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8. Kapitel

Außer dem Schwertträger von Reußen und Olenka waren auch noch die höchsten Offiziere von dem Heerlager in Kiejdan und mehrere Höflinge Boguslaws zum Abendessen geladen. Fürst Boguslaw selbst hatte sich so festlich geschmückt, daß man von seinem Anblick ganz geblendet war. Seine Perücke war in zierliche lang herabwallende Locken gebrannt, das Gesicht glich an Zartheit den Farben der Milch und der Rose, das Bärtchen auf der Oberlippe schien aus Seide zu sein und die Augen glänzten gleich großen Sternen. Der Fürst trug einen schwarzen Kaftan, welcher aus seidenen und samtnen Streifen zusammengesetzt war. Die Aermel desselben waren geschlitzt und längs des Unterarmes zugeknöpft. Um die Schultern legte sich ein breiter Kragen von feinsten Brabanter Spitzen, von unschätzbarem Werte, um die Handgelenke ebensolche Manschetten. Eine schwere goldene Kette fiel auf seine Brust und von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte lag schräg über den Kaftan ein Schwertband von holländischem Leder, welches so dicht mit Diamanten besetzt war, daß es aussah wie ein mattleuchtender Lichtstreifen. Ebenso blitzte der Griff des Säbels von Diamanten und zweie der größten Steine in Haselnußgröße leuchteten in den Kokarden auf den Schuhen des Fürsten. Die ganze Erscheinung desselben war ebenso vornehm, wie edel und schön.

Als er in den Saal trat, hielt er in der einen Hand ein Spitzentuch, mit der anderen den der damaligen Sitte gemäß auf den Griff des Säbels gestülpten Hut, welcher mit sehr langen Straußenfedern geschmückt war.

Aller Blicke, den Fürsten Janusch nicht ausgenommen, wandten sich ihm voll Staunen und Bewunderung zu. Dem Fürst-Wojewoden kamen unwillkürlich die Zeiten in den Sinn, wo er selbst alle Zeitgenossen durch Schönheit und Reichtum überstrahlt hatte. Jene Jahre lagen weit hinter ihm, aber in diesem Augenblick trat ihm die eigene Jugend vor Augen in Gestalt dieses Mannes, der den gleichen Namen führte wie er.

Frohgelaunt begrüßte er den Vetter und indem er ihn mit dem Zeigefinger auf die so reich geschmückte Brust tippte, sprach er mit gedämpfter Stimme:

»Du strahlst wie der Mond in der Vollmondnacht. Hast du dich für die Billewitsch so geschmückt?«

»Der Mond stiehlt sich leicht durch alle Ritzen ins Kämmerlein,« antwortete Fürst Boguslaw selbstbewußt.

Dann wandte er sich sogleich an Ganhof, welcher von seltener Häßlichkeit war, ein Mann, dessen tiefgebräuntes Gesicht von zahlreichen Pockennarben bedeckt, durch eine klumpige Nase und einen scharf in die Höhe gezogenen Schnurrbart vollends entstellt war, um neben diesem Monstrum von dunkler Häßlichkeit als Lichtgestalt noch intensiver zu wirken.

Da traten die Damen ein. Es waren die Generalin Korff und Olenka. Boguslaw streifte beide mit einem schnellen Blick und nachdem er sich eilig vor der Generalin verneigt, legte er eben die Fingerspitzen an die Lippen, um nach Art galanter Kavaliere dem Fräulein Billewitsch eine Kußhand zuzuwerfen, als er plötzlich ihre hehre, stolze Schönheit gewahrend, die Bewegung unterließ und statt dessen, den Hut mit der rechten Hand ergreifend, sich so tief und ehrerbietig vor ihr verbeugte, daß die schweren Locken seiner Perücke von den Schultern herabfielen, der Säbel schräg über dem Boden schwebte und die Federn des Hutes auf dem Boden lagen; zum Zeichen seiner besonderen Ergebenheit fegte er mit denselben auf dem Boden hin und her. Ehrfurchtsvoller hätte er selbst die Königin von Frankreich nicht begrüßen können. Das Fräulein, welches von der Ankunft des Fürsten Boguslaw unterrichtet war, erriet sogleich, wer vor ihr stand; sie faßte deshalb graziös mit den Spitzen ihrer Finger die Falten ihres Kleides und erwiderte die Verbeugung ebenso ehrerbietig.

