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10. Kapitel

In Warschau wirtschafteten die Schweden unter Radziejowski, welcher an Stelle Wittembergs, der sich gegenwärtig in Krakau befand, das Kommando führte. Alles wurde demoliert und beraubt; Altertümer, Kostbarkeiten, Marmordenkmäler und Bildnisse, sowie kostbare Gobelins und Gemälde den Palästen entnommen und zur Mitnahme nach Schweden aufgespeichert. Nur diejenigen Paläste und Häuser wurden verschont, welche den Parteigenossen der Schweden angehörten, wie der Palast Kasanowski, Radziejowski, Koniezpolski und andere. Auf der Weichsel standen gegen dreißig große Schuten in Bereitschaft, die erbeuteten Gegenstände fortzutransportieren, obgleich die Hauptstadt sich widerstandslos ergeben hatte.

Warschau hatte das Aussehen einer orientalischen Stadt. Fremde Sprachen schwirrten durcheinander und Menschen in allerhand fremdländischen Kleidern boten in den Straßen ein buntes Bild. Schwedische und deutsche Soldaten, französische, englische und schottische Söldlinge schritten in buntem Gemisch einher, bald mit Helm und Panzer, mit langen Stiefeln, bald mit dem Kaftan oder schottischen Strümpfen bekleidet. Armenier, welche allerlei Waren feilboten, vervollständigten das Malerische des Ganzen.

Die Einwohner wurden von den Schweden hart bedrängt und Kmiziz hörte während der einen Nacht, die er in Warschau zubrachte, bittere Klagen von den Bürgern darüber, daß der gute König so fern sei und sie seine Rückkehr sehnlichst wünschten.

Hinter Warschau wogte es im Lande. Alle Wege wimmelten von Menschen, aber alle, denen Kmiziz begegnete, waren Schweden oder Parteigenossen der Schweden, oder solche, welche die Verzweiflung gleichgültig gegen das Unglück gemacht hatte. Jedermann war überzeugt, daß der Untergang der Republik unvermeidlich sei, niemand dachte noch an Widerstand. Das Land lohte von den Flammen der brennenden Menschenwohnungen, über den Städten hing drohend das scharfe Schwert der zügellosen Eroberer, in den Wäldern hausten Räuberbanden. Niemand dachte mehr daran, das Joch abzuschütteln, die Republik zu retten, alle waren bar der Hoffnung, des Glaubens.

Bei Sochatschew traf Kmiziz auf eine Bande, welche im Begriff stand, den Starosten von Sochatschew auf seiner Privatbesitzung Strugi einzuschließen und zu plündern. Der alte Krieger hatte den Mut, sich zu verteidigen, was das Gesindel noch mehr spornte, ihr Vorhaben auszuführen. Da war Kmiziz als rettender Engel erschienen, und der Starost, welchem die Hilfe wie vom Himmel herabgekommen schien, lud den Befreier zu längerem Verweilen ein; Herr Andreas aber nahm die Gelegenheit wahr, dem alten Herrn, welcher eine Person von Rang, dazu Staatsmann und Krieger war, seinen ganzen Haß gegen das Schwedenregiment zu offenbaren und ihn zu fragen, was er selbst über das Geschick der Republik denke, in der heimlichen Hoffnung, doch vielleicht etwas Tröstliches zu vernehmen.

Doch der alte Herr antwortete ihm:

»Wenn ich jung wie ihr und mein Haar noch braun wäre, würde ich vielleicht anders denken als heute. Mit meinen siebzig Jahren und den ergrauten Haaren blicke ich in die Zukunft, wie einer, der dieser Welt bereits entrückt ist. – Seht! Vor dem Ende der Welt wird der Antichrist erscheinen. Die Bösen werden über die Guten triumphieren; mit Gottes Willen wird der Teufel auf Erden umhergehen und die Menschen zu verführen suchen bis zu dem Moment, wo die Posaune des letzten Gerichts erschallt ...«

Der alte Herr legte sich in seinen Lehnstuhl zurück, dann schloß er die Augen und fuhr mit leiser Stimme fort:

»Wunder und Zeichen sollen den Weltuntergang künden ... Wir haben sie gehabt – die Hand mit dem Schwerte ist am Himmelsgewölbe im Bild der Sonne erschienen ... Gott erbarme sich über mich Sünder! Gott sei mir gnädig! ... Die Bösen siegen über die Guten. Menschen, seht ihr's denn nicht! Dies irae, dies illa ... Das letzte Gericht naht ... Ich stehe am Ufer des Styx und harre des Fuhrmannes ... Ich sehe! ...«

Hier verstummte der Starost. Kmiziz blickte ihn entsetzt an. Aus den Worten des Alten sprach Wahrheit. Die Ereignisse wiesen wirklich auf den Untergang hin; Kmiziz erschrak vor dem Gedanken an das letzte Gericht, er wurde sehr nachdenklich.

