Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14. Kapitel

Noch in derselben Nacht beriet der Fürst sich lange mit Herrn Korf, dem wendenschen Wojewoden und den schwedischen Gesandten. Das Resultat der Veröffentlichung des Vertrages hatte seine Erwartungen getäuscht und enthüllte ihm eine drohende Zukunft. Er hatte zur Veröffentlichung absichtlich die Zeit während des Mahles gewählt, wo die Stimmung gehoben, heiter und die Gemüter zu jeglicher Uebereinstimmnng geneigt waren. Er hatte auf jeden Fall auf Widerstand gerechnet, aber auch auf Parteigenossen gezählt. Nun hatte der energische Protest alle seine Erwartungen übertroffen. Ausgenommen eine kleine Zahl Adel, der dem calvinischen Glaubensbekenntnis angehörte, einer Hand voll Offiziere, die als Ausländer keinen Ausschlag in dieser Sache geben konnten, hatten sich alle gegen den Vertrag mit Karl Gustav oder vielmehr mit seinem Stellvertreter und Schwager Paulus de la Gardie erklärt.

Zwar hatte der Fürst die widerspenstigen Offiziere verhaften lassen, aber was nützte ihm das? Was würden die Soldaten des Stammheeres dazu sagen? Würden sie ihre Befehlshaber nicht zurückfordern? Würden sie sich nicht gegen ihn auflehnen und sie mit Gewalt fordern? Und was blieb dem stolzen Fürsten dann übrig als ein Paar Regimenter Dragoner und ausländische Infanterie?

Und dann ... da blieb noch das ganze Land, der gesamte in Waffen stehende Adel – und Sapieha, der Wojewode von Witebsk, der größte Widersacher des Radziwillschen Hauses, bereit zum Kampfe gegen die ganze Welt, im Namen der ungeteilten Republik. Jene Offiziere, welchen man doch nicht die Köpfe abschlagen konnte, jene polnischen Fahnen werden zu ihm gehen und Sapieha wird an der Spitze aller Streitkräfte des Landes stehen und er – Radziwill, ohne Heer, ohne Parteigänger, ohne Bedeutung bleiben ... Was sollte dann werden?

Das war eine schreckliche Lage. Der Fürst erkannte, daß dann auch das Uebereinkommen, an welchem er heimlich so angestrengt gearbeitet hatte, jede Bedeutung verlor und die Schweden ihn mißachten oder gar für die erlittene Enttäuschung an ihm sich rächen würden. Er hatte ihnen ja sein Stammgut Birz als Pfand der Treue überlassen, sich dadurch aber noch mehr geschwächt.

Karl Gustav würde den mächtigen Radziwill mit Ehren und Glücksgütern überschütten, den von allen Verlassenen verachten. Und wenn das wechselnde Glück dem König Johann Kasimir einen Sieg bescheerte, dann war das Letzte gekommen für den Herrn, welcher noch am Morgen Seinesgleichen in der ganzen Republik nicht gehabt hatte.

Nach der Abreise der Gesandten und des wendenschen Wojewoden faßte der Fürst das sorgenschwere Haupt zwischen beide Hände und ging schnellen Schrittes im Gemach auf und ab. Von außen her drangen die Stimmen der wachthabenden Schotten und das Geräusch der davonrollenden Wagen zu ihm. Der Adel reiste so schnell, ja eilig ab, als wäre die Pest über das Prächtige Kiejdaner Schloß gekommen. Eine gräßliche Unruhe peinigte die Seele Radziwills.

Zuweilen kam es ihm vor, als sei außer ihm noch jemand im Gemach, folge ihm auf Schritt und Tritt und flüstere ihm ins Ohr: Verbannung, Armut und dazu Schande ... War er, der Wojewode von Wilna, der Großhetman, doch schon erniedrigt und gedemütigt! Wer hätte noch gestern geglaubt, daß im ganzen Reiche, in Litauen, bah, in der ganzen Welt ein Mensch es wagen würde, ihm das Wort »Verräter« ins Antlitz zu schleudern? Und doch hatte er es hören müssen, und er lebte, und die, welche dieses Schimpfwort gebraucht, lebten auch. Vielleicht, wenn er nochmals den Speisesaal betrat, hörte er noch das Echo zwischen den Simsen und vom Gewölbe wiederholen: »Verräter! Verräter!«

