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Drittes Buch.

1. Kapitel

Der treue Soroka führte seinen Herrn in die Tiefe der dunklen Wälder; er wußte selbst nicht, wohin, auch nicht, was er beginnen sollte. Kmiziz war nicht nur verwundet, sondern auch betäubt durch den Schuß. Von Zeit zu Zeit tauchte Soroka einen Lappen in den Eimer mit Wasser, welchen eines der Pferde an der Seite trug, um ihm das Gesicht zu kühlen und hielt an Bächen und kleinen Seen an, um frisches Wasser einzunehmen. Aber weder das Wasser, noch das Rütteln beim Transport brachten ihn zur Besinnung, so daß die Begleiter Sorokas ihn für tot hielten und sehr besorgt um ihn waren.

»Er lebt«, – tröstete sie indeß Soroka – nach drei Tagen wird er zu Pferde sitzen, wie wir.

Nicht lange darnach öffnete Kmiziz die Augen und flüsterte: – Wasser!

Soroka setzte ihm den Blechbecher mit frischem Wasser an die Lippen, aber es erwies sich, daß das Oeffnen derselben ihm unerträgliche Schmerzen bereitete – er konnte nicht trinken. Doch verlor er die Besinnung nicht mehr. Trotzdem fragte er nichts und schien sich auf nichts besinnen zu können. Offenen Auges starrte er in die dunklen Baumkronen oder auf die Fetzen blauen Himmels, welche zwischendurch sichtbar wurden, wie einer, der aus tiefem Schlafe erwacht ist, oder aus schwerer Trunkenheit. Er ließ sich geduldig von Soroka verbinden, das Wasser, womit Soroka die Wunde kühlte, schien ihm wohl zu thun, denn er lächelte seinem Pfleger zuweilen mit den Augen zu.

Und Soroka tröstete ihn:

»Morgen Herr Hauptmann wird das Schlimmste vorüber sein. Gott gebe, daß wir Unterkunft und Schutz finden.«

Gegen Abend schien die bleierne Schwere im Kopfe des Verwundeten abzunehmen, denn kurz vor Sonnenuntergang wurde der Blick klarer und er frug:

»Was ist das für ein Sausen?«

»Sausen? Ich höre nichts!« – antwortete Soroka.

Wahrscheinlich sauste es nur im Kopfe des Herrn Andreas, denn der Abend war schön. Die untergehende Sonne fiel schräg durch die dichten Baumkronen und umsäumte die braunroten Stämme der Kiefern mit goldenem Schimmer. Kein Lüftchen regte sich, nur hier und da fielen welke Blätter mit leisem Rascheln von den Birken, Buchen und Haselbäumen, oder ein aufgescheuchtes Wild floh in die Tiefe der Wälder.

Die Luft war kühl. Herr Andreas schien zu fiebern, denn er wiederholte etliche Male dieselben Worte:

»Durchlaucht! Kampf auf Tod und Leben!«

Es war endlich finster geworden; die Nacht brach herein. Soroka dachte an das Nachtquartier. Da aber der Boden hier sumpfig und seucht war und unter den Hufen der Pferde knatschte, ritten sie weiter, um eine höher gelegene trockene Stelle des Waldes zu erreichen.

So ritten sie noch eine bis zwei Stunden weiter, ohne eine trockene Stelle zu finden. Der Mond war unterdessen aufgegangen, man konnte die Gegenstände rings umher deutlich erkennen, denn es war Vollmond. Plötzlich sprang Soroka, welcher an der Spitze des Zuges ritt, aus dem Sattel und untersuchte aufmerksam den Boden.

»Hier sind Pferde gegangen,« sagte er, – »man kann die Spuren deutlich erkennen.«

»Wer konnte hier wohl geritten sein, da doch kein Weg hier führt,« sagte einer der Soldaten, welcher Kmiziz stützte.

»Aber die Spuren sind da und sehr zahlreich. Da, dort zwischen den Kiefern sind sie ganz deutlich zu erkennen.«

»Vielleicht war es nur Rindvieh?«

»Das ist nicht möglich! Wir haben jetzt nicht mehr die Zeit der Sommerweide, es sind bestimmt Pferdehufe; hier sind Menschen geritten, vielleicht finden wir in der Nähe eine Waldhütte.«

»So folgen wir doch der Spur.«

»Auf! weiter!«

Soroka sprang wieder auf das Pferd und sie ritten den Spuren nach, welche sich von dem Moorboden deutlich abhoben und von denen einige noch ganz frisch zu sein schienen, denn die Pferde mußten bis fast an die Kniee eingesunken sein. Schon befürchteten die Soldaten, daß sie nicht durch das Moor hindurchkommen würden, als der scharfe Geruch von Theer und Rauch sie belehrte, daß ein Kohlenmeiler in der Nähe sei.

