Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11. Kapitel

Von dem Thore der Veste Tschenstochau bis zur Kirche gingen die Andächtigen nicht mehr, sondern sie rutschten auf ihren Knieen dahin, gleichviel, ob Mann, ob Weib oder Kind; Menschen jeden Alters und jeden Standes waren unter ihnen zu finden. Sie legten auf den Knieen langsam ihren Weg zum Heiligtum zurück, und wenn das Gedränge zu groß wurde, dann hielt man an, um die Ordnung wiederherzustellen. Fromme Lieder tönten dabei aus Hunderten von Kehlen; sie wechselten ab mit dem Beten der Litanei, deren Worte wie das dumpfe Grollen des Donners anzuhören waren. Zwischendurch traten Pausen ein, während welcher die Menge mit der Stirn die Erde berührte oder zu Kreuze lag. Dann konnte man die flehenden, durchdringenden Stimmen der Bettler hören, welche zu beiden Seiten des Menschenstromes saßen und den Blicken desselben ihre verletzten oder wunden Gliedmaßen preisgaben. Ihr Geheul vermischte sich mit dem Klingen des Kupfergeldes, welches wohlthätige Spender in die hingehaltenen Blechbüchsen oder Holzteller warfen.

Je mehr die Menge der Betenden sich der Kirche näherte, desto größer wurde ihre Begeisterung. Die Arme erhoben sich, die Augen leuchteten und blickten zum Himmel empor, während die Röte der inneren frommen Erregung ihnen auf die Wangen trat. Der Unterschied der Stände schwand. Hier waren alle Stände gleich und ein jeder fühlte sich angesichts des Heiligtums nur als Mensch.

In der Kirchenthür wurde das Gedränge noch größer. Kopf an Kopf, Schulter an Schulter hoben, schoben und trugen sie sich gegenseitig hinein in das Gotteshaus. Der Geist, welcher sie alle beseelte, machte sie widerstandsfähig gegen den Druck, welchen sie auszuhalten hatten, der Atem ging ihnen aus, aber keiner von ihnen dachte an etwas anderes, wie an das Gebet, förmlich berauscht von der Exaltation, in welcher alle sich befanden.

Kmiziz, welcher mit seinen Leuten bis zur Kirche in den vordersten Reihen gerutscht war, wurde von der nachdrängenden Menge in die Kapelle mit dem Gnadenbilde gedrängt. Er folgte dem Beispiel anderer, die zugleich mit ihm dorthin gelangten; er beugte sich tief herab und küßte den Boden vor dem Altar mit dem Bilde, und als er endlich wagte, sich aufzurichten, benahm ihn ein Gefühl des Glückes, der Wonne, vermischt mit einem seltsamen Bangen fast die Besinnung.

In der Kapelle herrschte Dämmerung, welche der Glanz der brennenden Kerzen nicht vollständig zu durchleuchten vermochte. Die Sonne warf gedämpfte farbige Schatten durch die buntgemalten Fenster, welche bald goldig, bald rot oder violett über die Wände, Stuckwerke, Pfeiler und Ecken bis in die entferntesten Winkel hingaukelten und huschten. Die Kerzen auf dem Altar trugen einen Glorienschein, der Rauch aus den Weihrauchbehältern erfüllte den Raum mit purpurfarbenen Nebeln und das weiße Ornat des Geistlichen, welcher das Meßopfer brachte, spielte in allen Farben des Regenbogens.

Aus dem Hauptschiff der Kirche drang ein dumpfes Gemurmel herein, wie das Rauschen des Meeres, während hier tiefste Stille herrschte, die nur durch die Stimme des Geistlichen unterbrochen wurde, der die Votive sang. Dieser Gesang wurde von den sanften Tönen der Orgel begleitet. Sie drangen vom Chore herab und durchflossen die Kirche wie überirdische Klänge, bald leise und mild, bald anschwellend zu gewaltigem Brausen.

