Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10. Kapitel

Kmiziz beschäftigte sich eifrig mit den Vorbereitungen zu seiner Reise und der Auswahl der Leute, die ihn begleiten sollten; er wollte nicht ohne Assistenz reisen, teils seiner eigenen Sicherheit wegen, teils um seiner Gesandtschaft eine größere Bedeutung zu geben. Er wählte sechs Männer, deren Ergebenheit er sich sicher wußte, die schon seit besseren Zeiten in seinem Dienste standen, seit jenen Zeiten, noch vor seiner Ankunft in Lubitsch, alte Orschaner Kämpen, die für ihn durch Wasser und Feuer gingen. Sie waren alle Edelleute, Bojaren aus der Pußta, der Rest jener Bande Freiwilliger, die von den Butryms hingemordet worden waren. An ihre Spitze stellte er den Wachtmeister Soroka, einen alten treuen Diener, welcher ein braver Soldat war, obgleich auch gegen ihn eine Unzahl Klagen anhängig gemacht waren, wegen noch unzählbarer Verschuldungen.

Nach Tische übergab der Hetman dem Herrn Andreas die Briefe und den Geleitschein an die schwedischen Kommandanten, mit welchen der junge Gesandte in größeren Städten zusammentreffen konnte. Er verabschiedete ihn mit fast väterlicher Herzlichkeit und empfahl ihm Vorsicht und Ueberlegung für die Reise.

Gegen Abend hatte der Himmel sich aufgehellt, die Sonne stand fahl über Kiejdan und ging hinter rotem Gewölk unter, welches sich in breiten Streifen am westlichen Himmel hinzog.

Es stand der Abreise nichts mehr im Wege. Kmiziz trank soeben den Satteltrunk mit Ganhof, Charlamp und einigen anderen Offizieren, als Soroka in der Dämmerstunde in das Gemach trat und frug: »Brechen wir auf, Herr Kommandant?«

»In einer Stunde,« entgegnete Kmiziz.

»Die Leute stehen mit den Pferden im Schloßhofe bereit ...«

Der Wachtmeister entfernte sich wieder und die Herren ließen die Becher lebhafter kreisen. Kmiziz that, als ob er trinke, in der That nippte er nur am Weine. Der Wein schmeckte ihm nicht; er stieg ihm nicht zu Kopfe und machte ihn nicht fröhlicher, während den anderen die Schöpfe bereits rauchten.

»Herr Hauptmann,« sagte Ganhof, »empfehlt mich der Gnade des Fürsten Boguslaw; er ist der größte Kavalier der Republik. Wenn ihr zu ihm kommt, dann ist es, als wäret ihr in Frankreich; andere Sprache, andere Sitten lernt man dort kennen und in der Höflichkeit bekommt man dort besseren Unterricht, wie an einem Königshofe.«

»Ich erinnere mich des Fürsten Boguslaw von Berestetsch her,« sagte Charlamp. »Er hatte dort ein Regiment Dragoner bei sich, ganz nach französischer Art ausgebildet, welche gleichzeitig Reiter- und Fußsoldatendienste leisteten. Der größte Teil der Soldaten waren Franzosen; mit Ausnahme einiger Holländer waren die Offiziere sämtlich Franzosen und alles französisch. Es roch um sie wie in einer Apotheke nach lauter Wohlgerüchen. Während der Schlacht stießen sie wacker mit ihren Rapieren um sich, und man erzählte sich von ihnen, daß, wenn einer einen Feind durchbohrt hatte, er ihm zurief: Pardonnez moi! so sehr war ihnen die Höflichkeit in Fleisch und Blut übergegangen. Fürst Boguslaw ritt währenddessen zwischen ihnen umher mit lächelndem Gesicht, sein Sacktuch auf die Degenspitze gesteckt, mitten im heftigsten Schlachtgetümmel, denn so gebot es die französische Sitte. Sein Gesicht war mit Schminke angemalt, die Augenbrauen mit Kohle schwarz gefärbt, weshalb alte Soldaten ihn einen Kuppler nannten. Gleich nach der Schlacht ließ er sich frische Halskrausen bringen und schmückte sich wie zu einem Gastmahl; er ließ sich mit kleinen eisernen Bolzen die Haare plätten und sie zu lauter seltsamen Figürchen drehen. Trotzdem ist er ein tapferer Herr und immer der erste auf dem Kampfplatze. Er hat auch den Herrn Kalinowski zum Zweikampf gefordert und Se. Majestät der König mußte sie vergleichen.«

»Ihr werdet ohne Zweifel interessante Dinge zu sehen bekommen,« sagte Ganhof, »auch des Königs von Schweden Antlitz, welcher nächst unserem Fürsten der größte Kämpfer der Welt ist.«

»Und den Herrn Tscharniezki,« setzte Charlamp hinzu. »Man spricht immer lauter von ihm.«

»Herr Tscharniezki steht auf Seiten Johann Kasimirs; er ist daher unser Feind!« versetzte Ganhof streng.