Aber der Starost bemerkte das nicht; er starrte vor sich hin und sagte endlich:

»Wie sollen die Schweden nicht siegen, wenn es doch Gottes Wille ist, der durch Prophezeiungen uns vorausgesagt worden ... Ach, es ist Zeit, ihr Menschen ... Auf nach Tschenstochau! ...«

Wieder verstummte er. Kmiziz wagte sich nicht zu rühren, dieses Schweigen schien ihn zu erdrücken. Endlich, nach einer langen Weile frug er:

»Welche Prophezeiungen meint ihr, Ew. Liebden?«

Anstatt zu antworten, wandte der alte Herr sich der Thür zu, welche in die anliegende Kemenate führte und rief:

»Olenka! Olenka!«

Kmiziz fuhr auf. »Um Gotteswillen, wen ruft ihr?« rief er.

»Meine Tochter!« antwortete der Starost; »sie wird gleich erscheinen. »Olenka! Olenka!« wiederholte er den Ruf.

Die Thür wurde geöffnet. Herein trat nicht Olenka Billewitsch, sondern ein schönes, großes, überschlankes Mädchen, welches nichts als den friedvollen Ernst in ihren Gesichtszügen mit jener gemeinsam hatte. Sie schien krank gewesen oder noch zu sein, denn ihre Augen waren niedergeschlagen, das Gesicht sehr blaß und ihr Tritt fast unhörbar leicht und leise.

»Danke vorerst diesem Kavalier für unsere Errettung, dann lies uns die Prophezeiung der heiligen Brigitta vor.«

Das Fräulein verneigte sich dankend, dann begann sie mit sympathischer Stimme:

»Die Prophezeiung der heiligen Brigitta. Ich werde dir zuerst fünf Könige zeigen und ihre Reiche: Gustav, der Sohn Eriks, ein fauler Esel, welcher vom rechten zu einem falschen Glauben überging. Siehe die Eklesiastiker, wo von Salomon die Rede ist.«

»Hört ihr?« frug der Starost, indem er den Daumen der linken Hand ausstreckte, während er die anderen Finger eingezogen hielt.

»Ich höre.«

»Erik, der Sohn Gustavs, genannt der Wolf, wegen seiner grenzenlosen Habgier,« las das Fräulein. »Er hat seinen Bruder Johann eines geheimen Einverständnisses mit den Polen und Dänen verdächtigt und ihn jahrelang samt seiner Gemahlin in unterirdischen Verließen gefangen gehalten. Endlich wurden beide befreit. Johann bekriegte den Erik, entriß ihm die Krone und sperrte ihn zeitlebens ein. Siehe da – das war ein unvorhergesehener Zwischenfall!«

»Merkt auf! Das war der zweite!« sagte der Starost.

Das Fräulein fuhr fort:

»Johann, der Bruder Eriks, ein hochstrebender Adler, Sieger über Erik, die Dänen und Septentrionäre. Sein Sohn Sigismund wurde auf den polnischen Thron erhoben, dessen Volk edel ist. Ehre seinen Nachkommen.«

»Begreift ihr?« frug der Starost.

»Gott segne ihn!« antwortete Kmiziz.

»Karl, Fürst von Sundermanland, genannt der Hammel, da er, wie ein Hammel die Herde, seine Schweden zur Ungerechtigkeit führte, gegen das Recht!«

»Das ist der vierte,« unterbrach der Starost.

»Der fünfte ist Gustav Adolf,« las das Fräulein, »das geschlachtete Lamm, wenn auch nicht ganz ohne Makel, dessen vergossenes Blut die Ursache zu Streit und Sorgen wurde.«

»Ja! Gustav Adolf! Von Christine wird nichts erwähnt, da nur die Männer gezählt werden. Lies jetzt den Schluß, der auf die richtige Zeit paßt.«

»Der sechste, welchen ich dir zeige, wird Land und Meer in Aufruhr bringen und die Ehrlichen betrüben ... Er wird der Vollstrecker meiner Strafe werden. Und wenn er sein Werk nicht schnell verrichtet, wird mein Richterspruch ihn treffen, denn es steht geschrieben: Sie werden Freude säen und Thränen ernten. Ich werde nicht nur dieses Land, sondern auch seine reichen Städte heimsuchen, denn – sie werden den Habgierigen selbst herbeirufen, der ihre Vorräte auffrißt. Unfriede, Hader und Zwist wird die Menschen trennen. Die Dummen werden regieren, die Weisen und Greise den Verstand verlieren. Ehre und Wahrheit werden unterliegen, bis derjenige kommen wird, der um der Wahrheit willen sein Blut und seine Seele hingiebt, um meinen Zorn zu versöhnen.«

»Da habt ihr es!« sagte der Starost.