Eine rasende, tolle Wut überkam auf Augenblicke diesen Oligarchen. Seine Nüstern erweiterten sich, die Augen schossen Blitze, die Adern auf der Stirn schwollen ihn. Wer wollte es hier wagen, seinem Willen zu widerstehen? ... Die rasenden Gedanken malten sich ein Bild der gräßlichsten Strafen und Qualen für die Empörer, welche es gewagt hatten, nicht wie Hunde ihm zu Füßen zu kriechen. Er sah ihr Blut unter dem Henkersbeil fließen, hörte das Knirschen der zermalmten Gebeine und schwelgte in blutigen Gesichten.

Wenn aber eine nüchterne Erwägung ihm in Erinnerung brachte, daß hinter diesen Empörern das Heer stand, daß man ihnen nicht ungestraft die Hälse brechen konnte, da kehrte die unerträgliche, Höllenqualen gleiche Unruhe wieder, erfüllte seine Seele und wieder flüsterte es ihm zu:

»Verbannung, Armut, das Gericht und die Schande!«

Doch wie? Ein Radziwill durfte also für das Wohl des Landes keinen Entschluß fassen? Er durfte nicht nach Belieben sein Litauen bei Johann Kasimir belassen oder es dem Könige von Schweden geben? Geben, überweisen, schenken, wem er wollte?

Der Magnat blickte nachdenklich vor sich nieder.

Was also waren die Radziwills? Was waren sie noch gestern? Was sprach man allgemein in Litauen? War denn alles nur eine Täuschung? Würde ihm, dem Großhetman, nicht der Fürst Boguslaw mit seinem Heere beistehen? Mit ihm sein Ohm, der Kurfürst von Brandenburg, und als Schirmherr Karl Gustav, der König von Schweden, mit seiner sieggewohnten Macht, vor welcher noch kürzlich ganz Deutschland weit und breit gezittert hatte, ihnen allen Dreien hilfbereit sein? Streckte doch auch die polnische Republik dem neuen Herrn die Arme entgegen und wollte sich bereitwillig ergeben bei der bloßen Nachricht vom Herannahen des nordischen Bären. Wer wollte dieser unaufhaltsamen Macht widerstehen?

Auf einer Seite der König von Schweden, der Kurfürst von Brandenburg, die Radziwills, zur Not Chmielnizki mit seinem Heere, der wallachische Hospodar und Rakoczy in Siebenbürgen, fast halb Europa! Auf der anderen der Herr Wojewode von Witebsk mit Herrn Mirski, Herrn Stankiewitsch, jenem adligen Kleeblatt, welches von Lukow hierhergekommen, und einigen Rebellenfahnen! ... Was war das? ... Ein Scherz? ... Ein Zeitvertreib!

Der Fürst lachte plötzlich laut auf.

»Bei Luzifer und dem ganzen Höllenpack, ich bin wohl wahnsinnig! ... Laßt sie doch alle zum Wojewoden von Witebsk laufen!«

Nach einer Weile umdüsterten sich seine Züge wieder:

»Jene Mächtigen nehmen nur Mächtige in ihren Bund auf. Der Radziwill, welcher Litauen zu Schwedens Füßen wirft, wird begehrt – der hilfesuchende, gegen Litauen hilfesuchende Radziwill wird mißachtet werden.«

Was ist zu thun?

Die ausländischen Offiziere würden zu ihm halten, aber ihre Kräfte reichen nicht aus, und wenn die polnischen Fahnen zum Wojewoden von Witebsk übergehen, so hält er das Geschick des Landes in Händen. Uebrigens würde wohl jeder dieser Offiziere die gegebenen Befehle vollziehen, aber sie würden nicht Radziwills Sache zu der ihren machen, nicht mit ganzer Seele und voll Begeisterung ihr dienen, nicht nur als Soldat, sondern als Parteigenosse.