Das Gnadenbild war noch verhüllt. Im Dämmerlicht sah man, wie die Augen aller auf dasselbe gerichtet waren. Voll Verlangen, die Gesichter unbeweglich, mit gefalteten Händen harrten sie auf die Enthüllung desselben, losgelöst von allem Irdischen, die Herzen nur dem Himmel zugewendet.

Da plötzlich schmetterten die Trompeten, die Kesselpauken wirbelten, – ein Schauer erfüllte die Herzen der Gläubigen.

Der Vorhang vor dem Bilde teilte sich, ein Strahlenmeer fiel von oben herab auf die Andächtigen.

Weinen, Wehklagen und Ausrufe wurden hörbar:

» Salve Regina!« sprachen die Adligen, » monstra te esse matrem« und die Bauern riefen: »Heiligste Jungfrau! Goldene Jungfrau! Königin der Engel! rette, hilf, tröste, erbarme dich unser!«

Kmiziz war ganz abwesend; er fühlte, daß dies hier die unfaßliche Unendlichkeit sei, angesichts welcher alles schwand, alles nichtig ward. Was galten alle Zweifel gegenüber dieser Vertrauensseligkeit, welches Elend fand hier nicht Trost, welche irdische Gewalt konnte dieser Himmelsmacht trotzen, was menschliche Bosheit hier ausrichten?

Nach beendetem Meßopfer fand sich Kmiziz, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen, wieder im Hauptschiff. Ein Geistlicher predigte, und die ersten Worte, welche er wieder mit vollem Bewußtsein hörte, waren die folgenden: »Hier ändern sich schuldige Herzen, die Seelen kehren zurück zur Gnade. Kein Feind, keine Menschengewalt kann diese Stätte bewältigen, so wie der Geist der Finsternis niemals den Geist des Lichtes besiegen kann!«

»Amen!« sagte Kmiziz still für sich. Ihm schien es plötzlich sündhaft, zu denken, daß alles verloren, alle Hoffnung geschwunden sei. Er verließ das Gotteshaus, hielt den ersten Klosterbruder, welcher ihm begegnete, an, und teilte ihm mit, daß er in Angelegenheiten des Klosters und der Kirche den Prior bald sprechen müsse.

Der Prior gab ihm sogleich Gehör. Er war ein Mann in den reifen Lebensjahren, wo der Mensch beginnt, dem Greisenalter zuzuneigen. Sein Gesicht war heiter, eine unendliche Güte leuchtete aus den blauen Augen, welche forschend und lebhaft dreinschauten. Das Kinn und ein Teil der Wangen war von einem dichten schwarzen Barte umrahmt; er sah in seinem weißen Habit aus wie ein Heiliger. Kmiziz zog den Aermelsaum des Gewandes an seine Lippen, während der Prior seinen Kopf mit den Händen preßte und frug, wer er sei und woher er komme.

»Ich komme aus Smudz, um der heiligen Jungfrau, dem verlassenen Könige und dem Vaterlande meine Dienste zu weihen. Ein großer Sünder, will ich alles mich betreffende ausführlich beichten, auch meinen wahren Namen in der Beichte nennen, denn ich trage einen falschen, und will vor den Menschen Babinitsch heißen, nach einem meiner Güter, welches mir die Feinde genommen haben. Zuerst aber bringe ich eine wichtige Nachricht, die ich euch, ehrwürdiger Vater, geduldig anzuhören bitte, da es sich um das Heiligtum und um das Kloster handelt!«

»Ich kann euer Vorhaben, ein sündiges Leben zu bessern, nur loben,« sprach der Prior Kordezki. »Eure Beichte will ich nachher sogleich abnehmen, jetzt sprecht! – ich höre!«

»Meine Reise währte lange,« begann Kmiziz. »Ich habe viel gesehen und großen Kummer erlebt ... Ueberall hat der Feind sich festgesetzt, das ganze Land gehört den Schweden, viele der Unsrigen sind in ihr Lager übergegangen, so daß sie durch die glänzenden Erfolge, durch die Einnahme beider Hauptstädte übermütig gemacht, jetzt die kirchenschänderischen Hände nach dem heiligen Berge auszustrecken im Begriff stehen.«

»Von wem habt ihr diese Nachricht?« frug der Prior.

