrte bald mit dem Wachtmeister zurück.

»Haben sich die Briefe wiedergefunden?« frug Kmiziz.

»Nein, Herr Hauptmann,« antwortete Soroka.

Kmiziz schnalzte mit den Fingern.

»O weh! O weh! Du kannst gehen, Soroka. Für die verlorenen Briefe habt ihr alle den Strang verdient. Du kannst gehen. Habt ihr etwas hier, womit man schreiben kann, Herr Kiemlitsch?«

»Es wird sich kaum etwas finden,« antwortete der Alte.

»Seien es auch nur zwei Fetzen Papier und eine Feder.«

Der Alte verschwand in der Kammer, welche wahrscheinlich eine Niederlage für alles war und kramte lange in den Sachen herum. Unterdessen ging Kmiziz in der Stube umher und hielt Selbstgespräche.

»Ob die Briefe da sind oder nicht, der Hetman weiß nicht, daß sie verloren sind; er wird ihre Publikation fürchten. Ich habe ihn doch in der Hand ... List gegen List! Ich will ihm drohen, sie dem Wojewoden von Witebsk zu schicken. So soll es sein! Ich hoffe zu Gott, daß ich ihn damit schrecke.«

Weitere Grübeleien unterbrach der alte Kiemlitsch, welcher aus der Kammer trat und sagte:

»Ich habe drei leere Blätter gefunden, aber Tinte und Feder sind nicht da.«

»Keine Federn? Giebt es denn hier herum keine Vögel? Schießt doch irgend einen.«

»Wir haben einen toten Aar am Schuppen angeschlagen.«

»Dann bringt mir einen Flügel von ihm, schnell!«

Der Befehl klang kurz und herrisch. Darum rannte Kiemlitsch, was er laufen konnte davon und kehrte ebenso schnell mit dem Flügel zurück, aus welchem Kiemlitsch hastig eine der Flugfedern riß und mit seinem Taschendolch anschnitt.

»Es wird gehen!« sagte er, sie gegen das Licht haltend. »Aber es ist leichter, Menschen zu köpfen, als Federn anzuschneiden! Nun handelt es sich nur noch um Tinte.«

Bei diesen Worten krempelte er den Rockärmel in die Höhe, stach sich kräftig in den Arm und tauchte die Feder in das Blut.

»Macht, daß ihr fortkommt, Herr Kiemlitsch, laßt mich ungestört.«

Der Alte ging hinaus und Herr Andreas begann sogleich zu schreiben:

»Ich kündige Ew. Durchlaucht den Dienst, weil ich nicht länger bei Verrätern und Abtrünnigen dienen will. Wenn ich auch auf das Kruzifix geschworen habe, Ew. Durchlaucht nicht zu verlassen, so wird Gott mir diesen Treubruch verzeihen und wenn nicht, dann will ich für diese meine Sünde lieber Höllenqualen dulden, als wissentlich an König und Vaterland Verrat üben. Ew. Durchlaucht haben mich hinters Licht geführt; ich war ein blindes Werkzeug in Ew. Durchlaucht Händen, als ich Bruderblut vergoß. Darum fordere ich Ew. Durchlaucht vor Gottes Richterstuhl, damit dort entschieden werde, wer von uns beiden der Verräter, wer der Verratene ist. Sollten wir uns wieder begegnen, dann werde ich armseliger Edelmann, der nichts besitzt, als das Schwert in der Hand, den mächtigen Magnaten, in dessen Gewalt es liegt, nicht nur einem Privatmanne, sondern der ganzen großen Republik den Todesstoß zu versetzen, angreifen und ihn verfolgen, zu welchem Werke mir meine große Reue und mein Kummer die Kraft verleihen werden. Und Ew. Durchlaucht ist bekannt, daß ich nicht zu denen gehöre, welche durchaus befestigte Schlösser, Kanonen und Leibfahnen haben müssen, um jemandem zu schaden. So lange ich atme, wird meine Rache euch bedrohen; ihr werdet weder Tag noch Nacht sicher davor sein, so wahr, als ich diese Zeilen mit meinem eigenen Blute schreibe. Ich besitze die Briefe Ew. Durchlaucht, welche euch nicht nur beim Könige von Polen, sondern auch bei dem Könige von Schweden in Mißkredit bringen müssen, da aus ihnen nicht allein der Verrat an der Republik offenbar wird, sondern auch an den Schweden, sobald ihr Kriegsglück schwinden sollte. Und wäret ihr doppelt so mächtig als ihr seid, in meiner Hand liegt es, euch zu vernichten, denn Ew. Durchlaucht Unterschrift und Wappensiegel sind bekannt. Ich erkläre also Ew. Durchlaucht, daß, sofern den Personen, welche ich liebe, ein Haar auf dem Haupte gekrümmt wird, ich jene Briefe und Dokumente dem Herrn Sapieha einsenden, ihre Kopien aber im ganzen Lande bekannt machen werde. Ew. Durchlaucht bleibt die Wahl. Entweder gebt ihr mir, sobald der Friede eintritt, die Billewitsche gegen Aushändigung der Briefe heraus, oder ich sende – sobald ich das mindeste Schlimme höre – die Dokumente an Herrn Sapieha, welcher dieselben sofort an Pontus geben wird. Ew. Durchlaucht gelüstet nach einer Krone. Habt Acht, daß das Haupt, welches sie tragen soll, nicht unter dem polnischen oder schwedischen Henkerbeile fällt. Ich denke, es ist besser auf den Austausch einzugehen, denn, wenn ich meiner Rache auch dann nicht zu entsagen gedenke, so wird dieselbe doch nicht mehr einen öffentlichen, sondern einen privaten Charakter tragen.

