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14. Kapitel

Während auf beiden Seiten die Kanonen fleißig ihr mörderisches Werk verrichteten, wurden zwischendurch Unterhandlungen gepflogen. Am nächsten Tage abends schickte Miller den Hauptmann Kuklinowski in die Veste mit der Aufforderung, dieselbe zu übergeben. Pater Kordezki zeigte ihm den Königlichen Schutzbrief, worauf der Hauptmann sich entfernte, jedoch bald mit einem anderen Königlichen Befehl zurückkehrte. Derselbe war späteren Datums als der Schutzbrief und bezog sich auf die Besetzung der Ortschaften Boleslawie, Wielun, Krschepitz und Tschenstochau.

Der Prior erklärte, der Herr General solle nur unbehindert jene Ortschaften besetzen. Unter Tschenstochau sei nur das Dorf verstanden, nicht aber der heilige Berg.

Als Miller diese Antwort hörte, erkannte er, daß die Mönche größere Diplomaten waren, als er; ihm fehlte das Recht der Besetzung. Ueber Nacht war Waffenstillstand. Die Schweden arbeiteten fleißig an der Herstellung höherer Verschanzungen, während man im Kloster die entstandenen Schäden ausbesserte.

Der Prior lächelte still vor sich hin. »Menschenleben sind nicht zu beklagen,« sagte er, »und wir haben nach manchem Ablaß schon mehr Schäden auszubessern gehabt als diese. Der Feind ist also so schrecklich nicht, wie man ihn malt. Gottes Hand behütet uns.«

So war der Sonntag herangekommen. Die Andacht verlief ohne Störung, denn Miller wartete die endgültige Erklärung der Mönche ab, welche am Nachmittag erfolgen sollte. Als er die Prozession der Brüder auf den Mauern erblickte, kamen ihm unwillkürlich die Worte der heiligen Schrift in den Sinn, wo es heißt: Und Israel trug zum Schrecken der Philister die Bundeslade um das Lager.

Die endgültige Antwort wurde um zwei Uhr nachmittags abgesandt und enthielt kurz eine Wiederholung der Antwort, welche man dem Hauptmann Kuklinowski gegeben, mit dem Zusatz: »Daher bitten wir Ew. Gnaden inständig, unsere Bruderschaft samt der Gott und der heiligen Jungfrau geweihten Kirche in Frieden zu lassen, damit die Stätte erhalten bleibe, wo wir um Gesundheit und Wohlergehen für den Allerdurchlauchtigsten König bitten können. Indem wir uns dem Wohlwollen Ew. Gnaden unterthänigst empfehlen, setzen wir unser volles Vertrauen in Ew. Gnaden Güte, von welcher wir jetzt und in Zukunft viel erhoffen ...«

Beim Lesen des Schreibens waren zugegen: Wrestschowitsch, Sadowski, Horn, der Gouverneur von Krschepitz, de Fossis, ein berühmter Ingenieur, dann der Fürst von Hessen, ein stolzer junger Herr, welcher, obgleich dem General Miller unterstellt, jenem doch gern seine hohe Geburt fühlen ließ.

Der Fürst lächelte jetzt ironisch, indem er mit Nachdruck den Schlußsatz des Briefes wiederholte:

»Wir erhoffen von eurer Güte viel! Das klingt wie eine Bitte um milde Gaben, Herr General. Ich frage, meine Herren, was verstehen die Mönche besser, – das Betteln oder das Schießen?«

»Es ist wahr,« sagte Horn, »wir haben in diesen Tagen so viele Menschen verloren, wie eine gute Schlacht nicht mehr gefordert hätte.«

»Was mich betrifft,« fuhr der Fürst fort, »ich brauche kein Geld, Ruhm giebt es für mich hier nicht zu ernten, dafür hole ich mir erfrorene Füße in diesen Lehmhütten. Wie schade, daß wir nicht nach Preußen gegangen sind. – Ein reiches Land, ein lustiges Land, eine Stadt besser als die andere.«

Jetzt erst verstand Miller, daß er verspottet wurde. Er wurde dunkelrot vor Zorn, sprang auf und rief:

»Die Mönche spotten unser! Auf, zu den Schanzen! Das Feuer war bisher zu schwach!«

Im nächsten Augenblick flogen die Befehle von einem Ende des Lagers zum anderen. Blaue Rauchwolken kräuselten sich auf den Schanzen und vom Kloster her wurden die Salven kräftig beantwortet.

Da oben auf dem Berge aber sah es schlimm aus. Die feindlichen Geschosse flogen hageldicht. Bomben, Granaten, brennende Fackeln und Wergzöpfe wurden in Mengen in den Klosterhof und auf die Gebäude geschleudert. Wer am Kampfe bei den Kanonen keinen Anteil nahm, der mußte auf die Dächer. Die einen schöpften Wasser, andere bildeten Reihen, die Eimer weiter zu reichen. Wieder andere löschten die sengenden Stellen mit nassen Planen, während wieder andere die hereinfliegenden Brennstoffe mit Stöcken von den Dächern stießen. Dieselben bildeten bereits ganze brennende Stöße an den Mauern der Gebäude, die Fensterscheiben sprangen von der Hitze und die in den Gemächern befindlichen Frauen und Kinder waren in Gefahr, vor Rauch und Hitze zu ersticken. Trotzdem gelang es den rastlos Arbeitenden, das Kloster und die Kirche zu bewahren, indes wieder, wie schon vorher, der Kirchenchor des Klosters hoch oben vom Turm fromme Lieder blies und sang. Diese Musik, die wie aus Himmelshöhen heruntertönte, erfüllte die Zaghaften mit Mut und entflammte allesamt zu heiliger Begeisterung und Todesverachtung.