»Da seht! Dort sprühen Funken,« sagte einer der Soldaten.

Und wirklich zeigte sich jetzt in einiger Entfernung eine rötliche Wolke, aus welcher einzelne Funken umhersprangen.

Als sie näher kamen, erblickten sie eine Hütte, einen Ziehbrunnen und einen aus rohen Stämmen zusammengefügten Schuppen. Die müden Pferde wieherten laut und aus dem Schuppen antwortete ihnen alsbald ebenso lautes Wiehern von zahlreichen Pferden. Dicht vor ihnen tauchte eine Gestalt auf, die einen mit der zottigen Seite nach oben gekehrten Pelz trug.

»Habt ihr viele Pferde?« frug der Mensch im Pelz.

»Wem gehört dieser Kohlenmeiler?« frug Soroka hinwieder.

»Wer seid ihr? Wie kommt ihr hierher?« ertönte die ängstliche und erschrocken klingende Gegenfrage.

»Fürchte dich nicht!« antwortete Soroka, »wir sind keine Mörder.«

»Macht daß ihr fortkommt, ihr habt hier nichts zu suchen.«

»Halte dein Maul und führe uns in die Hütte, solange wir bitten. Siehst du nicht, daß wir einen Verwundeten bei uns haben?«

»Wer seid ihr?«

»Siehe zu, daß wir dir nicht mit der Muskete antworten. Wir sind höheren Standes als du, Knecht! Führe uns in die Hütte, oder wir braten dich in deinem eigenen Theerofen.«

»Ich allein kann mich eurer nicht erwehren, wir werden aber bald mehrere sein und dann geht es euch an die Hälse.«

»Auch unsere Zahl wird sich vermehren; führe uns!«

»So kommt! ich kann nicht für das, was geschehen wird.«

»Gieb zu essen, was du hast, – auch Branntwein! Unser verwundeter Herr kann alles bezahlen.«

»Wenn er nur lebendig von hier fortkommt.«

Unter diesem Gekampel hatten sie die Hütte erreicht. Drinnen brannte im Kamin ein Feuer und den auf einem Rost stehenden Töpfen entstieg ein angenehmer Duft von geschmortem Fleisch. Die Stube war sehr geräumig. Soroka hatte auf den ersten Blick bemerkt, daß an den Wänden sechs Lagerstätten standen, welche allesamt mit Schaffellen bedeckt waren.

»Hier wohnt irgend eine Räuberbande,« flüsterte Soroka den Gefährten zu. »Schüttet Pulver auf die Pfannen und seid wachsam! Den Knecht bewacht, damit er nicht ausrückt. Mögen die Banditen heute Nacht draußen schlafen, wir räumen ihnen nicht den Platz.«

»Meine Herren kommen heute nicht,« sagte der Köhler.

»Umso besser, dann brauchen wir nicht um das Quartier zu streiten, und morgen reiten wir fort,« entgegnete Soroka. »Schütte unterdessen das Fleisch aus den Töpfen auf die Schüssel, denn wir sind hungrig, und spare den Pferden den Hafer nicht.«

»Woher soll ich denn den Hafer nehmen, hier im Kohlenmeiler, gnädiger Herr Soldat?«

»Wir hörten doch Pferde im Schuppen wiehern, da muß auch Hafer vorhanden sein; mit Theer füttert ihr sie doch nicht.«

»Es sind ja nicht meine Pferde.«

»Ob die deinigen oder nicht; fressen müssen sie doch, so wie die unsrigen. Auf! Vorwärts, Bauer, wenn dir deine Haut lieb ist.«

Der Köhler gab keine Antwort mehr. Die Soldaten hatten unterdessen Kmiziz, welcher in der Hängebahre fest eingeschlafen war, auf eines der Lager gebettet; dann setzten sie sich zum Abendessen nieder und sprachen hastig dem geschmorten Fleisch und dem Bigos zu, von welchem ein großer Kessel voll vorhanden war. Auch Hirsebrei war da und in der Kammer fand Soroka eine dickbauchige Flasche mit Branntwein. Er trank jedoch nur ein klein wenig und erlaubte auch den Soldaten nicht, sich zu betrinken, denn er hatte beschlossen, die Nacht wachsam zu verbringen. Die verlassene Hütte mit ihren Lagerstätten für sechs Männer und dem Schuppen voll wiehernder Pferde erschien ihm verdächtig. Er mutmaßte, daß es ein Schlupfwinkel für Raubgesindel sei, umsomehr, da er in der Kammer, wo er den Branntwein gefunden, auch eine Anzahl Waffen aller Art, eine Tonne Pulver und verschiedene Gerätschaften entdeckt hatte, welche aus adligen Höfen entnommen sein mußten. Man konnte sich, wenn die Bewohner der Hütte zurückkehrten, keiner Gastfreundschaft von ihnen versehen, sondern mußte darauf gefaßt sein, sich die Schlafstelle hier mit Gewalt zu sichern.