»Es gehen doch sonderbare Dinge in der Welt vor,« sagte Charlamp nachdenklich. »Wenn vor einem Jahre jemand gesagt hatte, daß die Schweden zu uns kommen werden, dann hätten wir alle gedacht, daß wir auf sie dreinschlagen müßten und nun, seht meine Herren ...«

»Nicht allein wir, sondern die ganze Republik hat sie mit offenen Armen empfangen!« versetzte Ganhof.

»Jawohl! So ist es!« warf Kmiziz gedankenvoll ein.

»Ausgenommen die Herren Sapieha, Goschewski, Tscharniezki und die Kronenhetmane!« sagte Charlamp.

»Es ist besser, wir sprechen nicht davon,« antwortete Ganhof. »Nun! mein lieber Hauptmann kehrt uns gesund wieder, die Ehrenbezeugungen warten hier euer ...«

»Und das Fräulein Billewitsch,« setzte Charlamp hinzu.

»Das Fräulein Billewitsch geht euch gar nichts an!« entgegnete Kmiziz barsch.

»Das wohl, denn ich bin schon zu alt dazu. Das letzte Mal ... Wartet einmal, ihr Herren ... wann war das? ... Aha! zum letzten Mal bei der Wahl unseres allergnädigsten regierenden Königs Johann Kasimir ...«

»Gewöhnt euch solche Reden ab!« unterbrach ihn Ganhof. »Heute regiert nur der allergnädigste König Karl Gustav.«

»Es ist wahr! ... Consuetudo altera natura ... Also damals bei der Königswahl Johann Kasimirs, unseres Ex-Königs, Großherzogs von Litauen, verliebte ich mich schrecklich in ein Fräulein aus dem Frauenzimmer der Fürstin Wisniowiezka. Sie war eine anmutige kleine Biene ... Aber so oft ich ihr tiefer in die Augen blicken wollte, hielt Herr Wolodyjowski mir seinen Säbel vor. Ich sollte mich mit ihm schlagen, aber Bohun kam uns dazwischen und den weidete Herr Wolodyjowski aus wie einen Hasen. Ohne diesen Zwischenfall wäre ich nicht mehr am Leben. Damals hätte ich mich mit dem Teufel selbst geschlagen. Uebrigens trat der kleine Ritter nur aus Freundschaft für sie ein, denn sie war mit einem anderen versprochen, mit einem großen Haudegen ... Ei, meine Herren, ich dachte damals, ich müsse verdorren ... weder Essen noch Trinken schmeckte mir. Erst als der Fürst mich aus Warschau fort nach Smolensk schickte, schüttelte ich mir unterwegs die Liebe aus dem Leibe; es giebt nichts besseres gegen solchen Kummer, als reisen. Schon nach der ersten Meile wurde mir leichter, und ehe ich bis Wilna kam, hatte ich sie vergessen, und verharre bis heute im Kavalierstande. Wirklich! es giebt kein besseres Mittel gegen unglückliche Liebe, als reisen!«

»Meint ihr das im Ernst?« frug Kmiziz.

»So wahr ich lebe! Mögen die Teufel alle Schönheiten Litauens und Kronpolens holen! Mir kann keine mehr gefährlich werden.«

»Seid ihr ohne Abschied von ihr gegangen?«

»Ohne Abschied. Ein in Liebesangelegenheiten sehr bewandertes altes Weib hat mir geraten, ein rotes Bändchen beim Fortreiten hinter mich zu werfen, und das that ich.«

»Euer Wohl!« warf Ganhof ein, sich an Kmiziz wendend.