Aber auch im schwedischen Lager verfehlte sie ihre Wirkung nicht.

»Wie ist es möglich, daß bei einer solchen Kanonade Menschen den Mut und die Lust finden können, zu singen und zu spielen?«

»Das sind Zauberkünste!«

»Die Kugeln prallen von den Wänden ab, die Bomben rollen wie Brodlaibe von den Dächern herunter, ohne Schaden anzurichten, das ist Zauber, Hexenkunst! Wir haben hier nichts Gutes zu erwarten!«

So flogen im Lager die Reden hin und her, von Mund zu Mund immer phantastischere Gestalt annehmend. Selbst die Offiziere begannen diesen Vorgängen eine besondere Wichtigkeit beizulegen. Nur Sadowski und einige andere dachten anders darüber und der erstere sagte absichtlich so laut, daß Miller es hören mußte:

»Sie müssen sich doch wohl befinden, da sie Musik machen. Wir haben also bisher unser Pulver verschwendet.«

»Wir haben ohnehin nicht viel mehr davon,« sagte der Fürst von Hessen.

»Dafür haben wir einen berühmten General,« sagte Sadowski in einem Ton, daß Miller ebensogut glauben konnte, er wolle ihm schmeicheln, als ihn verspotten.

Miller schien aber die Rede als Spott aufzufassen, denn er kaute am Schnurrbart und sagte:

»Wir wollen in zwei Stunden sehen!« Damit wandte er sich an seine Stabsoffiziere und befahl das Feuer zu verdoppeln.

Es verfloß eine Stunde und noch eine; die Musik währte fort.

Miller stand mit dem Fernrohr in der Hand in Tschenstochau und blickte lange nach dem Kloster hinauf. Seine Umgebung bemerkte, wie ihm die Hand immer heftiger zitterte.

»Die Schüsse richten keinen Schaden an,« sagte er. Eine unbezähmbare Wut packte den alten Krieger; er warf das Fernrohr an den Boden, daß es in Stücke ging.

»Diese Musik macht mich toll!« schrie er.

In diesem Augenblick sprengte der Ingenieur de Fossis an den General heran.

»Herr General!« meldete er, »wir können keine Laufgräben graben; dicht unter der Muttererde ist harter Felsen. Hier müssen Bergleute arbeiten.«

Miller fluchte. Aber noch war der Aerger für ihn heute nicht zu Ende, denn fast zugleich mit dem ersteren machte ein zweiter Offizier die Meldung:

»Unser größtes Geschütz ist zerschmettert; sollen wir aus Lgota ein anderes herbeischaffen?«

Der Kanonendonner wurde etwas schwächer – die Musik tönte lauter herüber. Miller ritt nach seinem Quartier ohne ein Wort zu sprechen. Er beschloß, durch andauernde Beschießung die Belagerten zu ermüden. Die Nacht brach an. Die Lagerfeuer wurden angezündet, sie boten den Belagerten ein gutes Ziel. Sie wurden von den Kugeln der Klosterkanonen zerstiebt, verlöscht, die daran Sitzenden entweder getötet oder auseinander getrieben. Um Mitternacht wurde das Feuern so stark, daß die Belagerer nicht mehr ein Hölzchen anzünden konnten. Es war, als wollten die Belagerten sagen: »Ihr wollt uns ermüden ... wir fordern euch heraus! ...«

Die Klosterturmuhr schlug die erste, die zweite Stunde. Ein feiner Regen fiel, eine dicke kalte Dunstschicht lagerte über der Erde. Zuweilen ballte der Luftzug sie, trieb sie auseinander und gab ihr die seltsamsten Formen. Eine unsichtbare Hand baute Arkaden, Gewölbe, zusammengesetzt aus Licht und Dunkelheit, weil durchleuchtet von den Feuerfunken der Granaten und den Feuern im Klosterhofe. Zuweilen wurde die ganze Luft über dem heiligen Berge durchsichtig hell, wie von zuckenden Blitzen durchflammt. Dann hoben die hohen Wände der Kirche, der Turm und das Kloster sich deutlich von dem hellen Hintergrunde ab, um plötzlich wieder im Dunkel zu verschwinden.

Die schwedischen Soldaten starrten düster und voll abergläubischer Furcht vor sich hin. Von Zeit zu Zeit stieß einer den anderen an.

»Hast du gesehen?« klang die angstvolle Frage. – »Das Kloster verschwindet und erscheint abwechselnd ... Das ist nicht Menschenwerk!«

»Ich habe mehr gesehen,« sagte der andere. »Als ich mit diesem Geschütz, mit demselben, welches zerschmettert ist, zielte und losschoß, da fing die ganze Veste an zu hüpfen und hin und her zu zappeln, wie wenn sie jemand an einer Schnur hielte – und da soll einer nun treffen!«

Indem er das sagte, warf der Soldat die Kanonenbürste, welche er in der Hand hielt, zu Boden, und setzte hinzu:

»Wir werden nichts ausrichten! ... Wir werden ihr Geld nicht zu sehen bekommen ... Brr! es ist kalt! Habt ihr kein Pechfäßchen bei der Hand, zündet es an, damit man sich wenigstens die Hände wärmen kann.«

Einer der Soldaten versuchte das Pech mittels eines Schwefelfadens zu entzünden. Soeben fing es an zu glimmen, da rief einer der Offiziere: »Löscht das Feuer aus!«

In demselben Augenblick fuhr es zischend durch die Luft, ein kurzer Aufschrei ertönte und das Licht war erloschen.