Alle Anwesenden bewunderten die Schönheit und die anmutigen Bewegungen, sowie die Grazie der beiden, welche sie bei der Begrüßung gegenseitig entwickelten, Dinge, die nur vom Hörensagen in Kiejdan bekannt waren, da die Gemahlin des Fürsten Janusch, eine wallachische Prinzessin, mehr den luxuriösen Sitten des Ostens huldigte, als der feineren Sitte des Westens, und ihre Tochter, die Prinzessin noch ein Kind war.

Boguslaw hatte sich wieder aufgerichtet; er schüttelte die Locken in den Nacken zurück; indem er dem Pagen seinen Hut zuwarf, nahte er sich mit einem Kratzfuß schnell dem Fräulein und bot ihr seinen Arm.

»Ich traue meinen Augen kaum ... oder ist es nur ein Traumbild, welches ich sehe?« begann er, während er sie zu Tische führte. »Sprecht, schöne Göttin, welches Wunder hat euch vom Olymp hierher geführt?«

»Obgleich ich nur eine Edeldame bin, keine Göttin,« entgegnete Olenka, »so bin ich doch nicht so unerfahren, daß ich Ew. Durchlaucht Worte für etwas anderes, wie eine gewöhnliche Artigkeit halten sollte.«

»Wäre ich auch der galanteste Kavalier – ich vermöchte euch dennoch nicht das zu sagen, was euer Spiegel euch sagen muß.«

»Der Spiegel würde mir mehr sagen, denn er würde die Wahrheit sprechen,« antwortete sie, indem sie nach damaliger Mode den Mund verzog.

»Schade, daß in diesem Gemach sich keiner befindet, sonst würde ich euch gleich vor ihn führen ... In Ermangelung dessen blickt in meine Augen; sie sollen euch sagen, ob meine Bewunderung eine aufrichtige ist oder nicht.«

Mit diesen Worten neigte sich Fürst Boguslaw so weit herab, daß er seine großen, sammetschwarzen Augen, die so süß blicken konnten, bis dicht vor die ihrigen brachte. Er sah sie eine Weile durchdringend und begehrlich an. Unter diesem Flammenblick senkte sie den ihrigen, eine feine Röte überzog ihr Gesicht und sie entzog ihm ihren Arm, welchen der Fürst fester an sich gedrückt hatte.

So waren sie an den Tisch gekommen. Er setzte sich neben sie; man konnte deutlich erkennen, daß ihre Schönheit einen außerordentlichen Eindruck auf ihn machte. Boguslaw hatte eine jener Schönheiten zu sehen erwartet, wie man sie auf den ländlichen Edelsitzen wohl zu finden pflegt – rosige Wangen, einen lachenden Mund und einen naiven Sinn. Statt dessen fand er eine ernste, stolze Schönheit, aus deren Augen Verstand und eine starke Willenskraft leuchtete, während über das engelsschöne Angesicht süßer kindlicher Friede gebreitet lag und die graziöse schlanke Gestalt die edelsten Formen aufzuweisen hatte. Dieses Mädchen mußte der Gegenstand aufrichtigster Huldigungen für die Söhne der edelsten Geschlechter des Landes sein.

Der Fürst hatte schon beschlossen, Olenka um jeden Preis für sich zu gewinnen, als er sich jetzt neben sie setzte. Da drängte sich plötzlich zwischen sie und ihn das drohende Antlitz Kmiziz's, doch diese Warnung konnte den übermütigen Fürsten nicht schrecken; sie wurde vielmehr ein neuer Sporn für ihn, das gesteckte Ziel zu erreichen.