»In meinem letzten Nachtquartier in Kruschyn traf ich mit dem schwedischen Kapitän Weyhard Wrestschowitsch und dem Kaiserlichen Gesandten Lisola zusammen. Letzterer ist auf seiner Rückreise vom Brandenburger Hofe begriffen und will zum Könige von Schweden.«

»Der König von Schweden ist nicht mehr in Krakau,« sagte der Prior, indem er Kmiziz durchdringend in die Augen sah.

Doch Herr Andreas senkte seinen Blick nicht und fuhr fort:

»Ich weiß nicht, ob er dort ist oder nicht ... Ich weiß nur, daß Lisola zu ihm wollte und Wrestschowitsch ihm entgegen geschickt war, die Eskorte des Gesandten abzulösen und ihn weiter zu bringen. Sie sprachen deutsch, weil sie dachten, ich verstehe sie nicht; ich aber spreche die deutsche Sprache wie meine Muttersprache, da hörte ich denn, daß Wrestschowitsch dem Könige den Vorschlag gemacht hat, das Kloster zu überfallen und die Schatzkammer zu berauben, wozu der König auch seine Einwilligung gegeben hat.«

»Und ihr habt das mit eigenen Ohren gehört?«

»So wahr ich hier stehe!«

»Gottes Wille geschehe!« sprach der Prior vollkommen ruhig.

Kmiziz erschrak. Er glaubte nicht anders, als der Prior betrachte den Befehl des Königs als den Willen Gottes und denke nicht an einen Widerstand, darum sagte er nicht ohne Verlegenheit:

»Ich sah die Kathedrale von Pultusk von den Feinden besetzt; die Soldaten spielten im Heiligtum Gottes Karten, auf den Altären standen Tonnen mit Bier und leichtfertige Dirnen trieben ihre schamlosen Scherze mit den Landsknechten.«

Wieder senkte der Prior seinen Blick tief in die Augen des Ritters.

»Seltsam!« sagte er. »Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe leuchten aus euren Augen ...«

Kmiziz errötete. »Ich soll sogleich tot niederstürzen, wenn das nicht Wahrheit ist, was ich sage.«

»Auf alle Fälle ist die Nachricht sehr wichtig. Sie fordert längere Beratung. Erlaubt, daß ich einige ältere Ordensbrüder und ein Paar Edelleute herbeihole, welche gegenwärtig bei uns wohnen. Wollt ihr vor ihnen das Gesagte wiederholen? ...«

»Gern will ich das!« antwortete Kmiziz.

Der Prior entfernte sich und kehrte nach Verlauf einer Viertelstunde mit vier älteren Klostervätern zurück. Bald darauf betraten noch Herr Ruschytz-Samojski, der Schwertträger von Sieradz, ein ernster Mann, Herr Okielnizki, der Fähnrich von Wielun, Herr Peter Tscharniezki, ein junger Kavalier mit der Miene des Mars und hoch und stark gewachsen wie eine Eiche, mit mehreren anderen Edelleuten verschiedenen Alters das Gemach. Der Prior Kordezki stellte den Herrn Babinitsch aus Smudz vor und teilte ihnen die Neuigkeiten mit, welche er von Kmiziz erfahren. Die Blicke aller richteten sich forschend auf den Ritter, während der Prior hinzusetzte:

»Obgleich nicht anzunehmen ist, daß dieser Kavalier uns böswillig zu ängstigen die Absicht hat, wäre es doch möglich, daß er selbst hinter das Licht geführt, von den Ungläubigen als Werkzeug eines Scherzes benutzt wird, um uns in Angst und Sorge zu versetzen, was für sie die größte Freude wäre.«

»Das erscheint auch mir wahrscheinlich,« sagte der Pater Nieschkowski, der Aelteste der Versammlung.

»Man muß doch erst ergründen, ob dieser Kavalier nicht selber ein Ungläubiger ist?« versetzte Herr Peter Tscharniezki.

»Ich bin Katholik, wie ihr!« entgegnete Kmiziz.

