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12. Kapitel

So galoppierten sie lange durch den Wald. Die Fichten flogen an ihnen vorüber, sie kamen an Waldschenken, Köhlerhütten und zuweilen auch an einzelnen Wagen vorüber, welche nach Pilwischki fuhren. Von Zeit zu Zeit versuchte der Fürst sich von den Fäusten zu befreien, die mit eiserner Gewalt seine Arme umklammerten, aber die Schmerzen, von welchen diese Versuche begleitet waren, zwangen ihn, sie aufzugeben; dazu drohte Herr Andreas mit Erschießen. Auf diese Weise waren sie dahingejagt, bis der Schaum von den Tieren in Fetzen herabfiel.

Endlich mußte das Tempo verlangsamt werden, denn Menschen und Tieren fing an der Atem auszugehen und Pilwischki lag so weit hinter ihnen, daß an eine Verfolgung nicht mehr zu denken war. Eine Weile ging es nun im Schritt schweigend weiter; die Reiter waren ganz in die Dampfwolken eingehüllt, welche von den Pferden ausströmten.

Der Fürst gab keinen Laut von sich; er bemühte sich augenscheinlich, seine Ruhe und Kaltblütigkeit wieder zu gewinnen und erst, als ihm dies vollständig gelungen war, frug er:

»Wohin wollt ihr mich bringen?«

»Das werden Ew. Durchlaucht am Ende des Weges erfahren,« antwortete Kmiziz,

Boguslaw verstummte. Nach einiger Zeit sagte er:

»Befehlt euren Knechten, mich loszulassen; sie reißen mir die Arme aus. Wenn das geschieht, so lasse ich sie einfach strangulieren, wenn nicht, kommen sie auf den Pfahl.«

»Sie sind Adlige, keine Knechte!« antwortete Kmiziz. »Und was die Strafe betrifft, mit welcher Ew. Durchlaucht drohen, so kann man nicht wissen, wen der Tod zuerst trifft.«

»Wißt ihr, gegen wen ihr eure Hand erhoben habt?« frug der Fürst zu den Soldaten gewendet.

»Ja, wir wissen es!« lautete die Antwort.

»Bei allen Millionen Teufeln!« schrie der Fürst wütend, laßt ihr mich los oder nicht?«

»Ich werde Ew. Durchlaucht die Hände auf den Rücken binden lassen, das wird bequemer sein.«

»Das geht nicht! ... Dabei werden meine Arme vollends verrenkt!«

»Einen anderen würde ich auf Ehrenwort von den Fesseln befreien,« sagte Kmiziz, »aber ihr seid wortbrüchig.«

»Ich verpfände in anderer Weise mein Wort«, versetzte der Fürst, »nämlich, ich werde nicht nur bei nächster Gelegenheit deinen Händen entwischen, sondern dich vierteilen lassen, sobald ich deiner habhaft werde!«

»Man muß tragen, was Gott auferlegt!« erwiderte Kmiziz. »Aber eine ehrliche Drohung ist mir lieber, als ein falsches Versprechen. Laßt seine Arme los, nehmt nur das Pferd am Zügel und hier, seht, Durchlaucht! Es bedarf nur eines leisen Druckes auf den Hahn, um euch eine Kugel in den Rücken zu jagen und bei Gott, ich werde nicht fehlen, denn ich habe noch nie gefehlt. Macht keinen Fluchtversuch und sitzt stille.«

»Ich mache mir nichts aus euch und eurer Waffe, Herr Kavalier.«

Während er das sagte, reckte der Fürst die schmerzenden Arme, um sie wieder gelenkig zu machen. Die Soldaten hatten inzwischen das Pferd von beiden Seiten am Zügel gefaßt und führten es nun.

Nach einer Pause sagte Boguslaw:

»Ihr wagt es wohl nicht, mir in die Augen zu sehen, Herr Kmiziz – weil ihr euch hinter mich verkriecht.«

»Im Gegenteil!« entgegnete Herr Andreas – und indem er sein Pferd antrieb, drängte er den Zawratynski bei Seite, faßte selbst den Zügel des Rappen und sah dem Fürsten gerade in das Gesicht.