Die Unterhaltung bei Tische wurde allgemein, d. h. sie verwandelte sich bald in einen allgemeinen Lobhymnus auf die Heldenthaten des Fürsten Boguslaw, welchen dieser lächelnd, jedoch mit gleichgültiger Miene hinnahm, wie etwas ihm gebührendes. Man erzählte ausführlich Begebenheiten aus seinem Leben, die er selbst von Zeit zu Zeit ergänzte, zuletzt sprach Ganhof:

»Selbst wenn Rangunterschied und persönliche Vorzüge kein Hindernis waren, wollte ich Ew. Durchlaucht nicht unter die Klinge laufen; ich wundere mich nur, daß es noch Menschen giebt, welche wagen, es zu thun.«

»Was wollt ihr, Herr Ganhof,« sagte der Fürst. »Ich bin doch kein Mann mit der eisernen Maske, vor dessen Anblick die Menschen erschrecken. Mein Gesicht hat selbst für Mädchen nichts Schreckhaftes.«

»Wie die Nacht nicht vor der Leuchte erschrickt,« setzte die Generalin hinzu, bemüht, dem Fürsten eine Artigkeit zu sagen. »Sie läßt dieselbe solange auf sich einwirken, bis sie in ihrem Glanze aufgeht.«

Der Fürst lachte laut auf.

Die Generalin aber fuhr fort, Komplimente zu drechseln.

»Die Herren Soldaten sind mehr für Zweikämpfe eingenommen als wir Frauen. Wir möchten lieber etwas von den Liebesabenteuern Ew. Durchlaucht hören, von welchen dunkle Gerüchte bis hierher gedrungen sind.«

»Alles erlogen, Generalin, alles erlogen ... Unterwegs wachsen Ereignisse ins Ungeheuerliche ... Man wollte mich verheiraten, das ist wahr ... Ihre Majestät von Frankreich war so gnädig ...«

»Mit einer Prinzessin de Rohan,« warf Fürst Janusch ein.

»Und einer Prinzessin de la Forse,« setzte Boguslaw hinzu. »Aber dem Herzen läßt sich nicht gebieten; dazu haben wir nicht nötig, Vermögen in Frankreich zu suchen, darum wurde nichts daraus. Es waren schöne Damen, da ist nichts zu sagen, sogar unvergleichlich schön, aber wir haben auch hier außerordentlich schöne Mädchen und brauchen nicht einmal dieses Gemach zu verlassen, um sie zu finden.«

Hier warf er Olenka einen langen Blick zu. Doch diese that, als höre sie nichts; sie wandte sich in diesem Augenblick mit einer Frage an den Schwertträger, und Frau von Korff ergriff wieder das Wort:

»Gewiß giebt es genug schöne Mädchen bei uns zu Lande, doch würde sich keine finden, die an Rang und Reichtum Ew. Durchlaucht ebenbürtig wäre.«

»Mit Verlaub! ich wage zu protestieren,« beeilte sich Boguslaw zu erwidern. »Erstens ist eine polnische Edeldame nichts geringeres als eine Prinzessin de Rohan oder de la Forse, zweitens wäre es nicht das erstemal, daß ein Radziwill sich mit einem Edelfräulein vermählte, wie aus unserer Familienchronik nachgewiesen werden kann. Ich brauche wohl nicht erst zu versichern, daß dasjenige Edelfräulein, welches als Fürstin Radziwill an den französischen Hof käme, allezeit vor allen dortigen Prinzessinnen den Vortritt haben würde.«

»Er ist ein loyaler Herr,« flüsterte der Schwertträger von Reußen Olenka zu.