»Auf das Wohlsein!« antwortete Herr Andreas. »Ich danke von Herzen.«

»Bis auf den Grund! Auf den Grund leert die Becher! Es ist Zeit zum Aufbruch, auch uns ruft der Dienst. Möge Gott euch geleiten und zurückführen.« – »Lebt wohl!«

»Und werft das rote Bändchen hinter euch,« sagte Charlamp, »oder gießt im nächsten Nachtquartier selbst das Feuer im Kamin aus. Denkt daran ... wenn ihr vergessen wollt!«

»Bleibt mit Gott! Wir sehen uns sobald nicht wieder!«

»Vielleicht irgendwo auf dem Schlachtfelde,« setzte Ganhof hinzu. »Wolle Gott, Seite an Seite, nicht als Gegner.«

»So soll es sein!« antwortete Kmiziz.

Die Offiziere gingen hinaus.

Die Turmuhr schlug die siebente Abendstunde. Auf dem Schloßhofe klapperten die Pferde mit den Hufen auf den Steinfliesen, durch das Fenster sah man die Leute, zur Reise bereit, warten. Eine seltsame Unruhe hatte Herrn Andreas befallen. Er mußte sich immer wiederholen: »Ich reite! ich reite!« Seine Phantasie malte ihm die unbekannten Landstriche, die fremden Gesichter, die er sehen würde, vor, gleichzeitig griff eine gewisse Verwunderung in ihm Platz, darüber, daß er reisen sollte, als hätte er vorher nie daran gedacht.

»Es wird Zeit, aufzusitzen und fortzureiten,« dachte er. »Mag geschehen, was da will! ...«

Aber jetzt, wo er durch das Fenster die Pferde schnaufen hörte und die Uhr die Abschiedsstunde schlug, fühlte er, daß das Leben, in welches er hinaus sollte, ihm völlig fremd sein werde, daß alles, womit er eingelebt, eingewöhnt, alles, womit sein Herz, seine Seele verwachsen waren, hier zurückbleiben müsse in diesem Lande, dieser Gegend, dieser Stadt. Auch der alte Kmiziz würde zurückbleiben; der, welcher hinausziehen sollte in die Welt, war ein anderer, allen da draußen fremd, wie ihm alles fremd war. Er würde ein ganz neues Leben beginnen müssen, und Gott allein wußte, ob sein Wille und seine Kraft dazu ausreichten.

Herr Andreas war todmüde an Leib und Seele; er fühlte sich in diesem Augenblick angesichts der neuen Eindrücke und der neuen Menschen, die er kennen lernen sollte, völlig kraftlos ... Er mußte immer denken, daß er sich hier nicht wohl fühlte, dort sich nicht wohl fühlen, daß die Fremde schwer auf ihm lasten werde.

Es ist Zeit, höchste Zeit! Auf, die Mütze auf den Kopf und fort! Aber wie? Sollte er ohne Abschied gehen? War es möglich, so nahe bei einander zu sein, in die weite Ferne zu ziehen, ohne ein Wort zu sprechen, fortzureiten? So weit war es mit ihnen gekommen! Aber was sollte er ihr sagen? ... Sollte er vor sie hintreten und sagen: ›es ist alles aus zwischen uns ... geht ihr eurer Wege, Fräulein, wie ich die meinigen, unsere Wege führen auseinander!‹ Wozu das sagen, da die Trennung doch ohne Worte schon vollzogen war. War er doch nicht mehr ihr Verlobter und sie würde niemals seine Gattin werden. Das, was gewesen, war versunken, zerrissen; es ließ sich nicht wieder anknüpfen. Schade um die Zeit, um jedes Wort, um die Qual.

»Ich gehe nicht zu ihr!« dachte Kmiziz.

Andererseits waren sie noch immer durch den Willen des Verstorbenen gebunden. Es war doch notwendig, sich ausdrücklich, ohne Zorn auseinander zu setzen; er mußte ihr sagen: »Ihr wollt mich nicht; ich gebe euch euer Wort zurück. Betrachten wir beide das Testament als nicht vorhanden ... es suche jeder sein Glück, wo er es findet.«

Aber sie konnte ihm darauf erwidern: »Ich habe euch das schon längst gesagt, wozu wiederholt ihr es mir?«

»Nein, ich gehe nicht zu ihr, mag geschehen was will!« beharrte er eigensinnig.

Er drückte die Mütze fest auf den Kopf und ging hinaus. Im Korridor war ihm plötzlich, als fasse ihn jemand an den Haaren. Eine unwiderstehliche Sehnsucht, sie zu sehen, zu sprechen, packte ihn so gewaltig, daß er aufhörte, darüber zu grübeln, ob er zu ihr gehen solle oder nicht. Ohne weiteres Besinnen lief er blindlings, als wolle er sich in das Wasser stürzen, dahin.