Diese Nacht hatte den Schweden schwere Verluste gebracht. Eine Menge Menschen waren gefallen, stellenweise waren ganze Abteilungen so auseinander gesprengt, daß sie sich bis zum Morgen nicht wieder zusammenfinden konnten.

Oben auf den Mauern der Veste beleuchtete das Morgengrauen übernächtige blasse Gesichter, aus deren Augen fieberhafte Begeisterung leuchtete. Der Pater Kordezki hatte während der Nacht in der Kirche zu Kreuze gelegen; jetzt erschien er auf den Mauern und überall, wo er hinkam, ertönte seine wohlklingende Stimme in ermunternden Worten:

»Gott läßt den Tag erwachen, Kinder! ... Sein Licht sei gesegnet! ... Weder die Kirche, noch die anderen Gebände haben Schaden gelitten ... Die Brände sind gelöscht, niemand hat sein Leben verloren. Herr Moschinski! ... unter die Wiege eures Kindlein ist eine Granate geflogen, aber Gott sei Dank, sie hat ihm nichts gethan! Dankt der heiligen Jungfrau dafür!«

Der Prior ging weiter. Es war fast ganz hell geworden, als er bei der Stellung Tscharniezkis anlangte. Er frug sogleich nach Kmiziz, welchen er dort vermißte. Herr Andreas war nämlich jenseits der Mauer, um einen kleinen Schaden an dem Pfeiler auszubessern, welcher über Nacht entstanden war.

»Wo ist Babinitsch?« frug der Prior; »schläft er etwa?«

»Wie sollte ich wohl in einer solchen Nacht schlafen!« antwortete Herr Andreas, indem er über die Mauer zurückkletterte. »Wo bliebe denn da mein Gewissen, wo der Dienst der allerheiligsten Jungfrau?«

»Freilich! freilich!« entgegnete der Prior, »diene ihr nur treu, mein Sohn.« Und er ging weiter; er ging in das Kloster, um den müden Arbeitern eine kräftige Biersuppe mit Käseklöschen darin zur Stärkung zu senden. Eine halbe Stunde später trugen Frauen, Mönche und Greise, auch die älteren Kinder eifrig dampfende Krüge und Töpfe mit der duftigen Labung nach allen Seiten hinaus. Hastig langten die mutigen Verteidiger nach dem warmen Getränk, sogen es behaglich schlürfend ein und lobten dessen Wohlgeschmack.

»Wir befinden uns sehr wohl im Dienste der heiligen Jungfrau,« sagten sie. »Die Schweden haben es nicht so gut. Die durften heute Nacht nicht kochen und ihre Kanonen sind von dem fortwährenden Niesen heiser geworden.«

Aber sie irrten, wenn sie glaubten, daß für jetzt Ruhe eintreten werde. Als am Morgen die Offiziere zu Miller kamen, um Rapport abzustatten, daß die nächtliche Beschießung gar keinen Erfolg gehabt hatte, dafür sie selbst aber großen Schaden erlitten, da befahl der General zähneknirschend, die Beschießung fortzusetzen.

»Das Pulver wird uns ausgehen,« warnte der Fürst von Hessen.

»Auch jenen dort muß es ausgehen,« antwortete Miller.

»Die dort müssen unerschöpfliche Vorräte von Salpeter und Schwefel haben. Die Kohle liefern wir ihnen, sobald es uns gelingt, ein einziges Gebäude in Brand zu stecken. Ich bin trotz der Kanonade heute Nacht bis dicht unter die Mauern der Veste geritten; da hörte ich deutlich eine Mühle gehen, das kann nur eine Pulvermühle sein.«

»Wir werden den Tag über die Beschießung fortsetzen, dafür in der Nacht ruhen; vielleicht zwingen wir sie doch zur Kapitulation.«

»Wissen Ew. Liebden, daß sie zu Wittemberg gesandt haben?«

»Und ich werde nach schwereren Geschützen senden. Wenn es uns nicht gelingt, sie zu schrecken oder das Kloster in Brand zu setzen, dann müssen wir in die Mauer eine Bresche schießen.«

»Und glauben Ew. Liebden, daß der Feldmarschall die Belagerung billigt?«

»Der Feldmarschall kannte meine Absicht und – er schwieg dazu,« sagte Miller barsch. »Verunglückt die Belagerung, dann wird er es am Tadel nicht fehlen lassen und mir die ganze Schuld aufhalsen. Se. Majestät aber wird ihm Recht geben, nicht mir, das weiß ich. Ich habe schon viel von der üblen Laune des Feldmarschalls zu leiden gehabt, als ob ich schuld wäre, daß ihn, um mit den Italienern zu sprechen, die mal francese peinigt.«

»Auch ich zweifle nicht, daß die Schuld Ew. Liebden zugeschoben wird, besonders wenn es sich zeigen wird, daß Sadowski Recht hat.«

»Inwiefern Recht? Sadowski redet diesen Mönchen das Wort, als würde er von ihnen besoldet. Was sagt er denn?«

»Er behauptet, daß die Kanonade bei Tschenstochau im ganzen Reiche, vom Baltischen Meere bis zu den Karpaten viel Staub aufwirbeln wird.«

»Dann soll Se. Majestät dem Wrestschowitsch das Fell über die Ohren ziehen und im Kloster als Reliquie aushängen lassen, denn er ist es, welcher den König zu der Belagerung drängte.«

Hier fuhr Miller sich in die Haare.