»Es ist alles erfüllt, ein Blinder muß das sehen,« antwortete Kmiziz.

»Die Schweden können also nicht bezwungen werden,« versetzte der Starost.

»Bis derjenige erscheint, welcher weder Seele noch Blut schont um der Liebe zur Wahrheit willen,« rief Kmiziz aus. »Die Prophezeiung läßt uns noch eine Hoffnung. Nicht das letzte Gericht, sondern die Erlösung harrt unser!«

»Sodom und Gomorrha sollten verschont bleiben, wenn auch nur zehn Gerechte darin zu finden wären,« antwortete der Starost. »Aber auch nicht so viele waren zu finden. Ebensowenig wird derjenige sich finden, der sich um der Liebe zur Wahrheit willen opfern will. Das letzte Gericht naht!«

»Nein, nein, Herr Starost, das ist unmöglich!« rief Kmiziz voller Verzweiflung. – Er war aufgesprungen und griff schon nach seiner Mütze, um fortzueilen, als die Thür geöffnet wurde und ein Mann in mittleren Jahren, mit Panzer und Muskete bewaffnet, hereintrat.

»Herr Schtschebrschytzki?« frug der Starost. »Wo kommt ihr her?«

»Aus Sochatschewo!« antwortete der Angekommene. »Ich komme Ew. Liebden zu Hilfe, weil ich hörte, daß eine Räuberbande hierhergezogen ist.«

»Es fällt kein Haar von unseren Häuptern, ohne Gottes Willen,« entgegnete der Starost. »Dieser Kavalier hat uns befreit. Bringt ihr neues?«

»Nur Schlimmes, Herr Starost! Ein neues Unglück ... Die Wojewodschaften Krakau, Sandomir, Reußen, Lublin, Belsk, Wolhynien und Kijow haben sich auf Gnade und Ungnade dem König von Schweden ergeben. Der Uebergabeakt ist von den Gesandten und Karl Gustav bereits unterzeichnet.«

Kmiziz raufte sich die Haare, während der Starost leise das Haupt hin und her wiegte.

»Ich muß fort!« schrie Kmiziz verzweifelt.

»Wohin so eilig?« frug der Greis.

»Nach Tschenstochau, denn ich bin ein großer Sünder.«

»Dann darf ich euch nicht halten, obgleich ich euch gern eine Weile als Gast bewirtet hätte. Euer Vorhaben ist wichtig, denn das letzte Gericht naht!«

Kmiziz stürmte hinaus und das Fräulein folgte ihm, da der Starost ihn nicht begleiten konnte.

»Lebt wohl, Fräulein,« sagte Kmiziz. »Ihr ahnt nicht, wie wert ihr mir seid.«

»Wenn ich euch wert bin, so bitte ich um eine Dienstleistung,« entgegnete sie. »Ihr reist nach Tschenstochau ... da, hier ist ein Goldgulden ... nehmt ihn und gebt ihn in der Kapelle auf eine heilige Messe ...«

»Zu welchem Zweck?« frug Kmiziz.

Das Mädchen senkte den Blick. Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht, während eine feine Röte in die blassen Wangen stieg und sie leise wie ein Hauch lispelte:

»Zur Bekehrung des Andreas, auf daß Gott ihn von seinem sündhaften Thun auf den geraden Weg zurückführe.«

Kmiziz sprang entsetzt ein paar Schritte zurück. »Bei den Wunden Christi!« sagte er nach einer Pause. »Was ist das für ein Haus, wo ich nur Prophezeiungen und Mahnungen zu hören bekomme ... Ihr werdet Olenka genannt, ihr gebt für einen Sünder, der Andreas heißt, auf eine heilige Messe ... das kann kein Zufall sein ... das ist ein Fingerzeig Gottes ... das ist ... das ...«

»Was fehlt euch?« frug das Fräulein.