»Dieser Ansicht war ich von jeher,« fuhr Boguslaw fort, »obgleich ich mich zuweilen des polnischen Adels schäme, wenn ich ihn mit dem französischen vergleiche, denn dort könnte niemals geschehen, was in neuester Zeit hier geschehen ist. Der französische Edelmann ist eher zu allem fähig, als zu der Schandthat, seinen Herrn und König zu verraten und dessen Leben nachzustellen ...«

Die Anwesenden blickten sich gegenseitig erschrocken an. Fürst Janusch runzelte die Stirn und blickte ernst drein, nur Olenka heftete ihre blauen Augen voll Staunen und Bewunderung auf den Sprecher. »Vergebung, Durchlaucht!« fuhr Boguslaw an seinen Vetter, welcher sich noch nicht zu fassen vermochte, gewendet fort. »Ich weiß, ihr konntet nicht anders handeln, ganz Litauen war verloren, wenn ihr meinem Rate gefolgt wäret. Aber so hoch ich euch auch ehre und als Verwandten liebe, werden unsere Meinungen über Johann Kasimir doch immer auseinander gehen. Wir sind ja unter uns; darum spreche ich, wie ich denke über meinen beweinenswerten frommen, gnädigsten Herrn. Ich erinnere mich noch deutlich des Tages, wo ich ihn abholte, nachdem er aus der französischen Gefangenschaft entlassen war und ich als erster Pole ihn begrüßen durfte, obgleich ich damals noch fast ein Kind war. Noch jetzt werde ich mein Gut und Blut einsetzen, um ihn vor denjenigen zu schützen, die Mordanschläge auf seine geheiligte Person machen.«

Fürst Janusch begann zu ahnen, wo hinaus Boguslaw wollte. Nichtsdestoweniger erschien ihm dieses Spiel mit den heiligsten Gütern der Menschheit um einer so geringfügigen Ursache willen ein so gewagtes und unwürdiges, daß er nicht länger an sich halten konnte, sondern ärgerlich frug:

»Um Gotteswillen, von was für Anschlägen gegen das Leben unseres Exkönigs sprechen Ew. Durchlaucht eigentlich? Wer macht sie? Es ist unglaublich, daß die polnische Nation ein solches Monstrum in ihrem Schoße bürgen kann ... Das wäre in der Republik seit Beginn der Welt das erste Mal!«

Boguslaw ließ den Kopf hängen.

»Es war ungefähr vor einem Monat,« sagte er mit trauriger Stimme, »als ich mich auf der Reise von Podlachien nach Tauroggen in Kurpreußen befand, da ließ sich bei mir ein Edelmann von altem Geschlecht melden ... Dieser Edelmann, welcher jedenfalls meine wahren Gefühle für unseren gnädigsten Herrn nicht kannte, und glaubte, ich sei sein Gegner, erbot sich, gegen eine ansehnliche Belohnung nach Schlesien zu reisen und den König Johann Kasimir tot oder lebend den Schweden abzuliefern ...«

Entsetzen packte die Hörer und machte sie verstummen.

»Und da ich zornentbrannt, erfüllt mit Abscheu, dieses Angebot zurückwies,« schloß Boguslaw, »rief dieser Freche mir im Fortgehen noch zu: ›Ich werde zu Radziejowski gehen, der wird mir den Leib Johann Kasimirs mit Gold aufwiegen‹ ...«

»Ich bin kein Freund des Exkönigs,« sagte Janusch. »Wer mir aber ein solches Angebot machen wollte, den ließe ich sofort an der nächsten Mauer aufstellen und erschießen.«

»Im ersten Augenblick wollte auch ich das thun,« entgegnete Boguslaw, »aber wir waren ohne Zeugen, – man hätte über die Eigenmächtigkeit und Tyrannei der Radziwills ein großes Geschrei erhoben. Ich schreckte ihn nur damit, daß weder Radziejowski noch der König von Schweden so schlecht sein würden, ein solches Angebot anzunehmen, und brachte ihn zuletzt soweit, daß er mir versprach, von seinem Vorhaben abzustehen.«

»Das war nicht recht! Er hätte nicht freigelassen werden dürfen,« rief Korff.

Da wandte sich Boguslaw plötzlich an seinen Vetter mit den Worten:

»Uebrigens hoffe ich, daß er seiner Strafe nicht entrinnt; es ist Ew. Durchlaucht Sache, ihn zur Verantwortung zu ziehen, denn er ist einer von Ew. Durchlaucht Hofpersonal, ein Hauptmann ...«

»Wie, mein Hauptmann? ...« rief Fürst Janusch mit gut gespielter Entrüstung. »Ein Höfling von mir? ... Wer ist es? ... Sprecht! ...«

»Er heißt Kmiziz!« antwortete Boguslaw langsam.