»Wir müssen ein Ende machen, auf alle Fälle; mir ahnt, daß in der Nacht eine Gesandtschaft vom Kloster kommen wird. Laßt schießen, was das Zeug hält.«

Der Tag verlief wie der gestrige. Oben in der Veste hatten sich die Menschen allgemach an den Donner der Geschütze gewöhnt, da sie sahen, daß der angerichtete Schaden nicht bedeutend war. Die Soldaten, welche schon früher gedient und Feldzüge mitgemacht hatten, flößten den Bürgern und Bauern Mut ein, indem sie denselben ihre Erlebnisse und Erfahrungen mitteilten.

Ganz besonders verstand der alte Soroka es, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln, wenn er von der Belagerung von Sbarasch erzählte, die durchgemacht worden war, trotzdem die Lage dort eine viel schwierigere war als hier; denn – sagte er: »Hier sind wir wenigstens sicher vor bösen Geistern! Dort aber – hatten die Belagerten nur an drei Tagen, am Freitag, Sonnabend und Sonntag, vor ihnen Ruhe, weil sie an diesen Tagen keine Gewalt über die Menschen haben; an allen anderen Tagen wurden sie unaufhörlich von ihnen geschreckt. Die Tartaren, Türken und Kosaken stehen alle mit bösen Geistern im Bunde. Ich weiß es von einem, der das Totengespenst mit eigenen Augen gesehen hat; es kam auf ihn zu, in ein schwarzes Laken gehüllt.«

»In ein schwarzes? nicht in ein weißes?«

»Ein schwarzes! Im Kriege geht das Totengespenst immer schwarz um. Der Soldat rief es an: »Wer da!« es antwortet nicht. Der Soldat faßt es am Laken und erblickt ein Gerippe. »Was willst du?« fragt er. – »Dir sagen, daß ich dich in einer Woche hole!« – »So!« sagt der Soldat, »warum nicht schon heute?« – »Weil ich nicht darf!« antwortet das Gespenst und der Soldat packt es fest, wickelt es in das Laken und schlägt das Gerippe so lange auf die Steine aus, bis es keinen Laut mehr von sich gab.«

»Seht ihr,« fuhr Soroka fort, »man muß nur den Tod nicht fürchten.«

Von jenem Tage an starb kein einziger Soldat mehr im Lager, obgleich sie noch manchen Ausfall machten.

»Werden wir nicht auch einmal einen Ausfall auf die Schweden machen?« frug einer der Zuhörer.

»Das kann ich nicht wissen,« antwortete Soroka.

Diese Frage und Antwort hatte Kmiziz gehört, welcher unweit davon stand. Er schlug sich an die Stirn, dann blickte er hinunter auf die Schwedenschanzen. Es war Nacht. Seit einer Stunde herrschte dort tiefste Stille; die müden Kämpfer schliefen sicherlich; nur weit unten am Berge sah man ein paar kleine Feuerchen blinken.

»Wir würden sie sehr überraschen; es denkt gewiß keiner dort unten, daß wir einen Ausfall machen könnten,« dachte Kmiziz bei sich.

Er ging sogleich zu Herrn Tscharniezki, welcher auf einer Lafette sitzend den Rosenkranz betete und dabei die Füße aneinanderschlug, denn ihn fror.

»Wißt ihr, woran ich denke?« sprach er. »Man könnte die dort unten beschleichen, wie den Bären im Nest: sie würden kaum erwachen, ehe wir hinkommen.«

»Ihr denkt an weiter nichts, wie an Kampf und Blut.«

»Helft mir doch! Wagen wir den Ausfall! Wir könnten eine ganze Anzahl Feinde töten, ihre Geschütze vernageln, ehe sie noch ahnten, was geschieht!«

Herr Tscharniezki stand schon auf beiden Beinen.

»Und morgen würden sie rasen! Sie denken, daß wir furchtsam und müde geworden sind! Ein prächtiger Einfall das! Kommt zum Pater Kordezki; er hat zu entscheiden.«

Der Pater Prior saß mit dem Herrn Samojski zu Rate. Als er die nahenden Schritte vernahm, schob er die vor ihm stehende Unschlittkerze etwas zur Seite, um die Nahenden zu erkennen.

»Wer da?« rief er. »Ist etwas vorgefallen?«

»Ich bin es, Tscharniezki,« sagte Herr Peter. »Hinter mir kommt Babinitsch. Dieser unruhige Geist kann es nicht aushalten, stille zu sitzen; er möchte gern hinunter zu den Schweden, um sie zu fragen, ob sie die Belagerung morgen fortsetzen wollen, oder uns in Ruhe lassen wollen!«

»Wie? Was?« frug der Prior. »Babinitsch will die Festung verlassen?«

»Aber in Begleitung!« antwortete Herr Peter schnell. »Mit mir und noch etlichen Leuten. Die da draußen schlafen wie tot auf den Schanzen. Sie bauen auf unsere Schwäche und Ermüdung.«

»Wir wollen die Geschütze vernageln!« setzte Kmiziz lebhaft hinzu.