»Nichts! Auch ich heiße Andreas und – bin ein großer Sünder!« rief Kmiziz. »Lebt wohl!«

Damit eilte er hinaus, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon. Er eilte unverweilt von Ort zu Ort; er hätte sich Flügel anschaffen wollen, um fliegen zu können, so sehr drängte ihn das Schuldbewußtsein, nach Tschenstochau zu kommen, so sehr wünschte er am Altar der Gottesmutter sich von seinen Sünden zu reinigen. Der treue Soroka und die Kiemlitsch schüttelten oft verwundert die Köpfe, wenn ihnen die Stunden der Rast gekürzt wurden, aber keiner wagte, ihn mit Fragen oder einem Wort der Mahnung zu reizen; dazu kannten sie ihren Hauptmann zu gut.

Hinter Piotrkowo kam Kmiziz mit seinen Begleitern wieder mitten in das Treiben und Wogen der umherziehenden Schweden hinein. Während ganze Abteilungen von Warschau aus das Land überschwemmten, um sich in kleineren Städten oder in Schlössern festzusetzen, zogen andere von Krakau her der Hauptstadt zu. Man sagte, daß Karl Gustav nach der Uebernahme der südlichen und östlichen Wojewodschaften und nach Unterzeichnung der Kapitulation nur noch die Unterwerfung der letzten Kronenregimenter unter Potozki und Lanzkoronski abwarten wolle, worauf er nach Preußen zu ziehen gedenke. Darum schickte er schon jetzt einen Teil seines Heeres voraus. Den Reisenden wurde kein Hindernis in den Weg gelegt, Kmiziz konnte unbehindert weiterziehen, denn eine Menge adliger Herren zogen teils bewaffnet, teils unbewaffnet mit den Schweden umher, um möglichst in die Nähe des Königs zu kommen, da die Majestät Ausschreitungen und Rohheiten der Soldaten nicht duldete.

Das letzte Nachtlager vor seiner Ankunft in Tschenstochau, nahm Kmiziz in Kruschyn. Er hatte es sich dort kaum bequem gemacht, da trafen neue Gäste ein. Zuerst kam eine Abteilung schwedischer Reiter, etwa hundert Mann stark; sie kamen in Begleitung mehrerer Offiziere unter dem Oberkommando eines ernst dreinblickenden Kapitäns. Es war ein Mann in mittleren Jahren, von imposanter Erscheinung, hoch gewachsen, breitschulterig und kräftig, mit lebhaften Augen. Obgleich er völlig fremdländisch gekleidet war und wie ein Ausländer aussah, sprach er doch den Herrn Andreas im reinsten Polnisch an, als er ihn frug, wer er sei und wohin er reise.

Herr Andreas stellte sich dieses Mal als Edelmann aus der Gegend von Sochatschewo vor, da es Verdacht erregen konnte, wenn ein Unterthan des Kurfürsten bis in diese kriegsbezogene Gegend kam. Er erzählte, daß er zum König von Schweden reisen wolle, um die ihm zukommende Geldsumme von ihm selbst zu erbitten.

»Daran thut ihr gut,« sagte der Kapitän. »Man bittet bei der höchsten Instanz nie ganz ohne Erfolg. Der König leiht Bittstellern gern ein williges Ohr, besonders bevorzugt er den Adel, so sehr, daß die Schweden euch alle neidisch sind.«

»Wenn er nur auch Geld in der Schatzkammer hätte ...« meinte Kmiziz.

»Karl Gustav ist nicht euer Johann Kasimir, welcher alles, was er hat, dem ersten besten hingiebt und dann selbst borgen muß. Uebrigens, wenn uns der gewisse Streich, den wir vorhaben, gelingt, dann wird die königliche Schatzkammer ordentlich gefüllt.«

»Von was für einem Streiche redet ihr? – wenn man fragen darf.«

»Wir kennen uns zu wenig, Herr Kavalier, als daß ich euch ins Vertrauen ziehen dürfte. Nur das sollt ihr erfahren, daß in einer bis zwei Wochen die Schatzkammer des Königs soviel enthalten wird, wie die des Sultans.«

»Dann muß irgend ein Alchimist ihm Gold schaffen, denn hier in diesem Lande ist nichts dergleichen zu haben,« versetzte Kmiziz.

»In diesem Lande? Ihr irrt! Man braucht nur mutig die Hand auszustrecken – und der Mut fehlt uns nicht, der beste Beweis dafür ist der, daß wir hier regieren,« prahlte der Kapitän.