»Kmiziz?« wiederholten alle Anwesenden entsetzt.

»Das ist eine Lüge!« schrie Olenka plötzlich, indem sie aufsprang. Alles Blut drängte ihr nach dem Kopfe, ihre Augen funkelten vor Zorn und ihre Brust hob und senkte sich unter schweren Atemzügen.

Totenstille trat ein. Die einen waren noch starr von der Schreckenskunde, die anderen verstummten vor der Verwegenheit des Mädchens, welches so kühn war, den jungen Fürsten der Lüge zu zeihen. Der Schwertträger vermochte nur zu stammeln: »Olenka! Olenka!« und Boguslaw sprach mit trauriger Miene, ohne zornig zu werden: »Wenn er ein Verwandter von euch, oder gar euer Verlobter sein sollte, so schmerzt es mich, euch Wehe gethan zu haben – aber – reißt seinen Namen aus eurem Herzen, denn er ist euer nicht wert! ...«

Olenka stand noch eine Weile ganz in ihren Schmerz versunken, das Gesicht von der Glut des Schreckens übergossen. Allmählich wich die Glut einer tiefen Blässe; sie sank auf ihren Stuhl zurück und sagte:

»Vergebung, Durchlaucht! ... Ich hatte unrecht ... Er ist imstande, auch das zu thun ...«

»Gott soll mich strafen, wenn ich etwas anderes fühle als aufrichtiges Mitleid,« antwortete der Fürst sanft.

»Er war der Verlobte des Fräuleins,« erklärte Fürst Janusch. »Ich habe sie selbst zusammengebracht. Er war ein junger Heißsporn, hatte manches auf dem Kerbholze ... Ich rettete ihn vor dem Gesetz, weil er ein guter Soldat war. Das freilich wurde mir bald klar, daß er ein Raufbold war und einer bleiben wird ... Niemals aber hätte ich gedacht, daß ein Edelmann solcher That fähig sein könnte.«

»Er war ein böser Mensch, das wußte ich längst!« sagte Ganhof.

»Und ihr habt mich trotzdem nicht vor ihm gewarnt?« frug Fürst Janusch in vorwurfsvollem Tone.

»Ich mußte fürchten, der Verleumdung beschuldigt zu werden, denn er hatte überall den Vorrang vor mir.«

» Horribile dictu et auditu,« sagte Korff.

»Lassen wir das, meine Herren, rief Boguslaw. »Wenn die Angelegenheit schon für euch unangenehm ist, wie viel mehr muß sie es für das Fräulein Billewitsch sein.«

»Ich bitte Ew. Durchlaucht auf mich keine Rücksichten nehmen zu wollen, denn ich kann nun alles ertragen.«

Aber auch das Mahl war zu Ende. Die Diener reichten das Wasser zum Händewaschen umher, darauf erhob sich Fürst Janusch, reichte der Generalin von Korff die Hand, während Fürst Boguslaw die seinige Olenka gab.

»Gott hat den Verräter schon gestraft,« sagte er zu ihr. »Denn wer euch verloren, hat den Himmel verloren ... Es sind kaum zwei Stunden her, seit ich euch kenne, schönes Fräulein, und schon möchte ich euch immerwährend sehen, aber nicht in Thränen und Schmerz, sondern in Glück und Freude.«

»Ich danke, Durchlaucht,« antwortete Olenka.

Nachdem die Damen gegangen waren, kehrten die Männer wieder zum Tische zurück, um bei den Bechern sich noch etwas zu erfreuen, welche sie lebhaft kreisen ließen. Fürst Boguslaw trank auf Tod und Leben, denn er war zufrieden mit sich, während Fürst Janusch sich mit dem Herrn Schwertträger unterhielt.