Und das mußte mit Rücksicht auf den Zustand Kmiziz' unbedingt geschehen, da der Weitertransport und die damit für sie alle verbundene Gefahr für ihn verderblich werden konnte. Soroka war ein furchtloser, abgehärteter Soldat. Trotzdem fürchtete er gegenwärtig den Fürsten Boguslaw. Er diente seinem Herrn seit Jahren und er glaubte an den Heldenmut Kmiziz' und an das Glück des jungen Kriegers; er hatte Thaten von ihm gesehen, die an Verwegenheit alles bisher Dagewesene übertrafen. So war Kmiziz für ihn der Inbegriff aller Macht und Gewalt geworden, und nun – nun hatte er seinen Meister gefunden ... ein Mann, der sich schon in der Gewalt Kmiziz' befunden hatte, gefangen, unbewaffnet, hatte vermocht, sich zu befreien, und nicht genug damit – er hatte ihn niedergestreckt, seine Soldaten getötet und die Ueberlebenden so in Schrecken versetzt, daß sie flohen und seine Verfolgung fürchteten. Das war ein Wunder, über welchem Soroka fast den Verstand verlor, denn alles in der Welt hätte er eher erwartet, nur nicht, daß es einen gab, der Kmiziz zu überwältigen vermochte.

»Ist uns das Glück denn untreu geworden?« murmelte er vor sich hin, indem er wie verwundert um sich blickte.

Er, der bisher blindlings seinem Herrn mitten in die Scharen der Feinde gefolgt war, er bebte jetzt bei dem bloßen Gedanken an den langhaarigen Fürsten mit dem rosigen Gesicht und den Mädchenaugen. Eine abergläubische Furcht hatte ihn befallen; er wußte sich nicht zu helfen. Der Gedanke, daß er morgen oder übermorgen wieder auf die Landstraße kommen mußte, wo er mit dem Fürsten oder seinem Gefolge zusammentreffen konnte, war ihm unerträglich; deshalb war er in die Tiefe der Wälder gedrungen und hatte keinen anderen Wunsch jetzt, als hierbleiben zu dürfen, bis die Verfolger auf eine falsche Fährte gerieten und in ihren Bemühungen aufhörten.

Aber auch dieser Versteck schien ihm aus anderen Gründen nicht sicher, darum wollte er wissen, woran er sei. Er befahl also seinen Soldaten, gut Wache zu halten, besonders die Thüre und Fenster im Auge zu behalten, er selbst sprach zu dem Köhler:

»Nimm die Laterne, Bauer, und folge mir.«

»Ich habe keine Laterne; ich müßte denn mit einem Kienholz leuchten,« antwortete der Mann.

»Dann meinetwegen mit Kien; mir soll es einerlei sein, wenn der Schuppen und die Tiere in ihm verbrennen!«

Nach dieser lakonischen Kürze des Befehls fand sich merkwürdigerweise eine Laterne. Soroka befahl ihm, vorauszuschreiten, er folgte ihm mit der Pistole in der Hand, deren Hahn gespannt war.

»Wer bewohnt diese Hütte?« frug er unterwegs.

»Es wohnen Herren hier.«

»Wie nennt man sie?«

»Das darf ich nicht sagen.«

»Mir scheint, Bauer, dich gelüstet nach einer Kugel!«

»Mein Herr!« entgegnete der Köhler, »wenn ich euch nun irgend einen Namen vorlügen wollte, müßtet ihr auch zufrieden sein.«

»Das ist wahr? Sind es viele?«

»Der alte Herr, zwei junge Herren und zwei Knechte.«

»Sind sie Adlige?«

»Ich glaube wohl!«

»Und sie wohnen hier?«

»Zuweilen hier, zuweilen wer weiß wo!«

»Sprich die Wahrheit! Sind deine Herren nicht Wegelagerer?«

»Wie soll ich das wissen? Mir scheint, sie stehlen Pferde, wem, das ist nicht meine Sache.«

»Und was thun sie mit den Pferden?«

»Sie nehmen manchmal zehn bis zwölf Stück, oder so viele ihrer sind, und treiben sie fort, wohin, weiß ich nicht.«

Während dieser Unterhaltung waren sie zum Schuppen gekommen, in welchem Pferde schnauften und stampften. Sie traten ein.