»Was meint ihr zu dieser Nachricht, ehrwürdiger Vater?« frug Herr Samojski.

»Meine Ansicht ist die: Wenn die Schweden wirklich die Absicht haben, das Kloster zu überfallen, so müßte es denn Gottes Ratschluß sein, daß sie mit Blindheit geschlagen alles Maß der Ungerechtigkeit überschreiten, damit ihren Fall herbeiführen und sich ihr eigenes Verderben bereiten. Wenn Gott sie nicht geradezu mit Blindheit geschlagen hat, dann werden sie niemals wagen, die Hand nach den Schätzen des heiligen Berges auszustrecken, denn der Tag, da sie das thun, wird der Tag sein, wo ihr Kriegsglück sich wendet und unser Volk zur Besinnung und inneren Einkehr kommt.«

Mit staunender Bewunderung lauschte Kmiziz den Worten des Prior; sie widerlegten geradezu das, was Wrestschowitsch noch gestern gegen die polnische Nation gesprochen. Als der Prior geendet, wandte er sich an ihn mit den Worten:

»Und warum, ehrwürdiger Vater, sollten wir nicht glauben, daß Gott endlich den stolzen Uebermut der Feinde zu strafen gedenkt, welche Schritt für Schritt alles an sich reißen und selbst vor kirchenschänderischen Gewaltakten nicht zurückschrecken?«

Der Prior antwortete ihm nicht direkt, dafür wandte er sich an die ganze Versammlung und fuhr fort:

»Dieser Kavalier sagt, er habe den Gesandten Lisola gesehen, welcher auf der Reise zum Könige von Schweden begriffen ist. Wie aber ist das möglich, wenn ich doch von den Paulinern in Krakau die bestimmte Nachricht habe, daß der König weder in Krakau noch in Kleinpolen mehr ist, sondern sofort nach der Uebergabe Krakaus nach Warschau abreiste.«

»Das ist unmöglich,« warf Kmiziz ein. »Er will noch die Huldigung des Kronenheeres abwarten, welches unter Potozki steht.«

»Die Huldigung soll Douglas entgegennehmen, so schreibt man mir aus Krakau.«

Kmiziz verstummte; er wußte nichts mehr zu sagen.

»Ich will zugeben,« fuhr der Prior fort, »daß der König dem Gesandten aus dem Wege gehen wollte und ihm den Wrestschowitsch entgegen schickte, um ihm die Enttäuschung zu überzuckern. Karl Gustav liebt solche diplomatische Kunstgriffe. Nur eins nimmt mich Wunder! Wie käme Wrestschowitsch dazu, den Gesandten sogleich mit den Absichten des Königs bekannt zu machen, da der Baron doch Katholik und uns und dem verbannten Könige freundschaftlich zugethan ist?«

»Es ist undenkbar!« sagte Pater Nieschkowski.

»Wrestschowitsch ist ebenfalls Katholik und uns wohlgesinnt,« sprach ein anderer Pater.

»Und dann bedenkt, daß ich einen Schutzbrief von Karl Gustav besitze, welcher das Kloster für alle Zeit vor Einquartierung und Requisitionen sichert,« setzte der Prior hinzu.

»Es ist doch einleuchtend, daß die Angaben des Kavaliers gar nicht mit den vorhandenen Thatsachen übereinstimmen,« sagte Herr Samojski, und sich an Kmiziz wendend, frug er:

»Wozu also Herr Kavalier und zu welchem Zweck beunruhigt ihr die ehrwürdigen Väter und uns mit euren Erzählungen?«

Kmiziz stand da wie ein Angeklagter vor Gericht. Er sah ein, daß der Schein gegen ihn war. Was aber, wenn sie ihm wirklich nicht glaubten? Verzweiflung und Zorn bemächtigte sich seiner, der alte Kmiziz erwachte in ihm, aber er bezwang sich gewaltsam und sagte sich unaufhörlich: »Geduld, Geduld! Die alte Schuld wird gestraft!« Endlich antwortete er gelassen:

»Ich wiederhole noch einmal: Weyhard Wrestschowitsch hat Befehl, das Kloster zu überfallen und zu plündern. Um welche Zeit, weiß ich nicht, aber ich denke, es soll bald geschehen ... Ich warne euch und euch, meine Herren, trifft die Verantwortung, wenn ihr meine Warnung nicht hören wollt ...«

Darauf sagte Herr Peter Tscharniezki mit Nachdruck:

»Gemach, Herr Kavalier, gemach! ... Ihr habt keine Stimme hier!«

Darauf wandte er sich an die Versammelten:

»Erlaubt, ehrwürdige Väter, daß ich ein paar Fragen an diesen Ankömmling richte ...«

»Ihr habt kein Recht, mich zu beleidigen!« rief Kmiziz.

»Und auch keine Lust dazu,« antwortete Herr Peter kühl. »Es handelt sich hier um das Kloster und das Heiligtum der heiligen Jungfrau. Deshalb laßt die Beleidigungen fahren, verlegt sie auf später, ich stehe euch zu Diensten, deß könnt ihr sicher sein. Ihr bringt Neuigkeiten, die wir auf ihre Wahrheit hin prüfen müssen; das ist billig und darf euch nicht kränken. Wenn ihr mir nicht antworten wollt, dann müssen wir denken, ihr fürchtet in Widersprüche zu geraten.«

»Gut! fragt zu!« sagte Babinitsch, die Zähne aufeinander beißend.

»Also, dann! Ihr seid aus Smudz?«

»Jawohl.«

»Und seid ihr hierher gekommen, um nicht dem Radziwill und den Schweden dienen zu müssen?«

»So ist es!«

»Warum seid ihr denn nicht den aufständischen Fahnen beigetreten, welche sich von Radziwill losgesagt haben, oder bei dem Herrn Sapieha geblieben, welcher eine Armee dort kommandiert? ...«

»Das ist meine Sache!«

»Aha! eure Sache!« sagte Tscharniezki. »Dann beantwortet ihr mir vielleicht einige andere Fragen.«

Herr Andreas bebte am ganzen Leibe; es zuckte ihm in den Händen, nach der schweren kupfernen Glocke zu greifen, welche auf dem Tische stand, um sie dem Frager an den Kopf zu werfen. Aber er bezwang sich noch einmal.

»Fragt mich!« rief er.

»Wenn ihr von Smudz kommt, dann müßt ihr wissen, was am Hofe des Verräters geschieht. Nennt mir diejenigen, welche ihm zum Untergange des Vaterlandes beigestanden und jetzt seine Hauptleute sind.«

Kmiziz wurde kreideweiß; er nannte einige Namen. Herr Tscharniezki hörte sie an, dann sagte er:

»Ich habe einen Freund am Hofe des Königs, Tysenhaus, welcher mir den Schlimmsten von allen nannte. Wißt ihr nichts von diesem Erzschelm, welcher wie Kain das Bruderblut vergoß, – wißt ihr nichts von Kmiziz?«

»Ehrwürdige Väter!« rief Herr Andreas bebend vor Zorn und Aufregung, »beim ewigen Gotte, das ertrage ich nicht; möge eine geistliche Person mich fragen, nur laßt mich nicht diesem Edelmännchen Rede stehen! ...«

»Laßt ihn in Frieden!« sagte Prior Kordezki zu Herrn Peter. »Es giebt für uns Wichtigeres, als die Person dieses Kavaliers.«

»Nur eine Frage noch ... Ihr dachtet wohl nicht daran, daß wir eure Aussagen bezweifeln könnten?«

»So wahr Gott lebt, nein!« antwortete Herr Andreas.

»Welchen Lohn habt ihr dafür erwartet?«

Anstatt zu antworten, langte Herr Andreas mit beiden Händen in einen ledernen Beutel, welcher von seinem Gurt herabhing, und als er sie wieder herausbrachte, schüttete er zwei Hände voll echter Perlen, Smaragde, Türkisen und andere Edelsteine auf den Tisch.