»Das ist ein Gedanke! Laßt euch dafür umarmen!« rief Herr Samojski. »Es ist ein großes Unternehmen, aber es kann die besten Folgen haben. Gott hat uns diesen Litauer gesandt! Der Plan ist nur zu loben; ich selbst erkläre mich bereit, mitzugehen.«

Pater Kordezki war zuerst sehr erschrocken, denn ihn entsetzte das Blutvergießen, besonders, da er nicht thätigen Anteil an den Kämpfen nehmen und sein eigenes Leben in die Schanze schlagen durfte. Bei näherer Betrachtung aber mußte er selbst den Plan gutheißen.

»Laßt mich erst beten!« sagte er. Und er kniete wieder nieder und betete kurze Zeit andächtig vor dem Bilde der Gottesmutter, dann stand er auf und sagte:

»Betet auch ihr zuvor, dann geht!«

Nach einer Viertelstunde gingen alle Viere auf die Mauern. Die Nacht war sehr finster, auf den Schanzen herrschte tiefste Stille.

»Wie viel Mann willst du mitnehmen?« wandte sich der Prior an Kmiziz.

»Ich?« frug Herr Andreas verwundert. »Ich bin hier nicht der Führer und kenne die Oertlichkeit nicht so gut, wie Herr Tscharniezki. Der soll die Soldaten führen und mich mit; ich möchte nur bitten, daß mein Soroka mitgehen darf, denn er ist ein wackerer Kämpfer.«

Diese Antwort gefiel sowohl dem Pater Prior, wie auch dem Herrn Tscharniezki. Sie war der beste Beweis, daß Kmiziz gelernt hatte, die Demut zu üben.

Die Vorbereitungen brauchten fast eine Stunde Zeit; man suchte die Leute aus, befahl ihnen dringend die größte Lautlosigkeit an und begann die Balken und Steine aus dem nächstliegenden Durchgange zu entfernen. Die Soldaten waren mit Säbeln, Musketen und Pistolen bewaffnet, während die Bauern ihre, an den Handhaben befestigten Sensen trugen, weil diese Waffe ihnen die handlichste war.

Bald befanden sie sich hinter der Mauer. Tscharniezki zählte die Köpfe, stellte sich an die Spitze des Zuges, Kmiziz beschloß denselben. Mit angehaltenem Atem schlichen sie längs der aufgeworfenen Schanze abwärts, wie der Wolf, welcher eine Herde Schafe umkreist. Man hörte nichts, nur zuweilen verriet ein leises Klirren das Rollen eines lose gewordenen Steines, daß sie weitergingen. In der Ebene angelangt, hielt Herr Tscharniezki an. Er ließ hier einen Teil seiner Leute unter dem Befehl Janitschas, eines alten Ungarn und tüchtigen Soldaten, zurück, und befahl ihnen, sich platt auf die Erde zu legen. Er selbst schlug auf dem jetzt weicheren Boden ein schnelleres Tempo ein.

Kmiziz hatte ihm geraten, die Schwedenschanze zu umgehen, da jedenfalls die Wachen, wenn welche ausgestellt waren, sich auf dem freien Raume zwischen der Schanze und der Veste befanden. Die Mannschaften hinter der Schanze sollten aus dem Schlafe geweckt, dem Kloster zu, Janitscha in die Hände getrieben werden.

»Sollten wir beim Eintritt in die Schanze angerufen werden, so erlaubt, daß ich antworte,« hatte Kmiziz gesagt, »denn ich spreche das Deutsche so gut wie meine Muttersprache.«

»Wenn nur im Rücken der Schanze keine Wache steht,« meinte Herr Peter.

»Es ist Zeit zu wenden, man sieht schon das Ende der Schanze,« bemerkte er nach einer Weile. »Rechts, haltet euch rechts! ... Jetzt ganz lautlos ... Dort stehen die Zelte ... In zweien ist noch Licht ... Man wacht dort ... Gewiß Offiziere, die noch nicht schlafen.«

»Der Zugang ist leicht,« sagte Kmiziz. »Von hier aus haben sie, wie es scheint, die Geschütze hinaufgebracht ... Da, hier beginnt die Schanze. Laßt mich zuerst zu denen, die nicht schlafen; erst, wenn ich schieße, folgt mir.«

Er drängte schnell vor, bis zu dem erleuchteten Zelte, ohne daß ihn jemand aufgehalten hätte. Die anderen folgten ihm auf dem Fuße. Kmiziz nahm den Vorhang des Zeltes auf, trat ein und blieb am Eingange stehen, die Pistole mit gespanntem Hahn in der Rechten, den Säbelgriff in der Linken. Er war stehen geblieben, weil das Licht ihn etwas blendete.

Um einen Tisch, auf welchem ein Armleuchter mit sechs Kerzen stand, saßen drei Offiziere über Pläne und Zeichnungen gebeugt. Der eine hatte den Kopf so tief darüber gesenkt, daß seine langen Haare auf den Karten lagen. Als er den Eintretenden gewahrte, richtete er den Kopf in die Höhe und frug ruhig: »Wer ist da?«

»Ein Soldat,« antwortete Kmiziz.

Da blickten auch die anderen beiden Offiziere auf und lenkten ihre Blicke auf den Eingetretenen.

»Was für ein Soldat? Woher?« frug der erste Offizier. (Es war der Ingenieur de Fossis, welcher hauptsächlich die Belagerungsarbeiten leitete.)