Dicht vor ihrer Thür, welche nicht mehr mit einer Wache besetzt war, traf er den Pagen des Schwertträgers von Reußen.

»Ist der Herr Schwertträger im Gemach?« frug er.

»Der Herr Schwertträger ist mit den Offizieren im Zeughause,« lautete die Antwort.

»Und das Fräulein?« – »Das Fräulein befindet sich drinnen.«

»Gehe hinein und melde, daß Herr Kmiziz im Begriff steht, eine lange Reise anzutreten und das Fräulein sprechen will.«

Der Knabe gehorchte; doch ehe er mit der Antwort zurückkehren konnte, griff Kmiziz nach der Thürklinke und trat, ohne zu fragen, ein.

»Ich komme, um Abschied zu nehmen,« sagte er, »denn wer weiß, ob wir uns noch einmal im Leben wiedersehen.«

Plötzlich wandte er sich an den Knaben: »Was stehst du noch hier?« fuhr er ihn an.

Dann, als der Knabe hinausgegangen war, fuhr er zu Olenka zu sprechen fort:

»Mein gnädiges Fräulein! Ich wollte ohne Abschied von euch abreisen, aber ich vermochte es nicht. Gott weiß, wann ich zurückkehre und ob ich zurückkehre, denn Reiseunfälle sind nichts Ungewöhnliches. Gehen wir nicht im Zorn, mit Groll im Herzen von einander, damit nicht die Strafe Gottes eines von uns treffe. Ach! es giebt so viel zu sagen, so viel, wozu die Sprache nicht ausreicht. Nun! ich hatte kein Glück; es war nicht Gottes Wille, man kann nicht mit dem Kopf durch die Mauer, es giebt keinen Ausweg für mich! Beschuldigt mich nicht, Fräulein; ich will euch auch nicht beschuldigen. Wir können keine Rücksicht mehr auf das Testament nehmen, denn, wie ich schon sagte: Gottes Wille ist stärker, als des Menschen Wille. Gott gebe euch Glück und Frieden. Verzeihen wir uns gegenseitig unsere Schuld. Ich weiß nicht, wohin ich reise, was mit mir geschehen kann ... dennoch ist es mir unmöglich, mit dieser Qual, diesem Zwiespalt und diesem Gram noch länger hier auszuhalten und ohne Trost und Hilfe zwischen den vier Wänden zu sitzen. Es giebt hier nichts für mich zu thun, als mich mit der Sorge herumzuschlagen und tagelang über die unglückseligen Verschuldungen nachzudenken, bis der Kopf schmerzt, ohne zu einem Resultate zu gelangen. Ich muß fort, sonst packt mich der Wahnsinn!«

»Möge Gott auch euch Glück und Frieden geben,« antwortete Fräulein Alexandra.

Sie stand vor ihm, betäubt von den Worten und der plötzlichen Abreise Kmiziz'. Verwunderung und Verlegenheit malte sich in ihrem Gesicht; man konnte deutlich sehen, wie sie kämpfte, um mit sich ins Klare zu kommen, während sie mit weitgeöffneten Augen den jungen Ritter anblickte.

»Ich hege keinen Groll gegen euch ...« brachte sie endlich hervor.

»O, wäre doch alles Geschehene ungeschehen zu machen!« rief Kmiziz. »Ein böser Geist hat sich zwischen uns gedrängt und trennt uns wie das Meer. Es ist weder zu überbrücken, noch zu durchwaten ... Man that nicht das, was man wollte, ging nicht dem Ziele zu, das man sich gesteckt; es war, als werde man mit Gewalt dahin gestoßen, wo man nicht hin wollte; so gerieten wir beide auf Irrwege. Doch, wenn uns schon diese auseinanderführen, wenn wir uns aus den Augen verlieren sollen, dann ist es doch besser, wir rufen uns aus der Ferne zu: ›Gott geleite dich!‹ Ihr müßt auch wissen, Fräulein, daß Zorn und Groll verschieden sind von Herzeleid. Den Zorn und Groll habe ich abgelegt, aber das Herzeleid ist mir geblieben – ich weiß nicht, ob über euch oder sonst wen. Ich habe umsonst gegrübelt, um das zu ergründen, aber mir scheint, daß eine Aussprache uns beiden das Herz erleichtern muß, Ihr haltet mich für einen Verräter ... das ist, was mich am meisten kränkt; denn, so wahr ich um mein Seelenheil Verlangen trage, ich bin keiner und werde niemals einer werden!«

»Ich denke das auch nicht mehr!« sagte Olenka.