»Nun, wie gefällt euch mein Pferd?« frug er dabei. »Habe ich übertrieben, oder ihm eine Tugend zugelogen?«

»Ein gutes Tier!« antwortete der Fürst. »Wollt ihr, so kaufe ich es euch ab.«

»Ich danke! Das Tier verdient ein besseres Los, als bis zu seinem Ende einen Vaterlandsveräter zu tragen.«

»Ihr seid dumm, Herr Kmiziz.«

»Ihr habt Recht denn ich glaubte an die Radziwills.«

Wieder trat eine Pause ein, welche der Fürst zuerst unterbrach.

»Sagt einmal, Herr Kmiziz«, begann er, »seid ihr sicher, daß ihr bei gesunden Sinnen seid, oder seid ihr wahnsinnig? Habt ihr schon darüber nachgedacht, was ihr toller Mensch gethan habt? Denkt ihr nicht, daß es besser wäre für euch, ihr lebtet nicht? Eine so freche That würde niemand wagen, weder in Polen, noch in ganz Europa.«

»Der beste Beweis, daß in diesem Europa der Mut und Tapferkeit rare Artikel sind, denn ich habe Ew. Durchlaucht entführt und lasse euch nicht frei.«

»Wahrhaftig, ich habe es mit einem Wahnsinnigen zu thun!« sprach der Fürst, wie für sich.

»Mein durchlauchtigster Fürst,« erwiderte Herr Andreas. »Ihr seid in meiner Hand, findet euch darein und spart die Worte! Verfolgt werden wir nicht, denn eure Leute denken, ihr seid freiwillig mit uns gegangen. Niemand hat gesehen, wie meine Leute euch bei den Armen faßten. Sie werden zwei Stunden warten, die dritte Stunde in Ungeduld verbringen, während der zwei folgenden sich ängstigen, in der sechsten Leute ausschicken euch zu suchen, inzwischen aber sind wir hinter Mariampol.«

»Und was folgert daraus?«

»Daß sie uns nicht einholen können, selbst wenn sie gleich nach uns fortgeritten wären, denn unsere Pferde sind ausgeruht, während die eurigen wegemüde sind. Sollten sie uns aber wunderbarerweise einholen, so würde auch das nichts nutzen, denn – so wie ihr mich hier vor euch seht, ich würde euch den Kopf zerschmettern ... wahrhaftig, ich thue es, ohne Besinnen, sobald es notwendig wird. Seht ihr nun ein, daß Kmiziz mit seinen sechs Leuten, den Radziwill seinem ganzen Hof- und Dienertroß zum Trotz am Kragen hält?«

»Und was sonst?« sprach der Fürst.

»Nichts sonst! Wir reiten weiter, so lange es mir gefällt. Danket Gott, Durchlaucht, daß ihr nicht schon tot seid, denn hätte ich mir nicht wenigstens zehn Eimer Wasser über den Schädel gießen lassen, so wäret ihr jetzt schon ins Jenseits befördert, d. h. in die Hölle, wohin Vaterlandsverräter gehören.«

»Das hättet ihr gewagt?«

»Es giebt kaum ein Wagnis, das ich nicht auszuführen den Mut hätte,« sagte Kmiziz, »das kann ich wohl sagen, ohne mich zu überheben. Den besten Beweis habt ihr an euch selbst erlebt.«

Der Fürst betrachtete das Gesicht des Ritters aufmerksamer als bisher, dann sagte er:

»Der Teufel hat es in euer Gesicht geschrieben, daß ihr zu allem fähig seid. Ihr habt Recht; den besten Beweis habe ich an mir ... ich will euch sogar gern gestehen, daß es euch gelungen ist, meine Bewunderung wachzurufen und das ist nichts Kleines.«

»Das ist mir gleichgültig! Dankt Gott, daß ihr noch am Leben seid, basta!«

»Umgekehrt, Herr Kavalier! Das ist eure Sache ... Denn sobald mir nur ein Haar gekrümmt würde, wäre euer Tod sicher. Die Radziwills würden euch zu finden wissen, und solltet ihr euch unter die Erde verkriechen. Rechnet nicht darauf, daß unter den Radziwills selbst jetzt Unfriede herrscht, und die Olyzto und Nieswierscher euch deswegen nicht zur Rechenschaft ziehen werden; ihr irrt, wenn ihr das glaubt, denn das Blut eines Radziwill heischt Rache, furchtbare Rache, sonst wäre es unserem Geschlecht unmöglich, in dieser Republik zu leben. Ihr fändet auch im Auslande keinen Schutz, Deutschland würde euch ausliefern, die Türken euch uns verkaufen. Wo also wolltet ihr euch verbergen?«