»Es ist wahr! Es ist wahr!« entgegnete Kmiziz. »Und wir freuen uns dieser Regierung, insbesondere, wenn ihr uns lehrt, wie man Gold wie Spreu zusammenrafft.«

»Die Gelegenheit dazu war euch genug geboten; aber ihr seid merkwürdige Menschen, denn ihr wolltet lieber Hungers sterben, als einen Groschen von dorther nehmen.«

Kmiziz sah den Offizier scharf an.

»Es giebt Quellen, welche selbst die Tartaren sich scheuen würden, fließend zu machen,« sagte er.

»Ihr seid allzu scharfsinnig, Herr Kavalier,« antwortete der Kapitän. »Vergeßt nicht, daß ihr zu den Schweden und nicht zu den Tartaren mit eurer Forderung reist.«

Hier wurde die Unterhaltung durch die Ankunft eines neuen Gastes unterbrochen. Der Offizier hatte ihn, wie es schien, erwartet, denn er eilte hinaus. Kmiziz folgte ihm und blieb auf der Schwelle der Hausthüre stehen, um zu sehen, wer der Ankömmling war.

Ein geschlossener vierspänniger Wagen fuhr vor; derselbe wurde von einer Abteilung schwedischer Reiter eskortiert. Der Offizier riß den Wagenschlag auf und verneigte sich tief.

»Es muß eine hochgestellte Persönlichkeit sein,« dachte Kmiziz.

Man hatte Fackeln gebracht, ein älterer Würdenträger in einen bis über die Kniee reichenden, mit blauem Fuchspelz gefütterten Mantel gehüllt, einen reich mit Federn geschmückten Hut auf dem Kopfe, stieg aus.

Der Offizier nahm eine Fackel aus der Hand eines Reiters und indem er sich wieder verneigte, sprach er:

»Hier hinein, Excellenz!«

Kmiziz trat schnell zurück in die Schenkstube; die anderen folgten ihm auf dem Fuße. In der Stube verneigte sich der Offizier zum drittenmal, worauf er sich vorstellte:

»Excellenz! Ich bin Weyhard Wrestschowitsch, ordinierter Proviantmeister Sr. Königlichen Majestät Karl Gustavs, und bin zu Ew. Excellenz Empfange entgegen geschickt.«

»Sehr angenehm, einen so edlen Kavalier kennen zu lernen,« erwiderte der Würdenträger, sich ebenfalls verbeugend. »Ich möchte nur ein wenig ausruhen, dann gleich weiterreisen, denn in Wielun erreichte mich die Botschaft Sr. Majestät, daß ich mein Kommen beschleunigen möge. Fertigt unterdessen meine bisherige Eskorte ab; ich lasse dem Kapitän, welcher mich hierher begleitet, meinen Dank abstatten.«

Der Offizier entfernte sich, seine Befehle auszugeben, Kmiziz hielt ihn einen Augenblick auf.

»Wer ist das?« frug er.

»Der Baron Lisola, ein Abgesandter des Kaisers, welcher vom Hofe zu Brandenburg kommt und zu unserem allergnädigsten Herrn reist,« antwortete der Offizier.

Während er das sagte, ging er hinaus, kehrte aber sogleich wieder zurück und meldete:

»Die Befehle Ew. Excellenz sind erfüllt.«

»Ich danke! Setzt euch ein wenig,« sagte Lisola, indem er artig, aber sehr würdevoll auf die Bank sich gegenüber wies. »Es fängt an zu regnen, der Wind weht scharf, wir werden etwas länger verweilen müssen, da können wir plaudern. Ist es wahr, daß die Wojewodschaften Kleinpolens sich Sr. schwedischen Majestät ergeben haben?«

»Jawohl, Excellenz! Se. Majestät warten nur noch auf die Kapitulation der Kronentruppen, dann brechen sie nach Preußen auf.«

»Sollten sie wirklich kapitulieren?«

»Wenn sie es nicht thun, dann schlägt Chmielnizki sie bis auf den letzten Mann nieder.«

Lisola senkte den klugen Kopf.

»Gräßlich! Unerhört!« sagte er.

Die Unterhaltung wurde in deutscher Sprache geführt. Kmiziz entging kein Wort derselben.

»Excellenz!« antwortete Wrestschowitsch, »was geschehen ist, mußte geschehen.«

»Möglich! Es ist nur schwer, das Mitgefühl für diese Nation, die unter unseren Augen zu Grunde gerichtet wird, nicht offen kundgeben zu sollen. Wer nicht Schwede ist, der muß sie beklagen.«

»Ich bin kein Schwede; aber wenn die Polen selbst sich nicht beklagen, wie sollte ich dann mich verpflichtet fühlen, es zu thun,« entgegnete Wrestschowitsch.