Hier hatte der Fürst durchaus eigene Leute nötig, nicht Ausländer; Leute, welche durch ihren Namen, ihren Ruhm, durch ihr waghalsiges Beispiel alles mit sich fortrissen ... Er mußte durchaus im Lande selbst Parteigenossen finden, und sei es auch nur scheinbar.

Wer von den Seinen aber war bei ihm geblieben? Charlamp war ein alter abgedienter Soldat, gut zum Gehorchen, zu weiter nichts; Riawiarowski war unbeliebt bei den Truppen und ohne Einfluß; die noch übrigen hatten noch weniger zu bedeuten. Keiner war da, welchem die Soldaten mit Enthusiasmus anhängen, folgen würden, niemand, der Propaganda machen konnte für ihn.

Es blieb nur Kmiziz. Er war jung, unternehmend, verwegen, im Besitz eines großen Ruhmes, der Träger eines alten Namens, Befehlshaber einer mächtigen Fahne, die er noch dazu teilweise auf eigene Kosten ausgerüstet hatte, kurz, ein Mann, wie geschaffen zum Anführer aller verwegenen und unruhigen Geister. Wenn er die Sache Radziwills führen wollte, er würde sie mit dem vollen Glauben der Jugend an das Gerechte der Sache führen, würde blindlings dem Hetman folgen, als sein Apostel in das Land ziehen und werben, und solch ein Apostel bedeutete mehr als ganze Regimenter ausländischer Truppen. Er würde seinen Glauben an Radziwill den Herzen der jungen Ritter mitzuteilen verstehen, sie mit sich fortreißen und das Lager Radziwills mit Helden füllen.

Aber auch Kmiziz hatte geschwankt. Zwar hatte er sein Abzeichen nicht vor die Füße des Hetman geworfen, aber er war auch nicht an seine Seite geeilt, als der Fürst rief.

»Man kann auf niemanden zählen, niemand ist uns sicher,« dachte der Fürst. Sie alle werden zum Wojewoden von Witebsk gehen und niemand wird mit mir teilen wollen ...«

»Die Schande!« flüsterte das Gewissen.

»Oder Litauen!« antwortete andererseits der Stolz.

Es wurde dunkel im Gemach, denn die Lichter waren heruntergebrannt, nur das silberne Licht des Mondes leuchtete durch die Fenster. Radziwill sah unverwandt auf dieses Licht und sann nach.

Langsam tauchten aus dem silbernen Glanz einzelne Gestalten hervor; es wurden ihrer immer mehr, bis zuletzt dem Fürsten ein ganzes Heer aus der Höhe auf dem leuchtenden Strahlenwege entgegenkam. Da kamen Panzerfahnen, Husaren und leichte Petyher-Regimenter, ein Wald von Fähnchen schwebt über ihnen und an ihrer Spitze reitet ein Mann ohne Helm – ein Sieger, welcher nach gewonnener Schlacht heimkehrt. Rings herrscht tiefe Stille, der Fürst hört deutlich die Rufe des Volkes und des Heeres: » Vivat defensor patriae! Vivat defensor patriae!« Das Heer kommt immer näher; schon sieht er das Gesicht des Führers deutlicher. Derselbe hält den Feldherrnstab in der Hand; an der Zahl der Roßschweife kann man erkennen, daß er ein Großhetman ist.

»Im Namen des dreieinigen Gottes!« ruft der Fürst, »das ist Sapieha, der Wojewode von Witebsk! Wo aber bin ich? Was ist mir bestimmt?«

»Die Schande!« flüstert das Gewissen.

»Litauen!« antwortet der Stolz.

Der Fürst klatscht in die Hände. Der im Nebenzimmer wachende Harasimowitsch erscheint sofort in der Thür und verneigt sich tief.

»Licht!« rief der Fürst.

Harasimowitsch putzte den Docht der Lichter, darauf ging er hinaus, kam aber gleich zurück, einen Armleuchter tragend.