»Merkwürdig, daß Ew. Durchlaucht so besorgt um mein Befinden sind,« sagte Kmiziz, »während ich nur den Hahn zu drücken brauche, um ...«

»Es ist nicht zu leugnen, daß es schon häufig vorgekommen ist, daß ein großer Mann von der Hand eines Gemeinen gestorben ist. Auch den Pompejus hat ein Troßknecht erschlagen, Könige von Frankreich sind von Leuten niederen Standes ermordet worden und wir brauchen nicht in der Ferne zu suchen, denn auch meinem großen Vater ist das Gleiche geschehen ... ich möchte nur fragen, was weiter?«

»Ach! was scheere ich mich darum! Ich habe mich nie darum gesorgt, was morgen sein kann. Will es das Geschick, daß ich Händel mit allen Radziwills bekomme, dann ist noch immer die Frage, wer den Kürzeren zieht. Es kommt mir nicht darauf an, einen zweiten und dritten von euch Radziwills zu entführen.«

»Wahrhaftig, Herr Kavalier, ihr gefallt mir! ... Ich wiederhole, ihr allein in ganz Europa vermochtet eine solche That zu vollbringen. Und ihr macht euch nicht einmal Sorgen um die Folgen, um das, was morgen sein kann! Solche Menschen liebe ich; sie werden leider immer seltener auf Erden ... Der Radziwill wird mir nichts dir nichts von ihm entführt und behandelt, wie seinesgleichen. Wo seid ihr denn großgewachsen? Woher stammt ihr?«

»Ich bin Fahnenträger von Orschan!«

»Herr Fahnenträger von Orschan, ich bedaure sehr, daß wir Radziwills einen Menschen verlieren, wie ihr einer seid. Mit solchen kann man viel erreichen. Wenn es sich nicht um meine Person handelte ... Hm! ich gäbe viel darum, euch für uns zu gewinnen ...«

»Es ist zu spät!« sagte Kmiziz.

»Selbstverständlich!« antwortete der Fürst, »viel zu spät! Eines aber verspreche ich euch: Bekomme ich euch in meine Gewalt, dann lasse ich euch doch lieber erschießen, denn ihr seid eines ehrlichen Soldatentodes würdig. Der leibhaftige Teufel seid ihr! Mich mitten aus meinem Hofhalt heraus zu entführen!«

Kmiziz erwiderte nichts; der Fürst wurde nachdenklich, nach einer Weile rief er: »Nehmt endlich Vernunft an! Wenn ihr mich sofort freilasset, verzichte ich auf jede Rache. Ihr gebt mir nur euer Ehrenwort, daß niemand erfährt, was geschehen ist, und gebietet euren Leuten Schweigen.«

»Das kann ich nicht!« sprach Kmiziz.

»Wollt ihr Lösegeld?«

»Nein!«

»Zu welchem Zwecke, beim Teufel, habt ihr mich dann entführt? Das verstehe ich nicht.«

»Darüber ließe sich viel sagen! Ew. Durchlaucht erfahren es später.«

»Was könnten wir unterwegs Besseres thun, als darüber sprechen? Gesteht doch offen, Herr Kavalier, daß ihr mich in der Wut entführt habt und jetzt selber nicht wißt, was ihr mit mir anfangen sollt.«

»Das ist meine Sache,« antwortete Kmiziz. »Ob ich weiß, was ich mit euch anfangen soll oder nicht, das wird sich binnen kurzem zeigen.«

Im Gesicht des Fürsten zuckte es ungeduldig.