Kmiziz.«

» P.S. Die Konföderierten werden nicht vergiftet werden, denn es werden sich solche finden, die sie vor den Wein- und Biertonnen in Sabludowo und Orla warnen werden.«

Hier schloß Herr Andreas und begann wieder auf und ab zu gehen. Sein Gesicht glühte vor Aufregung. Er fühlte sich stark, denn er, der Verachtete, der Ausgestoßene, hatte seine Seele frei gemacht durch diesen Brief, welcher die Kriegserklärung gegen die beiden Radziwills enthielt. Ja, Krieg wollte er führen gegen sie, auf welche Weise – das wußte er noch nicht; er glaubte nur an das Rechtmäßige und Gerechte seiner Handlung und hoffte deswegen auf den Beistand Gottes. Das erfüllte ihn mit Vertrauen ohne Grenzen. Die Seele wurde ihm leicht, sie eilte in diesem Augenblick auf leichten Schwingen ihm voraus auf das Feld der Ehre, des Ruhmes und zu Olenka.

»Es wird, es kann ihr nichts Böses geschehen,« redete er sich immer wieder vor, »die Briefe werden ihr Schutzgeist sein. Der Hetman wird sie halten wie seinen Augapfel. Das war ein guter Einfall, den ich armseliger Wurm hatte.«

Plötzlich fiel ihm noch etwas ein.

»Wie wäre es, wenn auch ich ihr schreiben möchte? Der Bote, welcher den Brief an den Hetman bringt, kann ihr heimlich das Blatt zustecken. Ich möchte ihr doch sagen, daß ich das Band, welches mich mit den Radziwills verknüpfte, zerrissen habe und einen anderen Dienst antreten will.«

Der Gedanke schien ihm gut. Schon hatte er den Arm von neuem eingeritzt, die Feder eingetaucht und zu schreiben begonnen: »Olenka, ich gehöre nicht mehr zu ihnen, ich habe endlich eingesehen ...« da unterbrach er sich plötzlich – dachte einen Augenblick nach, dann sagte er sich:

»Mögen Thaten, nicht Worte, Zeugnis für mich ablegen; ich werde nicht schreiben!«

Er zerriß die Karte.

Dafür schrieb er einen kurzen Brief an Wolodyjowski, welcher folgenden Wortlaut hatte:

»Herr Hauptmann! Der unterzeichnete Freund warnt hiermit Euch und alle anderen Hauptleute. Es sind Briefe des Hetman an den Fürsten Boguslaw und Herrn Harasimowitsch bekannt geworden, welche Befehle einhalten, Euch Hauptleute zu vergiften und die Soldaten durch die Bauern in den Quartieren ermorden zu lassen. Harasimowitsch ist abwesend; er ist mit dem Fürsten Boguslaw nach Tilsit in Preußen gezogen, aber es können ebensolche Befehle an andere Oekonomen des Fürsten ergangen sein. Seid also auf Eurer Hut, nehmt nicht Speise noch Trank von ihnen und stellt nachts Wachen aus. Ich weiß auch bestimmt, daß der Hetman in kurzem mit einer großen Heeresmacht gegen Euch ausrücken wird; er wartet nur noch auf die anderthalbtausend Mann, welche der General de la Gardie ihm schicken soll. Seht Euch also vor, daß er Euch nicht überrumpelt und schickt einen sicheren Eilboten an den Herrn Wojewoden von Witebsk mit der Bitte, sobald als möglich zu euch zu stoßen und das Kommando über Euch allesamt zu übernehmen. Das rät Euch einer, der Euch wohl will; Ihr dürft ihm glauben! Unterdessen haltet Euch zusammen, legt die Quartiere niemals weit auseinander, damit immer eine Fahne der anderen sogleich beispringen kann, wenn Gefahr naht. Der Hetman hat wenig berittene Soldaten, nur etliche Dragoner und die Leute des Kmiziz, welche nicht einmal zuverlässig sind. Kmiziz selbst ist nicht mehr bei ihm; der Fürst hat ihn mit einer Botschaft fortgeschickt, weil er ihm nicht mehr traut. Er ist auch kein so schlechter Mensch, wie man von ihm sagt, nur ein Betrogener, Irregeleiteter. Ich empfehle Euch dem Schutze Gottes!

Babinitsch.«

Herr Andreas wollte nicht seinen wirklichen Namen unter den Brief setzen, denn er dachte, daß derselbe in Jedem Abscheu und Mißtrauen erregen müsse. Von einem Fremden, Namens Babinitsch, war eine Warnung denen, welchen sie galt, jedenfalls weniger verdächtig, als wenn sie wußten, daß sie von Kmiziz kam, dem mißzutrauen sie allen Grund hatten.

Er nannte sich Babinitsch nach dem Städtchen Babinitsche, welches unfern von Orscha gelegen, seit Urväterzeiten dem Geschlecht der Kmiziz gehörte.

Nachdem er diesen Brief beendet, wurde er von neuem freudig gestimmt. Er leistete mit diesem Briefe nicht nur Herrn Wolodyjowski und allen Hauptleuten, welche sich sogleich vom Dienste Radziwills losgesagt hatten, den ersten kleinen Dienst, sondern zugleich indirekt dem Vaterlande. Der Faden, welcher ihn wieder zurückführen sollte, war angeknüpft und eine innere Stimme sagte ihm, daß er ihn weiterführen würde, hinaus aus den Irrsalen seines Lebens. Auch, daß er ein paar schüchterne Worte zu seiner Verteidigung hinzufügen durfte, war ihm ein unsäglich wohlthuendes Gefühl.

Doch nun, nachdem er allem menschlichen Ermessen nach das Geschick Olenkas gesichert zu haben glaubte, wo er die Konföderierten gewarnt hatte, trat die Frage, was er selbst beginnen solle, wieder dringend in den Vordergrund.

Die Brücken waren hinter ihm abgebrochen; er wollte ein neues Leben beginnen, seine Kraft, Gesundheit, sein Leben dem Vaterlande zum Opfer bringen. Aber wie und wo damit beginnen?

Sollte er zu den Konföderierten gehen, sie um Aufnahme bitten? Doch wie? wenn sie ihn zurückwiesen, als Verräter strangulierten, oder was noch schlimmer war, mit Schimpf und Schande davonjagten?

»O, lieber sterben – als das!« rief Herr Andreas aus. – Ach, wie viel leichter war es doch, Olenka zu behüten, die Konföderierten zu retten, als die eigene Ehre.

Jetzt erst bemächtigte sich seiner die Verzweiflung mit Allgewalt. Aber die heldenmütige Seele wollte sich ihr nicht beugen.

»Kann ich denn nicht wie früher eine eigene Partei um mich sammeln,« dachte er bei sich. »Das wäre mir nichts neues und niemand sollte mich unterkriegen, niemand mir widerstehen können. Dann würde eine Zeit kommen, wo, wie einstmals Litauen, die ganze Republik fragen müßte: »wer ist der Held, der es gewagt, dem Löwen in den Rachen zu kriechen, wo ist er?« Und ich könnte dann hintreten vor sie und sagen: »Sehet, das bin ich, Kmiziz!«

Eine schier unbezwingliche Lust packte ihn, den Gedanken sofort zur That zu machen. Schon stürmte er der Thüre zu, um dem Kiemlitsch zu befehlen, die Pferde zu besteigen und samt seinen Söhnen und seinem Gesinde ihm zu folgen.