Lisola betrachtete ihn forschend.

»Wirklich! Euer Name ist kein schwedischer. Welcher Nation gehört ihr an.«

»Ich bin ein Böhme!«

»Ei, seht! Also des deutschen Kaisers Unterthan, wie ich?«

»Ich stehe in Diensten Sr. schwedischen Majestät!« antwortete Wrestschowitsch sich verbeugend.

»Ich will diesem Dienste nicht zu nahe treten,« entgegnete Lisola. »Solche Verpflichtungen sind aber nur vorübergehende, denn wo ihr auch seid und wem ihr euch auch verpflichten möget, ihr dürft nur den Kaiser als euer angestammtes Oberhaupt betrachten.«

»Das will ich nicht bestreiten.«

»Nun beklagt aber unser Kaiserlicher Herr das Los dieser herrlichen Republik aufrichtig und ebenso ihren edlen Monarchen und er ist sehr erzürnt auf diejenigen seiner Unterthanen, welche mit Hand anlegen, dieses Landes vollständigen Ruin herbeizuführen. Was haben euch die Polen gethan, daß ihr ihnen so unfreundlich gesinnt seid.«

»Ich will Ew. Excellenz offen sagen, was ich denke. Als jüngerer Sohn adliger Eltern war ich gezwungen, Dienste im Ausland zu nehmen. Ich kam hierher und suchte ein Unterkommen bei den Polen, weil diese Nation der meinigen stammverwandt ist. Ich mußte mich durchdrücken, wie ich konnte, stieg allmählich höher bis zu einer Stellung, die mir Zutritt zum Könige gestattete. Gegenwärtig diene ich den Schweden und wer mich einen Undankbaren schelten würde, den werde ich Lügen strafen. Wer dürfte mehr von mir verlangen, als von den Polen selbst? Wo sind heute die Polen? Wo die Senatoren, Fürsten, Magnaten dieses Reiches? Wo sind sie anders zu finden, als im Lager der Schweden? Warum soll ich, der Fremde, ihrem Könige und der Republik treuer sein als sie selbst? Warum sollte ich einen Dienst meiden, zu welchem sie sich drängen?«

Lisola antwortete nicht. Den Kopf in die Hand gestützt, sann er nach. Es war, als lausche er dem Klatschen der Regentropfen, die der Wind an die Fensterscheiben trieb.

»Sprecht weiter!« sagte er endlich. »Ihr berichtet wunderliche Dinge.«

»Excellenz!« fuhr Wrestschowitsch fort. »Giebt es in der ganzen Welt noch ein Land, wo es zugeht wie in diesem? Wer regiert es? Der König nicht, denn er darf nicht ... Der Landtag? Nein! Er wird aufgelöst ... Hier giebt es keine Regierung, keine Armee, keinen Gehorsam, keine Disziplin, keine Gerechtigkeit, weil keine Richter da sind und die Mächtigen das Recht mit Füßen treten. Es giebt keine Treue hier, denn sie haben ihren König verlassen, keine Vaterlandsliebe, denn die haben sie dem Könige von Schweden verpfändet gegen das Versprechen, daß sie weiter in Uebermut und Wohlleben dahinduseln dürfen. Wo, in welchem Lande giebt es noch Menschen, die ihren Privatinteressen alle höheren Interessen opfern, wie hier? Was eigentlich besitzen sie denn, Excellenz? Können sie sich wohl einer einzigen Tugend rühmen? Sind sie etwa würdevoll oder verständig und geschickt, oder ausdauernd, oder mäßig? Sie gehen zu Grunde, weil sie zu Grunde gehen müssen! Wer sie retten wollte, der würde sich vergeblich mühen, denn sie wollen nicht gerettet werden! ... Dieses Land wird nur von Tollen, Uebermütigen, Bösen und Verrätern bewohnt!«

Die letzten Worte sprach Wrestschowitsch mit einer wegwerfenden Nichtachtung, die seltsam in dem Munde eines Mannes klang, welcher bei dieser geschmähten Nation einstmals sein Brot gefunden hatte. Lisola wunderte sich nicht darüber; er, der erfahrene Diplomat, war Menschenkenner genug, um zu wissen, daß, wer nicht im Herzen dankbar war, stets die Schuld der Undankbarkeit im anderen suchte. Vielleicht auch gab er ihm recht, darum protestierte er nicht, sondern frug plötzlich:

»Herr Weyhard, seid ihr katholisch?«

Wrestschowitsch wurde verlegen. »Ja, ich bin es, Excellenz!« antwortete er.