»Ich breche morgen mit meiner Armee nach Podlachien auf,« sagte er zu ihm. »Hierher nach Kiejdan kommt schwedische Besatzung, Gott weiß, wann ich wiederkomme ... Ihr dürft mit dem Mädchen hier nicht zurückbleiben, denn das würde sich nicht schicken und sie würde unter der Soldateska schlecht bewahrt sein. Ihr werdet Beide mit dem Fürsten Boguslaw nach Tauroggen fahren, wo eure Verwandte im Frauenzimmer meiner Gemahlin einen Platz finden wird.«

»Der liebe Gott hat uns eigne Zufluchtsstätten gegeben, Durchlaucht,« entgegnete der Herr Schwertträger, »wozu sollen wir in fremde Länder gehen? Es ist sehr gnädig von Ew. Durchlaucht, so besorgt um uns zu sein ... Wir wollen jedoch eure Güte nicht mißbrauchen, sondern lieber unter unser eigenes Dach zurückkehren.«

Der Fürst konnte dem alten Herrn nicht alle Gründe offenbaren, die er hatte, ihn und Olenka um jeden Preis bei sich festzuhalten. Nur einen Teil derselben sagte er ihm mit der ganzen barschen Offenherzigkeit des Magnaten.

»Wenn ihr meine Fürsorge als einen Akt der Güte von mir aufnehmen wollt,« sprach er, »um so besser ... Ich will euch aber sagen, daß die Vorsicht mir gebietet, euch festzuhalten. Ihr seid mir eine gute Geisel, euch mache ich verantwortlich für alle Billewitsch, die, wie ich sehr wohl weiß, alle meine Gegner sind, und wenn ich von hier fortgehe, nicht anstehen werden, auch in der Smudz die Fackel der Empörung zu entzünden ... Laßt ihnen die Weisung zukommen, daß sie sich ruhig in ihren Nestern Verhalten und nichts gegen die Schweden unternehmen, weil sonst euer und eurer Bruderstochter Leben auf dem Spiele steht.«

Der Schwertträger wurde ungeduldig; er erwiderte schnell und heftig:

»Ich würde mich umsonst auf meine Rechte als Edelmann berufen, auf eurer Seite ist das Recht des Stärkeren und mir kann es gleich sein, wo ich gefangen gehalten werde, ja lieber noch dort wie hier!«

»Genug!« rief der Fürst drohend.

Doch der einmal in Aufregung versetzte Edelmann fuhr fort:

»Was zu viel ist, ist zu viel! Die Zeit wird wiederkehren, wo die Gewaltthätigkeiten ein Ende nehmen müssen und das Recht wieder waltet. Kurz gesagt: ich fürchte die Drohungen Ew. Durchlaucht nicht.«

Da sah Fürst Boguslaw die Zornesader in seines Vetters Antlitz schwellen und aus seinen Augen Blitze sprühen. Er näherte sich daher den Beiden schnell und frug:

»Was giebt es?« dabei trat er zwischen die Streitenden.

»Ich habe dem Herrn Hetman nur gesagt, daß ich vorziehe, Gefangener in Tauroggen zu sein, als hier,« antwortete der alte Herr gereizt.

»In Tauroggen giebt es keine Verließe. Dort ist nur mein Haus, welches ich bitte, als das eure anzusehen. Ich weiß, der Hetman betrachtet euch als Geisel – ich sehe in euch nur einen lieben Gast.«

»Ich danke, Durchlaucht!« antwortete der Schwertträger.

»Nein, ich habe euch zu danken. Stoßen wir an und trinken wir aus, denn man sagt, die Freundschaft müsse im Entstehen begossen werden, damit sie nicht eindorrt.«

Indem er das sagte, führte der Fürst den Edelmann an den Tisch. Sie stießen an und tranken noch manch einen Becher mit einander.

Als nach etwa einer Stunde der Schwertträger schwankenden Schrittes in sein Gemach zurückkehrte, flüsterte er immerwährend vor sich hin:

»Ein wohlwollender, ein edler Herr! Mit der Laterne keinen zweiten finden! ... Gold! Das reine Gold! ... Mit Freuden mein Blut für ihn geben ...«

Die Vettern waren nun allein geblieben. Sie hatten noch manches zu besprechen; außerdem waren auch Briefe angekommen, welche ein Page aus dem Quartier Ganhofs holen sollte.