»Aus dem Kloster,« antwortete Kmiziz.

De Fossis stand schnell auf. Er glaubte, daß vielleicht ein Deserteur zu ihm gekommen war. Kmiziz stand regungslos, hochaufgerichtet da; nur der drohende Ausdruck seiner Züge verriet die nahende Gefahr. Dennoch frug de Fossis noch, wenn auch schon erregt: »Was willst du hier?«

»Das will ich!« schrie Kmiziz. – In derselben Sekunde schoß er den Fragenden mitten in die Brust.

Ein gräßliches Geschrei, eine Musketensalve folgte dem Knall dieses Schusses. De Fossis war hingestürzt wie eine vom Blitz getroffene Tanne; der zweite Offizier griff Kmiziz mit dem Degen an, doch wich Herr Andreas aus und spaltete ihm mit einem Säbelhiebe den Kopf. Der dritte hatte sich Platt auf die Erde geworfen und versuchte unter der Leinwand aus dem Zelte zu entkommen. Da sprang Kmiziz hinzu und spießte ihn an die Erde fest.

Die stille Nacht schien sich in die Nacht des letzten Gerichts zu verwandeln. Als die Ueberfallenen die Wahrnehmung machten, daß der Ueberfall nicht vom Kloster her, sondern vom Rücken aus stattfand, da wurde die Panik eine so entsetzliche, daß alles durcheinander rannte; die verschlafenen Krieger unterschieden nicht mehr Freund und Feind, viele von ihnen stürzten geradezu in die Säbel der Polen, indes der Gouverneur Horn sich vergeblich bemühte, die vor Schrecken Sinnlosen um sich zu sammeln.

Noch war keine halbe Stunde vergangen, da war die Schanze genommen. Horn war von einem Bauern mit der Sense niedergestreckt worden, den Rest der Besatzung hatten Tscharniezki und Kmiziz getötet.

Im Hauptquartier war man bereits aufmerksam geworden, die Trompeten bliesen schon Alarm. Plötzlich flogen vom Kloster aus Leuchtkugeln in die Luft; der gute Pater Prior wollte seinen zurückkehrenden Getreuen den Rückweg beleuchten. Sie beeilten sich auch, denselben anzutreten: Herr Tscharniezki wanderte wieder an der Tête, während Kmiziz die Nachhut bildete.

Nach wiederum einer halben Stunde stießen sie auf die Abteilung Janitschas; aber er beantwortete den Anruf nicht, denn er war tot. Seine eigenen Leute hatten ihn, als er einen Schweden nachsetzte, in der Dunkelheit für einen Feind gehalten und ihn erschossen.

Die Rückkehrenden wurden im Kloster mit Kanonendonner und Freudenfeuern begrüßt. An dem Durchgange wartete Pater Kordezki schon auf sie, ließ sie einzeln an sich vorüber und zählte sie; sie waren alle da, nur Janitscha fehlte. Man sandte zwei Leute nach seinem Leichnam aus, denn der Pater Prior wollte ihm ein feierliches Begräbnis zu teil werden lassen.

Die einmal unterbrochene Nachtruhe wollte nicht wiederkehren. Das Kloster hatte die wieder eröffnete Kanonade nicht mehr eingestellt. Die Geschütze donnerten weiter. Im Lager unten aber herrschte die größte Verwirrung. Die Schweden flohen aus den dem Kloster zunächst gelegenen Schanzen; sie konnten sich gar nicht vorstellen, wie und woher das Unheil so plötzlich über sie hereingebrochen war. Ganze Abteilungen irrten obdachlos umher, selbst im Hauptquartier hatten die Offiziere und Mannschaften die Zelte verlassen und standen unter freiem Himmel.

Miller, Sadowski, der Fürst von Hessen und Wrestschowitsch nebst den anderen Offizieren gaben sich die erdenklichste Mühe, Ordnung in die entsetzten Scharen zu bringen. Mit übermenschlicher Anstrengung gelang es, doch nur zum Teil. Man beantwortete die Kanonenschüsse des Klosters ebenfalls mit Granaten, um die Finsternis zu durchleuchten und die Verlaufenen zu sammeln. Eine der Kugeln war in das Dach der Kapelle geschlagen, aber an einem Vorsprunge abgeprallt und wieder dem Lager zugeflogen, eine Flut von Licht im Fluge verbreitend.

Endlich brach der Tag an. Im Kloster und im Lager wurde es still. Da machte sich Miller an der Spitze seines Stabes auf, um in der verwüsteten Schanze den Schaden zu besehen. Er machte sich nichts daraus, daß man ihn vom Kloster aus sehen und niederschießen konnte; er wollte mit eigenen Augen sehen, die Toten zählen. Traurig und ernst ritten die Stabsoffiziere neben ihm her. Bei der Schanze angelangt, stiegen sie von den Pferden und gingen zu Fuß hinauf. Die Spuren des Kampfes wurden um so grauenerregender, je weiter sie kamen; ihr Weg führte über ganze Haufen von Leichnamen, die Zelte waren umgestürzt, kurz, die Verwüstung war schrecklich.

Miller stieg hinauf bis zu den Geschützen. Sie standen da mit vernagelten Rohren, stumm und ungefährlich gemacht, nicht mehr wert wie ein Stück Holz. Miller betrachtete mit gerunzelter Stirn in düsterem Schweigen alles genau, und keiner wagte dieses Schweigen zu brechen.