»Ich habe in Wielun gehört, daß es Menschen giebt, welche Se. Majestät Karl Gustav zu überreden suchen, daß er das Kloster auf dem heiligen Berge nehmen soll. Ist das wahr? ...«

»Excellenz! Das Kloster liegt dicht an der schlesischen Grenze; es dürfte leicht ein Stützpunkt für Johann Kasimir werden. Deshalb müssen wir es haben. Ich war der erste, welcher Sr. Majestät Aufmerksamkeit auf diesen Umstand lenkte, darum ist mir die Ausübung dieser Funktion anvertraut worden.«

Hier unterbrach Wrestschowitsch sich plötzlich, denn ihm fiel ein, daß Kmiziz am anderen Ende der Stube saß; er ging auf ihn zu und frug:

»Versteht ihr die deutsche Sprache, Herr Kavalier?«

»Nein, kein Wort davon,« antwortete Herr Andreas.

»Das ist schade,« sagte Wrestschowitsch, »wir wollten euch bitten, an der Unterhaltung teilzunehmen.« Nachdem er das gesagt, wandte er sich wieder an Lisola:

»Er ist ein fremder Edelmann, aber er versteht das Deutsche nicht, wir dürfen unbesorgt weiter sprechen.«

»Ich habe keine Geheimnisse zu wahren,« entgegnete der Gesandte, »doch, da ich ebenfalls Katholik bin, möchte ich nicht, daß dem geweihten Ort irgend ein Schaden zugefügt wird. Ich weiß, daß Se. Majestät das auch nicht will, deshalb lege ich euch ans Gewissen, den armen Mönchen kein Leid zuzufügen und mit der Ausübung der Funktion nicht zu eilen.«

»Meine Instruktionen lauten klar und deutlich, doch kann ich Ew. Excellenz beruhigen: dem Heiligtum wird keine Profanisation widerfahren ... Ich bin Katholik ...«

Lisola lächelte, und da er dem weniger Erfahrenen die ganze Wahrheit entlocken wollte, frug er in scherzhaftem Tone:

»Ihr wollt nur die Schatzkammer der Mönche etwas durchstöbern, ist es nicht so?«

»Das könnte wohl sein,« antwortete der Offizier. »Die heilige Jungfrau braucht die Thaler in der Kasse des Prior nicht; wenn alle zahlen, warum sollen die Mönche es nicht auch?«

»Und wenn sie sich wehren sollten?«

Wrestschowitsch lachte laut auf: »Wer in diesem Lande wehrt sich denn überhaupt? Sie hatten Zeit genug dazu, heute können sie es nicht mehr, heute ist es zu spät!«

»Zu spät!« wiederholte Lisola.

Damit war die Unterhaltung zu Ende. Nach dem Abendessen reiste der Gesandte mit seiner Eskorte ab. Kmiziz blieb allein mit seinen Gedanken; er verbrachte eine schlaflose schreckliche Nacht. Die Worte Wrestschowitschs hatten ihn in tiefster Seele getroffen. Er hätte ihm an den Hals springen mögen, ihn einen Lügner schimpfen wollen, aber konnte er das denn? Womit hätte er ihn widerlegen sollen? Ein Chaos von Gedanken stürmte auf ihn ein. Zu spät! Zu spät! hallte es immer in ihm wieder und ihm war, als sei er der Missethäter größter, als wäre er allein es, welcher Olenka und das Vaterland den Schweden ausgeliefert. Eine schmerzliche Reue erfaßte, zermalmte ihn; er fürchtete krank zu werden, Fieberfrost schüttelte ihn und das verhängnisvolle »Zu spät!« gellte ihm unaufhörlich in den Ohren.

Mit dem Morgengrauen erhob er sich vom Lager, weckte seine Leute und legte seine besten Kleider an, denn es war Sonntag. An Leib und Seele müde von der schlaflosen Nacht trat er seine Weiterreise an. Was würde ihm dieser Tag bringen? Keine Hoffnung, keinen Trost, nichts! Wer weiß, vielleicht würde zu der Last des Kummers und der Sorgen eine neue hinzukommen.

Schweigend ritt er weiter, den Blick auf einen kleinen leuchtenden Punkt geheftet, welcher tief am Horizont auftauchte. Die Pferde schnauften, die Männer sangen noch halb schlaftrunken den Morgensegen. Allmählich wurde es heller, der graue Himmel nahm nacheinander eine grünliche, eine goldige und zuletzt eine blaue Färbung an. Der leuchtende Punkt am Horizont vergrößerte sich immer mehr und leuchtete so strahlend, daß das Auge davon geblendet wurde.