»Durchlaucht!« sagte er, »es ist Zeit, zur Ruhe zu gehen. Die Hähne haben schon zum zweitenmal gekräht!«

»Ich kann nicht schlafen,« sagte der Fürst. »Ich versuchte, zu schlummern, aber der Alp drückte mich. Was giebt es neues?«

»Ein Edelmann gab einen Brief ab. Er ist aus Nieswiersch vom Fürsten Vorschneider; ich wagte aber nicht, ungerufen einzutreten.«

»Gieb den Brief, schnell!«

Harasimowitsch reichte dem Fürsten das versiegelte Schreiben, dieser öffnete es und las wie folgt:

»Möge Gott Ew. Durchlaucht erleuchten und von einem Schritt zurückhalten, welcher nur Schande und Verderben über unser Haus bringen muß. Schon die bloße Absicht würde nicht zur Herrschaft, sondern zum Strange führen. Auch mir liegt die Machtstellung unseres Hauses am Herzen; der beste Beweis hierfür sind die Bemühungen meinerseits in Wien, für unser Geschlecht den Vorsitz im Hause der Abgeordneten zu erlangen. Aber nicht für alle Schätze der Welt will ich mein Vaterland und meinen Herrn und König verraten, damit dereinst die Ernte einer solchen Aussaat – Schande im Leben und ewige Verdammnis im Tode – nicht mein Anteil werde. Blickt zurück, Durchlaucht, auf die Verdienste unserer Vorfahren, denkt an ihre fleckenlose Ehre und besinnt euch, so lange es Zeit ist. Ich bin hier in Nieswiersch vom Feinde eingeschlossen und weiß nicht, ob dieses Schreiben in eure Hände gelangen wird; aber obgleich jede Minute mir Verderben bringen kann, so bitte ich Gott dennoch nicht um Rettung für mich, sondern daß er Ew. Durchlaucht von euren verräterischen Absichten zurückführt auf die Bahn der Tugend. Sollte schon etwas Böses geschehen sein, so ist es noch immer rückgängig zu machen und die Sünde durch eine schleunige Besserung zu tilgen. Von mir aber erwartet keinerlei Hilfe! Ich erkläre rund heraus, daß ich ohne Rücksicht auf die Bande des Blutes, die uns verbinden, meine Streitkräfte mit denen des Wojewoden von Witebsk vereinen und hundertmal lieber mich Ew. Durchlaucht bewaffnet entgegenstellen, als zu dieser Schandthat hilfreiche Hand bieten werde. Im übrigen Gott befohlen!

Michael Kasimir Radziwill,
Fürst auf Nieswiersch und Olyko,
Vorschneider des Großherzogtums Litauen.«

Der Hetman ließ, nachdem er den Brief gelesen, die Hände in den Schoß sinken und schüttelte, schmerzlich lächelnd, den Kopf.

»Auch der verläßt mich; das eigene Blut will mich verleugnen dafür, daß ich unser Geschlecht mit noch nie dagewesenen Glanz umgeben will ... Hah, sei es darum! ... Noch bleibt mir Boguslaw; der wird mich nicht verlassen ... Mit uns ist der Kurfürst und Karl Gustav, und wer nicht säen will, wird auch nicht ernten ...«

»Ja, Schande ernten!« flüsterte das Gewissen.

»Durchlaucht geruhen zu antworten?« fragte Harasimowitsch.

»Es ist keine Antwort nötig.«

»Darf ich abtreten und die Kammerdiener senden?«

»Warte noch ... Sind die Wachen auf ihren Posten?«

»Jawohl, Durchlaucht!«

»Die Ordonnanzen an die Fahnen ausgesendet?«

»Jawohl!«

»Was macht Kmiziz?«

»Er wollte mit dem Kopfe durch die Wand und faselte vom Verdammtsein. Er wand sich wie ein Wurm und wollte den Billewitsch nach, aber die Thorwache hielt ihn auf. Da griff er zum Säbel; man mußte ihn fesseln. Jetzt liegt er still.«

»Ist der Schwertträger von Reußen abgereist?«

»Es war nicht befohlen, ihn festzuhalten.«

»Ich vergaß es!« sagte der Fürst, »Oeffne die Fenster, es ist schwül und das Asthma quält mich. Dem Charlamp kannst du sagen, er solle nach Upit, seine Fahne hierherzuholen. Gebt ihm Geld; er mag das erste Viertel den Leuten bezahlen, ihnen auch etwas zum Besten geben ... Sag' ihm, daß Dydkiema ihm als Wolodyjowkis Nachlaß zufällt. Das Asthma ... warte!«