»Leuchte!« befahl Soroka.

Der Mann hob die Laterne hoch und beleuchtete die Tiere, welche in einer Reihe an in der Wand befestigten Haspen angekettet waren. Soroka betrachtete eines nach dem anderen mit Kennermiene, schüttelte wiederholt den Kopf, schnalzte mit der Zunge und murmelte:

»Der verstorbene Herr Zend hätte seine Freude daran gehabt ... Es sind polnische, moskauer ... dieser Wallach ist deutscher Abkunft und jene Stute ebenfalls ... edle Tiere. Womit füttert ihr sie?«

»Die Wahrheit zu sagen, Herr! – ich habe im Frühjahr zwei Aecker Hafer eingesäet.«

»Deine Herren bringen also schon seit dem Frühjahre Pferde hierher?«

»Nein, aber sie haben mir durch einen Knecht den Befehl geschickt, zu säen.«

»Du gehörst ihnen?«

»Ich gehörte ihnen, ehe sie in den Krieg zogen.«

»In welchen Krieg?«

»Wenn ich das wüßte! Sie zogen im vorigen Jahre weit fort und sind im Sommer wieder gekommen.«

»Wem gehörst du jetzt?«

»Die Wälder sind Kronengut.«

»Ich meine, – wer hat dich hierher in den Kohlenmeiler geschickt?«

»Der königliche Förster, ein Verwandter der Herren, welcher mit ihnen Pferde herbrachte. Einmal aber ist er mit ihnen fortgeritten und nicht wiedergekommen.«

»Sind nicht auch manchmal Gäste zu den Herren gekommen?«

»Nein! Hierher findet sich niemand. Wir sind rings von Sümpfen umgeben und nur ein einziger Weg führt hindurch. Mich wundert nur, daß ihr ihn gefunden habt; hättet ihr ihn verfehlt, so wäret ihr im Moore versunken.«

Soroka war schon versucht zu thun, als ob er diesen Wald und diesen schmalen Weg durch das Moor gut kenne, aber er zog vor zu schweigen. Dagegen frug er:

»Sind die Wälder groß?«

Der Köhler verstand die Frage nicht.

»Wie?« frug er.

»Ob der Wald weit geht? frage ich.«

»O! wer vermöchte ihn zu durchmessen. Der eine hört auf, der andere fängt an, Gott weiß, wo er endet; ich war noch nicht dort.«

»Gut!« sagte Soroka.

Er befahl dem Bauer umzukehren und ging mit ihm in die Hütte zurück, während er überlegte, was zu thun war. Einerseits hätte er sich gern die Abwesenheit der Herren zu Nutze gemacht, die Pferde sich angeeignet und sie mit fortgeführt. Sie wären reiche Beute gewesen und die Tiere gefielen dem alten Soldaten ausnehmend gut. Zu nehmen wären sie leicht gewesen, was aber dann. Einmal hatte der Zufall ihnen den Weg durch das Moor gewiesen, aber wie sollten sie ohne Führer wieder hinaus finden? Die Bewohner der Hütte hatten sicherlich ihre Vorkehrungen getroffen, um Eindringlinge in die Irre zu führen; sie konnten einer Spur folgen, die sie direkt in die Untiefen des Moores führte.

Er dachte wohl auch daran, den Köhler an die Leine zu nehmen und ihn zu zwingen, den rechten Weg zu zeigen.

Doch der Gedanke, auf der Landstraße mit dem Fürsten zusammentreffen zu können, ließ ihn den Versucher von sich weisen.

»Fünfzehn herrliche Pferde muß man sich entgehen lassen,« murmelte er vor sich hin, so wehmütig, als hätte er selbst sie alle groß gezogen. »Es scheint, unser Glück ist von uns gewichen; wir müssen ruhig ausharren, bis Herr Kmiziz wieder gesund ist und ihm dann überlassen, zu bestimmen, was weiter geschehen soll.«

Soroka warf sich, nachdem er den Soldaten noch einmal Wachsamkeit empfohlen, auf das Lager neben Kmiziz.

In der Hütte wurde es still; nur der Holzwurm hatte seine nächtliche Arbeit mit leisem Knarren begonnen und in der Kammer nebenan trieben die Mäuse zwischen dem Hausrat ihr geräuschvolles Spiel. Von Zeit zu Zeit sprach der Kranke im Fieber und unverständliche Reden drangen an das Ohr Sorokas; er hörte einzelne Worte heraus, wie:

»Allergnädigster König, verzeihe! ... jene sind die Verräter ... ich werde alle ihre Geheimnisse offenbaren ... die Republik ... ein rotes Tuch ... ich halte euch fest. Durchlaucht ... Halt fest! ... Hierher, Majestät! ... dort lauert Verrat!«

Soroka richtete sich auf und lauschte, aber nachdem er mehreremale laut aufgeschrieen hatte, schien der Kranke fest einzuschlafen. Später wiederholte der Paroxismus sich noch einmal.