»Da seht!« sagte er mit heiserer Stimme. »Nicht um Gold und Lohn bin ich hierher gekommen! ... Das sind Perlen und Edelsteine, im ehrlichen Kampfe erbeutet ... Sie sind alle von den Kolpacks der Bojaren heruntergerissen! ... Da habt ihr mich! ... Brauche ich euren Lohn? ... Ich wollte das der heiligen Jungfrau opfern ... aber erst nach der Beichte ... mit reinem Herzen! ... Da nehmt ... ich habe mehr davon! ... O ihr! ...«

Sie verstummten alle beim Anblick der kostbaren Kleinodien, welche der Fremde wie Grütze in einem Beutel bei sich trug. Jeder von ihnen frug sich unwillkürlich, wozu dieser Mensch wohl das alles erdacht haben sollte, wenn es ihm nicht um einen Lohn zu thun war.

Herr Peter stutzte; denn es liegt in der Natur des Menschen, daß der Anblick fremder Macht und fremden Reichtums ihn bestrickt. Sein Verdacht wurde hinfällig, denn wie hätte dieser große Herr, welcher die Edelsteine handvollweise verschenken konnte, die guten Mönche wohl um eines Lohnes wegen ängstigen wollen?

Die Anwesenden blickten einander an, während Kmiziz erhobenen Hauptes neben seinen Kleinodien stand, einem wütenden Adler gleich, mit zornfunkelnden Augen, geröteten Wangen, auf welchen die noch kaum ganz verheilte Wunde scharf blaurot hervortrat. So wie er dastand, den drohenden Blick auf Herrn Tscharniezki gerichtet, war er gräßlich anzuschauen, der Herr Babinitsch.

»Euer Zorn ist ehrlich,« sagte Pater Kordezki. »Aber nehmt die Kleinodien wieder zu euch, denn die heilige Jungfrau nimmt nicht, was im Zorn, wenn auch im gerechten, geopfert wird. Kommen wir zur Sache! ...«

»Schließt die Thore! bei der Barmherzigkeit Gottes, schließt die Thore!« rief Kmiziz, die Hände ringend, daß dieselben in den Gelenken knackten.

In seiner Stimme und Haltung lag eine so ungekünstelte Verzweiflung, daß die Anwesenden wider Willen ein Schaudern überlief, als wäre die Gefahr schon da.

»Wie ginge das an?« sagte Pater Kordezki. »Ich kann doch unmöglich die Andächtigen hinaustreiben, die heilige Jungfrau der Ehrenbezeugungen berauben und Tag und Nacht die Thore geschlossen halten?«

»Wir sind ohnehin wachsam über alles, was in der Gegend vorgeht, wir bessern schlechte Stellen in der Mauer aus, denn Vorsicht ist immer geboten, besonders da Karolus abgereist ist und Wittemberg ein strenges Regiment führt, wobei er die Geistlichkeit nicht schont. Wir können ja tagsüber die Andächtigen kommen lassen, nachts aber die Thore schließen,« sprach Herr Samojski.

Kmiziz atmete auf.

»Gott sei Dank! Gott sei Dank!« rief er.

»Herr Kavalier,« sagte Pater Kordezki zu ihm. »Gott lohne euch die gute Absicht. Solltet ihr Recht behalten, so habt ihr euch ein unauslöschliches Verdienst um diese heilige Stätte erworben. Wundert euch nicht, daß wir euch mißtrauten, wir haben unsere Gründe hierfür. Und nun zur Vesperandacht! Wir wollen den Schutz der Gottesmutter anrufen und dann ruhig schlafen gehen, denn wo wären wir sicherer, als hier unter ihrem Schirm.«

Sie gingen auseinander. Nach der Vesperandacht hörte Pater Kordezki selbst die Beichte des Herrn Andreas. Die Kirche war schon leer und es währte lange, ehe Kmiziz geendet. Darauf lag er bis Mitternacht vor der geschlossenen Pforte zur Kapelle zu Kreuze. Um Mitternacht kehrte er in seine Zelle zurück, weckte den Soroka und ließ sich vor dem Zubettgehen von ihm geißeln, bis das Blut an Rücken und Schultern herablief.

.

 << zurück weiter >>