»Zu Befehl, Durchlaucht.«

»Was macht Kmiziz?«

»Wie ich Ew. Durchlaucht bereits sagte, er liegt jetzt still.«

»Es ist wahr! Du sagtest es schon ... Schicke ihn hierher, ich habe mit ihm zu reden. Laß ihm die Fesseln abnehmen.«

»Durchlaucht, er ist ein desperater Mensch.«

»Fürchte nichts, und nun eile!«

Harasimowitsch verließ das Gemach. Der Fürst entnahm aus einem venetianischen Schreibsekretär einen Pistolenkasten, öffnete denselben und legte die Waffen dicht neben sich auf den Tisch, an welchem er saß.

Eine Viertelstunde später trat Kmiziz, geführt von vier schottischen Trabanten, ein.

Der Fürst befahl den Soldaten, abzutreten. Sie blieben allein.

Aus dem Gesicht des Jünglings schien jeder Blutstropfen gewichen zu sein, nur die Augen glänzten fieberhaft. Sonst war er ruhig, gefaßt oder auch, wie es schien, grenzenloser Verzweiflung preisgegeben.

Eine Zeit lang schwiegen beide. Der Fürst nahm zuerst das Wort:

»Du hast bei dem Leiden Christi geschworen, mich nicht zu verlassen!«

»Ich werde verdammt sein, wenn ich diesen Schwur nicht halte, und – verdammt sein, wenn ich ihn halte!« sagte Kmiziz. »Mir ist alles einerlei!«

»Du bist für nichts verantwortlich, auch wenn ich dich schlimme Wege gehen hieße.«

»Vor einem Monat drohten mir die Gerichte und harte Strafen für meine Mordthaten ... Heute ist mir zu Mute, als sei ich damals unschuldig wie ein Kind gewesen!«

»Noch ehe du dieses Gemach verlässest, wirst du dich entsühnt fühlen,« sagte der Fürst. Plötzlich fragte er, den Ton verändernd, mit einer gewissen gutmütigen Vertraulichkeit:

»Was glaubst du, was ich hätte thun sollen angesichts zweier hundertfach überlegener Feinde, gegen die ich das Vaterland nicht schützen konnte?«

»Fallen und sterben!« entgegnete Kmiziz barsch.

»O, wie beneidenswert seid ihr Soldaten, welchen es freisteht, so leicht eine drückende Last abzuwerfen. Sterben! Wer dem Tod ins Auge geblickt, der fürchtet ihn nicht. Ihr macht euch kein Kopfzerbrechen darüber, daß, wenn ich, statt den Vertrag zu schließen, den Krieg auf Leben und Tod aufgenommen hätte, nicht ein Stein auf dem andern in diesem Reiche geblieben wäre. Gott verhüte, daß das jemals geschähe; meine Seele würde dann auch im Himmel keinen Frieden finden. O, terque, quaterque beati, ihr, die ihr sterben dürft! Glaubst du denn, ich sei dieses Lebens noch nicht überdrüssig, ich sehnte mich nicht nach der Ruhe im ewigen Schlaf? Doch ich muß den bitteren Kelch bis auf die Neige leeren. Das unglückliche Reich muß gerettet werden, und um es zu retten, muß ich neue Lasten auf mich nehmen. Mögen die Neidischen mich des Hochmutes beschuldigen, mögen sie sagen, ich verrate das Vaterland, um mich selbst zu erhöhen, Gott sieht es, Gott wird richten, ob ich nach Erhöhung strebe und ob ich nicht lieber allem entsagte, wenn es anders sein dürfte ... Sucht ihr, die ihr mich verlassen wollt, nach einem Rettungsmittel, zeigt einen Ausweg – ihr, die ihr mich einen Verräter nanntet und heute noch zerreiße ich das verhängnisvolle Dokument und rufe das ganze Heer aus dem Schlafe, um es gegen den Feind zu führen.«

Kmiziz schwieg.