Kmiziz schrie: »Olenka! Olenka! Zürne nicht!«

Erst gegen Mitternacht beruhigte er sich vollständig und schlief fest weiter. Auch Soroka war eben im Begriff einzuschlummern, als ein leises Pochen an die Thür ihn weckte.

Der wachsame Soldat öffnete die Augen sogleich wieder, sprang vom Lager und ging hinaus.

»Was giebt es?« frug er.

»Herr Wachtmeister, der Köhler ist entflohen,« meldete der Soldat.

»Bei allen Teufeln! Er wird uns die Räuberbande bald auf den Hals bringen. Wer hat ihn bewacht?«

»Bilous!«

»Ich ging mit ihm zum Brunnen, um unsere Pferde zu tränken,« erklärte Bilous. »Ich befahl ihm, den Eimer heraufzuziehen, während ich die Pferde hielt ...«

»Nun, und? Ist er etwa in den Brunnen gesprungen?«

»Nein, Herr Wachtmeister! Aber zwischen die Wurzelstöcke, welche haufenweise um den Brunnen herumliegen, in die Rodelöcher. Ich ließ die Pferde los, denn, wenn sie sich auch verlaufen sollten, so haben wir andere hier, und sprang ihm nach, verhaspelte mich aber schon im nächsten Loche. Die Nacht ist finster, der Kerl kennt sich hier aus ... möge ihn der Tod finden!«

»Er wird uns diese Teufel hierher bringen ... da schlage doch das Donnerwetter drein! ...«

Der Wachtmeister brach ab. Nach einer Weile sagte er:

»Wir dürfen nicht schlafen; wir müssen bis zum Morgen wach bleiben; sie können jeden Augenblick kommen.«

Bei diesen Worten setzte er sich auf die Schwelle der Hausthüre, die Muskete in der Hand, und die anderen hockten, seinem Beispiele folgend, rings um ihn herum. Sie flüsterten miteinander, sie sangen leise, um nicht einzuschlafen und horchten aufmerksam auf jedes Geräusch, das aus dem Walde an ihr Ohr drang.

Die Nacht war schön, der Mond schien hell, aber sie war laut und geräuschvoll. Es war Brunftzeit und der Wald hallte wieder von dem Rohren der Hirsche, jenen kurzen, rauhen und zornig klingenden Lauten, welche bald ferne, bald ganz nahe ertönten.

»Wenn sie kommen, werden sie auch brüllen wie die Hirsche, um uns zu täuschen,« sagte Bilous.

»In dieser Nacht kommen sie nicht mehr. Ehe der Köhler sie erreicht, bricht der Tag an,« sagte der andere Soldat.

»Wenn es Tag geworden sein wird, Herr Wachtmeister, lohnte es sich wohl, die Hütte zu durchsuchen und an den Wänden lang nachzugraben, denn das Raubgesindel wird wohl Schätze hier verborgen haben.«

»Die besten Schätze befinden sich in jenem Stalle,« entgegnete Soroka, auf den Schuppen zeigend.

»Werden wir sie mitnehmen?«

»Dummkopf! Wir finden uns ja gar nicht hier heraus. Ringsum ist das tiefe Moor.«

»Aber wir sind doch hergekommen.«

»Gott hat uns geführt. Sonst kommt keine lebende Seele hier herein, noch hinaus, wenn sie den Weg nicht kennt.«

»Am Tage werden wir ihn schon finden.«

»Das glaube ich nicht, denn die Hufspuren sind von hier aus absichtlich nach allen Richtungen hin geführt.«

»Wir wissen aber, daß die Landstraße eine volle Tagereise von hier entfernt ist,« sagte Bilous, indem er mit dem Finger nach Osten zu wies, »und in jener Richtung. – Wir wollen dorthin zu reiten, solange, bis wir die Landstraße erreichen.«

»Du denkst wohl, daß du sicher bist, sobald du dich auf der Landstraße befindest? Ich aber ziehe die Kugel hier dem Strange dort vor.«

»Wie meint ihr das, Vater?«

»Ich meine, man sucht dort schon nach uns.«

»Wer denn?«

»Der Fürst!«

Wie wenn der Blitz sie getroffen hätte, verstummten alle viere plötzlich. Der Schreck war ihnen in die Glieder gefahren.