Welchen Trost hätte man wohl auch dem alten General sagen können, da alles dieses zumeist durch seine eigene Unvorsichtigkeit geschehen war. Für ihn war dieser nächtliche Ausfall doppelt beklagenswert, da er die Veste immer nur einen Hühnerstall genannt hatte, den er mit einigen Handgriffen zu zerbrechen imstande sei.

Dieser Morgen war für den General der unglücklichste seines Lebens.

Unterdessen waren die Füsiliere herangekommen, welche die Toten forttragen sollten. Vier von ihnen, welche einen in ein Leinentuch geschlagenen Leichnam trugen, mußten vor ihm Halt machen. Der General schlug das Laken auseinander und bedeckte gleich darauf mit der Hand die Augen.

»De Fossis! ...« sprach er dumpf.

Gleich darauf brachten wieder vier Mann einen Körper getragen. Diesesmal sprang Sadowski auf die Männer zu und nachdem er einen Blick auf den Körper geworfen, rief er den Stabsoffizieren zu:

»Es ist Horn! Sie bringen Horn!«

Er lebte noch und hatte noch viele Wochen qualvoller Leiden vor sich. Der Sensenhieb des Bauern hatte ihm den Brustkasten geöffnet, ohne Horn zu töten. Als er Miller und die Stabsoffiziere sah, lächelte er und wollte etwas sagen, aber der rote Schaum trat ihm auf die Lippen – er wurde ohnmächtig.

»Tragt ihn in mein Zelt!« befahl der General. »Mein Medikus soll ihn sogleich versorgen.«

Dann hörten die Offiziere, wie er vor sich hinmurmelte:

»Horn! Horn! ... Ich sah ihn im Traume, gleich nachdem ich eingeschlafen war ... Gräßlich, unfaßbar! ...«

Er heftete dabei den Blick fest auf den Boden und verfiel dann in starres Grübeln. Plötzlich wurde er aus diesem Grübeln durch die Stimme Sakowitschs aufgeschreckt, welcher entsetzt schrie:

»Herr General, Herr General! ... dort, dort ... das Kloster ...«

Miller blickte auf und war von dem, was er sah, ganz betroffen.

Es war heller, lichter Tag. Ueber der Erde lagerten noch die Herbstnebel, aber der Himmel war klar und im Osten rötlich angehaucht von der Morgenröte. Der weiße Nebelmantel verhüllte den ganzen Gipfel des Berges. Nach dem natürlichen Gange der Dinge hätte er auch die Kirche und den Turm verhüllen müssen. Statt dessen, o wunderbares Spiel der Natur, erhoben sich die Kirche und der Turm nicht nur über dem Felsen, sondern sogar über dem Nebel hoch, hoch in den Lüften, gerade als hätten sie sich losgelöst von demselben und schwebten im Aether dicht am Himmel.

Die Rufe der Soldaten verkündeten, daß auch sie die Erscheinung sahen.

»Der Nebel täuscht die Blicke!« rief Miller.

»Aber der Nebel liegt unter der Kirche!« erwiderte Sadowski.

»Wunderbar! Aber die Kirche liegt zehnmal höher als sie gestern lag, sie schwebt in der Luft,« sagte der Fürst von Hessen.

»Sie erhebt sich noch höher, seht! seht!« riefen die Soldaten. »Sie entschwindet den Blicken! ...«

Und wirklich; die Nebelwolke, welche über dem Berge lagerte, begann sich zu einer Säule zu sammeln und zu erheben, höher und höher, und oben auf der Spitze dieser Säule stand die Kirche, stieg mit dieser empor, bis sie hoch oben im Aether den Blicken der Schauenden allmählich verschwand.

Miller wandte sich den Offizieren zu. In seinen Augen malte sich Bewunderung, vermischt mit abergläubischer Furcht.

»Ich muß gestehen, meine Herren!« sagte er, »daß ich ein solches Phänomen in meinem Leben noch nicht gesehen habe. Das ist eine wunderbare Naturerscheinung, wenn nicht gar Zauberei.«

»Ich hörte die Soldaten sagen,« versetzte Sadowski, »wie soll man auf solch' eine Veste zielen und schießen? Wahrhaftig, ich weiß es auch nicht!«

»Was soll nun werden, meine Herren?« sprach der Fürst von Hessen. »Was meint ihr wohl? Steht die Kirche noch dort auf dem Berge oder ist sie mit dem Nebel entschwunden? Aber gesetzt den Fall, »es ist nur eine Naturerscheinung,« sollten wir nicht dieselbe als Warnung betrachten? Sind wir bei der Belagerung dieser Veste schon um einen Schritt vorwärts gekommen?«

»Bah! – wenn es das nur wäre!« entgegnete Sadowski. »Fragen wir lieber, wie viel wir verloren, was für Niederlage wir erlitten haben? Nach der heutigen Nacht werden die Soldaten noch unlustiger werden, als sie es schon sind. Es gehen außerdem noch andere Dinge vor. Seit ein paar Tagen dürfen sich die Mannschaften gar nicht mehr einzeln oder zu zweien und dreien aus dem Lager wagen; sie verschwinden stets spurlos. Man könnte glauben, es treiben sich Wölfe um den heiligen Berg herum.«

»Es wird noch schlimmer werden, wenn der Winter kommt; die Nächte sind schon jetzt unerträglich,« sagte der Fürst von Hessen.

»Der Nebel zerteilt sich,« sprach Miller plötzlich.