»Nun? warum schweigst du?« rief mit erhobener Stimme Radziwill. »Ich will dich an meiner Stelle zum Großhetman und Wojewoden von Wilna erheben, und du – stirb nicht, denn es ist keine Kunst, zu sterben, sondern rette das Reich! Schütze die okkupierten Wojewodschaften, räche die Trümmerhaufen Wilnas, verteidige Smudz gegen die Einfälle der Schweden, ja! verteidige die ganze Republik und vertreibe alle Feinde aus ihren Grenzen ... Stürme du allein gegen Tausende und stirb nicht! ... stirb nicht, denn du darfst nicht sterben, nur das Reich retten!«

»Ich bin weder der Großhetman, noch der Wojewode von Wilna,« entgegnete Kmiziz, »und was ihm zu thun zukommt, das zu unterscheiden, ist nicht meine Sache ... Wenn es aber gilt, allein auf Tausende einzustürmen, so unternehme ich das!«

»Höre nun, Soldat! Wenn es nicht deine Sache ist, das Reich zu retten, so überlaß das meiner Einsicht und vertraue mir!«

»Ich kann es nicht!« sagte Kmiziz gepreßt.

Radziwill schüttelte den Kopf.

»Auf jene habe ich nicht gezählt; ich erwartete das, was geschah. In dir aber habe ich mich getäuscht. Unterbrich mich nicht und höre ... Ich habe dir aufgeholfen, dich den Gerichten und der Strafe entrissen, dich an mein Herz genommen wie einen Sohn. Weißt du, warum? Weil ich glaubte, du hättest einen kühnen, zu großen Thaten fähigen Geist. Ich brauche solche Leute, das will ich nicht verhehlen. Um mich wußte ich keinen, der der Sonne dreist ins Antlitz blicken konnte. Alle waren es mutlose Schwächlinge, denen man keine anderen Wege weisen konnte als den einen, welchen sie selbst und ihre Väter stets gewandelt; sie hätten mich totgekrächzt, daß ich sie auf Irrwegen führe. Und hat uns dieser eine alte Weg anderswohin geführt als an Abgründe? Was geschieht mit dieser Republik, welche einst eine Welt bedrohte?«

Der Fürst stützte den Kopf in beide Hände und wiederholte dreimal:

»Gott! Gott! Mein Gott ...«

Nach einer Weile fuhr er fort:

»Der Zorn Gottes ist über uns gekommen, die Zeit solchen Elendes und solchen Verfalles, daß gewöhnliche Mittel nicht mehr ausreichen, es auszurichten. Und da ich ein neues Mittel, das einzige, welches Erfolg verspricht, anwenden will, da verlassen mich sogar die, auf deren Bereitwilligkeit ich so fest gerechnet, welche mir Treue beim Leiden Christi geschworen ... Beim Blut und den Wunden Christi! Glaubst du denn, daß ich für ewige Zeiten mich unter die Schirmherrschaft Karl Gustavs stellen, dieses Land wirklich Schweden einverleiben, diesen Vertrag, um dessen willen man mich einen Verräter schimpfte, länger als ein Jahr halten will? ... Was siehst du mich so verwundert an? ... Du wirst noch mehr staunen, wenn du alles hörst. Du wirst dich entsetzen, denn hier wird etwas geschehen, das niemand erwarten, das niemand erraten und niemand voraussetzen kann, etwas, was die Sinne eines gewöhnlichen Menschen nicht zu erfassen vermögen. Ich sage dir jedoch, zittere nicht, denn gerade in dieser That liegt die Rettung des Vaterlandes, weiche nicht zurück; denn wenn ich niemanden finden kann, der mir beisteht, dann gehe ich vielleicht zu Grunde, aber mit mir die Republik und ihr alle – auf ewig. Ich allein kann sie retten, aber um es zu können, muß ich jedes Hindernis aus dem Wege räumen. Wehe dem, der mir zuwider ist, denn Gott selbst wird ihn durch mich vernichten, gleichviel, ob es der Wojewode von Witebsk, Herr Gosiewski, das Heer oder der widerspenstige Adel ist. Ich will das Vaterland retten und dazu ist mir jeder Weg, jedes Mittel recht. Man ernannte in Zeiten der Not Diktatoren – eine solche, bah, eine höhere, dauerndere Macht habe ich nötig ... Nicht der Uebermut reißt mich fort – wer sich stark genug fühlt, der trage sie für mich! Da aber niemand anderer das kann, so nehme ich sie auf mich, es wäre denn, diese Mauern stürzten über meinem Kopfe zusammen.«