»O weh!« seufzte Bilous endlich. »Hier sind wir in Gefahr und dort auch; hier der Tod, dort der Tod.«

»Wir sind ins Netz gegangen wie ein Haifisch. Hier lauern die Räuber, dort der Fürst!« sagte ein anderer Soldat.

»Befehlen wir unsere Seele Gott,« sagte Soroka. »Wenn der Fürst wirklich mit dem Teufel im Bunde ist, dann zeigt ihm der auch den Weg hierher.«

»Seine Arme langen ohnehin weit, wie die aller großen Herren ...« versetzte Bilous.

»Stille doch!« unterbrach Soroka ihn plötzlich. »Es raschelt hier in den Blättern.«

Die Soldaten verstummten wieder.

Es wurden thatsächlich schwere Tritte hörbar, unter deren Last das Laub am Boden hörbar raschelte.

»Pferdetritte!« flüsterte Soroka.

Aber das Geräusch entfernte sich wieder. Gleich darauf vernahm man das kurze, heisere Rohren eines Hirsches.

»Es sind Hirsche. Der Bock lockt die Rieken oder will einen anderen Bock schrecken.«

»Im Walde wird Hochzeit gefeiert! Alle Teufel sind los.«

Wieder verstummten die Soldaten; sie fingen an einzunicken und nur der Wachtmeister hob zuweilen den Kopf und lauschte ein Weilchen, dann fiel ihm der Kopf wieder schwer auf die Brust. Eine Stunde nach der anderen verrann, bis endlich die zunächst stehenden Kiefern heller von dem Dunkel sich abhoben und die Kronen derselben weißlich schimmerten, als wären sie in Silber getaucht. Das Rohren der Hirsche hatte aufgehört – tiefe Stille herrschte in den Wäldern. Allmählich begann das Dämmern in das Morgengrauen überzugehen, das weißliche Licht wurde mit rosiggoldenem Schimmer durchtränkt, zuletzt brach der Tag an und beleuchtete die müden Gesichter der Soldaten, welche jetzt fest eingeschlafen an der Wand der Hütte lehnten.

Da wurde die Thür der Hütte von innen geöffnet. Kmiziz trat auf die Schwelle und rief nach Soroka.

Die Soldaten sprangen auf.

»Um Gotteswillen, Ew. Liebden sind auf?« rief Soroka aus.

»Und ihr schlaft wie die Ochsen,« schalt Kmiziz. »Man könnte euch die Ohren abschneiden und sie hinter dem Zaun verscharren, ehe ihr erwacht.«

»Wir haben die ganze Nacht durchwacht, Herr Hauptmann, und sind erst mit Tagesanbruch eingeschlafen,« versetzte Soroka.

Kmiziz sah sich rings um.

»Wo sind wir?« frug er.

»Im Walde, Herr Hauptmann.«

»Das sehe ich. Aber was ist das für eine Hütte.«

»Das wissen wir selbst nicht.«

»Folge mir!« befahl Herr Andreas und trat in das Innere der Hütte zurück, während Soroka ihm nachging.

»Höre,« sagte Kmiziz, nachdem er sich auf das Lager gesetzt hatte. »Nicht wahr? der Fürst hat auf mich geschossen?«

»Jawohl!«

»Was ist mit ihm geschehen?«

»Er ist entkommen.«

Kmiziz schwieg.

»Das ist schlimm!« sagte er nach einer Weile, »sehr schlimm! Ihr hättet besser gethan, ihn niederzuschießen, als ihn fliehen zu lassen.«

»Das wollte ich auch, aber ...«

»Aber, was?«

Soroka erzählte kurz, was geschehen war. Kmiziz hörte mit erstaunlicher Ruhe zu, nur in seinen Augen blitzte es zornig; endlich sprach er: »So ist er also Sieger geblieben, aber – wir treffen uns noch! Warum hast du die Landstraße verlassen?«

»Ich fürchtete die Verfolgung.«

»Und das mit Recht; sie wird nicht unterblieben sein und wir sind gegenwärtig zu wenige für Boguslaws Macht ... verteufelt wenige! ... Noch dazu zieht er nach Preußen, wir können ihm dorthin nicht folgen.«

Soroka atmete erleichtert auf. Wie es schien, fürchtete Kmiziz den schrecklichen Fürsten nicht, wenn er davon sprach, ihm zu folgen. Das frühere Vertrauen auf ihr Kriegsglück kehrte dem alten Soldaten wieder, der von jeher gewöhnt war, mit dem Kopfe seines Hauptmannes zu denken und mit dessen Herzen zu fühlen.

Herr Andreas war in tiefe Gedanken versunken. Plötzlich fuhr er empor und betastete sich hastig.

»Wo sind meine Briefe?« frug er.