»Ist wirklich kein Wort Wahrheit an dem, was du von Kmiziz sagtest!« sprach Fürst Janusch.

»Kein Wort ... Du mußt das doch am besten wissen. Aber wie? Gieb zu, daß Mazarin Recht hatte! Mit einem Schwertgange Rache, schreckliche Rache an dem Gegner nehmen und zugleich eine Bresche in diese herrlichste der Festungen schlagen ... Wie? Wer wäre imstande, mir das nachzuthun? Das nennt man eine Intrigue, würdig des glänzendsten Hofes der Welt! Diese Billewitsch ist eine Perle! Lieblich und hoheitsvoll zugleich, ein Mädchen, wie von fürstlichem Blut! Ich bin ganz außer mir!«

»Sei deines Wortes eingedenk ... Vergiß nicht, daß wir verloren sind, wenn jener die Briefe veröffentlicht.«

»Welche Augenbrauen! Welch majestätischer Blick; er flößt unwillkürlich Respekt ein ... Wie kommt das Mädchen zu diesen fürstlichen Manieren? ... Ich sah in Antwerpen auf kostbaren Gobelins in Handstickerei kunstvoll ausgeführt das Bild der Diana, welche mit ihren Hunden dem neugierigen Aktäon nachspürt. Sie gleicht ihr, Zug um Zug!«

»Achte darauf, daß Kmiziz die Briefe nicht preisgiebt. Wir würden dann von den Hunden in Fetzen gerissen werden.«

»Das wird nicht geschehen! Ich will den Kmiziz in den Aktäon verwandeln und ihn zu Tode hetzen. Zweimal schon gelang es mir, ihn auf das Haupt zu schlagen; wir treffen uns noch ein drittes Mal und dann, wehe ihm!«

Weitere Auseinandersetzungen unterbrach der Eintritt des Pagen, welcher einen Brief brachte.

Der Wojewode von Wilna nahm das Schreiben in die Hand und bekreuzte es. Er pflegte das immer zu thun, um böse Nachrichten zu bannen. Darauf betrachtete er dasselbe aufmerksam von allen Seiten.

Plötzlich wechselte er die Farbe.

»Es trügt das Siegel der Sapiehas!« rief er aus.

»Oeffne doch schnell!« sagte Boguslaw.

Der Hetman zerriß den Umschlag und begann zu lesen. Von Zeit zu Zeit unterbrach er sich durch Ausrufe:

»Er geht nach Podlachien! ... Er fragt, ob ich Aufträge nach Tykozin habe! ... er spottet meiner! ... Noch mehr! denn höre, was er weiter schreibt: ›Wollen Ew. Durchlaucht durchaus den Bruderkrieg, durchaus das zweischneidige Schwert in den Boden des Vaterlandes stoßen, dieses unglückliche Land mit dem Blute der eigenen Söhne tränken, dann kommt nach Podlachien; dort werdet Ihr mich finden und mit Gottes Hilfe will ich Euren Hochmut mit diesen meinen Händen strafen ... Wenn Ihr aber ein Gewissen habt und Euer Herz noch nicht ganz dem Mitleid mit diesem armen Vaterlande verschlossen ist, wenn Ihr nicht bar seid jeder Reue über begangenes Unrecht, dann steht Euch der Weg zur Umkehr offen. Anstatt den Bruderkrieg zu entfachen, erlaßt den Befehl zum allgemeinen Aufgebot, rottet die Bauern zusammen und schlagt auf die Schweden los, ehe der in Sicherheit gewiegte Pontus aus seiner Ruhe erwacht. Von Seiten Chowanskis werden Ew. Durchlaucht keine Hindernisse in den Weg gelegt werden, denn soviel ich weiß, denkt man in Moskau selbst sehr an einen Feldzug nach Liefland, obgleich das noch Geheimnis bleiben soll. Aber selbst, wenn Chowanski etwas gegen Ew. Durchlaucht unternehmen wollte, dann würde ich, – wenn ich nur Ew. Durchlaucht gutem Willen fest vertrauen darf – ihn schon am Zaune fassen und Ew. Durchlaucht thatkräftig beistehen. Alles das jedoch wird von Ew. Durchlaucht selbst abhängen. Noch ist es Zeit zur Umkehr, noch Zeit, die Schuld zu tilgen. Jetzt könnt Ihr beweisen, daß das Bündnis mit den Schweden nicht um des eigenen Vorteils, sondern um der Rettung Litauens willen eingegangen worden ist. Gott möge Ew. Durchlaucht erleuchten. Ich bitte täglich um diese Ew. Erleuchtung, obgleich Ihr mich der Verleumdung beschuldigt.