»Ihr seid nicht sehr unterhaltend, Herr Fahnenträger von Orschan,« sagte er. »Beantwortet mir wenigstens eine Frage offen: Seid ihr schon mit der Absicht nach Podlachien gekommen, meine Person zu insultieren, oder ist euch der Gedanke erst später gekommen, im letzten Augenblick?«

»Darauf will ich Ew. Durchlaucht antworten, denn mir selbst liegt daran, euch zu sagen, warum ich eurer Sache den Rücken gekehrt habe und – solange ich atme, nicht wieder zu ihr zurückkehre. Der Fürst-Wojewode von Wilna hat mich betrogen und mich einen Eid auf das Kruzifix ablegen lassen, daß ich ihn bis zu seinem Tode nicht verlassen wolle, noch ehe ich ahnen konnte, um was es sich handelte ...«

»Ihr habt euren Eid ja schön gehalten ... Das muß man sagen! ...«

»So ist es!« rief Kmiziz mit gewaltsam unterdrückter Erregung. »Wenn ich meine Seele befleckte, wenn ich der Verdammnis anheimfalle, dann geschieht es durch euch ... Ich vertraue der Barmherzigkeit Gottes ... und ich ziehe vor, den Eid zu brechen und dafür mit ewiger Verdammnis bestraft zu werden, als wissentlich in Sünde und Verrat weiter zu leben. Gott erbarme sich meiner ... Ich bin sowieso ein Verdammter, ob ich weiter bei euch bleibe oder nicht. Das Eine nur kann ich zu meiner Rechtfertigung sagen ... ich wußte nicht, was ich beschwor, und als ich erkannte, daß es der Verrat des Vaterlandes und der Untergang des Namens »Polen« ist, da brach ich den Eid ... Nun möge Gott mich richten!«

»Zur Sache! Zur Sache!« sagte der Fürst ruhig.

Aber Herr Andreas atmete schwer und ritt eine Weile schweigend mit gerunzelten Brauen und gesenktem Blick neben dem Fürsten her, wie einer, den die Last des Unglücks niederdrückt.

»Zur Sache!« drängte Boguslaw.

Kmiziz fuhr empor, als erwache er aus einem Traume, schüttelte sich und sprach: »Ich glaubte an den Fürst-Hetman, wie an meinen eigenen Vater. Noch steht mir lebhaft das Gastmahl in Erinnerung, bei welchem er zum erstenmale öffentlich erklärte, daß er mit den Schweden einen Vertrag geschlossen habe. Ach, was ich damals litt, wird Gott mir anrechnen. Die anderen edlen Ritter warfen ihm ihre Feldherrnstäbe zu Füßen, sagten sich los von ihm, während ich, in Scham und Schande, durch meinen Eid gebunden, den meinigen behielt, und, gedemütigt unter tausend Qualen, mich einen ... Verräter ... nennen hören mußte ... Ach, und wer war es, der mir das häßliche Wort zuerst ins Gesicht schlenderte! ... Ach! ... lieber nicht mehr daran denken, damit ich nicht wahnsinnig werde und in der Tollheit Ew. Durchlaucht sofort die Kugel in den Kopf jage ... Ihr, ihr seid die Verräter, die Betrüger, und ihr habt auch mich dazu gemacht!«

Bei diesen Worten sah Kmiziz den Fürsten an mit einem Blick, in welchem die ganze Verachtung, der ganze Haß sich offenbarte, welcher im Grunde seiner Seele verborgen lag.

Der Fürst hielt den Blick ruhig aus und sagte endlich:

»Sprecht weiter, Herr Kmiziz, das interessiert mich ... sprecht weiter!«

Kmiziz ließ die Zügel des Rappen fahren und nahm die Mütze ab, um seinen heißen Kopf zu kühlen.

»Noch in derselben Nacht,« sprach er weiter, »ging ich zum Fürsten, in der Absicht, ihm den Dienst zu kündigen, ihn zu erwürgen, Kiejdan in die Luft zu sprengen, Gott weiß, was zu thun! Er kannte mich und wußte, daß ich zu allem fähig war! Ich sah es ihm an und sah auch, wie er mit den Fingern in den Pistolenkasten fuhr. Das schadet nichts – dachte ich mir; – entweder trifft er oder fehlt er mich. Aber nichts von alledem. Er begann zu sprechen, mir, dem einfachen Edelmann, entwarf er Zukunftsbilder, zeigte sich mir als Retter des Vaterlandes solange, bis ...«

»Bis er den Jüngling überzeugt hatte!« warf Boguslaw ein.