Indem er das sagte, streckte der Fürst beide Arme empor, als wollte er thatsächlich die einstürzenden Gewölbe stützen. Es lag etwas so Riesenhaftes in seiner Haltung, daß Kmiziz mit aufgerissenen Augen ihn anstarrte, als hätte er ihn nie vorher gesehen. Endlich fragte er mit veränderter Stimme:

»Wohin streben Ew. Durchlaucht? ... Was begehrt ihr? ...«

»Die Krone begehre ich!« rief Radziwill aus.

»Jesus Maria! ...«

Eine Totenstille folgte. Nur der Ruf eines Käuzchens drang vom Turme her schaurig in das Gemach.

»Höre!« sagte der Fürst wieder. »Es ist an der Zeit, dir alles zu sagen. Die Republik geht unter, muß untergehen. Für sie giebt es auf Erden keine Rettung. Es handelt sich darum, zuerst dieses Land, unser näheres Vaterland, vor dem Zerfall zu bewahren ... und dann ... dann alles neu aus der Asche erstehen zu lassen wie einen Phönix ... Ich werde das thun! ... Und die Last der Krone, welche ich begehre, will ich auf mein Haupt setzen und aus jenem riesengroßen Trümmerhaufen ein neues Reich aufrichten ... Zittere nicht! Die Erde stürzt nicht zusammen, alles wird bestehen bleiben, nur eine neue Zeit wird anbrechen ... Ich habe dieses Land an Schweden übergeben, um mit seinen Waffen den anderen Feind zu bekämpfen, ihn aus dem Lande zu treiben, das Verlorene wiederzugewinnen und in seiner eigenen Hauptstadt dann die Herausgabe des gestern unterzeichneten Traktats zu erzwingen. Hörst du mich? In diesem felsigen, ausgehungerten Schweden giebt es nicht Menschen, nicht Kräfte, nicht Säbel genug, um die unendliche Republik zu nehmen. Sie können unser Heer das eine und andere Mai besiegen; uns im Gehorsam zu erhalten ist unmöglich ... Wollte man auf zehn Mann der Unsrigen immer einen Schweden rechnen, es würden noch manche Zehne überschüssig bleiben. Das weiß Karl Gustav und will deshalb auch nicht die ganze Republik in Besitz nehmen. Er wird zufrieden sein mit einem Teile Großpolens und den preußischen Provinzen. Aber um sich ihren Besitz für kommende Zeiten zu sichern, muß er die Bundesgenossenschaft mit uns auflösen, denn anders dürfte er von jenen Provinzen nicht Besitz ergreifen. Was soll nun mit diesem Reiche geschehen? Wem wird man es geben? Wenn ich diese Krone, welche mir Gott und das Glück auf das Haupt drücken, zurückweise, so wird man sie demjenigen geben, welcher das Reich augenblicklich beherrscht ... Aber Karl Gustav wird das ungern thun, um den Nachbarstaat nicht zu stärken und sich nicht einen gefährlichen Feind zu schaffen. Nur wenn ich die Krone zurückweise, kann das geschehen. Habe ich also ein Recht, sie abzulehnen? Darf ich zugeben, daß das geschieht, was zum endgültigen Untergange führt? Zum zehnten, zum hundertsten Mal frage ich: Giebt es ein anderes Rettungsmittel? So geschehe denn Gottes Wille! Ich nehme diese Last auf meine Schultern. Schweden ist für mich, der Kurfürst, unser Verwandter, hat Hilfe zugesagt. Ich werde das Land vom Kriege erlösen. Mit dem Siege und der Erweiterung der Grenzen des Reiches will ich meine Herrschaft beginnen, Frieden und Wohlergehen sollen erblühen, Dörfer und Städte sollen nicht mehr durch Feuer verwüstet werden. So soll und muß es werden ... so wahr mir Gott und der gekreuzigte Heiland helfe. Denn ich fühle in mir die Kraft, das Glück dieses Landes zu begründen, und noch mehr als das. Bei diesen Himmelslichtern, den flimmernden Sternen schwöre ich, daß, so weit mein Leben und meine Kraft reicht, ich dieses im Zusammensturz begriffene Reichsgebäude neu und in größerer Macht aufrichten will, als es jemals dagestanden hat.«

Aus den Augen des Fürsten sprühte Feuer, seine ganze Gestalt war wie von einem Strahlenkranz umgeben.