P S. Soeben höre ich, daß die Belagerung von Nieswiersch aufgehoben ist und Fürst Michael sich uns anschließen will, sobald die angerichteten Schäden ausgebessert sein werden. Seht also, Durchlaucht, wie die Edlen Eures Geschlechts handeln und nehmt ein Beispiel an ihnen. Aus alle Fälle seid eingedenk, daß es jetzt heißt: entweder – oder!‹«

»Hast du gehört?« sagte Fürst Janusch, nachdem er zu Ende gelesen.

»Ich habe gehört ... und was nun?« antwortete Boguslaw, indem er den Vetter gespannt ansah.

»Das hieße allem entsagen, alles fallen lassen, die eigene Arbeit mit Füßen treten, vernichten ...«

»Und es mit dem mächtigen Karl Gustav verderben, und dem vertriebenen Johann Kasimir zu Füßen fallen und ihn anflehen, daß er uns wieder zu Gnaden aufnimmt ... und den Herrn Sapieha um Nachsicht bitten ...«

Das Gesicht des Fürsten Janusch färbte sich dunkelrot.

»Hast du bemerkt, wie er mir schreibt? ›Bessere Dich, dann will ich Dir vergeben‹ – wie der Vorgesetzte dem Untergebenen!«

»Er würde anders schreiben, wenn sechstausend Säbel über seinem Haupte schweben möchten.«

»Dennoch ...« der Fürst verfiel in tiefes Sinnen.

»Dennoch, was?«

»Dem Rate Sapiehas folgen, hieße vielleicht das Vaterland retten!«

»Und du? Und ich? Was bleibt für die Radziwills? ...«

Janusch antwortete nicht. Er stützte den Kopf in beide Hände und sann nach.

»Sei es denn!« sprach er endlich. »Es erfülle sich! ...«

»Was hast du beschlossen?«

»Ich gehe morgen nach Podlachien und binnen einer Woche schlage ich auf Sapieha los.«

»Das ist recht! Du bist ein echter Radziwill!« sagte Boguslaw.

Und sie reichten sich die Hände.

Gleich darauf begab sich Fürst Boguslaw zur Ruhe. Fürst Janusch schritt einigemale im Gemach auf und nieder, dann klatschte er in die Hände und sprach zu dem eintretenden Pagen:

»Sage dem Astrologen, daß er in einer Stunde mit der fertigen Konstellation vor mir erscheinen soll.«

Der Page entfernte sich und der Fürst nahm seine Wanderung wieder auf. Zwischendurch betete er, zuletzt sang er in kurzen Absätzen einen Psalm, während er von Zeit zu Zeit durch das Fenster einen Blick auf den sternenbesäeten Himmel warf.

Allmählich erloschen die Lichter im Schlosse und außer dem Astrologen und dem Fürsten wachte nur noch ein Wesen in ihrer Kemenate und das war Olenka Billewitsch.

Vor ihrem Lager knieend, hatte sie die Hände über ihrem Kopfe gefaltet und flüsterte mit geschlossenen Augen unaufhörlich:

»Erbarme dich unser ... erbarme dich unser!«

Zum erstenmal seit der Abreise Kmiziz' aus Kiejdan konnte und wollte sie nicht für ihn beten.

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