»Nein, bis ich ihm zu Füßen sank,« schrie Kmiziz wild auf, »in ihm den Befreier des Vaterlandes anbetete und mich ihm mit Leib und Seele ergab.«

»Ich dachte mir, daß es so kommen würde!« bemerkte Boguslaw.

»Mag unerwähnt bleiben, was ich diesem Dienst für Opfer brachte – kurz, ich leistete ihm sehr wichtige Dienste; ich hielt meine Fahne in Zucht und Ordnung, die jetzt bei ihm verblieben ist – und schlug andere, die sich gegen ihn auflehnten, zum größten Teil nieder ... Mit Bruderblut habe ich meine Hände befleckt, in der Meinung, dem Vaterlande damit eine Wohlthat zu erweisen! Wie oft that es mir in der Seele wehe, wenn er befahl, gute, brave Soldaten zu erschießen, wie oft empörte sich meine adlige Natur gegen ihn, wenn er gegebene Versprechen nicht hielt. Immer aber tröstete ich mich mit dem Gedanken: ›Du bist dumm, er ist weise! – es muß sein!‹ Jetzt erst, als ich aus den Briefen von den Vergiftungen hörte, ist mir das Mark in den Knochen geronnen vor Entsetzen. So also soll der Krieg geführt werden gegen die, die ihr eure Feinde nennt? Die Soldaten wollt ihr vergiften? Und solche Thaten sollen würdig sein eines Hetman, eines Wojewoden? Und ich soll der Träger solcher Befehle sein?«

»Ihr versteht nichts von der Politik, Kavalier,« unterbrach ihn Boguslaw.

»Das Donnerwetter soll in diese Politik schlagen! Mögen die Italiener sie anwenden, aber nicht ein Edelmann, dem Gott durch Verleihung so großer Geistesgaben auch die Pflicht auferlegt hat, mit dem Säbel und nicht mit der Apotheke zu kämpfen.«

»Also haben euch die Briefe so vor den Kopf gestoßen, daß ihr den Beschluß faßtet, unserer Sache untreu zu werden?«

»Nicht die Briefe! Ich hätte dieselben dem Feuer oder dem Henker überliefert, denn es ist nicht meines Amtes, Briefbote zu sein. Hätte ich in Kiejdan ihren Inhalt gekannt, so würde ich die Botschaft abgelehnt haben, aber der Sache wäre ich treu geblieben. Mir wurde durch sie nur ein schon früher aufgestiegener Verdacht bestätigt, nämlich der, daß man das Vaterland verderben wolle, wie jene Soldaten ... Gott half mir, meinen Zorn nicht vorzeitig losbrechen zu lassen und gab mir den Gedanken ein und die Kraft, aus euch, Durchlaucht, die nackte Wahrheit herauszulocken. Ein guter Geist flüsterte mir zu: verbirg deine Gedanken, gieb dich als ihren Parteigenossen aus, mache dich schlechter als du bist und ziehe ihn an der Zunge.«

»Wen? Mich?«

»Ja, euch, Durchlaucht! Und Gott half mir einfachem Menschen, den berühmten Politiker zu überlisten. Indem ihr mich für einen Erzschelm hieltet, enthülltet ihr mir euren ganzen Plan. Also, wie die Wölfe wollt ihr herfallen über unsere arme Mutter Erde; den Schweden, Tartaren und dem Chmielnizki zusehen, wie sie ungehindert das rote Tuch in Fetzen reißen, um im geeigneten Augenblick das größte und beste Stück an euch zu bringen? Das also ist der Dank für die Ehren, Aemter, Würden und Reichtümer, die das Vaterland euch gegeben ...«

»Herr Kavalier,« unterbrach der Fürst die Rede Kmiziz', »ihr habt mich in eurer Gewalt, ihr könnt mich töten, nur eins bitte ich: langweilt mich nicht!«

Sie ritten schweigend weiter. Dem Fürsten war aus den letzten Worten Kmiziz' die Erleuchtung gekommen, daß er eine große Unvorsichtigkeit begangen hatte, indem er mit rückhaltloser Offenheit seine und des Hetman Pläne klarlegte; der Fürst und Diplomat hatte sich von dem einfachen Soldaten überlisten lassen. Das verletzte seine Eigenliebe tief, und ohne seinen Unmut zu verbergen, sagte er:

»Haltet nicht zu viel von der Scharfe eures Verstandes, Herr Kmiziz, wenn es euch gelang, mir die Wahrheit zu entlocken. Ich war der Meinung, daß der Fürst-Wojewode diejenigen, welche er mit seinem Vertrauen beehrt, besser kennt.«

»Der Mensch, welchen der Fürst-Wojewode zu euch schickte, war würdig seines Vertrauens,« entgegnete Kmiziz. »aber ihr habt ihn verloren. Von jetzt ab werden nur Schelme euch dienen!«

»Wenn die Art, wie ihr mich entführtet, etwa kein Schelmenstück ist, so soll während der nächsten Schlacht das Schwert mir in der Hand festwachsen.«

»Sie war nur eine List! Ich habe eine harte Schule durchgemacht. Ew. Durchlaucht wollten den Kmiziz kennen lernen – da habt ihr ihn, wie er ist. Ich werde nicht mit leeren Händen vor unseren allergnädigsten König treten.«

»Und glaubt ihr etwa, daß Johann Kasimir mir ein Haar krümmen wird?«

»Das ist seine und der Richter Sache!«

Plötzlich hielt Kmiziz das Pferd an. »Hej!« rief er. »Und der Brief des Fürst-Wojewoden! – Habt ihr ihn bei euch?«

»Wenn ich ihn hätte, würde ich ihn nicht herausgeben!« sagte der Fürst. »Die Briefe sind in Pilwischki geblieben.«

»Durchsucht ihn!« befahl Kmiziz.

Wieder packten die Soldaten den Fürsten unter den Armen. Soroka durchsuchte die Taschen desselben; nach einem Weilchen fand er den Brief.

»Da, wenigstens ein Beweisdokument gegen euch und euer Thun,« sagte Kmiziz, indem er das Papier in Empfang nahm. »Der König von Polen wird daraus ersehen, was ihr vorhabt, der König von Schweden erfahren, daß, obgleich ihr ihm jetzt dient, ihr doch schon daran denkt, euch den Rückzug zu sichern, sobald die Schweden auf ihrem Eroberungszuge ausgleiten sollten. Alle eure Machinationen und Verrätereien sollen ans Tageslicht kommen. Ich habe ja auch noch andere Briefe des Fürsten, an den König von Schweden, an Wittemberg und Radziejowski ... ihr seid groß und mächtig. Dennoch kann euch enge werden in diesem Vaterlande, wenn beide Könige auf Strafe für euch sinnen sollten.«

In den Augen des Fürsten blitzte es unheilverkündend auf; aber er bezwang seinen Zorn und sagte:

»Gut, Kavalier! Es gilt zwischen uns also der Kampf auf Tod und Leben! ... Wir treffen uns noch! ... Ihr könnt uns viel Böses zufügen und schwere Sorgen bereiten. Was ihr gethan, hat in diesem Lande noch keiner gewagt. Wehe euch und den eurigen!«

»Ich habe zum Schutze für mich meinen Säbel, für die Meinigen Lösegeld,« sagte Kmiziz.

»Und mich als Geisel. Aha!« sagte der Fürst.

Und trotz allen Zornes begann er ruhiger zu atmen; er wurde sich in diesem Augenblick bewußt, daß sein Leben nicht bedroht war, denn Kmiziz brauchte seine Person, sie war ihm zu teuer und er beschloß, diesen Umstand für sich auszunützen.

Man hatte wieder ein schnelleres Tempo eingeschlagen. Nach einer weiteren Wegstunde kamen zwei Reiter in Sicht, von denen jeder ein Paar schwerbeladene Lasttiere führte. Es waren die beiden Leute, welche Kmiziz von Pilwischki aus vorausgeschickt hatte.

»Was giebt es?« frug Kmiziz sie, als sie eingeholt waren.

»Die Gäule sind uns sehr müde geworden, Ew. Liebden, denn wir sollen noch rasten,« lautete die Antwort.