Da, – schon an der Schwelle, stieß ihn etwas zurück. Mitten in der Stube fand er sich wieder und die innere Stimme frug deutlich für ihn vernehmbar:

»Was willst du thun? Kannst du damit alte Schulden tilgen?«

Und er begann ernsthafte Zwiesprache mit seinem Gewissen zu halten.

»Wo bleibt die Buße für die Sünden?« frug es. »Dazu bedarf es anderer Thaten!«

»Aber welcher?« frug Kmiziz.

»Womit könntest du besser büßen, als mit einer unendlich schweren, edlen That, die rein ist von aller Selbstsucht, wie die Thräne eines Kindes ... Was aber hast du vor? Einen Haufen Raubgesindel möchtest du um dich sammeln, wie das tobende Wetter mit ihm durch die Felder und Steppen jagen? Und das alles nur darum, weil deine Seele nach Menschenblut lechzt, wie der Hund nach dem Braten ... Das wäre ein Vergnügen, eine Freude für dich selbst, nicht aber ein Opfer, dem Vaterlande gebracht. Wie war es denn, als du den Chowanski beschlichst? Die Vagabunden, welche seine Leute mordeten und ausraubten, thaten bei erster Gelegenheit das Gleiche mit ihren Landsleuten – das vergossene Bruderblut schrie um Rache zum Himmel. Würde es jetzt anders sein? O, du elender Wicht! Du willst nur der Buße und ehrlicher Arbeit aus dem Wege gehen!«

So sprach das Gewissen. Und Herr Kmiziz fühlte, daß es die Wahrheit sprach. Ein Gemisch von Reue und Wut packte ihn.

»Was soll ich thun, was beginnen? Wer rät mir, wer rettet mich!«

Die Kniee schwankten unter ihm. Unwillkürlich beugte er sie, bis er plötzlich vor seinem Lager kniete und mit voller Inbrunst laut zu beten begann:

»Lieber Herr, Jesu Christe!« sprach er. »Erbarme dich meiner, wie du dich des armen Schächers am Kreuze erbarmt hast. Ich will mich von meinen Sünden rein waschen, will ein neues Leben beginnen und dem Vaterlande treu dienen. Erleuchte mich, rette mich, denn um mich und in mir ist Finsternis. Laß mich deine Barmherzigkeit erkennen und weise mir den rechten Weg, damit ich nicht verloren gehe!«

Seine Stimme versagte hier. Herr Andreas schlug sich dreimal an die Brust, daß es in der Stube widerhallte. »Gott sei mir Sünder barmherzig!« sprach er eben so vielmal mit zitternder Stimme. Dann streckte er die gefalteten Hände nach oben aus und betete weiter:

»Und du, heilige Jungfrau, bitte bei deinem Sohne für mich, auf daß er mich nicht verlasse, sondern mich errette aus meiner Not. Ich will dir dienen bis zum letzten Atemzuge und in meiner Todesstunde zu dir, meine Patronin, flüchten, damit du meiner armen Seele beistehst!«

Während er so von ganzer Seele betete, rannen dem Herrn Kmiziz die Thränen an den Wangen herunter. Er ließ seinen Kopf auf das Lager sinken und verharrte lange Zeit stillschweigend, als wolle er den Erfolg des Gebetes abwarten. Totenstille herrschte; nur das heftige Rauschen in den Baumkronen draußen drang bis in das Innere der Hütte hinein. Nach einiger Zeit knarrten die Spähne unter dem Fenster der Stube unter schweren Schritten und man hörte zwei Männer sich unterhalten:

»Was denkt ihr, Herr Wachtmeister, wohin wir von hier aus reiten werden?« frug der eine.

»Wenn ich das wüßte!« entgegnete Soroka. »Ins Ungewisse hinein! Wer weiß, wie weit! Vielleicht zum Könige, aus welchem die Hand des Schweden schwer lastet.«

»Ist es denn wahr, daß Alle ihn verlassen haben?«

»Nein! Gott hat ihn nicht verlassen.«

Kmiziz stand plötzlich auf; sein Gesicht war ruhig und heiter. Er ging geradewegs auf die Thüre zu und indem er sie öffnete, rief er den im Flur stehenden Soldaten zu:

»Macht die Pferde reisefertig! Es ist Zeit, aufzubrechen!«

.

 << zurück weiter >>