»Welche Briefe?«

»Die, welche ich bei mir hatte ... ich steckte sie in den Gurt, wo ist der Gurt?« frug Kmiziz fieberhaft erregt.

»Den Gurt habe ich Ew. Liebden selbst abgeknöpft, damit ihr leichter atmen konntet; dort liegt er.«

»Gieb her!«

Soroka reichte den Ledergürtel, welcher mit Saffian abgefüttert war, der wiederum mit Schnuren versehen war, die das Futter zu verschiedenen Taschen zusammenziehen ließen. Kmiziz öffnete diese Taschen und entnahm ihnen die darin enthaltenen Papiere.

»Das sind die Geleitscheine an die schwedischen Kommandanten, wo sind die Briefe?« frug er beunruhigt.

»Welche Briefe?« wiederholte Soroka.

»Millionen Donnerwetter! Die Briefe des Hetman an den König von Schweden, an Lubomirski und die anderen, die ich hatte ...«

»Wenn sich dieselben nicht im Gurte befinden, dann müssen sie unterwegs verloren gegangen sein,« antwortete Soroka.

»Zu Pferde! Sucht sie!« schrie Kmiziz in schrecklicher Erregung; doch ehe noch der erschrockene Soroka die Stube verlassen konnte, war Kmiziz taumelnd und kraftlos auf das Lager gesunken und während er mit beiden Händen seinen Kopf hielt, wiederholte er stöhnend immer wieder die Worte:

»O, meine Briefe, meine Briefe! ...«

Unterdessen waren zweie der Soldaten fortgeritten, die Briefe zu suchen. Einer war auf den Befehl Sorokas zurückgeblieben, um vor der Hütte Wache zu halten. Kmiziz blieb allein in der Stube und verfiel sogleich in tiefes Nachdenken über seine Lage, welche durchaus nicht beneidenswert war. Boguslaw war entkommen. Er war der schrecklichen Rache der mächtigen Radziwills preisgegeben und nicht nur ihn würde dieselbe treffen, sondern auch diejenigen, die er liebte, vor allen Olenka. Kmiziz kannte den Fürsten Janusch zu gut, um zu wissen, daß er ihn dort zu treffen wissen würde, wo es ihn am meisten schmerzte, und das war in der Person des Fräulein Billewitsch. Ach, und Olenka war in Kiejdan auf Gnade und Ungnade in den Händen des schrecklichen Magnaten, welcher weder Mitleid noch Erbarmen kannte. Je mehr Kmiziz darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, wie schrecklich die Gefahr war, in welcher sie beide sich befanden. Nachdem er den Fürsten Boguslaw entführt hatte, mußten die Radziwills ihn für einen Verräter halten, Johann Kasimir und alle seine Anhänger hielten ihn bereits dafür, Chowanski hatte längst einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt, die Radziwills mit den Schweden würden es jetzt thun, und wer konnte wissen, ob Johann Kasimir es nicht schon gethan hatte. »O, ich habe mir ein Bier gebraut, welches auszutrinken mir sehr bitter werden wird,« dachte sich Kmiziz. Er hatte den Fürsten entführt, in der Absicht, ihn gefangen den Konföderierten zuzuführen, sie zu überzeugen, daß er mit den Radziwills nicht gemeinschaftliche Sache machte, und sich mit dieser That das Recht zu erwerben, für König und Vaterland zu kämpfen. Andererseits war Boguslaw als sein Gefangener die beste Garantie für die Sicherheit Olenkas gewesen. Jetzt, da Boguslaw ihn niedergestreckt und entflohen, war die Gefahr für sie verdoppelt, denn nun war es offenbar, daß er der Sache Radziwills den Rücken gekehrt. Was aber nützte ihm das? Wollte er wirklich zu den Konföderierten gehen, alles offen bekennen, so würden ihm diese, d. h. Wolodyjowski und seine Freunde, vielleicht das Leben schenken, aber – und das wußte er genau – als Waffenbruder würden sie ihn nicht aufnehmen, sie würden ihm mißtrauen, ihn der Spionage verdächtigen, denn er war es ja, welcher die aufständischen Fahnen in Kiejdan niedergeschossen und Kiejdan mit Schanzen befestigt hatte. »Wie soll ich es wagen, vor sie hinzutreten,« sagte er sich. »Die Pest wäre ihnen ein lieberer Gast als ich. Ja, mit Boguslaw an der Leine, – das wäre etwas anderes – aber mit leeren Händen, nein! ...«

Ja, wenn ihm wenigstens die Briefe geblieben wären. Mit ihrer Hilfe hätte er die Konföderierten überzeugen, durch sie die Sicherheit Olenkas befestigen können, wenn er dem Hetman drohte, sie den Schweden auszuliefern, da ihr Inhalt ihn vor den Schweden kompromittieren mußte.