»Wir werden bald rasten! ...«

»Hinter jener Wegebiegung ist eine Hütte zu sehen, vielleicht ist es eine Schenke.«

»Der Wachtmeister kann vorausreiten und Futter für die Pferde bestellen. Gleichviel, ob Schenke oder nicht, wir müssen Rast halten! ...«

»Zu Befehl, Herr Kommandant.«

Soroka gab seinem Pferde die Sporen, die andern folgten langsam nach.

Kmiziz ritt an einer Seite des Fürsten, Lubieniez an der anderen. Der Fürst war ganz ruhig geworden; er zog auch Kmiziz nicht mehr in ein Gespräch. Er schien ermüdet von dem scharfen Ritt und der Aufregung; sein Kopf hing etwas geneigt vornüber, die Augen waren geschlossen. Trotz dieser scheinbaren Ermattung schielte er von Zeit zu Zeit bald nach Kmiziz, bald nach Lubieniez hinüber, welche die Zügel seines Pferdes hielten, wie um zu erspähen, welcher von beiden leichter zu bewältigen war, wenn er einen Fluchtversuch wagen wollte.

Mittlerweile waren sie an der Hütte angekommen, die auf einem Zipfel des Waldes lag. Es befand sich keine Schenke darin, sondern eine Schmiede und ein Rademacher mit seiner Werkstatt, bei welchen die Vorüberreisenden ihre schadhaft gewordenen Fuhrwerke ausbessern ließen. Zwischen dem Hause und der Landstraße lag ein kleiner freier Platz, auf welchem zerbrochene Räder und andere Hölzer verstreut umherlagen. Von Vorüberreisenden war niemand da, nur das Pferd Sorokas war an den Schmiedepfahl angebunden und Soroka selbst sprach mit dem Schmiede, einem Tartaren, und seinen beiden Gehilfen.

»Die Stärkung bei dieser Rast wird nicht weit her sein«, sagte der Fürst lächelnd, »es wird hier nichts zu haben sein.«

»Wir führen Lebensmittel und Branntwein mit uns«, sagte Kmiziz.

»Das ist gut, denn wir müssen Kräfte sammeln.«

Sie hielten an. Kmiziz steckte die Pistole in den Gurt, sprang aus dem Sattel und während Soroka ihm sein Roß abnahm, griff er wieder nach den Zügeln des Rappen, welche Lubieniez auf der anderen Seite noch nicht aus der Hand gelassen hatte.

»Ew. Durchlaucht wollen absteigen!« sprach Kmiziz.

»Aber warum? Ich werde im Sattel essen und trinken« entgegnete der Fürst, indem er sich zu Kmiziz herabbeugte.

»Ich bitte zur Erde!« rief Kmiziz drohend.

»Und du steige unter die Erde!« brüllte der Fürst, während er mit Blitzesschnelle die Pistole aus dem Gurt des Ritters riß und ihm direkt in das Gesicht abfeuerte.

»Jesus! Maria!« schrie Kmiziz.

Gleichzeitig stieg das Pferd des Fürsten, von dessen Sporen gedrängt, kerzengerade in die Höhe; der Fürst wand sich wie eine Schlange herum und schlug den Lauf der Pistole dem Lubieniez zwischen die Augen.

Lubieniez schrie entsetzt auf und fiel vom Pferde. Ehe noch die anderen recht begriffen, was geschah, ehe noch der Schreckensschrei auf ihren Lippen erstarb, hatte der Fürst sie auseinandergesprengt und jagte wie ein Sturmwind den Weg nach Pilwischki zurück.

»Fangt ihn! Haltet fest!« schrieen wilde Stimmen.

Die drei Soldaten, welche noch zu Pferde saßen, jagten ihm nach; Siroka griff nach einer an der Wand lehnenden Muskete und zielte. Der Rappe dehnte mit der Geschmeidigkeit eines Rehes seine Glieder; er flog wie ein Pfeil dahin. Der Schuß knallte. Soroka stürzte vorwärts, um den Erfolg zu erspähen. Eine Weile sah er dem Davonreitenden nach, dann rief er mit schmerzbewegter Stimme: »Gefehlt!«

In diesem Augenblick verschwand Boguslaw hinter der Biegung des Weges, seine Verfolger mit ihm.

Da wandte sich der Wachtmeister zu dem Schmied und seinen Gehilfen, welche noch betäubt vom Schrecken dastanden.