Wirklich begann der Wind schärfer zu wehen; die Ausdünstungen ballten sich zu mächtigen Knäueln, flogen in Fetzen herum, dann brach die Sonne durch, die Luft wurde klar.

Die Mauern des Klosters tauchten erst undeutlich, dann immer klarer, zuletzt auch das Kloster und die Kirche aus den Nebelwolken hervor. Die ganze Veste stand auf demselben Platze, wo sie immer gestanden, in ihr und um sie herum herrschte die tiefste Stille, als wäre sie ausgestorben.

»Herr General!« sagte der Fürst von Hessen energisch. »Ich rate dringend, es noch einmal mit der Kapitulation zu versuchen. Der Sache muß ein Ende gemacht werden.«

»Und wenn meine Vorschläge wieder zurückgewiesen werden? Soll ich dann die Belagerung aufgeben?« frug Miller düster.

Keiner der Herren wagte zu antworten. Endlich sagte Sadowski:

»Ew. Excellenz werden am besten wissen, was zu thun obliegt.«

»Jawohl, ich weiß es!« entgegnete der General stolz. »Wißt, daß ich die Stunde verfluche, in welcher ich hierher gekommen bin, ebenso den guten Ratgeber, welcher den Gedanken anregte, hierher zu gehen – dabei streifte sein Blick Wrestschowitsch. Nach dem, was hier geschehen ist, werde ich nicht weichen, bis ich diese Veste in einen Haufen Trümmer verwandelt habe, oder tot auf dem Platze bleibe.«

Der Fürst von Hessen hielt diese Worte des Generals für leere Prahlerei; er hatte nie eine besondere Achtung vor Miller gehabt. Deshalb erachtete er seine Worte nicht für angebracht angesichts dieser Toten, dieser zerstörten Schanze, dieser vernagelten Geschütze. Er wandte sich also ärgerlich an ihn und sagte nicht ohne Ironie:

»Herr General! Ihr könnt das nicht so bestimmt versichern, denn ihr würdet eure Position, dem ersten Befehl Sr. Majestät oder Wittembergs folgend, verlassen. Zuweilen pflegen die Umstände aber noch dringender zu gebieten als Könige und Marschälle.«

Miller runzelte die buschigen Brauen. Als Wrestschowitsch das sah, fiel er schnell ein:

»Versuchen wir es erst noch einmal, die Mönche zur Kapitulation zu bewegen. Sie werden, sie müssen sich ergeben.«

Da ertönte laut und feierlich vom Berge herab die Glocke, welche die Brüder zur Frühmesse rief. Der General trat mit seinem Stabe den Rückweg nach Tschenstochau an, doch sie waren dort noch nicht angelangt, als ein Reiter auf schaumbedecktem Roß ihnen entgegengesprengt kam, welcher dem General ein Schreiben überreichte.

»Vom Marschall Wittemberg!« rief Miller. – Er erbrach das Siegel und überflog das Schreiben. Dann sagte er verlegen:

»Nein! Das Schreiben ist aus Posen ... Schlechte Nachrichten ... In Großpolen erhebt sich der Adel, das Volk schließt sich ihm an ... An der Spitze der Bewegung steht Krschyschtof Schegozki, welcher dem Kloster Tschenstochau zu Hilfe kommen will.«

»Wie ich es vorausgesagt habe,« murrte Sadowski. »Die Belagerung Tschenstochaus wird den Aufstand im Reiche entflammen, vom Baltischen Meere bis zu den Karpaten ... Dieses Volk ist zu wetterwendisch. Ihr kennt die Polen noch nicht, ihr werdet sie später noch kennen lernen.«

»Gut, lernen wir sie kennen!« entgegnete Miller. »Mir ist ein ehrlicher Feind lieber als ein falscher Bundesgenosse ... Erst haben sie sich selber ergeben, nun erheben sie die Waffen gegen uns ... Gut, sie sollen auch uns kennen lernen!«

»Und wir sie!« polterte Sadowski. »Herr General, beenden wir die Belagerung unter jeder Bedingung ... Es handelt sich hier nicht mehr um diese Veste, sondern um die Herrschaft Sr. Majestät in diesem Reiche.«

»Die Mönche werden sich ergeben, heute, morgen,« sagte Wrestschowitsch.

Unterdessen hielten die Mönche ihre Frühmesse. Es herrschte große Freude im Kloster. Während sich diese überall laut machte, saß Kmiziz still auf der Lafette seiner Kanone und dachte an Olenka. Der Anblick der jungen Mädchen, welchen der Pater Prior samt den Frauen heute gestattet hatte, der Frühmesse beizuwohnen und nachher sich im Klosterhofe zu ergehen, hatte ihn an sie gemahnt und seine Sehnsucht nach ihr rege gemacht.

»O, du liebe Einzige,« dachte er, »wenn du wüßtest ...«

Und er nahm sich vor, gleich nach der Beendigung der Belagerung ihr zu schreiben und durch Soroka das Schreiben nach Kiejdan zu senden. Er kam ja nicht mehr mit leeren Händen, sondern hatte Thaten aufzuweisen, die er ihr nicht vorenthalten wollte, denn – sie sollte wissen, daß sie die Urheberin alles dessen war, was er im Dienste des Vaterlandes gethan!

Und ein Abglanz der Freude, die er bei diesem Gedanken fühlte, strahlte auf seinem Angesicht und verschönte die mageren, herben Züge desselben.

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