Aber ein böser Geist hatte ihm die Briefe geraubt. Verzweifelt raufte er sich die Haare und je länger er über sein Geschick nachdachte, desto rasender wurden die Schmerzen, die ihn peinigten.

»Ein Verräter vor den Radziwills, ein Verräter vor Olenka, den Konföderierten, dem Könige – ein Ehrvergessener, der seinen Ruhm, seine Braut, sich selbst verloren hat. Das bin ich! ...« sagte er sich.

Die Wunde in seinem Gesicht brannte, aber nichts war zu vergleichen mit dem Schmerz, der in seiner Seele tobte. Seine ritterliche Eigenliebe war auch tief gedemütigt.

»Bin ich es denn, der das alles gethan hat?« frug er sich selbst.

Und die Haare sträubten sich ihm auf dem Kopfe.

»Es kann ja nicht sein!« schrie er auf. »Die Fieberphantasieen spiegeln mir diese gräßlichen Dinge vor! – Heilige Mutter Gottes, es kann ja nicht sein! ...«

»O du verblendeter Wicht!« flüsterte ihm das Gewissen zu. »Warum bist du nicht den Mahnungen Olenkas gefolgt und im Dienste des Königs und des Vaterlandes geblieben?«

Die Reue packte ihn mit Allgewalt. Ha! wenn er sich jetzt hätte sagen können: die Schweden sind gegen das Vaterland und ich gegen sie! Radziwill gegen den König und ich gegen ihn! Wie würde ihm die Seele leicht werden, wie wollte er Ruhm und Ehre zu erwerben suchen, um reinen Herzens dereinst vor Olenka hintreten und sagen zu können:

»Ich bin kein Verbannter, kein Ausgestoßener mehr, sondern ein Verteidiger des Vaterlandes. Liebe mich, wie ich dich liebe!«

Und nun?

Aber die stolze Seele des Ritters wollte dennoch nicht alle Schuld auf sich nehmen. Die Radziwills – sagte sie – haben mich in das Verderben gestürzt, mir die Hände gebunden, mich der Ehre und meiner Liebe beraubt.

Er knirschte mit den Zähnen und streckte die geballten Fäuste aus. Mit vor Wut erstickter Stimme rief er:

»Rache! Rache!«

Und von wildester Verzweiflung gepackt, warf er sich mitten in der Stube auf die Kniee und sprach laut:

»Ich gelobe dir, Herr Christe, die Verräter zu verfolgen und zu quälen mit dem Rechte, mit Feuer und Schwert, so lange ich atmen kann und ein Funken Leben in mir ist! So wahr du mir beistehen mögest, König von Nazareth! Amen.«

Da schien eine innere Stimme ihm zuzuflüstern:

»Dem Vaterlande sollst du dienen, die Rache für später! ...«

Die Augen des Herrn Andreas glänzten im Fieber, seine Lippen waren verbrannt, er bebte am ganzen Leibe. Mit den Armen fuchtelnd begann er hin und her zu rennen, stieß mit den Füßen an die Lagerstätten; zuletzt kniete er noch einmal nieder.

»Erleuchte mich, Christe! Was soll ich thun! Bewahre mich vor dem Wahnsinn.«

Da ertönte der Knall eines Gewehrschusses, welcher, vom Echo des Waldes getragen, von Baum zu Baum sich fortpflanzend, donnerähnlich in die Hütte drang.

Kmiziz sprang auf, griff nach seinem Säbel und stürmte hinaus.

»Was ist los?« frug er den Soldaten, welcher an der Schwelle Wache hielt.

»Ein Schuß ist gefallen, Herr Hauptmann!«

»Wo ist Soroka?«

»Er ist ausgeritten, die Papiere zu suchen.«

»In welcher Richtung fiel der Schuß?«

Der Soldat wies nach Osten, wo der Wald dicht mit Unterholz verwachsen war.

»Dort!«

In diesem Augenblick hörte man das Getrappel von noch unsichtbaren Pferden.

»Aufgepaßt!« rief Kmiziz.

Aus dem Waldesdickicht kam Soroka hervorgaloppiert, was das Pferd laufen konnte, ihm dicht auf den Fersen der andere Soldat. Sie kamen auf die Hütte zugejagt, sprangen von den Pferden und indem sie sich hinter dieselben wie hinter Schanzen stellten, richteten sie die Läufe ihrer Musketen nach der Richtung, von welcher sie gekommen.

»Was giebt es?« frug Kmiziz.

»Die Räuberbande kommt!« entgegnete Soroka.

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