»Wasser her!« befahl er.

Während die Schmiedegesellen zum Brunnen eilten und den Schwengel in Bewegung setzten, kniete Soroka neben dem leblos daliegenden Kmiziz nieder. Das Gesicht des Ritters war mit Ruß, Pulverschwärze und Blutstropfen bedeckt – die Augen waren geschlossen, das linke Augenlid, die Wimper und die linke Seite des Schnurrbartes versengt. Der Wachtmeister betastete erst vorsichtig den Schädel seines Hauptmannes; er befühlte ihn lange und sorgfältig, dann murmelte er: »Der Kopf ist ganz ...«

Aber Kmiziz gab kein Lebenszeichen, das Blut rann ihm reichlich über das Gesicht. Die Gesellen brachten unterdessen einen Eimer voll Wasser und Lappen zum Abwaschen. Mit gleicher Vorsicht und Umsicht schickte Soroka sich an, das Gesicht Kmiziz' abzuwaschen.

Endlich kam die Wunde unter der Schwärze und dem Blut zum Vorschein. Die Kugel hatte ein großes Loch in die linke Wange gerissen, das linke Ohrläppchen war ganz abgerissen. Soroka untersuchte vorsichtig, ob der Backenknochen lädiert sei. Er fand, daß die Kugel ihn nur gestreift hatte, und er atmete erleichtert auf. Gleichzeitig gab Kmiziz unter dem Einfluß des kalten Wassers die ersten Lebenszeichen; er stöhnte schmerzlich, die Gesichtsmuskeln zuckten und die Brust hob sich unter dem ersten Atemzuge.

»Er lebt! ... Er wird gesund werden! ...« rief Soroka freudig aus, und an der Wange des rauhen Kriegers rollte langsam eine Thräne herab.

Inzwischen erschien an der Biegung des Weges Bilous, einer der drei Reiter, welche dem Fürsten nachgesetzt waren.

»Nun, was giebt es?« frug Soroka.

Der Soldat winkte mit der Hand ab.

»Nichts!« antwortete er einsilbig.

»Kommen die anderen bald zurück?«

»Die werden nie wiederkommen.«

Der Wachtmeister legte mit zitternden Händen den Kopf Kmiziz' vorsichtig auf die Schwelle der Schmiede, dann sprang er entsetzt auf.

»Wie?« frug er nochmals.

»Herr Wachtmeister, jener steht mit dem Teufel im Bunde! Zuerst erreichte ihn Zawratynski, denn er hatte das beste Pferd, und jener ließ ihn absichtlich herankommen. Er riß ihm vor unseren Augen den Säbel aus der Hand und stach ihn nieder. Das geschah wie der Blitz. Witowski war ihm der nächste und sprengte zur Rettung Zawratynskis hinzu ... aber ehe er sich's versah ... hatte er einen Hieb weg ... er stürzte wie vom Blitz erschlagen vom Pferde ... vor meinen Augen ... ohne zu mucksen ... und ich wartete nicht ab, bis die Reihe an mich kam ... Herr Wachtmeister! Er ist imstande, noch einmal hierher zu kommen und ...«

»Fort von hier!« schrie Soroka. »Zu den Pferden!«

Sie fingen sogleich an, eine Hängematte zwischen zwei Pferden für Kmiziz zurecht zu binden, während die Schmiedegesellen auf Befehl Sorokas mit Musketen bewaffnet auf der Landstraße Wache hielten.

Doch Fürst Boguslaw ritt ruhig nach Pilwischki zurück; er war überzeugt, daß Kmiziz nicht mehr lebte.

Es dunkelte bereits, als er mit einer Abteilung Reiter zusammentraf, welche Paterson, durch das lange Ausbleiben des Fürsten beunruhigt, ausgesandt hatte, ihn zu suchen.

Als der Offizier den Fürsten erblickte, sprengte er ihm entgegen.

»Wir wußten nicht ... Durchlaucht? ...«

»Nichts da! ...« unterbrach ihn Boguslaw. »Ich habe dieses Pferd Probe geritten in Gesellschaft des Kavaliers, von dem ich es gekauft.«

Und nach einer Weile setzte er hinzu:

»Und ich habe es gut bezahlt.«

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