»Durchlaucht!« rief Kmiziz. »Die Sinne vermögen es nicht zu fassen, der Kopf ist zum Springen voll, die Augen geblendet!«

»Dann,« fuhr Radziwill fort, als wollte er den Faden seiner Gedanken weiter ausspinnen, »dann ... die Schweden werden Johann Kasimir der Herrschaft nicht berauben, aber sie werden ihn in Masowien und Kleinpolen festhalten. Gott hat ihm Nachkommen versagt. Dann folgt die Königswahl ... Wem wird man die Krone geben, wenn der Bund mit Litauen aufrecht erhalten werden soll? Wenn geschah es, daß jene Krone mächtig genug wurde, um die Gewalt der Kreuzritter zu brechen? Das geschah damals, als Wladislaus Jagiello den Thron bestieg. Auch jetzt soll es so sein ... Die Polen können keinen anderen zur Regierung berufen als denjenigen, welcher hier regiert. Sie können und dürfen nicht anders; sie wären sonst verloren, denn die Deutschen und Türken würden sie kaum zu Atem kommen lassen, während die Kosaken ohnehin von ihrem Marke zehren. Sie können nicht anders! Wer das nicht einsieht, ist blind, wer es nicht versteht, hat keinen Verstand. Und dann werden beide Länder wieder vereinigt werden und gedeihen unter der Machtstellung meines Hauses! Dann wollen wir sehen, ob dieser kleine Schwedenkönig imstande sein wird, die preußischen und großpolnischen Errungenschaften zu halten. Dann will ich ihnen zurufen: quos ego! Mit diesem Fuße will ich ihre dürren Rippen zermalmen und ein Reich ausrichten, wie es die Welt noch nie gesehen und in den Annalen der Geschichte nicht verzeichnet steht. Vielleicht gelingt es uns, mit Feuer und Schwert das Kreuz in Konstantinopel wieder aufzurichten, der Feinde Schrecken zu werden, während im Innern der Friede gedeiht. Großer Gott, der du den Sternen ihre Bahnen vorzeichnest, verleihe mir, daß ich dieses unglückselige Land dir und dem Christentum zur Ehre rette, laß mich Menschen finden, die mich verstehen und mir zur Erlösung des Vaterlandes die Hand leihen.«

Der Fürst breitete die Arme aus und richtete den Blick nach oben:

»Hier bin ich! Du siehst mich! Richte mich, mein Gott! ...«

»Durchlaucht! Durchlaucht!« rief Kmiziz.

»Geh! verlasse mich! wirf mir den Stab vor die Füße! brich den Schwur! nenne mich einen Verräter! ... Laß in der Dornenkrone, welche man mir aufs Haupt gedrückt, keinen Stachel fehlen! Stürzt das Land ins Verderben, stoßt die Hand, welche euch zu erretten vermag, von euch – und dann stellt euch dem Gericht Gottes ... Dort mag man uns richten.«

Kmiziz warf sich dem Fürsten zu Füßen.

»Durchlaucht! in den Tod mit euch! Vater des Vaterlands! Erlöser!«

Radziwill legte ihm beide Hände auf seinen Kopf und wieder herrschte Totenstille. Nur das Käuzchen krächzte noch immer auf dem Turm.

»Alles soll dir werden, was du ersehnst und wünschest!« sagte der Fürst feierlich. »Nichts soll dir mangeln und mehr dir werden, als Vater und Mutter je dir hatten geben können ... Steh auf, du Großhetman der kommenden Tage, du Wojewode von Wilna! ...«

Am Himmel fing der Morgen an zu grauen.

.

 << zurück weiter >>