»O! wie konntet ihr es auch nur eine Stunde lang denken ... Kanntet ihr mich doch. Wußtet ihr doch, daß ich früher leicht zum Uebermute geneigt war. Mich herumschlagen, eine Hütte in Brand stecken, einen im Zorn totschießen, das that ich, doch das ist etwas anderes, aber Verrat üben, um des eigenen Vorteils willen, um Rang und Würden zu gewinnen, – niemals! ... Gott bewahre mich! Gott richte mich! ... Ihr seid ein Weib, Fräulein, und versteht nichts davon, worauf das Heil des Vaterlandes beruht, darum dürft ihr auch nicht urteilen und verdammen. Warum habt ihr mich verdammt? ... Gott mit euch! ... Erfahret denn, daß das Heil des Vaterlandes allein bei dem Fürsten Radziwill und den Schweden zu finden ist; wer anders denkt und anders handelt, der eben führt das Verderben herauf. Die Zeit zum Diskurs ist zu kurz, ich muß fort, nur das eine glaubt – ich bin kein Verräter, kein Bestochener, und Gott strafe mich, wenn ich je einer werde! ... Ihr habt mich mit Unrecht verdammt, mit Unrecht zum Tode verurteilt ... das schwöre ich in der Abschiedsstunde und versichere zugleich, daß ich von ganzem Herzen verzeihe. Dafür aber bitte ich auch um eure Verzeihung!«

Fräulein Alexandra hatte sich inzwischen vollkommen gefaßt.

»Wenn ihr sagt, daß ich euch mit Unrecht verurteilt habe, so ist das wahr, hierin bekenne ich mich schuldig und bitte, mir zu verzeihen ...«

Ihre Stimme verlor bei diesen Worten die Festigkeit, ihre Augen füllten sich mit Thränen, und er, das gewahrend, rief begeistert:

»Ich verzeihe! ich verzeihe! Ich würde dir selbst die Schuld an meinem Tode verzeihen! ...«

»Möge euch Gott vom Irrwege zurück auf den rechten Weg führen.«

»Laß das! laß das!« rief er fieberhaft erregt, »damit der Unfriede nicht wieder zwischen uns trete. Ob ich irre, oder nicht – sprechen wir nicht davon! Ein jeder handelt nach seinem Gewissen, und Gott richtet den guten Willen. Es ist gut, daß ich herkam und nicht ohne Abschied fortging. Gieb mir die Hand zum Abschied ... soviel Anrecht habe ich noch an dich! ... Morgen sehe ich dich nicht mehr, noch übermorgen, noch in einem Monat, vielleicht nie wieder ... Ach, Olenka! ... mein Verstand verwirrt sich ... Olenka! Sollen wir uns nie wiedersehen?«

Reichlich perlten die Thränen von ihren Wimpern auf die Wangen hernieder.

»Herr Andreas! ... Verlaßt die Verräter! ... und alles kann gut werden.«

»Stille! ... Stille! ...« antwortete Kmiziz mit gebrochener Stimme. »Ich darf nicht! ... ich kann nicht ... Sprich nicht mehr davon! ... O, daß ich tot wäre, dann wäre die Qual zu Ende ... Um Gotteswillen, was trifft uns! ... Lebe wohl! ... zum letztenmal ... Dann möge der Tod mir sanft die Augen schließen ... Warum weinst du? ... Weine nicht – ich werde sonst wahnsinnig! ...«

Und seiner selbst nicht mehr Herr, umfaßte er sie trotz ihres Sträubens, küßte ihre Augen, Wangen und Mund, dann fiel er ihr zu Füßen – endlich sprang er wie besessen in die Höhe und sich die Haare raufend, rannte er eilends hinaus, indem er schrie:

»Hier hilft kein Teufel, geschweige denn ein rotes Bändchen! ...«

Olenka sah noch durch das Fenster, wie er schnell auf sein Pferd sprang und die sieben Reiter davon ritten; sie hörte, wie die Schotten am Thore klirrend die Waffen präsentierten, dann schloß sich das Thor hinter den Davonreitenden und entzog sie ihren Blicken.

Die Nacht sank herab.

.

 << zurück weiter >>