Die Männer hörten auf zu singen und sahen erstaunt nach jener Seite hin; endlich sagte Soroka:

»Wunderbar! Was ist das? ... Dort ist doch Westen und die Sonne geht dort drüben auf? ...«

Und wirklich! Der leuchtende Punkt wuchs sichtlich: er verwandelte sich zuerst in eine kreisrunde Kugelfläche, dann entwickelte sich ein Strahlenkranz um dieselbe, so daß es aussah, als wäre ein großer Stern im Aufsteigen begriffen, der eine Flut von Licht verbreitete.

Kmiziz und seine Leute schauten mit staunender Bewunderung auf diese Erscheinung, welche flimmernd zu beben schien, und konnten sich nicht erklären, was sie zu bedeuten hatte.

Da hörten sie von Kruschyn her Wagengerassel nahen, ein Bäuerlein kam auf seinem Leiterwagen dahergefahren. Als Herr Andreas sich ihm zuwandte, gewahrte er, daß der Mann entblößten Hauptes dasaß, seine Mütze in der Hand hielt und betete.

»Bäuerlein,« frug Kmiziz, »was leuchtet dort so hell?«

»Es ist die Kirche auf dem heiligen Berge!« antwortete der Bauer.

»Gelobt sei die heilige Jungfrau!« rief Kmiziz und nahm seine Mütze ab; Soroka und die anderen folgten seinem Beispiel.

Seltsam! Nach so viel kummervollen Tagen kam beim Klange der Worte »die Kirche auf dem heiligen Berge« und beim Anblick dieses leuchtenden Sternes ein Gefühl der Beruhigung über Kmiziz. Eine unaussprechliche zaghafte Freudigkeit, ehrfurchtsvoll und wohlig zugleich, erfüllte die Brust des Ritters. Sein Herz begann wieder leise zu hoffen. Ja, hier würde er die Lösung seiner Zweifel, Trost und Stütze finden. Das Blut in seinen Adern begann lebhafter zu kreisen; er atmete tief auf, wie einer, der aus schweren Fieberträumen wieder zum Bewußtsein erwacht. Lange, lange konnte Kmiziz sich nicht von dem Anblick der Kirche losreißen, welche von ihrer Höhe herab die ganze Ebene beherrschte, und auch die Gesichter seiner Begleiter nahmen einen ernsten und ehrfurchtsvollen Ausdruck an.

Da ertönte durch die stille Morgenluft der Ton der Morgenglocke.

»Absteigen!« rief Kmiziz.

Und die bärtigen Männer stiegen von ihren Pferden und nachdem sie niedergekniet waren, beteten sie laut die Litanei. Währenddessen kamen immer mehr Menschen zu Wagen, zu Pferde und zu Fuße herbei, die, als sie die Betenden erblickten, sich ihnen anschlossen. Nachdem das Gebet beendet war, ging Kmiziz mit seinen Leuten, die Pferde am Zügel führend, den Berg hinauf, während sie das Lied sangen: »Sei uns gegrüßt, du heil'ge Pforte!« Immer deutlicher traten die Umrisse des Klosters, der Kirche und seiner Umgebungsmauern hervor, zu deren Füßen ganze Reihen Häuser und Hütten lagen, über welche die kolossale Kirche und die Klostergebäude majestätisch hinwegragten.

Es war Sonntag. Als die Sonne höher stieg, belebten sich die Wege und Fahrstraßen zum Berge hinauf immer mehr mit Wagen und Fußgängern, die zur Andacht eilten. Von den hohen Türmen läuteten die großen und kleinen Glocken und erfüllten die Luft mit süßem Klange. Weiter oben, rechts vom Hauptwege, standen eine ganze Reihe Leinwandbuden, in welchen metallene und wächserne Medaillen, Lichte, Bilder und Skapuliere aushingen, welche von den Vorübergehenden gekauft wurden, um dieselben in der Kirche weihen zu lassen. Die Thore standen weit offen, um den Strom der Andächtigen einzulassen, kurz, dieses Fleckchen Erde sah ganz anders aus, wie das große übrige Reich. Die Menschen schritten durch die offenen Thore wie sie wollten; sie kamen und gingen unbewacht, denn bei den Geschützen auf den Mauern standen keine Soldaten. Die Heiligkeit des Ortes schützte ihn, wie es schien, zur Genüge – oder man vertraute unbedingt den Briefen Karl Gustavs, welche dem heiligen Berge vollkommene Sicherheit versprachen.

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